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Westfalen-Blatt , 17.11.1986 :

Der Opfer von Leningrad gedacht

Ärzte demonstrierten in Stukenbrock / Danach kam RP Walter Stich

Schloß Holte-Stukenbrock (pivo). Volkstrauertag einmal anders: Rund 200 Mitglieder der Vereinigung "Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges" (IPPNW) aus der Bundesrepublik, der UdSSR und der DDR haben gestern auf dem sowjetischen Soldatenfriedhof in Stukenbrock der dort begrabenen Kriegsgefangenen des Stalag 326 und der 645000 Opfer gedacht, die während der deutschen Belagerung Leningrads zwischen September 1941 und Februar 1944 umgekommen sind. Die sechs Kilometer vom Stukenbrocker Ortszentrum zur Kriegsgräberstätte hatten die Mediziner in einem kleinen Demonstrationszug zu Fuß zurückgelegt. Um ihren Wunsch nach einer friedlichen Zukunft und nach Versöhnung symbolisch zu dokumentieren, vergruben drei Leningrader Ärzte zum Schluss der Kundgebung ein Gefäß mit Erde vom Piskarjov-Memorial-Friedhof - dort sind die meisten Opfer der deutschen Belagerung begraben - vor dem Ehrenmal in Stukenbrock und markierten die Stelle mit einer Gedenktafel.

Zuvor hatten der Vorsitzende der bundesrepublikanischen IPPNW-Sektion, Professor Horst-Eberhard Richter, und sein Kollege im Vorstand, Dr. Suitbert Hoffmann, an die Versammlungsteilnehmer appelliert, dem Geiste der Dämonisierung und Militarisierung mit allen Kräften entgegenzuwirken. Freimütig bekannte sich Richter zu einer Mitverantwortung für das, was dem sowjetischen Volk in Leningrad und anderswo angetan worden ist. "Wir machen uns zu Heuchlern, wenn wir gerade das Volk, das im Zweiten Weltkrieg die meisten Opfer zu beklagen hatte, nicht ehren", sagte Richter. Er und Hoffmann forderten eine kritische Reflexion vorhandener Feindbilder und eine größere Verständigungsbereitschaft mit weltanschaulich Andersdenkenden.

Eine zweite Gedenkveranstaltung erlebte der Stukenbrocker Soldatenfriedhof dann unmittelbar nach der Kundgebung der Ärzte: Regierungspräsident Walter Stich erschien zusammen mit der stellvertretenden Landrätin des Kreises Gütersloh, Ursula Bolte, dem Bürgermeister, dem Gemeindedirektor und dem kompletten Rat der Gemeinde Schloß Holte-Stukenbrock sowie Abordnungen des Volksbundes Deutscher Kriegsgräberfürsorge (VDK) und der Bundeswehr aus dem benachbarten Augustdorf vor der Kriegsgräberstätte. Sie schritten gemeinsam zur Ehrenhalle, legten Kränze nieder und gedachten für einige Minuten schweigend der Toten von Stukenbrock.


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