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Internationales Beratungszentrum , 10.05.2003 :

Hier geblieben – Bleiberecht für Flüchtlinge! / Redebeitrag von Gudrun Lagemann (ibz) auf der Kundgebung gegen die Abschiebungspolitik der Stadt Detmold / Samstag, 10. Mai 2003, 12.00 Uhr, Detmold - Bruchberg

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, liebe Freundinnen und Freunde,

mein Name ist Gudrun Lagemann und ich möchte Sie und euch recht herzlich im Namen des Internationalen Beratungszentrums auf dieser Kundgebung begrüßen.

Laut der Detmolder CDU handelt es sich bei unserem ibz-Team um "eine kleine radikale Gruppe". Diese "kleine radikale Gruppe" möchte sich hiermit zunächst bei all denjenigen bedanken, die uns in den letzten zwei Wochen so unermüdlich geholfen haben, diese Kundgebung zu organisieren. Aufgrund unseres derzeitigen Beratungsnotstandes hätten wir diese Arbeit alleine nicht geschafft. Also, vielen Dank – besonders an die so engagierten Jugendlichen aus der alten Pauline!

Liebe Freundinnen und Freunde, diese Kundgebung ist bitter notwendig. Aber bei dieser Kundgebung darf es allein nicht bleiben. Wir verstehen sie lediglich als Auftakt für weitere Anstrengungen und Aktionen. Denn: Nach den unerträglichen Verschärfungen, besonders im vergangenen Jahr, steht nun die größte Abschiebungswelle seit der Existenz der Detmolder Ausländerbehörde vor der Tür! Nie zuvor hatten wir so viele verzweifelte Menschen in unserer Beratung – wir haben im wörtlichen Sinne einen Beratungsnotstand. Die Stadt Detmold weicht keinen Millimeter von ihrer knüppelharten Linie ab, im Gegenteil: sie will Fakten schaffen. Fakten, die wir alle gemeinsam verhindern müssen. Für ideologische Kleinkriege ist keine Zeit! Es geht nicht mehr um Nadelstiche oder um andere Formen der Abschreckung. Es geht um die körperliche und seelische Unversehrtheit derart vieler Menschen, dass wir sofort damit beginnen müssen, den öffentlichen Druck auf die Stadt wesentlich deutlicher zu erhöhen, als es bisher der Fall ist.

Politik und Verwaltung müssen lernen, Widerstand und Protest der mit Flüchtlingen solidarischen Menschen ernst zu nehmen. Der städtische Versuch vom Februar, Flüchtlinge automatisch und pauschal in Abschiebehaft zu nehmen sobald der Flugtermin der Abschiebung feststeht, ist dafür ein negatives Beispiel. Nur ein flüchtiger Blick ins Ausländergesetz reichte aus, um festzustellen, das die Vorlage der Verwaltung so offenkundig und eindeutig rechtswidrig war. Das der Versuch trotzdem unternommen wurde, zeigt die Kaltschnäuzigkeit mit der die Verantwortlichen Freiheitsberaubungen im großen Stil durchsetzen wollten.

Wir müssen unsere Kräfte bündeln, aber auch weiterhin auf vielen Klavieren spielen. Uns alltäglich zu Gunsten der betroffenen Mensch einmischen, öffentlich Stellung beziehen. Und weiter auf der Straße demonstrieren.

Nach der Informationsveranstaltung über die Handlungsspielräume der Ausländerbehörden am gestrigen Abend, werden wir Sie und euch heute nicht mit Einzelheiten des Ausländerrechts behelligen. Wir sagen es deshalb ganz einfach: Es kann ein lebenswichtiger Unterschied für den betroffenen Menschen sein, ob für ihn das Ausländeramt der Stadt Detmold oder der Stadt Bielefeld zuständig ist. 30 Kilometer Entfernung machen Entscheidungen über Abschiebung oder Duldung so unterschiedlich wie Tag und Nacht. Herr Bürgermeister Brakemeier: Stoppen Sie die Abschiebungsmaschinerie Ihrer Verwaltung! Sie haben dazu rechtlich jede Möglichkeit. Wir werden Sie ab heute täglich daran erinnern!

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, liebe Freundinnen und Freunde, in 3. Mose 19, 33-34 heißt es: "Wenn ein Fremdling bei euch wohnt in eurem Lande, den sollt ihr nicht bedrücken. Er soll bei euch wohnen wie ein Einheimischer unter euch, und du sollst ihn lieben wie dich selbst; denn ihr seid auch Fremdlinge gewesen in Ägyptenland."

Wir rufen die Kirchen und Gemeinden auf, ihre Türen und Tore für Flüchtlinge jetzt weit zu öffnen! Wir bitten sie um die verstärkte Gewährung von Kirchenasyl. Kirchenasyl bedeutet für uns: Gemeinden entschließen sich, Flüchtlinge, die von Abschiebung konkret bedroht sind, in ihren Räumen Schutz vor dem Zugriff der Behörden anzubieten, weil begründete Zweifel an der Behördenentscheidungen bestehen und dennoch alle Vermittlungsversuche gescheitert sind. Viele Menschen helfen, die Flüchtlinge rund um die Uhr zu betreuen, eine öffentliche Diskussion über ihr Schicksal in Gang zu setzen, um ein Bleiberecht zu erwirken.Wir bitten hier und heute das Ökumenische Forum – Flüchtlinge in Lippe, das Vorgehen und die Kriterien bei Kirchenasyl neu zu diskutieren.

Das ibz wird im Juni dazu eine öffentliche Veranstaltung durchführen. Ohne die Bereitschaft - auch die öffentlich erklärte und angekündigte - von zivilen Ungehorsam, werden wir die meisten der bei uns schutzsuchenden Menschen nicht vor den jetzt drohenden Abschiebungen retten können. Darüber sollte zur Zeit absolute Klarheit herrschen. Und: Detmold steht dabei nicht alleine. Der Kreis Lippe hat zum Beispiel in der Nacht von Sonntag auf Montag in dieser Woche versucht, einen kurdischen Familienvater mit seinen drei minderjährigen Kindern in die Türkei abzuschieben. Und das, obwohl er sich seit 1988 in der Bundesrepublik aufhält. Wo leben wir eigentlich?

Wir halten es für unabdingbar, sich neu zu vernetzen, Ideen und Aktionen zu diskutieren und zu koordinieren. Wir laden deshalb alle Interessierten ein, am nächsten Samstag in die Ausstellungshalle von "Arbeit und Leben", gegenüber der alten Pauline, ab 14.00 Uhr zu kommen.

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, liebe Freundinnen und Freunde, die oft festzustellende Abwehr vieler Menschen gegen Flüchtlinge ist kein Grund, die Entwürfe einer von uns gewünschten Flüchtlingspolitik nur aus der Verteidigungsposition und mit angezogener Handbremse zu formulieren. Wir müssen Visionen einer humaneren Welt entwerfen, um Mentalitäten und Bewusstseinsstrukturen zu verändern. Rassismus ist weder ein Schicksal, in das wir uns zu fügen haben, noch eine Art naturwüchsiger Instinkt.

Machen wir uns gemeinsam solidarisch auf den Weg!


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