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Lippische Landes-Zeitung , 03.06.2000 :

Zum Wochenende / Beschämt und ratlos

Von Michael Dahl

Was bringt Menschen dazu, einen Friedhof zu verwüsten, einen jüdischen in Deutschland zudem? Zu unvorstellbar erscheint die Tat von Detmold, als dass sie mit herkömmlichen Denkmustern zu erklären wäre. Angesichts derart barbarischen Verhaltens herrschten denn auch gestern bei den Verantwortlichen der Stadt weitgehend Trauer, Beschämung und Ratlosigkeit. Die unfassbaren Eindrücke müssen erst noch verarbeitet werden.

Es zeigt sich wieder einmal, dass Verrohung und Zerstörungswut keine Erscheinungen seelenloser Großstadtareale sind. Auch in der lippischen Provinz, die in Sonn- und Feiertagsreden gern und oft als "heile Welt" geschildert wird, gibt es derartige Vorkommnisse. Vermutlich ist es gerade diese Erkenntnis, die alle so sprachlos macht. Konnte man die Übergriffe auf Ausländer durch Bundeswehrsoldaten vom März 1997 noch damit aus dem Bewusstsein verdrängen, dass es sich gewissermaßen um "zugereiste" Täter handelte, so fällt dies jetzt eindeutig schwerer. Und wieder einmal steht das Ansehen der gesamten Stadt auf dem Spiel.

Auch wenn die Täter nicht aus dem rechten Spektrum kommen sollten, wie die Polizei vermutet, so bedeutet diese Tat nicht nur eine bloße Störung der Totenruhe und Sachbeschädigung. Wer sich angesichts der deutschen Vergangenheit an jüdischen Einrichtungen oder Gedenkstätten vergreift - siehe Fechenbach-Denkmal -, offenbart einen eklatanten Mangel an Verantwortungsgefühl vor der eigenen Geschichte und an Respekt vor der Ehre der Opfer des Nationalsozialismus.

Deshalb ist die Forderung "nach einem Schlussstrich" unter diese unselige Zeit auch 55 Jahre nach der deutschen Diktatur völlig fehl am Platze. Zyniker mögen einwenden, dass die zahlreichen Bemühungen gerade in lippischen Städten um die Aufarbeitung der Geschichte, die Errichtung von Mahnmalen, die Ausrichtung von Gedenkfeiern und die Entwicklung von Unterrichtsprojekten derartige Vorgänge nicht verhindern können.

Dennoch: Es gibt dazu keine Alternative, zumal die Schamgrenze zu sinken scheint.

03./04.06.2000
Detmold@lz-online.de

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