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junge Welt , 23.05.2000 :

Flucht ist kein Verbrechen / Demonstration in Büren gegen Abschiebeknast / Polizeichaos und Verhaftungen

Am Sonntag fand im westfälischen Büren eine Demonstration unter dem Motto "Flucht ist kein Verbrechen" gegen die größte Abschiebehaftanstalt in Deutschland statt. Mehr als 500 Gegner der bundesdeutschen Abschiebepraxis zogen zur JVA, in der über 600 Flüchtlinge einsitzen, und gedachten zunächst Rachid Sbaai, der dort am 30. August vorigen Jahres ums Leben gekommen war. Der Marokkaner hatte Feuer in seiner Zelle gelegt und war an den Folgen einer Rauchvergiftung gestorben. Es folgten Grußworte in verschiedenen Sprachen an die Gefangenen sowie Berichte über die miserablen Haftbedingungen in Büren.

In Autos ging es dann zurück von der abseits der Stadt im Wald gelegenen Haftanstalt zum Bürener Bahnhof. Auf einer Kundgebung wurden die Probleme illegalisierter Flüchtlinge, die geplante Abschiebung von über tausend Prostituierten aus Frankfurt/Main sowie die Rolle der Fluggesellschaft Lufthansa thematisiert. Obwohl die anschließende Demonstration absolut friedlich verlief, kam es zu wiederholten Übergriffen durch die Polizei und auch zu Provokationen von rechten Jugendlichen aus Büren.

Chaos gab es bei der Polizei. Zur Verwunderung der Demoleitung war die Leitung des Einsatzes von Paderborn nach Bielefeld übergeben worden. Die Polizeikräfte aus Bielefeld waren überfordert, kannten zum Teil nicht einmal die abgesprochene Route und mußten auf Kartenmaterial der Demonstranten zurückgreifen. Entgegen der Absprachen fanden im Vorfeld der Demonstration massive Kontrollen statt. Zur Identitätsprüfung wurden fünf Demonstranten ohne Personalausweis festgenommen und über vier Stunden im Paderborner Polizeipräsidium festgehalten.

Zwischendurch war offenbar die Kommunikation der Polizei zusammengebrochen. So musste die Demonstration einmal stoppen, weil sich die Fahrzeuge der Polizei gegenseitig den Weg versperrten. Ein behelmter Einsatzzug der Polizei in Kampfmontur hatte offenbar keinen Einsatzbefehl und stand unvermittelt vor dem Demozug. Auf leitende Beamte, die den Zug zum Weitergehen aufforderten, reagierten die Polizisten nicht, da offenbar die Befehlsstrukturen nicht mehr stimmten. Während der Abschlusskundgebung auf dem Marktplatz ertönte plötzlich Musik aus dem Lautsprecherwagen der Polizei. Die Polizisten im Wagen konnten ihre Anlage nicht bedienen.

Trotz solcher Showeinlagen gab die Polizei nicht nur Grund zum Lachen: Ohne ersichtlichen Grund ging ein Greiftrupp in den Demozug und verhaftete eine Person. Dabei wurde eine Demonstrantin durch einen Schlagstockeinsatz verletzt. Aufgrund der vielen Einsatzfehler der Polizei war die Atmosphäre sehr gespannt, größere Auseinandersetzungen waren zu befürchten. Um die Situation zu beruhigen, wurde ein Redebeitrag von der Demoleitung abgesagt und die Demonstration abgebrochen.


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