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Lippische Landes-Zeitung , 26.01.1985 :

Harte Attacke gegen Stadt wegen Sinti und Roma am "Siekkrug"

Vorwurf der Diskriminierung und menschenunwürdiger Behandlung zurückgewiesen

Lage-Pottenhausen (sr). Schweres Geschütz fuhren Hans Hollensteiner und Manfred Hilbrink (DKP) in ihren Briefen an Bürgermeister und Rat auf, und im Sozialausschuss setzten sie den Angriff auf die Verwaltung fort, der sie "menschenunwürdige Behandlung der Sinti und Roma" wegen des Baus einer Schranke am "Siekkrug"-Gelände vorwarfen. Das sei eine "menschenfeindliche Politik" gegenüber zwei Volksgruppen, deren Verfolgung ihren Höhepunkt unter dem Nationalsozialismus erlebt habe: "Diese Verfolgung dauert heute noch an - auch in der Bundesrepublik. Auch heute werden Sinti und Roma noch diskriminiert, insbesondere durch derartige diskriminierende Maßnahmen erhält der Rassismus neuen Auftrieb!"

Das war ein harter Angriff, gegen den sich Sozialamtsleiter Helmut Pohl verwahrte, und auch Bürgermeister Niebuhr verbat sich derartige Vorwürfe: "Niemals haben rassistische Gedanken bei der Verwaltung in dieser Angelegenheit eine Rolle gespielt!"

Nachgedacht werden aber sollte über den Vorschlag der Briefeschreiber, etwas zu tun, um die Bürger - in diesem Falle die Pottenhausener - über die jahrhundertalte Kultur dieser Volksgruppen und ihren Leidensweg zu informieren, um mögliche Ressentiments auszuräumen. Das könne zum Beispiel durch die Kirche oder die Arbeiterwohlfahrt in Pottenhausen geschehen.

Zur rechtlichen Seite des "Verwaltungsakts" nahm Stadtrechtsrat Joachim Schultz-Tornau Stellung: Es sei absolut in Ordnung, dass der Platz mit einer Schranke abgesperrt worden sei, denn er sei in Privatbesitz. Auch jedem anderen Fremden sei dort der Zutritt außerhalb von großen Veranstaltungen verboten. Durch die Schranke werde nur der Rechtszustand gewahrt, der seit 1966 besteht.

Der AW-Kreisvorsitzende Hermann Kochsiek, früher Bürgermeister der Gemeinde Pottenhausen, gab einen Überblick über die Vorgeschichte: Der früher zu Waddenhausen gehörende "Siekkrug"-Platz sei später von Pottenhausen für den "Reinholdi-Markt" gepachtet worden. Seit 1966 besteht ein Vertrag mit den Besitzern des Schlosses Iggenhausen über die Platznutzung. Freiherr von Eckardstein hat die Stadt mehrfach aufgefordert, die Vertragsbedingungen einzuhalten und sich nicht mit der Nutzung durch die Stadt einverstanden erklärt.

Kochsiek entsinnt sich, dass es früher für die Sinti und Roma ein "Platzbuch" gegeben habe, in dem diese und andere Landfahrer gegen Abstempelung zwei Tage dort bleiben durften.

Auslösend für die Anbringung der Schranke war im Sommer das Anrücken von mehreren Sinti-Großfamilien mit rund zehn Großwohnwagen, die Schloß- und Absperrkette aufgebrochen und die Bevölkerung durch ihr Auftreten und ihr Klingeln an vielen Türen beunruhigt hatten. Nur mit Mühe hätten sie bewegt werden können, die große "Siekkrug"-Fläche für die Stuten- und Fohlen-Schau zu räumen.

Ausschussvorsitzender Niebuhr stellte sachlich fest: "Die Stadt kann die Nutzung für die Sinti und Roma nicht erzwingen, wird aber ein Gespräch mit dem Platzbesitzer führen. Unabhängig davon aber sollte intensiv nach einem Platz im Stadtbereich für die durchreisenden Volksgruppen gesucht werden, eventuell auch gemeinsam mit dem Kreis oder Nachbargemeinden!"

Der Stadtrechtsrat ergänzte: "Es gibt in ganz Lippe keinen einzigen "offiziellen" Platz, sondern überall nur ein "Duldungsverhältnis"." Das könne auch nicht das Problem nur einer Gemeinde sein. Die Aufenthaltsdauer sei ihrer Rechtslage nach unklar - gängige Auffassung seien 24 Stunden.

Einstimmig wurde Niebuhrs Vorschlag angenommen, mit dem Platzbesitzer zu sprechen, im Gespräch mit Sinti und Roma einen Platz zu suchen und über deren Kultur zu informieren.


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