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Bünder Tageblatt / Neue Westfälische , 08.02.1993 :

"Antifaschistische Aktion" war noch nie so gefragt wie im Augenblick / Reger Zulauf als Reaktion auf braunen Terror

Bünde (win). Die "Antifaschistische Aktion" war noch nie so gefragt wie im Augenblick. Als Reaktion auf den braunen Terror haben Antifa-Gruppen überall im Land regen Zulauf. Dabei kann die "Aktion" auf eine lange, von ständiger Reaktion auf die Faschisten gekennzeichnete Geschichte zurückblicken. Auf Einladung der Bünder "Antifa" berichteten am Freitagabend Vertreter/innen der Göttinger Antifa über den Widerstand damals und heute.

Leider müssen wir in diesem Bericht auf Namen und Fotos der Vortragenden verzichten (dazu nebenstehender Kommentar). Informationen gaben die Göttinger dafür gut und reichlich. Die antifaschistische Bewegung hat ihre Ursprünge in den auslaufenden 20er Jahren. Der Generalstreik im Ruhrpott war von der sich als "Volkswehr" verstehenden "Rote Ruhr Armee" mit geprägt und 1925 gründete sich der "Rot Frontkämpfer Bund" in Berlin. Der KPD-nahe Verband wollte vor allem für Schutz vor den zunehmenden faschistischen Übergriffen sorgen.

Wie der spätere "Kampfbund gegen Faschismus" war der RFB uniformiert und relativ straff organisiert. Probleme gab es mit den der SPD nahestehenden Gewerkschaften oder der "Eisernen Front", die als Nachfolger des RFB die Antifaschistische Aktion weiter beförderte. Mit den Wahlerfolgen der Nazis, der massiven Arbeitslosigkeit und dem Wall Street Crash wuchs die "politische Stimmung" im ganzen Land und auch an der Basis begann die Organisation des Widerstandes. Mit dem Berliner Kongress von 1932 fand die letzte Massenveranstaltung statt: auch der Schulterschluss von KPD und SPD kam hier jedoch zu spät.

"Die Nazis ließen von der Antifa nichts über", berichteten die "Göttinger" auch über die "Endlösung" für die vor der Machtübernahme relativ starke RFB-Ortsgruppe in Bünde. Mit den "K"-Gruppen und dem Widerstand gegen die faschistischen "Wehrsportgruppen" wurde erstmals wieder ein antifaschistisches Zeichen gesetzt. Während die Rechten vom Staat permanent heruntergespielt wurden, bekamen die K-Gruppen mit Radikalenerlass, der Terrorbekämpfung und schließlich mit ihrem Verbot die ganze Härte der Staatsmacht zu spüren. Dennoch formierte sich der "Widerstand" in der Anti-AKW-Bewegung und in der Friedensbewegung neu.

Welche Rolle muss die "Antifa" heute spielen? "Die Faschistenorganisationen schießen überll wie Pilze aus dem Boden", erzählen die "Göttinger" und deshalb sehen sie sich jetzt am Scheideweg: "entweder überlebt die Antifaschistische Aktion und bildet ein echtes Gegengewicht zur Gesellschaft oder der Faschismus siegt." In ihrem "Kampf" wollen sie auch vor der Gewalt nicht Halt machen, "obwohl der Hauptanteil unserer Arbeit in Information und Aufklärung liegt". Etwa sechzig Interessierte im Stadtgarten, hauptsächlich junge Leute, suchten nach der informativen Rückblende und Ausschau durch die "Göttinger" die Diskussion über Selbstverständnis und Ziele der "Antifa".


Der Kommentar: Scheu wie ein Reh

Von Stefan Winter

Der große Unbekannte ist eigentlich ganz nett. Er ist intellektuell fit, rhetorisch gewandt und sieht aus wie du und ich. Wenn er dort nicht scheu wie ein Reh wäre: bitte kein Foto, bitte keine Namensnennung, bitte keine Angaben über Beruf und Wohnung. Diese "verängstigten" Zeitgenossen findet man an der Spitze der Göttinger Autonomen-Bewegung. Bei der Bünder Antifa-Veranstaltung gab er mir ein sehr aufschlußreiches Interview. Aber das bleibt natürlich unter uns ...

Spaß beiseite. Jeden Journalisten muss es einfach Bauchschmerzen bereiten, wenn er zwar auf eine Veranstaltung eingeladen wird, dann aber Gesichter und Namen nicht an die Leser weitergeben darf. Damit das klar ist: die Pressefreiheit gilt auch gegenüber den Autonomen. "Wir haben gelernt, dass man mit der Presse zusammenarbeiten muss", sagt mir der große Unbekannte aus Göttingen. Tatsächlich? Was ich erlebte, war keine Zusammenarbeit, sondern der dreiste Versuch, die Presse nach eigenem Belieben zu nutzen. Also gar nicht berichten? Nein - dafür aber kommentieren!

Was steckt hinter dem konspirativen Getue? "Wir werden kriminalisiert", sagen sie. Und die Geschichte der Republik ist in der Tat gekennzeichnet von einer ganz harten Linie gegen links: Anti-Terrorgesetze, Radikalenerlass und bisweilen der Eindruck ungleicher Rechtsanwendung zwischen links und rechts. "Die Rechten verharmlosen, den Linken die Peitsche" zieht es sich wie ein roter Faden durch die Politik. Es ist was dran, dass sich der Staat immer wieder auf dem rechten Auge blind erweist, während das hellwache linke Auge den Einäugigen ausmacht. Derzeit laufen einige Verfahren gegen Autonome wegen § 129a StGB, der "Bildung terroristischer Vereinigungen". Doch wenn mir mein unbekanntes Gegenüber weißmachen will, die Klageschriften unterstellen, dass Autonome schon im Kindesalter Terrorakte begangen hätten, dann ist das Quatsch. Hier wird der Staat zum Feind perse und das Verfolgtsein schick.

Und die Autonomen sind selbst verantwortlich, dass sie die Frage nach Gewalt immer wieder gestellt bekommen. "Auch Straßengewalt gegen Faschisten gehört zu unseren Mitteln", sagt der große Unbekannte im Brustton der Überzeugung. Diese Leute haben für mich nichts, aber rein gar nichts aus der Geschichte gelernt. Die Arbeit der Antifa schätze ich sehr und gerade in Bünde bin ich vom Engagement der Frauen und Männer angetan. Doch vor der Gewaltverherrlichung der Autonomen-Stars sollte man sich hüten. Die Bünder Antifa-Leute haben zum Glück immer zu ihrem Gesicht und ihrer Meinung gestanden. Und von dem großen Unbekannten aus Göttingen wünsche ich mir nur eines: gerade in diesen Zeiten kommt es darauf an, Flagge zu zeigen. Dazu gehört aber auch: schwarzes Tuch runter und zum eigenen Gesicht stehen.


lok-red.buende@neue-westfälische.de

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