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Lippische Landes-Zeitung , 28.01.2004 :

Erinnerung und Orientierung / Geschwister-Scholl-Gesamtschule gestaltet beeindruckenden Gedenktag

Detmold (mah). Den Jungen lässt der Hausverwalter nicht in den Luftschutzbunker: Friedrich stirbt in den Bomben. Der Vater wird ins KZ deportiert, und die Mutter erliegt ihrer Krankheit, weil sie nicht medizinisch behandelt wird. Grausames Ende einer Familie. Einer Familie, die jahrelang in guter Nachbarschaft mit anderen gelebt hatte, und für die die Nazi-Herrschaft ein Albtraum ohne Ende wurde.

Schüler der Geschwister-Scholl-Gesamtschule haben Szenen aus dem Leben der jüdischen Familie Schneider gestern Abend bei der zentralen Veranstaltung zum Gedenken an die Opfer des Nazi-Regimes eindrucksvoll dargeboten. "Damals war es Friedrich" heißt das Theaterstück, und die gespielten Szenen waren so einfach und doch so erschreckend. Der Junge von nebenan bekommt vom Großvater Spielverbot mit Friedrich, der Junge wird verleumdet. Die Haushaltshilfe kommt nicht mehr und verweigert der Mutter den Handschlag, der Nachbar rät dem Vater, zu verschwinden. Dieser Nachbar bittet um Verständnis und verharmlost: "Seit Hitler an der Macht ist, habe ich Arbeit. Deswegen bin ich in der Partei. Und sagen Sie selbst: Hat nicht jede Regierung ihre Schattenseiten?"

"Einen Jungen wie Friedrich gab es überall, auch in Detmold", sagte Bürgermeister Friedrich Brakemeier im Anschluss an die Szenen."Es gab ihn auch in Detmold. Spuren des Grauens gibt es auch hier bei uns." Deswegen sei der Gedenktag so wichtig: Nicht als ritualisiertes Ereignis um seiner selbst willen, sondern um über den Tag hinaus nachhaltige Wirkung zu erzeugen. "Wir müssen unsere Lehren aus den Ereignissen ziehen, um Orientierung für die Gestaltung der Zukunft zu finden." Der Bürgermeister mahnte zur Wachsamkeit und Zivilcourage: "Eine menschliche Gesellschaft kann nur gelebt werden, wenn jung und alt gemeinsam für Frieden und Toleranz streiten." Er dankte den Schulen, die den Gedenktag seit seiner Einführung 1997 gestaltet haben: "Unser Vertrauen wurde nicht enttäuscht." Die individuell gestalteten Veranstaltungen hätten dafür gesorgt, dass das Gedenken nicht in ritualisierten Formen erstarrt sei.

Ganz still wurde es in der gut besetzten Aula, als die Schülerin Gülin Güleryüz Texte ihrer Freundin Carina Krause vorlas. Carina lebt für ein Jahr in Israel - Konsequenz aus der Spurensuche, auf die sie sich begeben hatte. Denn die Schülerin hat das Leben ihres Großvaters Szymon Tenenbaum erforscht und aufgeschrieben. Tenenbaum war gedemütigt und gequält vor den Nazis nach Russland geflohen und später als Soldat der Roten Armee zurückgekehrt. Schwer verwundet wanderte er nach Israel aus - um dann doch nach Deutschland zurückzukehren. Er starb 1995 in Detmold und ist auf dem jüdischen Friedhof begraben worden."Ich habe ihn nicht mehr alles fragen können", las Gülin Güleryüz die Worte ihrer Freundin. "Vor allem habe ich nicht verstanden, warum er nach Deutschland zurückgekehrt ist." Vielleicht war es ein Zeichen der Hoffnung - genau so eines wie die Tatsache, "dass ein Mädchen türkisch-arabischer Abstammung Texte ihrer jüdischen Freundin vorliest", wie Lehrerin Heide Niehaus sagte.


Detmold@lz-online.de

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