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Neue Züricher Zeitung , 09.10.2002 :

Bertelsmann im NS-Staat / Kommission legt Abschlussbericht vor

Am Montag hat die Unabhängige Kommission zur Erforschung der Geschichte des Hauses Bertelsmann in München ihre Ergebnisse präsentiert. Zwei dicke Bände liegen vor. Der moralische Befund ist trübe, dennoch kann der Weltkonzern insgesamt zufrieden sein. Die Kommission unter dem Vorsitz von Saul Friedländer ist nach dem Studium von mehr als 50 Archiven in Deutschland und Europa sowie nach Gesprächen mit Zeitzeugen zu der Ansicht gelangt, dass Heinrich Mohn, Firmenchef in der NS-Zeit, zwar aus überwiegend taktischen Gründen dem Kreis der "Fördernden Mitglieder der SS" angehörte, er jedoch die Mitarbeit dort auf die Zahlung von Mitgliedsbeiträgen beschränkte. Auch wurde mit diesen Geldern nur die allgemeine SS, nicht die (staatlich finanzierte) Waffen-SS unterstützt. Heinrich Mohns Sohn und Nachfolger Reinhard war, ebenso wie die anderen Geschwister, zwar in nationalsozialistischen Jugendorganisationen, trat aber nie in die NSDAP ein. Soweit man geneigt ist, Verstrickungen in das NS-Regime an der Zugehörigkeit zu NS-Organisationen abzulesen, scheint es sich bei der Familie Mohn um die verbreiteten und minder schweren Fälle eines aktiven Mitläufertums zu handeln.

Trübe ist die moralische Bilanz, da sie das Bild eines Kriegsgewinnlers zeichnet, der seine im Familiären noch bewahrte Distanz zum Nationalsozialismus gänzlich aufgab, sofern es den Geschäften zuträglich war. Im Zweiten Weltkrieg wurde der Verlag C. Bertelsmann zum grössten Buchproduzenten für die Wehrmacht, noch weit vor Eher, dem Parteiverlag der NSDAP. Die einst kleine, hauptsächlich theologische Literatur verlegende Firma konnte in der Zeit von 1935 bis 1943 ihren Umsatz verzwanzigfachen. Dazu musste Heinrich Mohn, der auch Leiter einer Ortsgruppe der Bekennenden Kirche und damit einer gegen die NS-Kirchenpolitik opponierenden Bewegung war, das theologische Buchprogramm in den hinzuerworbenen (und später von den Nazis geschlossenen) Rufer-Verlag ausgliedern. Das Stammhaus verlegte sich auf Belletristik, die den Lesewünschen der kämpfenden Truppe entgegenkam: Kriegserlebnis-Bücher und "Feldausgaben" von Unterhaltungs-, Abenteuer- und Heimatromanen. Auch antisemitische Texte wurden publiziert, nicht viele, aber teilweise doch solche, die in ihrem Extremismus den NS-Kampfschriften nicht nachstanden. Im Oktober 1944 ereilte den Verlag, dessen leitende Mitarbeiter in einen Korruptionsprozess verwickelt waren, das Verbot, Neuerscheinungen herauszubringen, allerdings durfte er alte Titel immer noch ausliefern; seine Druckerei und die Buchbinderei arbeiteten weiter. Das in Selbstdarstellungen gern gemalte Bild vom "Widerstandsverlag", den die Nazis schlossen, weil er "subversive" Bücher veröffentlichte, ist eine endgültig widerlegte Legende.

Der autoritäre Protestantismus, dem Heinrich Mohn anhing, hatte eine wesentlich antimoderne Stossrichtung, er zielte zumal gegen die Folgen der Aufklärung und war blind gegenüber den Normen des modernen säkularen Rechtsstaates - was "in der Judenfrage eine fatale Rolle spielte", wie Kommissionsmitglied Trutz Rendtorff anmerkte. Sein Kollege Norbert Frei verwies auf Überschneidungen zwischen den Grundsätzen einer fürsorglich-patriarchalischen Firmenleitung und den wirtschaftlichen und sozialpolitischen Maximen des NS-Staates. Wie war es überhaupt möglich, dass ein recht unbedeutendes mittelständisches Unternehmen wie C. Bertelsmann zum Massenproduzenten für die Wehrmacht werden konnte? Frei bot vier Stichworte zur Erklärung an: ein Höchstmass an Anpassung, weltanschauliche Affinität, Flexibilität und Leistungsbereitschaft.

Zufrieden kann das Haus Bertelsmann im Blick auf die begrenzten Möglichkeiten sein, die Forschungsergebnisse der Kommission politisch - und damit auch wirtschaftspolitisch - gegen den heutigen Konzern zu wenden. Bertelsmann hat am Standort Gütersloh keine Zwangsarbeiter beschäftigt, wird also auch nicht mit Forderungen nach Wiedergutmachung konfrontiert werden können. Wichtiger aber ist der Befund, dass der Aufstieg des Hauses zum Weltkonzern nicht auf "braunem" Geld beruhte.

Bertelsmann sei, als der Verlag 1946 von den britischen Besatzern eine Lizenz erhielt, "ökonomisch nicht so gut aufgestellt gewesen, wie man es nach den Kriegsgewinnen hätte erwarten können", hiess es am Montag in München; erst die Lancierung des Buchklubs, des "Bertelsmann- Leserings", habe in der Nachkriegszeit die Erfolgsgeschichte eingeleitet. Diese Botschaft dürfte vor allem für Bertelsmanns Image und Marktstellung im amerikanisch-angelsächsischen Raum von grösster Bedeutung sein. Nach der Übernahme von Random House gibt es immer noch Ressentiments gegen die "deutsche Verlagshegemonie" (William Safire) in den USA. Würde Bertelsmanns Grösse auf Profiten aus der NS-Zeit basieren - nicht auszudenken, was für eine böse Presse das gäbe.


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