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Frankfurter Rundschau , 08.10.2002 :

Kontinuität: Bertelsmann in der NS-Zeit

Von Rüdiger Suchsland

"Man produzierte schließlich keine Waschmaschinen, sondern Bücher." Der Literaturwissenschaftler Reinhard Wittmann brachte es auf den Punkt: Verlage sind etwas Besonderes, nicht nur, wenn es um Unternehmensgeschichte in der Zeit des Nationalsozialismus handelt. Aber nicht zufällig ist die Geschichte von Medienunternehmen während des Dritten Reichs kaum erforscht.

"Wir können nur schwer kontextualisieren, denn eine ähnliche Untersuchung liegt zu keinem anderen Verlag vor", betonte jetzt der in Bochum lehrende Zeithistoriker Norbert Frei, wie Wittmann eines von vier wissenschaftlichen Mitgliedern der Unabhängigen Historischen Kommission (UHK) zur Erforschung der Geschichte des Hauses Bertelsmann und seiner verlegerischen Aktivitäten zwischen 1933 und 1945. Damit es überhaupt zu dieser Kommission kam, die gestern nach fast vier Jahren Arbeit in München ihren lange erwarteten Bericht vorlegte, bedurfte es schon eines handfesten Skandals: Im Herbst 1998 enthüllte der Journalist Hersch Fischler, dass Heinrich Mohn, seit dem Jahre 1921 Chef des bereits 1835 gegründeten Gütersloher Hauses Bertelsmann, ein "Förderndes Mitglied" der SS gewesen ist.

Doch die Bestätigung dieser in ihrer Bedeutung schwer einzuschätzende Tatsache - Fördermitglieder waren in bestimmtem Sinn keine SS-Mitglieder, zudem war der nationalkonservative Christ Mohn andererseits auch Mitglied der Bekennenden Kirche - ist nicht das brisanteste Ergebnis des voluminösen, zwei Bände umfassenden Konvoluts, das nicht im Voraus zugänglich war und nun erstmal sorgfältig gelesen werden will.

So wurde bereits bei der gestrigen Vorstellung deutlich, dass Bertelsmann nach 1933 weit über das unvermeidbare Maß hinaus mit den Nationalsozialisten kooperiert hatte. Schon während der Zeit der Weimarer Republik machte der Verlag "glänzende Profite" (Wittmann) mit antimoderner Literatur und vor allem mit theologischen Schriften, die im "Kampf für eine christliche Erneuerung", so Kommissionsmitglied Trutz Rendtorff, ihren Dienst tun sollten. Doch mit der Produktion von populären Kriegserlebnis- und Freikorpsbüchern seit 1934 sprengte der Verlag die selbstauferlegte Beschränkung auf das protestantische Milieu und erlebte eine Gewinnexplosion, die durch die in höchsten Auflagen (19 Millionen Exemplare) erschienenen Wehrmachtsbücher seit 1939 noch gesteigert wurde.

Dieser Höhenflug des kleinen protestantischen Provinzverlages nach der nationalsozialistischen Machtübernahme war durchaus nicht die Regel für ein Medienunternehmen während des Dritten Reiches. Selbst angepasste Verlage hatten mit Zensur und politischer Einflussnahme durch die Berliner Regierung zu kämpfen. So ließ vor allem Norbert Freis Kommentierung des Ergebnisses an Deutlichkeit wenig zu wünschen übrig: "Der Erfolg lag an Vertriebsformen und Inhalt, hatte aber auch andere Gründe: Vor allem muss man von einer weltanschaulichen Affinität und von hoher Anpassungsbereitschaft aus ökonomischem Kalkül reden. Heinrich Mohns persönliches Verhalten kann man dabei als ziemlich charakteristisch für das protestantische Milieu allgemein einschätzen."

Auch nach 1945 bemerkt Frei eine "irritierende Unbeeindrucktheit von der politischen und moralischen Katastrophe" und spricht von der "mentalen Kontinuität und Uneinsichtigkeit gegenüber dem alliierten Demokratisierungsbemühen" im Verlagshaus nach Kriegende. Und auch Kommissionschef Saul Friedländer sieht bei Heinrich Mohn selbst eine "moralische Indifferenz" gegenüber dem Arrangement mit dem Regime.

Diese Gleichgültigkeit und die von der Kommission festgestellte "Dynamik der Anpassung" könnte man freilich auch mit etwas erklären, das über die Frage der persönlichen Ethik hinausgeht: Mit der Amoral des Kapitalismus, des Gewinnstrebens um seiner selbst willen. Eine Kontinuität, nicht nur bei Bertelsmann.


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