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Lippische Landes-Zeitung , 16.02.1981 :

Weyert: "Ich werde mich persönlich um die Zurücknahme der Strafanträge bemühen"

Podiumsdiskussion mit Besetzern - Zukünftig mehr Dialogbereitschaft

Detmold. Rund 150 Besetzer der abgerissenen Fabrik Klingenberg führten auf Einladung der Deutschen Jungdemokraten eine engagierte Podiumsdiskussion mit dem Vorsitzenden des FDP-Stadtverbandes, Christian Weyert, des Mitgliedes der erweiterten FDP-Kreistagsfraktion, Mechthild Roth, dem Vertreter der Jungdemokraten des Kreises Lippe, Peter Mäckler und dem Vertreter der Bürgerinitiative "Unser Staat", Paul Falke, über die Entwicklung der Klingenberg-Besetzung und den Abriss des Gebäudes durch. Trotz kontroverser Debatte kamen die Diskussionspartner darüber ein, dass sowohl der Abriss des Gebäudes als auch die nach der Räumung gestellten Strafanträge das Problem eines autonomen Kultur- und Kommunikationszentrums nicht lösen.

Für die Klarstellung der Forderung der Klingenberg-Besetzer reiche eine Aufzählung der vorhandenen kulturellen Einrichtungen nicht, sagte Weyert in seiner Eingangsrede zum Diskussionsthema: "Hausbesetzung, eine Modeerscheinung?". Das geeignetste Gebäude sei zweifellos mit der Fabrik Klingenberg gefallen. Daher werde er sich auch für die Zurücknahme der Strafanträge persönlich einsetzen.

Demgegenüber warfen die Besetzer den Politikern des Rates vor, sie hätten, wie oftmals in Lippe, die Chance einer Parteinahme für die Jugend verpasst. Während in Berlin Strafanträge gegen Hausbesetzer auf Grund der nachträglichen Legalisierung der Besetzungen ausgesetzt worden seien, gehe man in "Lippe-Detmol" noch um den heißen Brei herum und versuche eine Stellungnahme hinauszuzögern. Der konventionelle Kulturbegriff tauge bei der Beurteilung der Klingenberg-Aktion nicht. Zunächst auf einen symbolischen Akt ausgelegt, sei aus einem Versuch, unbürokratische Arbeit zu leisten, die Einsicht gewonnen worden, dass nur eine praktische Vorleistung die Interessen der Hausbesetzer dokumentieren könne. Diese Interessen fingen dort an, wo "im Landestheater die Vorhänge fallen".

Der herrschende Kulturbegriff müsse auf die veränderten Lebensbedingungen aktiv reagieren. Eine "normale" Aufbereitung des Stoffes reiche nicht aus, die heutigen Probleme sichtbar zu machen. So könne nach dem abgerissenen Haus eine konkrete Darstellung der möglichen Arbeit nicht mehr gezeigt werden, da "das beste Haus" dem Erdboden gleichgemacht sei. Zum Zeitpunkt der Besetzung hätte nach Meinung der Besetzer ein kontinuierlicher Dialog stattfinden können, hätte der Bürgermeister der Stadt die Besetzung legalisiert. Aber nicht einmal der Versuch sei unternommen worden, die Arbeit vor Ort zu untersuchen.

Der Bürgerinitiativevertreter Falke stellte an dieser Stelle noch einmal die Frage, ob alle Möglichkeiten der kulturellen Betätigung ausgeschöpft worden seien. Warum sich die Kulturinitiative illegal verhalten habe? An Stelle der Besetzer antworteteMechthild Roth mit dem Hinweis, dass ein übliches Vereinsleben kein Ersatz für die Forderungen der Jugend bedeuten könne. Jedes Vereinsleben sei reglementiert und in seiner Struktur verkrustet. So nehme es kaum Wunder, dass ein erheblicher Teil der Jugendlichen auf dem Weg zu anderen Lösungen schreite. Bei der Diskussion über die aufgetretenen Rechtsbrüche wies die FDP-Politikerin auf ihren eigenen Besuch in der Klingenberg-Fabrik hin. Wenn einige Stadtstreicher straffrei geblieben seien, dann habe sie den Glauben an die Gerechtigkeit verloren. In die gleiche Richtung zielte ein Zitat aus der "Zeit", das die Besetzer im Plenum vortrugen. In dem Bericht hatte die Zeitung dem RP nicht eine "strafbare", wohl aber eine "sträfliche" Handlungsweise vorgeworfen.

Diese Ansicht wies der Vertreter der Bürgerinitiative "Unser Staat" entschieden zurück. Jeder Rechtsbruch führe zum Chaos, wenn er legalisiert werde. Die Besetzer nahmen diese Äußerung auf, um in einer "Rechtsbelehrung" die Geschichte der Gesetze zu untersuchen. Darin habe sich immer erwiesen, wie notwendig Gesetzesbrüche auf dem Wege wünschenswerter Verbesserungen gewesen seien.

Übereinstimmend stellten die Diskussionsteilnehmer die Notwendigkeit eines gemeinsamen Weges fest. Als Vorbedingung führten sie aber die Zurücknahme der Strafanträge an. Ein Vorschlag des SPD-Politikers Ober, vom RP zunächst ein Einfrieren der Strafanträge zu erbitten, um auf diese Weise zur völligen Zurücknahme zu gelangen, wurde von den Besetzern nicht angenommen. Mechthild Roth definierte hier den "Frieden als höhere Pflicht als das geltende Recht".


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