www.hiergeblieben.de

Zeitung für den Altkreis Lübbecke / Neue Westfälische , 13.01.2004 :

Enkel Verschleppter nicht vertreiben / Vierköpfige Familie nach Kirgisien ausgewiesen

Espelkamp. Weil Wadim P. "nicht glaubhaft machen konnte, dass er Deutscher ist", wurde am vergangenen Freitag eine vierköpfige Familie aus Espelkamp nach Kirgisien ausgewiesen. Sie lebten seit September 1999 bei Wadims Mutter Anna P. Der Abschiebung voraus ging ein Jahre langer Rechtsstreit um den Status des Familienvaters als Vertriebener.

Die Vollstreckungskräfte der Ausländerbehörde des Kreises Minden-Lübbecke verschafften sich gegen 6 Uhr in der Frühe Zutritt. In aller Eile mussten Rita P. und ihre beiden Kinder, die 16-jährige Helene und der achtjährige Maksim, ihre Sachen zusammenpacken. Sie wurden nach Frankfurt gebracht, ebenso wie der Vater, der seit einer verhinderten Abschiebung Mitte 2001 in Zwirndorf wohnen und dort auf den Ausgang der Gerichtsverfahren warten musste. Nach einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts Minden hatte 2003 auch das Oberverwaltungsgericht Münster Wadim P. die deutsche Staatsangehörigkeit nicht zuerkannt.

Nach Auffassung des Freiburger Anwalts Werner Krempels, der seit 2001 in dieser Angelegenheit tätig ist, ist bislang nicht über den Status von Wadim P. als Vertriebener entschieden worden. Dessen Mutter sei im September 1944 in Ditfurt in den deutschen Staatsverband eingebürgert worden. Wenig später musste sie fliehen, wurde als Vertriebene registriert, doch von den Sowjets im August 1945 in ein Gulag nach Sibirien verschleppt.

"Die Brutalität des Vorgehens hat mich bestürzt"

Wadim P. ist nichtehelicher Sohn von Anna P. und eines Deutschen. Für ihn die deutsche Volksangehörigkeit zu erklären sei damals nicht möglich gewesen. Später heiratete Anna P. einen Russen, mit dem sie drei Kinder hat; sie leben heute alle in Deutschland und haben alle die deutsche Staatsangehörigkeit. Nur Wadim P. nicht, der mit seiner Familie inzwischen in Kirgisien angekommen ist.

"Die Brutalität des Vorgehens hat mich bestürzt", sagte gestern Rechtsanwalt Krempels unserer Zeitung. Wenn die Sichtweise der Gerichte und Behörden zulässig sein sollte, dann werde damit auch die Verschleppung seiner Mutter nicht mehr anerkannt. Es gehe aber nicht an, "dass Enkel von Verschleppten aus Deutschland vertrieben werden".

Ihre Fassungslosigkeit über die Abschiebung äußerte gestern auch Christiane Seibel, Leiterin des Söderblom-Gymnasiums, das die 16-jährige Helene seit über drei Jahren besuchte.


lok-red.luebbecke@neue-westfaelische.de

zurück