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Volker Wiemann , 28.05.1995 :

An die lippischen Medien / ... kann Abschiebepolitik in Detmold nicht länger hinnehmen! / Volker Wiemann legt alle Ämter für Bündnis 90/Die Grünen nieder

Seit 1988 vertritt Volker Wiemann, obwohl kein Mitglied der Partei, Bündnis 90/Die Grünen im Sozialausschuss der Stadt Detmold; von 1992 bis 1994 war er einer der drei bündnisgrünen Vertreter im Rat. Mit Unterstützung verschiedener Flüchtlingshilfeorganisationen engagiert er sich besonders für Flüchtlinge in Detmold.

"Es ist ein gut überlegter Schritt, der mir nicht leicht gefallen ist", so kommentiert Wiemann die Niederlegung seines Mandats. In der letzten Mitgliederversammlung hat sich jedoch eindeutig gezeigt, dass die Bündnisgrünen nicht bereit sind, die knallharte Abschiebepolitik der Detmolder Verwaltung ernsthaft zu verhindern. Zwar wurden die Abschiebeversuche und die erfolgte Abschiebung gegenüber dem Bündnispartner kritisiert, weitere Konsequenzen wie etwa die zeitlich verzögerte Wahl des hauptamtlichen Bürgermeisters wurden jedoch nicht gezogen. Dabei könnte der Bündnispartner SPD und hier vor allem die Fraktionsspitze sehr wohl erreichen, dass - wie zwischen SPD und Bündnis 90/Die Grünen vereinbart - in ihren Herkunftsländern gefährdete Flüchtlinge nicht abgeschoben werden. Das dies auch ohne entsprechende Ratsbeschlüsse mit dem Willen der SPD und im Einklang mit dem Ausländergesetz möglich ist, hat die verhinderte Abschiebung der kurdischen Familie Demirkaya schon 1990 gezeigt. Auch nach der Änderung des Asylrechtes zeigen viele Beispiele sehr deutlich, dass die stärkste Fraktion im Rat sehr wohl in der Lage ist, Flüchtlinge, die in ihren Heimatländern gefährdet sind in Detmold vor der Abschiebung zu schützen.

"Meines Erachtens kann eine Veränderung der Flüchtlingspolitik nur erreicht werden durch Besetzung des Ausländeramtes mit flüchtlingsfreundlichem Personal und durch die Veränderung der Vorgaben auf Verwaltungsseite wie z.B. Änderung der Zuständigkeit für das Ausländeramt", so Wiemann. Sinnvoll wäre das Ausländeramt direkt dem neuen hauptamtlichen Bürgermeister zu unterstellen und Abschiebungen zur Chefsache zu machen. Konkret würde dies bedeuten, dass der Bürgermeister vor jeder Abschiebung seine Zustimmung zu erteilen hat; dies wurde übrigens im Falle der KurdInnen von Stadtdirektor Horstmann so gehandhabt als Herr Steglich noch in Diensten war. Der hauptamtliche Bürgermeister könnte in dieser Funktion gewährleisten, dass der Sozialausschuß umfassend über eine bevorstehende Abschiebung informiert wird. Der Wechsel der Zuständigkeit ist auch deswegen notwendig, weil die durch Abschiebung eingesparten Kosten im Fachbereich verbleiben und an anderer Stelle eingesetzt werden können; dieser Anreiz zur Abschiebung ist abzulehnen, weil hier die Menschenwürde auf der Strecke bleibt.

Folgende Abschiebung und Abschiebungsversuche haben entgegen den Vereinbarungen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen stattgefinden, ohne dass die SPD versucht hat, diese zu verhindern:

- Im Februar wird versucht Zafar Igbal aus Pakistan in einer Nacht- und Nebelaktion abzuschieben. Der ausgestellte Haftbefehl ist - nach uns vorliegenden Informationen - bis heute in Kraft: die Abschiebung soll weiter durchgeführt werden. Nacht- und Nebelaktionen sind mit Ratsbeschluss vom Mai 1990 untersagt. Der Verstoss gegen den Ratsbeschluss blieb für die Verantwortlichen in der Verwaltung folgenlos. Die Menschenrechtslage in Pakistan: Christen werden z.B. wegen Religionsausübung zu langjährigen Haftstrafen verurteilt und mit dem Tode bedroht.

- Kurz vor der Sozialausschußsitzung am 09.03. wird Mohammad Ismail aus Sri Lanka auf der Ausländerbehörde verhaftet, in Abschiebehaft genommen und nach Sri Lanka abgeschoben. Ein Antrag der Grünen auf Prüfung und Aussetzung der Abschiebung wird abgelehnt. Auch diese Nacht- und Nebelaktion hat für die MitarbeiterInnen der Ausländerbehörde keine Konsequenzen, obwohl sie wieder gegen einen Ratsbeschluss verstoßen haben. In Sri Lanka herrscht übrigens noch Bürgerkrieg; es ist völlig unklar, was in Colombo mit abgeschobenen Flüchtlingen passiert.

- Diesmal mit Ankündigungsschreiben an den Betroffenen wird versucht am 17.05. Maxi Abdullah aus Marokko abzuschieben. Die SPD wurde vierzehn Tage vorher informiert. Die SPD hat hier also das dritte Mal in Folge und in kurzer Zeit die Vereinbarungen gebrochen. Im Gespräch wurde weder dargestellt, wie dieses Fehlverhalten zu erklären ist, noch wie das Verhalten künftig aussehen soll. Zur Menschenrechtssituation in Marokko empfiehlt sich ein Blick in den ai-Bericht; Verschwindenlassen politischer Gegner ist an der Tagesordnung. Einige Verwaltungsgerichte der BRD halten darum allein auf Grund einer Asylantragstellung hier eine Gefährdung in Marokko für gegeben.

- Mit Wissen und Einverständnis der zuständigen Fachbereichsleiterin (SPD) werden - wieder einmal entgegen gültigem Ratsbeschluss - zur Zeit alle Kosovo-Flüchtlinge mit Fristsetzung aufgefordert ."das schöne Lippenland" zu verlassen.

Es muss also nicht nur gefragt werden, wie ernsthaft SPD und Bündnis 90/Die Grünen ihre Vereinbarungen nehmen, sondern auch wie ernst es dem Rat ist, seine gefassten positiven Beschlüsse in Richtung menschenwürdige Flüchtlingspolitik auch umzusetzen.

"In einem Brief an "meine" Wählerinnen und Wähler habe ich zur Kommunalwahl im letzten Jahr versprochen mich mit den Grünen gegen Abschiebungen von in ihren Heimatländern gefährdete Flüchtlingen und damit eine menschliche Flüchtlingspolitik einzusetzen; leider ist die Umsetzung dieses Versprechen mit den Grünen anscheinend zur Zeit nicht mehr ernsthaft genug möglich. Ich hoffe darum auf das Verständnis von allen, die mich unterstützt haben, wenn ich meine Arbeit bei den Grünen einstelle", so Volker Wiemann. "Mein Engagement für und mit Flüchtlingen werde ich allerdings nicht einstellen; so fordere ich die sofortige Aufhebung der Haftbefehle für die gefährdeten Menschen und eine sorgfältige Prüfung der Verfahren durch den Sozialausschuss", erklärt Wiemann abschließend.


wiemannvolker@web.de

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