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Westfälische Rundschau , 05.03.1997 :

Zeugen konnten sich nach vier Jahren kaum noch erinnern / Verfahren gegen Neonazis eingestellt

Arnsberg. (ao) Die Angeklagten und ihr im Zuschauerraum zahlreich vertretener Anhang waren zufrieden: Das Mescheder Jugendschöffengericht stellte gestern die Verfahren gegen zwei sauerländer Neonazis ein, denen Landfriedensbruch, Sachbeschädigung und Volksverhetzung vorgeworfen wurde.

Das Verfahren, so resümierte Oberstaatsanwalt Schröder, habe darunter gelitten, daß fast vier Jahre bis zur Gerichtsverhandlung vergangen seien. Entsprechend unpräzise fielen gestern die Aussagen der 14 Zeugen aus. Da waren sich Polizisten nicht mehr sicher, wer am 8. Mai 1993 die gewalttätigen Auseinandersetzungen vor einem Jugendzentrum in Aurich begann.

Angeklagte blieben stumm

Da blieb weitgehend ungeklärt, unter welchen Umständen sauerländer Neonazis von der Polizei in Hamm überprüft worden waren, nachdem Rechtsextremisten im Dezember 1993 dort - "Deutschland den Deutschen" und "Ausländer raus" grölend - vor einem Asylbewerberheim randaliert und Scheiben eingeschlagen hatten. Da mußten allzuoft die Verfahrensakten bemüht werden, weil die Erinnerung der Zeugen vage blieb.

Die Angeklagten selbst blieben stumm. Der 26-jährige Winterberger Thomas Kubiak, den der NRW-Verfassungsschutz für einen der "Führenden Vertreter der bundesdeutschen Neonaziszene" hält, und der 20-jährige Mescheder Michael K. wollten "erst mal nichts" zu den Vorwürfen sagen - und kamen am Ende ohne Strafe davon.

Sehr zweifelhaft sei der Nachweis, ob und inwieweit der 20jährige an der Aktion in Hamm beteiligt war, sagte Oberstaatsanwalt Schröder. Daß er in Aurich mit von der Partie war, hielt er - u.a. gestützt auf abgehörte Telefongespräche - für erwiesen. "Nicht ganz auf die Reihe zu bringen" sei aber, was er dort im einzelnen getan habe. Ähnlich sah er es im Fall Kubiak.

In beiden Fällen hätten Gesamtstrafen gebildet werden müssen, in die unlängst ergangene Urteile wegen anderer Delikte mit braunem Hintergrund eingeflossen wären:

Kubiak war zu einem Jahr Haft auf Bewährung wegen eines Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz verurteilt worden, nachdem bei ihm eine scharfe Sprenggranate gefunden worden war, sowie zu einer Geldstrafe von 3.000 Mark wegen Beihilfe zur Volksverhetzung.

Michael K. zu einer Jugendstrafe von acht Monaten auf Bewährung wegen Volksverhetzung, Verunglimpfung des Staates und des Verwendes von Kennzeichen verbotener Organisationen.

Die Gesamtstrafen würden bei einer erneuten Verurteilung nicht wesentlich erhöht, begründete Schröder angesichts der dünnen Beweislage seinen Vorschlag, das Verfahren einzustellen.

Revision gegen Arnsberger Urteil

Am Rande der gestrigen Verhandlung wurde bekannt, daß die Staatsanwaltschaft Revision gegen die entscheidung des Landgerichts Arnsberg eingelegt hat, das Kubiak in der vorigen Woche wegen seiner Beteiligung am Vertrieb der Neonazi-Publikation "Freie Stimme" zu einer Geldstrafe von 3.000 Mark verurteilte. Das Landgericht hatte damit ein Urteil des Amtsgerichts Medebach aufgehoben, das Kubiak wegen der Beihilfe zur Volksverhetzung und wegen des Besitzes der Granate zu insgesamt 18 Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt hatte.


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