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Vlothoer Anzeiger , 06.10.2006 :

Vlothoer auf den Spuren Bielefelder Juden / Mendel-Grundmann-Gesellschaft erinnert auch an Arthur Sachs / Kampf um das Mahnmal verschwiegen wird

Vlotho (mk). Die Exkursion der Mendel-Grundmann-Gesellschaft führte nach Bielefeld, um sich auf die "Spuren der Bielefelder Juden" zu begeben.

Die erste Station war das Mahnmal am Bielefelder Hauptbahnhof, wo die Gruppe von Martin Decker empfangen wurde. Martin Decker und seine Mutter Brigitte Decker waren die führenden Initiatoren der "Friedensgruppe der Altstädter Nicolaigemeinde", die an der Planung und Durchführung des Mahnmals beteiligt waren. Sie haben die Daten von 1.841 jüdischen Opfern zusammengetragen, die auf den pultartigen Metalltafeln eingraviert sind.

Das Mahnmal mit der Überschrift "Jede Ermordete, jeder Ermordete hat einen Namen" wurde im August 1998 in Anwesenheit von Überlebenden des Holocaust und ihren Angehörigen eingeweiht. Auf der Tafel sind alle jüdischen Personen erfasst, die von Bielefeld aus deportiert wurden und nicht mehr zurückkamen. Darunter sind auch 23 Vlothoer. Zum Gedenken wurden ihre Namen verlesen.

Bei der Planung des Denkmals hatte es eine enge und konstruktive Zusammenarbeit zwischen der Bielefelder Initiativgruppe und der Mendel-Grundmann-Gesellschaft gegeben.

Ralf Steiner, stellvertretender Vorsitzender der Mendel-Grundmann-Gesellschaft, führte die Gruppe anschließend in Begleitung der jüdischen Eheleute Spier über den jüdischen Friedhof im Bielefelder Ortsteil Gadderbaum. Er gab zunächst einen Überblick über die wechselvolle Geschichte der Bielefelder Juden.

Der Friedhof wurde 1891 hier angelegt. Vom ersten jüdischen Friedhof, der heute nicht mehr vorhanden ist, wurden eindrucksvolle Grabsteine, der älteste aus dem Jahre 1704, nach hier verlegt.

Der jüdische Friedhof macht heute einen gepflegten Eindruck. Dieses war nicht immer so, wusste Ralf Steiner aus eigener Erfahrung zu berichten, denn er selbst war vor 15 Jahren daran beteiligt, dem damals fast vergessenen jüdischen Begräbnisplatz wieder eine würdigere Gestaltung zu geben. Umgestürzte Grabsteine wurden aufgerichtet, diese und andere teilweise entmoost, um ihre Inschriften wieder lesbar zu machen. Besonders eindrucksvoll für die Besucher waren die repräsentativen Grabmonumente jüdischer Industrieller, Kaufleute, Juristen oder Ärzte, die außer dem Davidstern kaum noch etwas Jüdisches aufweisen. Sie könnten ebenso auf dem angrenzenden Johannisfriedhof stehen, der nur durch einen Zaun vom jüdischen Friedhof getrennt ist.

Still standen die Vlothoer vor der Grabstätte der Eheleute Sachs. Artur Sachs hatte von 1929 bis 1932 im Vlothoer Textilhaus Loeb eine kaufmännische Lehre absolviert. Am 10. November 1938 wurde er Augenzeuge des Überfalls von SA-Leuten auf das Kaufhaus Loeb. Artur Sachs war einer der wenigen Bielefelder Juden, die den Holocaust überlebt haben. Als authentischer Zeuge des Völkermordes an den Juden wirkte er bis ins hohe Alter in die Öffentlichkeit. Als Vorsitzender der jüdischen Kultusgemeinde kämpfte er mit seiner ganzen Autorität für die Errichtung des Mahnmals am Bielefelder Hauptbahnhof, dessen Einweihung er aber nicht mehr erleben konnte.

Zum Abschluss dieser informativen und beeindruckenden Exkursion entspannte sich die Gruppe bei einer Tasse Kaffee im Gebäude der ehemaligen Martinikirche, in der sich heute das "Szene"-Lokal "Glückundseligkeit" befindet.


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