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Flüchtlingsrat Niedersachsen , 20.10.2006 :

Presseinformation / Flüchtlingsproteste in Blankenburg: Flüchtlinge wollen ein normales Leben führen / Studie der UNI Osnabrück: Zentralisierte Unterbringung macht krank / Wohlfahrtsverbände und Flüchtlingsrat fordern dezentrale Unterbringung

Der Flüchtlingsrat Niedersachsen appelliert an den niedersächsischen Innenminister, auf die Flüchtlinge in Blankenburg zuzugehen und gemeinsam mit ihnen nach Lösungen für die bestehenden Probleme zu suchen. Dazu gehört zuallererst, die Menschen ernst zu nehmen und ihnen zuzuhören, statt die legitimen Proteste als ein ordnungspolitisches Problem zu definieren und mit Gewalt darauf zu antworten.

Die Proteste im Lager Blankenburg entzündeten sich am Essen und mangelhafter medizinischer Versorgung. Das dahinter stehende Problem ist die umfassende Fremdbestimmung, der die Flüchtlinge unterworfen sind: Die im Lager lebenden Menschen werden versorgt und beköstigt. Sie leben oft jahrelang auf engstem Raum miteinander. Es liegt auf der Hand, dass bei einem solchen Leben in unfreiwilliger und enger Gemeinschaft Stress und Konflikte zunehmen. Hinzu kommt ein absoluter Mangel an Rückzugsmöglichkeiten.

Kontrollmaßnahmen vermitteln den Betroffenen das Gefühl des Ausgeliefertseins und vergrößern die Angst vor einer Abschiebung. Aufgrund bestehender Arbeitsverbote und -einschränkungen sind die Menschen zu Untätigkeit verdammt, zumal das karge Taschengeld und die Abgeschiedenheit der Einrichtung soziale Kontakte zu Menschen außerhalb des Lagers weitgehend verunmöglicht.

" ... Die Einbindung in das soziale Leben von Bezugsgruppen, Organisationen und Institutionen ... bietet die Basis einer Integration. Genau dies blockiert eine Versorgungs- und Verwaltungsstruktur, die darauf angelegt ist, Menschen außerhalb des Systems der Aufnahmegesellschaft zu halten", schreibt die an der Universität Osnabrück lehrende Soziologin Dr. Birgit Behrensen, die in einer im Jahr 2004 erschienenen Regionalanalyse der gesundheitlichen Situation von Flüchtlingen in der Region Osnabrück detailliert beschreibt, welche gesundheitsbeeinträchtigenden und handlungslähmenden Folgen die Lagerunterbringung in Bramsche für die dort lebenden Flüchtlinge hat.

Zu einer zentralisierten Unterbringung von Flüchtlingen ist das Land rechtlich nicht gezwungen: Das Asylverfahrensgesetz sieht eine Unterbringungspflicht für Flüchtlinge in Erstaufnahmeeinrichtungen nur bis zu drei Monaten vor. Die Politik der Landesregierung verfolgt erklärtermaßen das Ziel, Flüchtlinge nicht mehr auf die Kommunen zu verteilen, sondern zu isolieren und durch gezielte Maßnahmen zur "freiwilligen Rückkehr" zu bewegen oder in kürzerer Zeit abzuschieben. Dafür nimmt das Land hohe zusätzliche Kosten in Kauf: Die Unterbringung in Lagern kosten das Zwei- bis Dreifache einer dezentralen Unterbringung. Anders als die Landesregierung öffentlich behauptet trifft diese Politik durchaus nicht nur ausreisepflichtige Flüchtlinge, sondern auch Flüchtlinge, die sich noch im Asylverfahren befinden und sich berechtigte Hoffnungen auf Schutz und Asyl machen.

Sie trifft auch Flüchtlinge, die aufgrund der Situation in ihrem Herkunftsland auf absehbare Zeit nicht abgeschoben werden können. Und sie betrifft Flüchtlinge, die aufgrund von Verfolgung, Vergewaltigung und anderen traumatisierenden Gewalterfahrungen dringend darauf angewiesen wären, endlich in Deutschland anzukommen und hier Schutz und Ruhe zu finden.

Die Inanspruchnahme des Rechtswegs wird Flüchtlingen aufgrund des eingeschränkten Zugangs zu unabhängigen Beratungsstellen, mangelnder Ressourcen (Sachleistungen, kaum Chancen auf Arbeit) und weitgehend fehlender nachbarschaftlicher Kontakte immer schwerer gemacht. Diese politisch kalkulierte Herbeiführung und Ausnutzung einer Notlage zum Zweck der beschleunigten Aufenthaltsbeendigung ist integrationspolitisch und verfassungsrechtlich mehr als bedenklich.

Flüchtlinge brauchen einen Ort, der sie aufnimmt, an dem sie ankommen. Sie brauchen Unterstützung und Beratung und wollen ihre alltäglichen Lebensbezüge, wie jeder Mensch, selbst bestimmen und gestalten. Das Leben im Lager setzt die Menschen unter permanenten Psychostress und hält sie im Schwebezustand des „Nichtangekommenseins“. In einem Memorandum aus dem Jahr 2004 haben die Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege und der Flüchtlingsrat Niedersachsen deshalb u.a. folgende Forderungen an die Landesregierung gerichtet:

- Unterbringung von Flüchtlingen im Rahmen der Erstaufnahme nur für drei Monate,
- Verteilung der Flüchtlinge nach spätestens drei Monaten auf dezentrale Unterkünfte,
- Abbau der Überkapazitäten bei den landeseigenen Lagern,
- Behördenunabhängige Beratung zum Asylverfahren,
- Sprachlernangebote für Flüchtlinge und frühzeitige Integration in den Arbeitsmarkt.

Diese Forderungen sind auch heute noch hochaktuell.

gez. Kai Weber
Geschäftsführer


www.nds-fluerat.org

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