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Friedensbüro e.V. , 13.10.1992 :

Initiativgruppe gegen Sammellager gegründet / Flüchtlingsratsprecher: "Lager zerstören Menschen / Pressemitteilung

Kreis Lippe/Lemgo. Der Verein Friedensbüro e.V. hatte zu seiner öffentlichen Mitgliederversammlung den Sprecher des Flüchtlingsrats NRW, Diether Kuhlmann, um einen Diskussionsbeitrag zum Thema "Sammellager: Notwendigkeit oder Abschreckung?" gebeten. Aktueller Hintergrund: Die vom Land NRW geplanten "Erstaufnahmeeinrichtungen" - so der offizielle Sparchgebrauch - für Asylbewerberinnen und Asylbewerber.

Kuhlmann, der auch Mitarbeiter der Flüchtlingshilfe Detmold ist, wies zu Beginn seines Vortrages daraufhin, dass "die geplante Massenunterbringung von Flüchtlingen" wichtigster Bestandteil des am 1. Juli des Jahres in Kraft getretenen Asylverfahrensgesetzes sei. "Die Auswirkungen dieses Gesetzes ist vor allem, dass Flüchtlinge aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit entfernt werden", so der Referent, "um Abschiebungen auf kaltem Wege vollziehen" zu können. Denn: "Wenn niemande und niemand mehr die Flüchtlinge und ihre Fluchtschicksale" kenne, könne es auch "nicht mehr zu einer Solidarisierung der Einheimischen mit den Flüchtlingen - wie vielerorts bisher, auch in Lippe - kommen".

In diesem Zusammenhang sei auch "die Kompetenzverlagerung von den lokalen Ausländerbehörden zum Zirndorfer Bundesamt" als "Waffe gegen die bisher sehr erfolgreiche Arbeit der Flüchtlingsinitiativen vor Ort" zu betrachten. Die Sachbearbeiterin oder der Sachbearbeiter vor Ort sei "noch am ehesten mit der persönlichen Geschichte und dem konkreten Menschen" vertraut, nun aber "entscheiden anonyme Schreibtischtäter/innen mit absoluten Vollmachten über das Schicksal der betroffenen Menschen".

Darüberhinaus sei "die Kasernierung von Flüchtlingen" eine "Form der Ausgrenzung, die 'Reaktionen' aus der Bevölkerung" geradezu provoziere. Sammellager seien "Zielscheiben für Brandstifter und Gewalttäter". Kuhlmann wies hier auf den gemeinsamen Konsens der Bundesarbeitsgemeinschaft Pro Asyl und der Landesflüchtlingsräte hin, der laute: "Wer nach Hoyerswerda noch Sammellager forderte, war ein potentieller Brandstifter. Wer nach Rostock noch Sammellager fordert, ist ein Brandstifter!"

Als "wichtigstes Argument" wollte der Flüchtlingsratsprecher jedoch "die Auswirkungen des Lageraufenthalts für die unmittelbar Betroffenen" verstanden wissen. Er forderte in diesem Zusammenhang die zahlreichen Zuhörer/innen auf: "Wer die Situation nicht aus eigener Anschauung kennt - und das sind fast alle für den Zustand Verantwortlichen - möge sich seines gestrigen Tagesablaufs erinnern und alles auf 20 qm mit 3 Bewohnern/innen in einem Zimmer transportieren."

Nach Auffassung Kuhlmanns, die er mit zahlreichen Gutachten von Wohlfahrtsverbänden, kirchlichen Institutionen, Psychologen/innen und Ärzten/innen untermauerte, führe die Lagerunterbringung zu Labilität, Depressionen, totaler Apathie, Verfolgungswahn, psychsomatischen Erkrankungen und Aggressionen. Diese Erscheinungsbilder würden sich "mit dem wiedereingeführten Arbeitsverbot und dem daraus resultierenden Gefühl der Erniedrigung multiplizieren". Kuhlmann wörtlich: "Flüchtlinge, die nur noch zwischen der direkten Form der Verfolgung und Inhaftierung in der Heimat und einer schleichenden Tötung der Seele und des Geistes in bundesdeutschen Sammlellagern wählen können, werden in eine aussichtslose Lage gebracht. Dass in der Konsequenz einer solchen Politik bei den Flüchtlingen oftmals psychosomatische Erkrankungen, Depressionen und Suchtkrankheiten produziert werden, ist die Folge einer organisierten Unmenschlichkeit zu Abschreckungszwecken."

Als letzten Aspekt beleuchtete Kuhlmann die "Langzeitperspektive" der Lager. Wurde "im ersten Entwurf in Bezug auf den Lageraufenthalt noch von einer 6-Wochen-Garantie" gesprochen, ließe "das Asylverfahrensgesetz nun 3 Monate" zu. Auch diese Frist werde nicht einzuhalten sein, die "Öffentlichkeit wird langsam auf den Langzeitaufenthalt von Flüchtlingen in Sammellagern eingestellt", so Kuhlmann weiter.

Sei "ersteinmal eine Institution geschaffen, die Flüchtlinge zentral" aufnehme, werde die "Bereitschaft der Kommunen zur Unterbringung Asylsuchender noch mehr abnehmen". Kuhlmann erinnerte an diverse Vorstöße in jüngster Zeit, "Asylbewerber/innen bis zur Anerkennung oder Abschiebung" auf den Lageraufenthalt zu verpflichten. "unter anderem von Altbundeskanzler Helmut Schmidt" und führte hierzu aus: "Wenn wir nicht gegensteuern, wird sich diese Unterbringung von Flüchtlingen in die politische Landschaft eingraben und in einer der nächsten Gesetze festgeschrieben."

Er machte diesbezüglich "auch auf die zunehmende Tendenz, Flüchtlingsgruppen vom Lagerbesuch auszuschließen" aufmerksam: "Eine totale Abschottung der Menschen von der Außenwelt muss mit einem Gegenkonzept einer dezentralen und menschenwürdigen Unterbringung der Flüchtlinge in kleinen Wohneinheiten, begleitet von Integrationshilfen, begegnet werden", so Kuhlmann.

Der Flüchtlingsratsprecher beendete seine Ausführungen mit dem Fazit: "Lager zerstören Menschen. Das vorprogrammierte Misslingen des Asylverfahrensgesetzes scheint derzeit nicht die Einsicht in eine falsche Politik zu erhöhen, sondern, im Gegenteil, verschärfte Asylgesetze - bis zur Abschaffung der Genfer Flüchtlingskonvention - zur Folge zu haben." An dieser Stelle beginne "nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht zum zivilen Ungehorsam", da "hier Menschen sehenden Auges zerstört" würden. Obwohl es wichtig sei, "weiterhin Druck auf den Bund und die Länder" auszuüben, seien sich die Landesflüchtlingsräte "derzeit darüber einig, dass Sammellager vor Ort verhindert werden" müssten.

In der anschliessenden lebhaften Diskussion waren sich alle Beteiligten darüber einig, eine gemeinsame Initiativgruppe gegen die in Lemgo und Detmold geplanten Sammellager zu gründen. Zu einem ersten Treffen laden die Initiatoren/innen auf Samstag, den 17. Oktober um 15.30 Uhr in den Studentenclub Lemgo, Breite Straße 10a, ein. Dazu seien "interessierte Gruppen und Einzelpersonen herzlich eingeladen", heisst es hierzu abschließend.


info@Friedensbuero.de

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