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Bielefelder Flüchtlingsrat , 05.02.2004 :

Presseerklärung / TschetschenInnen aus OWL rufen zu einer Demonstration gegen die Abschiebung von TschetschenInnen nach Russland auf

Die Veranstaltung beginnt am Freitag, den 6. Februar, um 11.00 Uhr auf dem Parkplatz neben der Zentralen Ausländerbehörde in Bielefeld, Am Stadtholz 24-26. Gegen 11.30 Uhr soll VertreterInnen des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge ein offener Brief und Unterlagen über die Verfolgungssituation von Tschetschenen in Russland übergeben werden. Die Abschlusskundgebung findet auf dem Jahnplatz statt.

Zu der Demonstration werden von den VeranstalterInnen etwa 200 TeilnehmerInnen erwartet. Anlass ist die seit der letzten Woche drohende Abschiebung von Frau Zoura B. und ihrem 17-jährigen Sohn Artus nach Russland.

Frau Zoura B. floh im Dezember 2001 nach Deutschland und stellte beim Bundesamt in Bielefeld einen Asylantrag. Ungeachtet ihres Vorbringens, sich bei Demonstrationen gegen den Krieg in Tschetschenien politisch engagiert zu haben, und der im Folgeverfahren vorgelegten Zeugenaussage über ihre politischen Aktivitäten, wurde Ihr Asylantrag abgelehnt. Frau B. soll nun von ihrem sechs Monate alten Kind sowie zwei weiteren Kindern und ihrem Ehemann getrennt abgeschoben werden.

Nach Ansicht des Gerichts ist Frau Zoura B. trotz ihrer schweren Herzkreislauferkrankung und einer fachärztlich festgestellten Postraumatischen Belastungsstörung infolge traumatischer Erlebnissen im Herkunftsland reisefähig.
Sie benötigt mehrere Medikamente und war in letzten Jahr wiederholt im Krankenhaus. Das Gerichtsurteil weist darauf hin, dass Frau B. für ein halbes Jahr Medikamente mitgegeben werden. Dies entspricht der zunehmend verbreiteten Praxis, für besonders schwer erkrankte Personen Medikamente und zum Teil sogar die ärztliche Versorgung im Herkunftsland für einen klar begrenzten Zeitraum sicherzustellen.

Dass im Fall von Frau Zoura B. laut Entlassungsschreiben der Klinik in Driburg neben Medikamenten auch regelmäßige fachärztliche Kontrollen notwendig wären, fand im Urteil keine Beachtung. Das Verwaltungsgericht Minden sieht die gesundheitliche Gefährdung von Frau Zoura B. auf den Zeitraum der Abschiebung begrenzt.

Es gehört zu den Aufgaben der Zentralen Ausländerbehörde in Bielefeld, die ärztliche Begleitung für die Abschiebung kranker Personen und bei konkreter Anfrage auch die Übergabe an Ärzte im Herkunftsland zu organisieren.

Die ist Frage der medizinischen Versorgung auch im Zusammenhang der von anerkannten Menschenrechtsorganisationen immer wieder festgestellten massiven Diskriminierung von TschetschenInnen in Russland und ihrer in vielen Fällen faktischen Rechtlosigkeit zu sehen.

Die angesehene russische Menschenrechtsorganisation Memorial dokumentiert in ihrem Bericht vom Mai 2003 anhand zahlreicher Beispiele, wie weitgehend Tschetschenen in Russland der Willkür und faktischen Rechtlosigkeit ausgeliefert sind. Permanente Kontrollen, Festnahmen, Anklagen und Verurteilungen aufgrund untergeschmuggelter Drogen und Waffen gehören vielerorts zum Alltag von Tschetschenen. Allgemein wird in dem Bericht ein zunehmender Hass gegen Tschetschenen festgestellt, der durch die negative Berichterstattung in den russischen Medien geschürt wird. Die Tschetschenen zugeschriebenen Bombenattentate und die verlustreichen Kriege in Tschetschenien bieten dafür einen fruchtbaren Boden.

Grundlage für die Ablehnung von Asylanträgen ist oft die Annahme, es gäbe eine sogenannte innländische Fluchtalternative für TschetschenInnen in Russland. Zwar erkennt man die Tatsache massiver Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien an. Doch Russland sei ein großes Land, in dem Tschetschenen andernorts Sicherheit finden könnten. Diese beim Verwaltungsgericht Minden und auch in Entscheidungen des Bielefelder Bundesamtes vertretene Sicht wird allerdings nicht von allen geteilt. So stellt das Verwaltungsgericht Düsseldorf in einem Urteil vom 29. August 2003 abschließend fest, dass die Verneinung einer innländischen Fluchtalternative seit der Geiselnahmen tschetschenischer Terroristen in Moskau im Oktober 2002 erst recht gerechtfertigt sei.

Angesichts seiner begründeten Furcht vor Verfolgung ist kaum zu erwarten, dass der Ehemann von Frau Zoura B. aktiv zur Beschaffung der Dokumente für die Abschiebung von sich und seinen verbleibenden Kindern beitragen wird. Es ist davon auszugehen, dass Mutter und Säugling längerfristig voneinander getrennt werden.

Wir appellieren an den Kreis Höxter, die Abschiebung von Frau Zoura B. und ihrem 17-jährigen Sohn aufgrund der Situation für TschetschenInnen in Russland und insbesondere angesichts ihrer Erkrankungen und der Trennung von ihrem Baby auszusetzen. Die Verantwortung der Behörde darf nicht auf die Frage der Feststellung der Flugreisefähigkeit reduziert werden.


fluechtlingsrat-bi@web.de

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