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Neue Westfälische , 30.03.2004 :

Die abstrakte Gefahr / Staatsschutz im Spannungsfeld zwischen Sicherheit und Freiheit

Von Conrad Schormann

Bielefeld. Attentate planen islamische Terroristen in Ostwestfalen-Lippe nicht. Sie bauen keine Bomben und werben keine Sympathisanten an, um sie per Gehirnwäsche zu lebensmüden Fanatikern zu machen. Aber sie sind da. "Hier entwickelt sich was", sagt Bielefelds Polizeipräsident Erwin Südfeld. Staatsschutz-Chef Dirk Butenuth spricht von einer "hohen abstrakten Gefährdung".

Der Staatsschutz im Bielefelder Polizeipräsidium bekämpft in Ostwestfalen-Lippe Extremismus jeglicher Färbung. Gestern zogen Südfeld und Butenuth eine Bilanz des vergangenen Jahres und beleuchteten aktuelle Tendenzen. Nach den Anschlägen in Madrid "haben wir geprüft, ob die Kriegsparteien aus dem Irak hier Einrichtungen unterhalten", sagt Butenuth. Ein potentielles Terroristenziel haben die Ermittler nicht ausmachen können. Jüdische Objekte schützt die Polizei seit dem 11. September 2001 ohnehin.

"Der Islam ist eine friedliche Religion, Islamisten instrumentalisieren sie", sagt Butenuth. Islamisten gebe es in der Region durchaus. Hamas und Hisbollah sammeln hier Geld, diese und andere Organisationen "haben wir im Auge". Islamistische Straftaten in OWL gebe es aber bisher nicht. Das erschwert den Job der Ermittler. So lange keine Gefahr im Verzug ist, sind der Polizei die Hände gebunden. Vor diesem Hintergrund hat NRW-Innenminister Fritz Behrens jetzt die "abstrakte Gefahr" erfunden.

Detmolder Hisbollah-Kämpfer wird weiter beschattet

Die Terrorismusbekämpfer bewegen sich laut Butenuth im Spannungsfeld zwischen Freiheit und Sicherheit. Effektiver könnten sie arbeiten, hätten sie erweiterte Kompetenzen. Aber je höher der Staat die Sicherheit ansetzt, desto mehr schränkt er die Freiheit des einzelnen ein. Ein Problem, bundesweit diskutiert, und aus Polizeisicht auch in OWL akut.

Die etwa 20 Bielefelder Staatsschützer beschatten derzeit rund um die Uhr den Detmolder Hisbollah-Kämpfer Steven Smyrek (wir berichteten). Dieser Dauereinsatz schränkt die Effektivität der Beamten zusätzlich ein, und ein Ende ist nicht abzusehen, weil Smyrek nicht ausreisen darf. Öffentlich sagen weder Südfeld noch Butenuth, was sie von diesem Einsatz halten, den ihnen das Land aufgedrückt hat. "Unser Einfluss ist begrenzt", sagt Südfeld. "Wir haben dem Innenminister über die Probleme berichtet, die sich daraus ergeben", sagt Butenuth.

Insgesamt sinkt die Zahl rechtsextremer Straftaten in der Region. Südfeld verweist auf die "umfangreichen Präventionsmaßnahmen". Womöglich lasse aber auch die Sensibilität der Bevölkerung für Hakenkreuze und andere Nazi-Symbole nach, weil das Thema in den Medien weniger präsent ist als etwa im Jahr 2000 (Anschläge in Düsseldorf). 189 von 239 Straftaten waren Propagandadelikte, also das Zeigen von verfassungsfeindlichen Symbolen.

Die Zahl der linksextremen Delikte liegt bei 65, überwiegend Sachbeschädigungen und Verstöße gegen das Versammlungsgesetz. Die Deliktzahl aus 2003 entspricht in etwa dem Schnitt der Vorjahre - außer 2002, als die Polizei 124 Delikte registrierte. Dieser Anstieg hing mit den Demonstrationen gegen die Wehrmachtsausstellung in Bielefeld zusammen.


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