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Die Wage - Magazin für Lippe , 02.07.1993 :

Detmolder Demonstration gegen die Morde von Solingen / Von der Trauer zur Tat

Detmold. Fünf Frauen und Kinder aus Solingen sind tot. Saime Genc, Hülya Genc, Gülistan Öztürk, Hatica Genc und Gürsun Ince wurden bei einem Brandanschlag am 29. Mai ermordet. In allen Teilen der Bundesrepublik lösten die Morde Entsetzen und Trauer aus. In Detmold rief ein breites Bündnis verschiedener Organisationen für den 5. Juni zu einem Schweigemarsch auf. Fast 700 Deutsche und Türken gedachten der Toten und erhoben zugleich - Anklage gegen die herrschenden Politikern, erst den Boden für die Täter bereitet zu haben. Dennoch, die Beteiligung war - ebenso wie bei einer Kundgebung in Lemgo - deutlich geringer als nach den Morden von Mölln. Nachlassendes Interesse? Gewöhnung an das Unvorstellbare? Hilflosigkeit? Enttäuschung? In den Ansprachen wurde immer wieder betont, dass gerade jetzt persönliches Engagement und Zivilcourage gefragt seien. Wir dokumentieren die Reden von Volker Wiemann-Onyuro (Antifaschistischer Arbeitskreis) und Aysél Devran (MigrantinnenArbeitskreis Mira).




Volker Wiemann-Onyuro:

Wir trauern heute um die fünf ermordeten Frauen und Kinder, die Opfer von Solingen.

Wir sind aber auch wütend. Wütend darüber, dass Politiker und Parteien aus Hünxe, Hoyerswerda, Rostock, Mölln, aus den über 25 Rassismus-Opfern des vergangenen Jahres, aus den tausendfachen Brandanschlägen überhaupt nichts gelernt haben.

Nach einer nur kurzen Atempause nach jeweils den schlimmsten Anschlägen ging ihre Hetze weiter. Flüchtlinge, die vor Folter, Krieg und Pogromen fliehen, werden als Asylmissbraucher bezeichnet, werden als Kostenfaktor diffamiert. Anstatt über Fluchtursachen zu informieren und Fluchtursachen zu bekämpfen, werden mittels staatlicher Gewalt Grenzen dichtgemacht, werden gewalttätig Abschiebungen durchgeführt, werden Gesetze verabschiedet, die mit Gewalt Flüchtlinge daran hindern sollen, in der BRD Asyl zu bekommen.

Es ist doch wohl nicht zufällig, wenn nach der de-facto-Abschaffung des Asylrechts rassistisch denkende Menschen handeln. Es ist das, politische Klima der. Ausgrenzung, Ablehnung, des staatlichen Rassismus, in dem solche Mordanschläge wie der von Solingen erst möglich sind. Darum kann die These von der Einzeltäterschaft, die ja bis gestern verbreitet wurde, nicht aufrechterhalten werden. Abgesehen davon, dass mit der Einzeltäterthese vom organisierten Neofaschismus abgelenkt werden soll.

Politiker schüren den Hass

Ich will hier auch daran erinnern, dass es auch Politiker aus Detmold waren, die die Roma, die hierher kamen, öffentlich als "nicht integrierbar" hinstellten. Das ist es doch, was den Hass schürt. Genauso wie die lippischen Bürgermeister, die den Bundestag aufforderten, das Asylrecht abzuschaffen, weil die lippischen Städte und Gemeinden zu sehr belastet seien. Das schürt Hass!

Bei Gründung des Antifaschistischen Arbeitskreises Detmold 1981- sind wir entschieden einer sogenannten Bürgerinitiative Asylantenstop entgegengetreten. Die Forderung dieser NPD nahen Organisation war damals: "Deutschland den Deutschen!" und "Ausländerstop". Nichts anderes wird heute von den etablierten Parteien propagiert.

Dagegen müssen wir entschieden protestieren. Aber das reicht nicht! Jeder einzelne ist verantwortlich, alle können gegen Rassismus vorgehen! Nehmen wir jede rassistische Äußerung ernst, greifen wir ein! Bekämpfen wir Ausländerhall in jeder Form.

Sei es, dass er uns begegnet in Ideologie und Aktivitäten der Neonazis, die ja auch in Lippe immer noch aktiv sind. Sei es, dass er uns in staatlicher Art und Weise begegnet in Form von Abschiebungen.

Kontakte suchen

Worte reichen nicht mehr. Alle müssen jetzt aktiv werden. Nehmen wir Kontakt auf mit den Einwanderinnen und Flüchtlingen in Detmold. Schaffen wir solche Kontakte auf allen Ebenen, zum Beispiel auch mit Kindern und Jugendlichen. Nur wenn wir konsequent antirassistisch handeln, wird es kein Zufall sein, wenn es in Detmold in Zukunft keine rassistischen Anschläge gibt.

Denn wenn nicht wir den Menschen erklären, dass eine falsche Politik und die sogenannte Marktwirtschaft zur Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot und Umweltverschmutzung führen, und nicht etwa Flüchtlinge dafür verantwortlich sind, wer macht es denn sonst? Fragen wir uns auch, wer denn nach den Flüchtlingen und Türkinnen Ziel von rassistischen Anschlägen ist. Sind es Jugoslawen, Italiener oder etwa Spanier? Nach der Abschaffung des Grundrechts auf Asyl fühlen sich Neofaschisten und Rassisten bestätigt und ermutigt. Welches Grundrecht wird als
nächstes abgeschafft?

Wir setzen dieser fatalen Logik unsere Forderungen entgegen:
- Sofortige Auflösung aller faschistischen Gruppen!
- Wiederherstellung des Asylrechts! - Gleiche Rechte für alle Menschen!

Weiter so, Deutschland?




Aysél Devran:

Wenn wir einmal zurückblicken, als Ende der fünfziger Jahre die Gastarbeiter hierher kamen, und wenn wir uns weiter überlegen, wie sie ausgebeutet wurden, wie unsere Mütter, unsere Väter, unserer Schwestern und Brüder in den Fabriken ihre Jugend, ihre Gesundheit und ihre Kraft ließen... Sie arbeiten hier, leben hier und bekommen ihre Kinder hier, hier in diesem Land. Wir, die zweite Generation, sollten nicht mehr Ausländer in diesem Land sein. Wir, die zweite Generation, sind mit deutschen Kindern in deutsche Kindergärten und in deutsche Schulen gegangen.

Seit 30 Jahren sind wir weder Freunde noch Feinde. Die oberflächliche Liebe der Deutschen zu uns Fremden hat uns zu einer Minderheit gemacht. Seit Anfang der siebziger Jahre besteht die Angst der Überfremdung in der deutschen Bevölkerung. Dem ist die Politik nicht entgegengetreten. Nein, sie ist gescheitert an dem hässlichen Wort Ausländerpolitik. Die Gesellschaft wollte sich nicht bemühen, ihre Ausländer zu integrieren.

Seit Jahren reden wir uns die Köpfe heiß über das Kommunalwahlrecht für Ausländerinnen. Und nicht nur die Braunen wehren sich mit Händen und Füßen dagegen, auch die "Christlich-Demokratischen" wollen nichts davon hören.

Lobende Worte statt Rechte

Die Ausländerinnen sind Steuerzahler und haben Pflichten wie Familie Müller oder Meier. Pflichten: ja, Rechte: nein. Aber der Nicht-Deutsche, der hier schon zehn, 20 oder 30 Jahre lebt, darf nicht wählen, darf nicht bestimmen, wer hier seinen politischen Unfug betreiben darf.

Sicher, auf der anderen Seite werden wir von wohlklingenden Worten des Herrn Kohl in die Höhe gehoben, als dieser vor einigen Wochen bei seinem Türkei-Besuch den Beitrag der türkischen Arbeitnehmerinnen zu "unserem" Wohlstand lobte. Ich danke auch Herrn Kohl für seine Worte wie: "Diese sind geachtete Bürger unseres Landes." Ja, verachtet Herrn Kohl!

Wie sehr können wir diesen Worten glauben, wenn eine Woche später fünf der geachteten Bürger dieses Landes dem Rassismus zum Opfer fallen und Herr Kohl in keinster Weise bereit ist, sich dem trauernden Volk und den trauernden Angehörigen zu stellen und sich zu dieser abscheulichen Tat zu äußern. Uns aber immer noch mit aller Kraft zu erklären versucht, dass diese Tat einem asozialen Geistesgestörten ohne rechtsextremistische Zugehörigkeit zuzuordnen ist.

Ich möchte Herrn Kohl danken, dass er keine Zeit für eine der vielen Trauerveranstaltungen, die in diesem Land stattfanden, hatte.

Die "Dunkelhäutigen" werden bleiben

Nun ja, es ist zu überlegen, wie sollen die hier in diesem Deutschland - meinem Heimatland - lebenden Ausländerinnen weiterleben. Wie klein ist der braune Floß, wenn schon Politiker wie Stoiber von der "durchmischten" und "durchrasten Gesellschaft" sprechen? Mögen die Deutschen noch so durchmischt und durchrast sein, sind wir, die Dunkelhäutigen dieses Landes, nicht mehr hier wegzudenken.

Wir bleiben und wir sagen dem braunen Dreck unseren friedlichen Kampf an.

Wir fordern die doppelte Staatsbürgerschaft für Ausländerinnen! Wir fordern das Recht aus Mitsprache und Mitbestimmung!

Viele von euch werden sich fragen, warum nicht die eine, sondern gleich zwei Staatsbürgerschaften? Ich möchte diese Frage mit einer Gegenfrage beantworten: Sicher, wir wollen hier bleiben und leben, aber müssen wir uns nach Mölln und Solingen nicht doch eine Fluchttür, eine Feuertreppe offenhalten?

Aber nicht nur die doppelte Staatsbürgerschaft fordern wir, wir fordern auch, dass die Kinder, und Jugendlichen in diesem Land - meinem Heimatland - in Kindergärten und Schulen zu einem selbstverständlichen Miteinander erzogen werden. Wenn auf den Toilettenwänden der Schulen fremdenfeindliche Parolen geschmiert werden und Lehrer sowie Direktoren immer noch die Augen schließen und behaupten, in ihren Schulen gebe es diese Probleme nicht, meine ich, in diese Hände dürfen wir unsere Kinder nicht geben. Mögen die Kanakenwitze noch so sehr zu unserer Belustigung beitragen, fordern wir, den Leuten nicht zuzuhören, einzugreifen und sich zu wehren.

Wehren, ja wehren wollen wir uns, wehren gegen den braunen Mist. Wir, die Dunkelhäutigen dieses Landes, die keinen Tropfen des ach so reinen deutschen Blutes haben, wollen uns wehren - ganz friedlich, ohne Gewalt. Der Traum von "Deutschland den Deutschen" ist ausgeträumt! Keine Hoffnung mehr für den braunen Dreck!


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