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Schaumburger Zeitung , 02.09.2000 :

Drohbrief: Ermittlungen gegen 23-jährigen Neo-Nazi

Von Frank Werner

Rinteln/Landkreis. Vor zwei Wochen hat die Antifa Schaumburg öffentlich gegen den "Nazi-Mob in Rinteln" demonstriert. Auslöser war unter anderem ein mit "NSDAP" unterzeichneter Drohbrief an einen Rintelner Familienvater. Die Polizei hat ihre Ermittlungen gegen zwei Jugendliche, die als Verfasser verdächtigt werden, jetzt abgeschlossen – einer der Beschuldigten ist als einschlägig vorbestrafter Gewalttäter bekannt. Sind Rechtsextremisten in der Weserstadt auf dem Vormarsch?

Nach Einschätzung von Dietmar Hasewinkel, Leiter des Staatsschutz-Kommissariates der Polizei Hameln, ist die rechte Szene in Rinteln und im Landkreis Schaumburg eher klein, die Zahl ihrer Straftaten "gleichbleibend auf relativ niedrigem Niveau". Fremdenfeindliche Gewalt-Delikte haben die Ermittler bis jetzt nicht registriert. Rund 20 straffällig gewordene Jugendliche rechnet Hasewinkel zum Kern der rechtsextremen Szene in Schaumburg. Nur einschlägige Straftaten erlauben der Polizei eine klare Zuordnung zum rechten Spektrum – "wir können die Gesinnung nicht verbieten", sagt Hasewinkel. Die polizeibekannten Personen seien mehrheitlich männlich und zwischen 18 und 21 Jahre alt. Ein Teil von ihnen sei gewaltbereit. In Rinteln bildeten zwei Heranwachsende das Rückgrat der Rechten. "Natürlich haben sie Mitläufer", räumt Hasewinkel ein. Die Zahl der Sympathisanten sei aber gering – ebenso der Organisationsgrad. Der Leiter der Staatsschutz-Abteilung und Schaumburgs Polizei-Chef Dietrich Klingbeil sind überzeugt, dass die öffentliche Debatte über Rechtsextremismus selbst den ideologisch gefestigten Kern der Szene verunsichert und von Aktionen abgehalten hat. Der subjektiven Angst in Teilen der Bevölkerung stehe im Landkreis keine objektive Ursache gegenüber, meint Klingbeil. Bis zum 30. Juni hat die Polizei allerdings eine "leicht steigende Tendenz" bei den so genannten Propaganda-Delikten – vor allem öffentliche Plakatierung, Aufkleber-Aktionen und Hakenkreuz-Schmierereien – im Landkreis verbucht. Pendelte die Zahl dieser Delikte sonst zwischen 35 bis 40 im Jahr, sind im ersten Halbjahr 2000 kreisweit bereits 23 Fälle aktenkundig geworden. Nicht automatisch könne in jedem Fall aber auf einen politischen Hintergrund geschlossen werden, schränkt Hasewinkel ein.

Gegen mehrere Mitglieder der rechten Szene ermitteln Staatsanwaltschaft, Staatsschutz und Polizei wegen Körperverletzung. Drei Skinheads im Alter von 19, 22 und 25 Jahren hatten sich unter den Ausrufen "Heil-Hitler" und "Sieg Heil" am 1. April auf dem Bückeburger Frühjahrsmarkt eine Schlägerei mit zwei anderen Jugendlichen geliefert. Zwei der Schläger waren der Polizei als Rechtsextremisten bekannt. Einer von ihnen tauchte am 18. August auch auf dem Erntefest im Bückeburger Ortsteil Scheie auf, wo der Auftritt von Neo-Nazis wieder in einer Schlägerei endete. Eine zehn- bis zwölfköpfige Gruppe, in der zwei polizeibekannte Mitglieder der rechten Szene identifiziert wurden, hatte fünf Besucher angegriffen und mit Fußtritten ins Gesicht verletzt. Die Polizei Bückeburg ermittelt wegen Körperverletzung gegen zwei Jugendliche. Ein politischer Hintergrund wird jedoch ausgeschlossen.

Im Fall des Drohbriefes, in dem einem Familienvater aus Rinteln unter dem Absender "NSDAP" der Schutz seiner Kinder nahegelegt wurde (wir berichteten), hat das Staatsschutz-Kommissariat seine Ermittlungen wegen Bedrohung und "Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen" gegen einen 18-jährigen und 23-jährigen Rintelner abgeschlossen. Beide Beschuldigten haben zu den Vorwürfen geschwiegen – die Akte wandert jetzt an die Staatsanwaltschaft. Beim älteren der beiden handelt es sich um einen polizeibekannten und einschlägig vorbestraften Rechtsextremisten aus Rinteln, der wegen zwölf Delikten – darunter Körperverletzung und räuberische Erpressung – im April 1998 vom Landgericht Bückeburg im so genannten Neo-Nazi-Prozess zu zwei Jahren und zehn Monaten Jugendstrafe verurteilt worden war. Neben ihm erhielten damals noch drei weitere Neo-Nazis mehrjährige Haftstrafen. Im Juli 1999 wurde er auf Bewährung aus dem Knast entlassen und absolvierte eine Alkohol-Therapie. Der 23-Jährige hat seine rechtsextreme Ideologie offenbar nicht abgelegt: Er soll der Kopf der rechten Szene in Rinteln sein, die unter dem Banner der "Jungen Nationaldemokraten" (JN) fleißig Briefe schreibt und bei der Stadt offiziell die Aushändigung der Ortsrechte (die Sammlung aller Satzungen und Verordnungen) für die "politische Arbeit" beantragt hat.

Die "JN" bilden die Jugendorganisation der NPD mit bundesweit rund 250 Mitgliedern. Ein Insider bezweifelt jedoch, dass der 23-Jährige sprachlich versiert genug ist, die von ihm unterzeichneten Texte und Presse-Mitteilungen selbst zu schreiben: Er vermutet einen Hintermann. Dem Vernehmen nach soll ein über die Stadtgrenzen hinaus bekannter, auswärtiger Rechtsextremist aus den Reihen der "JN" der Autor sein. Rintelns Polizei bleibt wachsam. Der letzte Einsatz liegt erst wenige Tage zurück: Am Dienstagabend hatte ein Anwohner die Wache alarmiert, weil er ein Treffen der rechten Szene am Graebeweg beobachtet hatte.


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