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Lippische Landes-Zeitung , 22.02.2003 :

Wenn braune Jungs weinen / Nach Überfall auf "Pauline": Gericht verhängt Haftstrafen gegen Neonazis

Von Hartmut Salzmann

Detmold. Landgericht Detmold, gestern Morgen: Als er hört, dass er für zweieinhalb Jahre ins Gefängnis soll, reißt Neonazi Michael P. die Augen weit auf. So guckt einer aus der Wäsche, dem man den Stuhl weggezogen hat, als er sich gerade hinsetzen wollte. Der 22-Jährige scheint stumm in den Saal zu brüllen: "Was geht denn hier gerade ab?" Im nächsten Moment ergeht sich der rechte Schläger in Selbstmitleid - Tränen schießen ihm in die Augen. Im September 2001 haben er und sein Komplize Bodo M. (18) bei einem Überfall auf das Kulturzentrum alte Pauline "Juden raus" und "Zecken raus" gegrölt und einen Gast mit nägelbehafteten Holzlatten attackiert.

Bodo M. (Namen geändert) muss für drei Jahre seine Springerstiefel gegen Knast-Sandalen tauschen. Wenige Tage vor dem Pauline-Überfall hat er in Diemelstadt-Wrexen einen 24-Jährigen mit einem Baseballschläger bedroht und durch die Straßen gejagt.

Im Gerichtssaal warten "Pauline"-Anhänger sowie Freunde und Verwandte der beiden Rechtsradikalen auf das Urteil - die einen hoffen auf Härte, die anderen auf Milde. Drei Wachmänner haben Posten bezogen - für den Fall, dass es Stress gibt. Als Richter Michael Reineke die Entscheidung verkündet, bleiben alle ruhig - bis auf eine junge Frau. Es ist die Freundin von Michael P., von dem sie ein Kind erwartet. Wutentbrannt stürzt sie aus dem Saal und schmeißt die Tür hinter sich zu. Dem werdenden Vater Michael P. schießen wieder Tränen in die Augen. Bodo M. sitzt apathisch da. Beide raufen sich das Haar, das sie früher auf Glatzenlänge stutzten.

In seinem Plädoyer ruft Staatsanwalt Michael Kempkes zuvor noch einmal in Erinnerung, wie brutal die beiden Rechtsradikalen bei dem "Pauline"-Überfall vorgegangen sind: Jeder von ihnen riss eine Latte aus einer Holzpalette. Der 18-jährige Bodo M. ging auf einen der Gäste des Kulturzentrums los, der sich schützend vor eine junge Frau stellte. Täter und Opfer stürzten zu Boden. Michael P. schlug so lange auf das Opfer ein, bis die nagelgespickte Latte zerbrach. Dann trat er mit seinen stahlverstärkten Springerstiefeln gegen den Kopf des Verletzten. Flucht.

Oberstaatsanwalt Kempkes sagt: "Das war die nackte Lust auf Gewalt, der Hass auf Menschen anderer Gesinnung." Für beide fordert der Ankläger jeweils zweieinhalb Jahre Gefängnis.

Die Strafverteidiger Dr. Holger Rostek und Harald Schlüter tun das, wofür sie in den Gerichtssaal gerufen worden sind: Sie achten darauf, dass das Verfahren gegen ihre Mandanten ordnungsgemäß läuft - noch viel mehr aber ist es ihr Job, möglichst viel für die Angeklagten #einrauszuholen.

"Die nackte Lust auf Gewalt"
MICHAEL KEMPKES

Polemik ist dabei gerne und oft benutztes Mittel der Redekunst: In seinem Plädoyer zeichnet Rostek von seinem Mandanten Bodo M. das Klischee des "knüppelharten Jungen", dem es leid tue. Der weich, ja gar zur "Mimose" werde, wenn ihm bewusst wird, was er anderen angetan hat.

Rosteks Kollege Schlüter, Pflichtverteidiger von Michael P., meint sogar: Die Taten seien "jugendtümlich" und als Fortsetzung des kindlichen Cowboy-und-Indianer-Spiels zu interpretieren. Aber zu verharmlosen, das sei nicht seine Absicht, erklärt Schlüter. Beide Verteidiger plädieren für Bewährungsstrafen.

Und beide Rechtsanwälte zeigen sich nach dem Urteil "völlig überrascht". Sie nennen den Richterspruch "total überzogen". Rostek und Schlüter kündigen unisono Revision an. Vorerst verlassen Bodo M. und Michael P. freien Fußes das Gerichtsgebäude.





Anmerkung von www.hiergeblieben.de: Artikel über Tobias Thomas Budde und Sven Dickmann.


Detmold@lz-online.de

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