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Neue Westfälische , 05.02.2002 :

Ein Leben gegen den Faschismus / Nazi- Widerstandskämpfer Peter Gingold berichtete

Von Astrid Paulsen

Bielefeld. "Um mich herum sterben sie alle weg", begann Peter Gingold seinen Vortrag in der Bürgerwache. Der 85-Jährige ist einer der letzten Zeitzeugen, die vom Widerstand gegen das Nazi-Regime berichten.

"Die Wehrmachtsausstellung ist der Anlass, sich mit Geschichte zu befassen, um die Gegenwart zu verstehen." Peter Gingold, im Zweiten Weltkrieg Mitglied der französischen Widerstandsbewegung Resistance und Partisanenkämpfer in Italien, arbeitet an Deutschlands Umgang mit der eigenen Vergangenheit.

Dem Argument gegen die Wehrmachtsausstellung, Verbrechen von Soldaten gebe es in jedem Krieg, hält Gingold entgegen: "Genau das war es nicht. Die Verbrechen waren von oben angeordnet."

Es gab deutsche Soldaten, die sich Befehlen aktiv und passivwidersetzten, es gab Handlungsspielräume. Auf die setzte Gingolds Arbeit in der Résistance, die er gemeinsam mit seiner Frau Ettie leistete. Sie verteilten Flugblätter, versuchten deutsche Militärs zum Widerstand gegen das Hitler-Regime zu bewegen. Unter Lebensgefahr, sowohl für sie selbst als die Soldaten, die sich überzeugen ließen.

Mehrere Hundert Deutsche waren in der Résistance aktiv, die meisten von ihnen stammten, wie Peter Gingold selbst, aus jüdischen Familien. "Mein Engagement hat auch mit meiner jüdischen Herkunft zu tun", sagt Gingold, "aber vor allem damit, dass ich als 15-Jähriger in eine Gewerkschaftsgruppe kam und linke Literatur las. Mein Leben ist seit 70 Jahren ein Leben gegen Faschismus und Krieg."

Als das Ehepaar Gingold in den Untergrund ging, gab es seine zweijährige Tochter zu Pflegeeltern, um ihr Leben nicht zu gefährden. "Sie können sich vorstellen, wie das Kind geschrien hat, wie der Mutter zumute war, nicht wissend, ob sie ihr Kind je wiedersieht."

Peter Gingolds Schwester, "eine bildhübsche junge Frau", wurde in einem Konzentrationslager ermordet. "So geschah es millionenfach. Man muss es sich immer an einer einzelnen Person vorstellen."

1943 in Paris von der Gestapo verhaftet und gefoltert

Er selbst wurde 1943 in Paris von der Gestapo verhaftet und gefoltert. Durch eine List konnte er entkommen. "Jedesmal, wenn ich in Paris bin, streichle ich die Tür, die mein Leben gerettet hat. Heute steht daran: Durchgang verboten", schmunzelt er. Ohne Geld, ohne Papiere, von der Gestapo verfolgt, bat er fremde Menschen darum, ihn zwei Stunden zu verstecken. "Sie hatten ein bisschen Angst, machten es aber. In Frankreich waren wir eingebettet in die Sympathie der Bevölkerung."

Peter Gingold wurde 1916 in Aschaffenburg geboren und lebt bis heute in der Nähe von Frankfurt. Dass es ein halbes Jahrhundert gedauert hat mit dem Tabubruch, den die Ausstellung "Verbrechen der Wehrmacht" für ihn bedeutet, sieht er historisch begründet. "Nazis saßen in der Politik und vor allen Dingen in der Justiz." Konservative, die auch heute Politik machen mit Rassismus und damit Neonazis den Steigbügel halten, mahnt er: "Not und Elend kamen immer zu uns durch die Rüstung und den Krieg, noch nie durch Einwanderer."


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