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SoZ - Sozialistische Zeitung , 09.11.2000 :

Wanderkirchenasyl / Die anständigen Abschieber

Für alle, die das erste Mal im Haarener Wald bei Büren vor den fünf Meter hohen Mauern stehen, macht der dortige Abschiebeknast einen beklemmenden, bedrohlichen Eindruck. Langsam, aber beharrlich dringt die Kälte in jener Nacht am 31. Oktober durch die Kleidung.

Im Licht der grellgelben Laternen wird dieser Knast zum in Beton gegossenen Ausdruck der verlogenen Heuchelei jener anständigen Deutschen, die aufstehen "für Menschlichkeit und Toleranz" und gleichzeitig diejenigen einsperren und abschieben, die ihnen nicht in den Kram passen.

Über 200 Menschen sind an diesem Abend gekommen, um nach 22 Uhr eine Mahnwache abzuhalten und auf den Bus zu warten, der jeden Dienstag morgen zwischen fünf und sechs Flüchtlinge aus dem Knast abholt, um sie nach Düsseldorf zum Charterabschiebeflug zu verfrachten.

An diesem Dienstag war Hüseyin Calhan unter den Abzuschiebenden — der Friedenspreisträger der Stadt Aachen und einer der Sprecher des Wanderkirchenasyls Nordrhein-Westfalen.

Mit zwei Feuertonnen und Musik aus mit Benzingeneratoren betriebenen Verstärkern, Gemüsesuppe, Tee und Kaffee wird die Kälte bekämpft. Doch früh schon ist klar, die Bürokratie kann ganz unbürokratisch den Flüchtlingstransport zehn Stunden vorverlegen, um dem Protest die Spitze zu nehmen.

Keinen unbürokratischen Ermessensspielraum sieht Nordrhein-Westfalens Innenminister Behrens hingegen, wenn es um die Abschiebung von KurdInnen in die Türkei geht. Wie viele beteiligte staatliche Stellen in diesem Abschiebeverfahren den Pontius Pilatus gespielt haben, ist unglaublich.

Ob das Ausländeramt in Wesel, das Justizministerium oder das Innenministerium in Düsseldorf, das Gesundheitsamt in Paderborn, die Anstaltsleitung in Büren oder die beteiligten Gerichte: alle versuchen sie, ihre Hände in Unschuld zu waschen, und sind doch gleichermaßen schuldig.

Denn alle diese Institutionen hätten die Abschiebung verhindern können. Aber alle wollten abschieben. Alle beteiligten Behörden sind spätestens seit der Abschiebung von Mehmet Kilic am 24.Oktober überführt, dem Wanderkirchenasyl nach zwei Jahren den Garaus machen zu wollen.

Sie haben darauf gesetzt, dass der Stress, der mit dem ständigen Umzug der immer größer werdenden Gruppe kurdischer Familien von einer Kirche zur anderen verbunden ist, zu einem Kollaps führt.

Jetzt halten sie den Zeitpunkt für gekommen zuzuschlagen. Das Innenministerium des Landes gab die Weisung an die Ausländerbehörden, "aufenthaltsbeendende Maßnahmen" gegen die Teilnehmenden des Wanderkirchenasyls einzuleiten. Die Ausländerbehörden erweisen sich als willige Vollstrecker.

Während ein Sprecher des Bundesgrenzschutzes bei der Veranstaltung "Keine Chance den Rassisten" einer Aachener Zeitung auftritt, wird Hüseyin Calhan, der ebenfalls zu dieser Veranstaltung eingeladen war, von eben jenem Grenzschutz am Aachener Hauptbahnhof verhaftet und nach Büren in den Knast gebracht.

Der Petitionsausschuss beim Landtag in Düsseldorf fordert, dass bei der Untersuchung des Flüchtlings durch einen Facharzt eine Vertrauensperson dabei sein solle. Das Ministerium stimmt dem zu, aber letztlich wird überhaupt keine Untersuchung durch einen Facharzt gemacht, sondern lediglich die Transportfähigkeit von einem allgemeinen Mediziner des Gesundheitsamts Paderborn bescheinigt.

Auch die Grünen machen den Pilatus. Zuerst glänzen sie durch Untätigkeit, schließlich fliegt der Landtagsabgeordnete Reiner Priggen mit in die Türkei, andere vergießen ein paar Krokodilstränen, aber auch sie schieben die Schuld auf die anderen in der Landesregierung.

Hüseyin Cahlhan hat Foltererfahrungen in der Türkei, und er ist als maßgeblicher Teilnehmer des Wanderkirchenasyls in Nordrhein-Westfalen besonders gefährdet.
Das Wanderkirchenasyl wird in der türkischen Öffentlichkeit als eine Aktion dargestellt, die den türkischen Staat schlecht machen soll. Es wird in die Nähe sog. separatistischer Bewegungen gerückt, was in der Türkei in der Regel Folter und Gefängnis für die Betroffenen bedeutet.

Im Januar diesen Jahres wurde Yusuf Demir, ebenfalls ein Teilnehmer des Wanderkirchenasyls, abgeschoben. Türkischen Spezialeinheiten haben ihn massiv misshandelt und dabei unter Vorlage von Bildern nach Teilnehmenden und Initiatoren des Wanderkirchenasyls befragt.

Das alles ist den Protestierenden im Haarener Wald in dieser Nacht bewusst. Sie können diese Abschiebung nicht verhindern, aber es war notwendig, dass sie dort waren.

Zum ersten Mal haben Menschen eine ganze Nacht vor dem Abschiebeknast gegen die ausländerfeindliche, gewalttätige Politik der "rot-grünen" Regierung protestiert. Sie haben deutlich gemacht, dass es staatliche Stellen sind, die massiv und brutal gegen Flüchtlinge vorgehen.

Innerhalb von nur einer Woche konnten für einen Wochentag über zweihundert Menschen mobilisiert werden. Sicherlich sind das noch viel zu wenige, und es ist auch nicht beliebig wiederholbar.

Nicht immer sind die Flüchtlinge, die abgeschoben werden, so prominent wie Hüseyin Calhan. Dennoch stellt dieser Protest eine Ermutigung dar für den Kampf gegen die weitere Abschiebungen.

Tommy Schroedter


redaktion@soz-plus.de

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