Lippische Landes-Zeitung , 05.06.1993 :

Asyl-Halbwahrheiten

Nun ist er also beschlossene Sache, der so genannte "Asylkompromiss" von CDU/CSU, FDP und SPD. Um es klar zu sagen, eine Änderung der Praxis war notwendig. Der in Bonn beschlossene "Asylkompromiss" aber muss jeden einigermaßen demokratisch gesinnten und human denkenden Bürger empören. Ein Grundrecht wird verstümmelt, aber das Schlimmste ist, dies wird von den Befürwortern nicht offen gesagt.

Besonders geärgert hat mich in diesem Zusammenhang die Pressemitteilung der CDU-Bundestagsabgeordneten Claire Marienfeld (LZ vom 27. Mai). Danach "habe die jahrelange Diskussion um eine notwendige Grundgesetzänderung, die Asylsuchenden aus Verfolgerländern auch weiterhin das Recht auf Asyl erhalte, ein Ende gefunden".

Hierbei handelt es sich eindeutig um eine Halbwahrheit. Richtig ist, dass Bürgerkriegsflüchtlinge ein begrenztes Bleiberecht erhalten und politisch Verfolgte, die mit dem Flugzeug einreisen können (?!), Asyl erhalten. Der Landweg nach Deutschland aber ist politisch Verfolgten versperrt, da Bonn die umliegenden Staaten zu "sicheren Drittstanden" erklärt hat! Es wird daher nicht nach Herkunftsland, sondern nach Einreiseland entschieden. Das Grundrecht "Politisch Verfolgte genießen Asylrecht" ist also ausgehöhlt und die Lasten werden den weitaus schwächeren Nachbarn (Polen) aufgebürdet.

Unverantwortlich und der Problematik unangemessen ist folgender Passus aus der Erklärung von Frau Marienfeld: "Die gegenwärtige Situation ist durch die starre und unachgiebige Haltung der SPD verursacht", andernfalls "hätten wir uns viel erspart".

Es ist nicht zu fassen, wie noch immer Politiker/innen versuchen, aus der Asyldebatte Kapital zu schlagen.

Äußerungen dieser Art waren es, die die Stimmung in unserem Land mit anheizten und so zu Rostock und Mölln beitrugen. Das Ergebnis dieser Debatte, der Bonner "Asylkompromiss", ist menschenunwürdig und beschämend.

Rüdiger Kuhlmann
Lessingstraße 14
Schieder-Schwalenberg

05./06.06.1993
Detmold@lz-online.de