Westfalen-Blatt / Herforder Kreisblatt ,
12.08.2022 :
Wie hätten Sie sich verhalten?
Gedenkstätte Zellentrakt: Ausstellung thematisiert Mitläufertum und Widerstand im NS-Staat
Von Hartmut Horstmann
Herford (HK). Eine Frau mit einem Schild, auf dem steht: "Ich bin ein deutsches Mädchen und habe mich vom Juden schänden lassen." Daneben zwei weitere Frauen, die lachen: Brutaler lässt sich fehlende Empathie gegenüber Ausgegrenzten kaum ausdrücken. Diese Aufnahme ist Teil einer Ausstellung, die ab heute Abend in der Gedenkstätte Zellentrakt zu sehen ist.
Einen ersten Anlauf mit der Präsentation "Einige waren Nachbarn" hatte das Kuratorium bereits im Jahr 2020 gemacht. Das Interesse im Vorfeld sei groß gewesen, es habe viele Anfragen wegen Führungen gegeben, sagt Geschäftsführer Christoph Laue. Doch die Corona-Einschränkungen verhinderten eine breite Resonanz.
Jetzt also ein erneuter Anlauf: Konzipiert wurde die Ausstellung vom United States Holocaust Memorial Museum Washington D.C. In zahlreichen Orten wurde sie bereits gezeigt, der Untertitel lautet "Täterschaft, Mitläufertum, Widerstand".
Für Gisela Küster, Vorsitzende des Kuratoriums, ist es eine Ausstellung, die vor allem Fragen aufwirft. Exemplarisch lässt sich dies an dem Beispiel aus Aurich aufzeigen, dem anfangs erwähnten Bild, bei dem eine Frau öffentlich gedemütigt wird. Mit Blick auf die Frauen daneben versucht Küster die Motive für deren Lachen zu ergründen: "Freuen die Frauen sich wirklich? Oder haben sie Angst? Oder sind sie böse?"
Wie war der Holocaust möglich? Eine einfache Begründung für das Mitläufertum gibt es nicht. Der Vorsitzenden des Kuratoriums ist die Tatsache wichtig, dass es auch Ausnahmen gab, die in der Ausstellung ebenfalls vorkommen. Zu behaupten, jeder habe mitmachen müssen, sei so nicht haltbar. Eine weitere Frage, die sich für den Betrachter ergibt, betrifft die eigene Haltung. Wie hätte man sich selbst damals verhalten? Dieses Thema, der Umgang mit Minderheiten, sei immer noch aktuell, ergänzt der Publizist Michael Girke.
Anders als bei vorherigen Ausstellungen wird der allgemeine Teil nicht durch Herforder Spezifika ergänzt. Die Ausstellungsmacher lassen dies nicht zu - so dass das Kuratorium eigene Wege geht. "Denn die Themen gab es natürlich auch in Herford", betont Laue.
Und so gibt es in Ergänzung zum normalen Ausstellungsbesuch ein ausgetüfteltes Pädagogik-Programm. Die einfachste Variante besteht aus einer Führung durch den Zellentrakt mit anschließender Diskussion. Hier können Herforder Bilder eine Rolle spielen - so eine Aufnahme aus der Drogerie Brenker (Gehrenberg). Auf einem Schild werden Menschen denunziert, die nicht mir "Heil Hitler" grüßen.
Weiterhin gibt es Führungen samt Stadtrundgang und Workshops. Anmeldung unter Tel. 05221 / 189257.
Die Ausstellung, die heute um 19 Uhr eröffnet wird, ist bis zum 2. Oktober zu sehen.
Bildunterschrift: Lörrach, 22. Oktober 1940: Schaulustige sehen vom Fenster aus zu, wie jüdische Frauen und Männer zu Lastwagen geführt und deportiert werden.
Bildunterschrift: Ein Bild aus Herford, entstanden in der Drogerie Brenker. Der lokale Aspekt findet sich in der Ausstellung nicht, ist aber Bestandteil des pädagogischen Begleitprogramms.
Bildunterschrift: Eine öffentliche Demütigung, die Frauen rechts scheinen sich zu amüsieren. Diese Aufnahme stammt aus Aurich.
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- Freitag, 12. August 2022 um 19.00 Uhr -
Eröffnung der Wanderausstellung des United States Holocaust Memorial Museum: "Einige waren Nachbarn - Täterschaft, Mitläufertum und Widerstand"
Veranstaltungsort:
Gedenk-, Dokumentations-
und Begegnungsstätte Zellentrakt
Rathausplatz 1
32052 Herford
www.zellentrakt.de
Grußwort:
Tim Kähler, Bürgermeister der Stadt Herford
Einführung:
Gisela Küster, Vorsitzende des Kuratoriums Erinnern Forschen Gedenken e.V.
Ausstellungsdauer: Freitag, 12. August 2022 bis Sonntag, 2. Oktober 2022; samstags und sonntags von 14.00 bis 16.00 Uhr.
Die Ausstellung "Einige waren Nachbarn: Täterschaft, Mitläufertum und Widerstand" adressiert eine der zentralen Fragen zum Holocaust:
Wie war der Holocaust möglich?
Die zentrale Rolle von Hitler und anderen Führern der NSDAP ist unbestreitbar. Doch die Abhängigkeit dieser Täter von unzähligen anderen für die Durchführung der NS-Rassenpolitik ist weniger bekannt.
Im NS-Deutschland und in dem von Deutschland dominierten Europa entwickelten sich überall, in Regierung und Gesellschaft, Formen von Zusammenarbeit und Mittäterschaft, wo immer die Opfer von Verfolgung und Massenmord auch lebten.
"Einige waren Nachbarn" untersucht fachübergreifend die Rolle der gewöhnlichen Menschen im Holocaust und die Vielzahl von Motiven und Spannungen, die individuelle Handlungsoptionen beeinflussten. Diese Einflüsse reflektieren Angst, Gleichgültigkeit, Antisemitismus, Karriereangst, Ansehen in der Gemeinschaft, Gruppenzwang oder Chancen auf materiellen Gewinn.
Die Ausstellung zeigt aber auch Personen, die den Möglichkeiten und Versuchungen, ihre Mitmenschen zu verraten, nicht nachgegeben haben und uns daran erinnern, dass es auch in extremen Zeiten Alternativen zu Kollaboration und Täterschaft gibt.
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Vom 12. August bis 2. Oktober 2022 zeigt die Herforder Gedenkstätte Zellentrakt die Ausstellung: "Einige waren Nachbarn - Täterschaft, Mitläufertum und Widerstand" (United States Holocaust Memorial Museum).
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www.zellentrakt.de
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