www.hiergeblieben.de

Mindener Tageblatt , 07.07.2021 :

Der Anti-Rassist

Wolfgang Battermann erhält das Bundesverdienstkreuz / Seit Jahrzehnten hat sich der Petershäger dem Kampf gegen Antisemitismus und dem Erhalt der Alten Synagoge verschrieben

Jürgen Langenkämper

Petershagen / Minden. Vor 60 Jahren hat ein Lebenswerk begonnen, das gestern im Kreishaus in Minden eine besondere Würdigung erfuhr: Landrätin Anna Katharina Bölling überreichte Wolfgang Battermann im Namen des Bundespräsidenten das Bundesverdienstkreuz für sein großes Engagement für das Gemeinwohl und gegen Antisemitismus und Rassismus.

"Es begann 1961, genau vor 60 Jahren", erzählte der gebürtige Mindener zum Abschluss in seinen Dankesworten, "ich war 14 Jahre alt und verfolgte den Eichmann-Prozess in Jerusalem am Fernsehschirm". Nicht fasziniert von der "Banalität des Bösen" Eichmanns, wie Hannah Arendt es nannte, sei er gewesen, "sondern erstarrt vor Entsetzen über das grausamste Verbrechen der Menschheit und die gewissenlose individuelle Verantwortungslosigkeit eines Eichmann". Fortan sollten ihn Judentum und Antisemitismus nicht mehr loslassen, nicht als Schüler, Student der 68er-Generation, als Lehrer am Gymnasium Petershagen nicht und auch nicht als Bürger und Privatperson. Seine Reaktion sei damals schon und stets gewesen: "Das darf nicht wieder passieren, nie wieder!" Das sei der Grund, "warum ich hier heute noch stehe - nach 60 Jahren".

Untrennbar mit der Region sind der Name Wolfgang Battermanns und sein ehrenamtliches Wirken vor allem mit der Alten Synagoge in Petershagen verbunden. Die Landrätin skizzierte den Weg von ersten Überlegungen während der Referendar-Zeit am Gymnasium über erste Erörterungen im Rat 1997 bis zum Kauf und zur Sanierung 1998 und der Gründung der Arbeitsgemeinschaft Alte Synagoge Petershagen, deren stellvertretender Vorsitzender er seither ist.

2002 war Wolfgang Battermann Mitbegründer des Arbeitskreises Antisemitismus in seiner Geburtsstadt Minden. 2007 gründete er den Arbeitskreis Stolpersteine Petershagen. Zusammen mit vielen Helfern und Unterstützern, aber maßgeblich vorangetrieben durch sein ehrenamtliches Engagement - für das ihm seine Frau Bärbel und die Familie den Rücken frei hielten -, wurde die benachbarte frühere jüdische Schule erworben und gemeinsam mit der 2008 entdeckten Mikwe, dem wohl ältesten jüdischen Tauchbad in Westfalen, restauriert. Im Jahr der Einweihung, 2012, wurde sein unermüdlicher Einsatz für die Gedenk- und Erinnerungskultur mit der Verleihung des höchst seltenen Obermayer Awards gewürdigt, zwei Jahre später ergänzt durch die Verleihung der "Obermayer Insignien". 2012 erfolgte auch die Auszeichnung "Germany at its best" durch das Land NRW für die Rettung eines deutschlandweit einmaligen Erinnerungs- und Lernortes, den das Ensemble von Alter Synagoge und Jüdischer Schule überregional darstellt.

Der Hamburger Historiker Prof. Arno Herzig warf als langjähriger Freund, Weggefährte und auch geistiger Mentor ein Streiflicht auf die Zeit, als beide gemeinsam durch die Fenster einen Blick in das vom Verfall bedrohte Synagogen-Gebäude warfen, das als Remise zweckentfremdet wurde. "Immerhin ist sie so erhalten geblieben", sagte der Kenner jüdischer Geschichte in Deutschland und ganz besonders im Mindener Land. "Nach 1945 sind mehr Synagogen abgerissen worden, als im November 1938 zerstört wurden", gab er einen kritischen Hinweis auf die schwierigen Anfänge des Umgangs mit jüdischer Geschichte unmittelbar nach dem Krieg.

Er regt eine Rückbenennung der Synagogenstraße an

Über den Beitrag Battermanns zur Memorialkultur als Grund für dessen Auszeichnung hinausgehend, erinnerte Herzig an einen Besuch mit Studenten auf Einladung des Gymnasiallehrers 1984. Dabei erkundeten die Studenten auch das Gelände der vom Verfall bedrohten Glashütte Gernheim. Die daraus resultierende wissenschaftliche Aufarbeitung der Geschichte Gernheims leistete einen wichtigen Beitrag zu deren Erhalt als LWL-Industriemuseum. Es sei neben der Alten Synagoge eine weitere "Attraktion des gesamten Landkreises", so Herzig. "Auch dies ist eines deiner Verdienste", dankte er dem Freund.

Vielfältige Aspekte der ehrenamtlichen Arbeit griff Hans Ulrich Gräf, der Wolfgang Battermann für das Bundesverdienstkreuz vorgeschlagen hatte, in seiner Laudatio auf, um die guten Gründe zu beleuchten, die ihn zu seinem Vorschlag bewegt hatten. Beispielhaft nannte er Begegnungen mit Holocaust-Überlebenden wie Erna de Vries und Gesprächsrunden über die Manifestation völkischer Ideologie im ländlichen Raum als Grundlage und Nährboden für Antisemitismus und Rassismus. "In diesem konträren Spannungsbogen, zwischen mit den Füßen getretener Menschenwürde, politisch motiviertem Völkermord und einer völkischen Ideologie, einer deutschnationalen antisemitisch-rassistischen Bewegung, sorgst du unermüdlich dafür, dass jüdisches Leben in Deutschland möglich und erfahrbar bleibt", sagte Gräf.

Wolfgang Battermann vergaß über das Lob für ihn persönlich in seinen Dankesworten nicht seine Unterstützer und Wegbegleiter, die er wie den gebürtigen Mindener Wolfgang Hempel oder die "Child Survivors", überlebende Kinder der Shoah, zum Teil erst durch die Arbeit mit und für die Alte Synagoge kennengelernt hatte, aber ebenso Marianne Schmitz-Neuland, frühere Bürgermeisterin und Vorsitzende der AG Alte Synagoge, sowie Harald Scheurenberg und seinen verstorbenen Vater Kurt vonseiten der Jüdischen Kultusgemeinde.

Dass das Werk abgeschlossen sei, verneinte Wolfgang Battermann. Als Anregung gab er Kay Busche, der in Vertretung des Bürgermeisters gesprochen hatte, mit auf den Weg ins Rathaus: "Mein Wunsch ist eine namentliche Rückbenennung der Goebenstraße in Petershagen mit dem jüdischen Ensemble von 1796 und 1846 in Synagogenstraße, die immer so hieß. Seit Einführung von Straßennamen in Petershagen trug sie diesen Namen bis in die 1930er-Jahre hinein."

Der Autor ist erreichbar unter Telefon (0571) 882168 und Juergen.Langenkaemper@MT.de.

Bildunterschrift: Verdiente Ehrung: Landrätin Anna Katharina Bölling (links) überreichte Wolfgang Battermann (Mitte) das Bundesverdienstkreuz. Kay Busche von der Stadt Petershagen (von rechts), Hans Ulrich Gräf, der ihn vorgeschlagen hatte, und Prof. Arno Herzig würdigten seine Leistungen und das große Engagement.


Copyright: Texte und Fotos aus dem Mindener Tageblatt sind urheberrechtlich geschützt. Weiterverwendung nur mit schriftlicher Genehmigung der Redaktion.

______________________________________________


Neue Westfälische - Zeitung für das Lübbecker Land, 04.01.2012:

Beherzte Initiative

65-jähriger Pädagoge Wolfgang Battermann erhält deutsch-jüdische Auszeichnung

Von Hans-Jürgen Amtage

Petershagen. Für den Pädagogen Wolfgang Battermann wird das Jahr 2012 ein ganz besonderes. Der 65-Jährige erhält den renommierten "German Jewish History Award".

Dieser Preis, der als eine der bedeutendsten internationalen Auszeichnungen für das Engagement um die deutsch-jüdische Erinnerungskultur gilt, wird vom German Jewish Community History Council mit Sitz in West Newton (USA) ausgeschrieben - einem deutsch-jüdischen Geschichtsrat, der Teil der Obermayer Foundation ist. Eine Stiftung, die Projekte in vielen Teilen der Welt unterstützt. Unter anderem fördert sie jüdische Museen in Deutschland.

Der in Minden geborene und in Petershagen lebende ehemalige Gymnasiallehrer Wolfgang Battermann steht nach Ansicht der internationalen Jury, der neben Stifter Arthur S. Obermayer auch Berlins Alt-Bürgermeister Walter Momper angehört, für das Engagement um lebendige Erinnerungskultur. Vorgeschlagen für den Preis wurde der 65-Jährige von Harald Scheurenberg, dem Vorsitzenden der Jüdischen Kultusgemeinde Minden.

Seit Anfang der 80er Jahre bemühte sich Battermann mit einigen unentwegten Mitstreitern, die alte Synagoge in Petershagen, die 1845/46 erbaut und 1938 in der Reichspogromnacht nicht völlig zerstört wurde, wieder in das Zentrum des öffentlichen Interesses zu rücken. Zunächst gelang es dem Kreis Engagierter, dass die Synagoge unter Denkmalschutz gestellt wurde. Mitte der 90er Jahre dann machte sich der Petershäger an die Arbeit, um Menschen für die Rettung und den Erhalt der Synagoge zu gewinnen.

Mit der Arbeitsgemeinschaft Alte Synagoge Petershagen wurde eine Vereinsplattform geschaffen, ein Trägerkreis wurde zur Akquirierung von Geld gegründet. Und Wolfgang Battermann machte sich stark, dass die an die Synagoge angrenzende alte jüdische Schule ebenfalls in die Denkmalliste eingetragen wird. Mit Erfolg.

2001 wurde die Alte Synagoge als Gedenkstätte eingeweiht. 2007 kann die Arbeitsgemeinschaft einen wesentlichen Beitrag zum Kauf der jüdischen Schule beisteuern. Drei Jahre später beginnt die Rekonstruktion des Gebäudes auf den Zustand von 1878.

"Tauchbad für rituelle Reinigung"

Doch Wolfgang Battermann bleibt auch in anderen Erinnerungsbereichen unermüdlich. Er initiiert das Verlegen von "Stolpersteinen" durch den Kölner Bildhauer Gunter Demnig. Der erinnert mit seinen Aktionen an die Opfer der NS-Zeit, indem er vor ihrem letzten Wohnort Gedenksteine aus Messing in das Bürgersteig-Pflaster verlegt.

Der Pädagoge organisiert Führungen und Veranstaltungen, die jüdische Vergangenheit und Gegenwart verdeutlichen: "Ich stehe für viele Engagierte. Uns ist es wichtig, vergessene jüdische Menschen in ihrer Identität wieder in das Bewusstsein der Stadt zu holen."

In einer Art gutachterlichen Stellungnahme schreibt der Hamburger Geisteswissenschaftler Prof. Dr. Wolfgang Grünberg, ein gebürtiger Mindener: "Die Synagoge mit benachbarter Schule und einer 2008 entdeckten und freigelegten Mikwe (ein Tauchbad, das der Reinigung von ritueller Unreinheit dient) aus dem Jahr 1796 bilden mit dem jüdischen Friedhof und einer großen Anzahl von Stolpersteinen vor den Wohnhäusern vertriebener und ermordeter jüdischer Mitbürger ein Ensemble. Dieses als zusammen gehörigen Erinnerungs- und Lernort restauriert und wieder belebt zu haben, dürfte in der jüngsten Vergangenheit in Deutschland einmalig sein."

Info / Preisübergabe in Berlin

Die German Jewish History Awards werden jedes Jahr an Personen vergeben, die ehrenamtlich herausragende Beiträge zur Dokumentation und zum Erhalt jüdischer Geschichte und Kultur, des jüdischen Erbes und/oder der Überreste lokaler deutscher Gemeinden geleistet haben.

Die Auszeichnung, die im Jahr 2000 ins Leben gerufen wurde, wird im Abgeordnetenhaus von Berlin überreicht.

Die Preisverleihung findet im Gedenken an die Befreiung von Auschwitz am 27. Januar statt, der Tag, der heute als Deutscher und Internationaler Holocaust-Gedenktag begangen wird. Da er in diesem Jahr auf einen Freitag fällt, an dem der jüdische Ruhetag, der Sabbat, beginnt, findet die Preisverleihung bereits am 23. Januar statt.

Bildunterschrift: Mit Kopfbedeckung: Wolfgang Battermann schaut in eine der neun Vitrinen in der Synagoge, in denen über die mehr als 450 Jahre jüdischer Orts- und Regionalgeschichte in Petershagen in Wort, Bild und Gegenständen berichtet wird. Er trägt eine Kippa, ein Käppchen, das jüdische Männer zum Beten oder ständig tragen. Es gilt als Zeichen des Respekts gegenüber Gott, eine Kippa zu tragen.

______________________________________________


Am 6. Juli 2021 erhielt Wolfgang Battermann - insbesondere für sein Engagement gegen Antisemitismus, Rassismus - Gedenk- und Informationsstätte: "Alte Synagoge Petershagen" - das Bundesverdienstkreuz.

______________________________________________


www.synagoge-petershagen.de

www.facebook.com/synagoge.petershagen


zurück