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12 Artikel , 21.01.2021 :

Pressespiegel überregional

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Übersicht:


Mindener Tageblatt, 21.01.2021:
"Mein Kampf" erscheint in Polen

Jüdische Allgemeine Online, 21.01.2021:
Österreich legt Nationale Strategie gegen Juden-Hass vor

TeleZüri, 21.01.2021:
Sechs mutmaßliche Neonazis verhaftet, darunter Anführer der Winterthurer "Eisenjugend"

MiGAZIN, 21.01.2021:
"Schalömchen" / Jubiläumsjahr feiert 1.700 Jahre jüdisches Leben

die tageszeitung Online, 21.01.2021:
Plädoyer im Lübcke-Prozess / Es soll nur Totschlag sein

RedaktionsNetzwerk Deutschland, 21.01.2021:
Lübcke-Prozess: "Die Tötung war für Herrn Ernst ein politisches Ziel"

hessenschau.de,21.01.2021:
Lübcke-Prozess / Stephan Ernsts Verteidiger plädieren auf Totschlag

MiGAZIN, 21.01.2021:
Hanau / Shisha-Bar-Notausgang war versperrt - offenbar auf Anordnung der Polizei

Neues Deutschland Online, 21.01.2021:
Prozessbeginn: Nazi-Devotionalien, Kriegswaffen und Sprengstoff im Garten

Neue Westfälische, 21.01.2021:
NRW-Behörden beobachten 227 Gefährder

t-online.de, 21.01.2021:
AfD klagt gegen Neubrandenburg wegen Streits um Räume

Stuttgarter Nachrichten Online, 21.01.2021:
Plakat-Protest im Plenum / AfD demonstriert gegen Lockdown

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Mindener Tageblatt, 21.01.2021:

"Mein Kampf" erscheint in Polen

Warschau (dpa). In Polen erscheint eine übersetzte historisch-kritische Ausgabe von Adolf Hitlers Hetzschrift "Mein Kampf". Der Band werde ab sofort erhältlich sein, hieß es auf der Webseite des Verlages Bellona. Übersetzung und Kommentare stammen von dem polnischen Historiker Eugeniusz Cezary Krol. "Der Inhalt von "Mein Kampf" hat die Polen in schrecklicher Weise betroffen und hatte entsprechend furchtbare Konsequenzen für sie", sagte Krol. Zudem gebe es bislang auf dem polnischen Markt nur unkommentierte Raubkopien von "Mein Kampf", die meist aus dem Englischen übersetzt wurden. Keine dieser Ausgaben habe einen wissenschaftlichen Anmerkungsapparat. Hitler hatte das Buch 1924 nach seinem Umsturzversuch im November 1923 in der Festungshaft in Landsberg geschrieben.

Nach Angaben von Bellona handelt es sich um die zweite kritische Ausgabe von "Mein Kampf" weltweit. Im Jahre 2016 hatte das Institut für Zeitgeschichte in München eine historisch-kritische Ausgabe mit umfangreichen Kommentaren veröffentlicht. Unkommentierte Ausgaben von "Mein Kampf" sind weiterhin in Deutschland verboten.

Der Historiker Krol sieht seine übersetzte Version von "Mein Kampf" als eigenständige Ausgabe, betont aber, er sei im Kontakt mit den Wissenschaftlern vom Institut für Zeitgeschichte gewesen. "Die deutsche Ausgabe bewerte ich sehr hoch, sie war für mich eine Inspiration." Er habe bei seinen Anmerkungen aber den Schwerpunkt auf die für polnische Leser interessanten Aspekte gelegt. Während sich das Werk der Münchner auf die erste Ausgabe von "Mein Kampf" stützt (1925 / 1926), verwendete Krol eine spätere Version aus dem Jahr 1942. In Polen ist die Verbreitung von Texten, die für Faschismus oder eine andere totalitäre Staatsform werben, gesetzlich verboten. Ausnahmen gelten aber für wissenschaftliche Arbeiten, die sich mit dem Totalitarismus beschäftigen.

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Jüdische Allgemeine Online, 21.01.2021:

Österreich legt Nationale Strategie gegen Juden-Hass vor

21.01.2021 - 17.17 Uhr

Das Paket beinhaltet insgesamt 38 Maßnahmen im Kampf gegen den Antisemitismus

Österreich will mit einer umfassenden Nationalen Strategie gegen Antisemitismus das jüdische Leben besser denn je schützen. Das Paket beinhalte 38 Maßnahmen, die von Aufklärung der Bürger über den Schutz jüdischer Einrichtungen bis hin zu einer eigenen Stabsstelle im Kanzleramt reichten, sagte Europa-Ministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) am Donnerstag in Wien.

Gerade angesichts der im Internet im Zusammenhang mit der Corona-Krise verbreiteten Verschwörungstheorien sei eine solche Initiative notwendig. "Was gestern auf Facebook gestanden ist, erleben wir schon heute oftmals auf den Straßen", so Edtstadler. Viele Teilnehmer von Corona-Demonstrationen nähmen es zumindest stillschweigend in Kauf, wenn dabei antisemitische Parolen verbreitet würden.

Laut Edtstadler wurden 2019 rund 550 antisemitische Vorfälle gezählt. "Das sind doppelt so viele wie noch vor fünf Jahren." Die österreichische Initiative ist Teil europaweiter Anstrengungen, die auf eine Erklärung des Europäischen Rats von 2018 zurückgehen.

Der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, Oskar Deutsch, sagte, Angriffe auf Juden seien immer auch Angriffe auf eine vielfältige demokratische Gesellschaft. "Die Juden sind immer nur die ersten unmittelbar Betroffenen." Die antisemitischen Vorfälle hätten eine große Bandbreite.

Dazu gehörten tätliche Angriffe, das Beschmieren von Synagogen mit Hakenkreuzen und arabische Schlachtrufe auf Demonstrationen. Die EU-Kommission werde Ende 2021 eine umfassende EU-Strategie gegen Antisemitismus und zur Förderung jüdischen Lebens verabschieden, sagte Katharina von Schnurbein, Antisemitismus-Beauftragte der EU-Kommission. (dpa)

Bildunterschrift: "Doppelt so viele Vorfälle wie noch vor fünf Jahren": Europa-Ministerin Karoline Edtstadler (ÖVP).

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TeleZüri, 21.01.2021:

Sechs mutmaßliche Neonazis verhaftet, darunter Anführer der Winterthurer "Eisenjugend"

Gestern verhaftete die Polizei sechs mutmaßliche Rechtsradikale. Unter ihnen befindet sich auch der wahrscheinliche Anführer der Winterthurer Gruppierung "Eisenjugend". Die Verhafteten werden verdächtigt, für einen Hack auf eine jüdische Kulturveranstaltung verantwortlich zu sein. Beim Hacker-Angriff wurde die online stattfindende Veranstaltung mit rechtsradikalen und obszönen Inhalten gestört.

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MiGAZIN, 21.01.2021:

"Schalömchen" / Jubiläumsjahr feiert 1.700 Jahre jüdisches Leben

21.01.2021 - 05.21 Uhr

Seit 1.700 Jahren leben nachweislich Juden in Deutschland. Das wird 2021 mit einem bundesweiten Festjahr gefeiert. Rund 1.000 Veranstaltungen präsentieren jüdisches Leben als Bestandteil der deutschen Kultur heute. Den Auftakt bildet heute ein Festakt in Köln.

Von Claudia Rometsch

"Schalömchen Köln": Mit dieser Aufschrift und einem blauen Davidstern grüßt die Straßenbahn, die durch die Domstadt am Rhein rattert. Sie weist auf ein Festjahr hin, das jüdisches Leben in Deutschland mit mehr als 1.000 Veranstaltungen bundesweit sichtbar machen soll. Anlass ist das 1.700. Jubiläum des ersten urkundlichen Nachweises jüdischen Lebens in Mitteleuropa. Am 11. Dezember 321 hatte der römische Kaiser Konstantin die Stadtoberen in Köln per Edikt angewiesen, Juden Bürgerrechte einzuräumen, unter anderem die Ausübung öffentlicher Ämter.

"Wenn wir auf diese 1.700 Jahre zurückblicken, sehen wir, wie prägend jüdisches Leben für die deutsche Kultur war", sagt Joachim Gerhardt, zweiter Vorsitzender des Vereins "321 - 2021: 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland", der das Jubiläumsjahr organisiert. "Das Festjahr soll die Wertschätzung dafür deutlich machen." An dem kulturellen Programm beteiligen sich bundesweit nicht nur Synagogen-Gemeinden, sondern auch Privatinitiativen, Kultureinrichtungen oder Schulen. Geplant sind unter anderem Ausstellungen, Konzerte, Theater- und Tanzaufführungen sowie Vorträge und Diskussionsveranstaltungen. Bund, Länder und Kommunen fördern das Programm mit insgesamt 25 Millionen Euro.

Auftakt ohne Publikum

Den Auftakt des Jubiläumsjahres bildet am 21. Februar ein Festakt in Köln, bei dem Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier als Redner erwartet wird. Wegen der Pandemie findet die Veranstaltung ohne Publikum statt, wird aber in der ARD live übertragen. Dem Verein sei es bei der Organisation des Festjahres darum gegangen, Begegnungen zu ermöglichen, betont Gerhardt und hofft, dass dies trotz Corona in diesem Jahr wieder möglich wird. Ab Mai soll zum Beispiel ein "Bus der Begegnungen" bundesweit Station in Innenstädten machen und dort unter anderem jüdische Speisen servieren. Für den Sommer ist ein großes Begegnungsfest in Köln geplant.

Einer der Höhepunkte des Jahres soll vom 20. bis 27. September das weltweit größte Laubhüttenfest werden. Zum "Sukkot XXL" sind in ganz Deutschland Menschen eingeladen, Laubhütten zu bauen und dort Begegnungen zu ermöglichen. Die historische Perspektive nimmt unter anderem die Ausstellung "Menschen, Bilder, Orte - 1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland" ein, die im März in der Alten Synagoge - Haus jüdischer Kultur in Essen eröffnet wird. Anschließend wird die Schau in Münster, Köln, Wesel und Dortmund Station machen.

Themenjahr zur rechten Zeit

Das jüdische Themenjahr komme angesichts der Häufung antisemitischer Anschläge und Vorfälle zur rechten Zeit, meint Gerhardt. Die bisherige Resonanz habe die Erwartungen bei weitem übertroffen. "Wir waren überrascht, wie viele Projektpartner trotz der widrigen Bedingungen durch die Corona-Krise Veranstaltungen angemeldet haben." Da es sich bei einem Großteil um kleinere Aktionen handele, gehen die Organisatoren davon aus, das Jubiläumsjahr größtenteils erfolgreich durchführen zu können.

Begonnen hatten die ersten Vorbereitungen bereits 2014. Initiator sei jedoch nicht etwa die Jüdische Gemeinde gewesen, sagt Abraham Lehrer, Vizepräsident des Zentralrates der Juden in Deutschland und Mitgründer des Vereins "321 - 2021: 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland". Den Anstoß dazu habe vielmehr der frühere nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) gegeben, der Kuratoriumsvorsitzender des Vereins ist.

Kirchen oft versagt

Die beiden Vorsitzenden des Vereins, Matthias Schreiber und Joachim Gerhardt, sind evangelische Pfarrer. Das sei Zufall, sagt Gerhardt, findet es aber durchaus passend. Die Kirchen trügen eine besondere Verantwortung, weil Christen und Juden eng verbunden seien. Zudem hätten die Kirchen in der Vergangenheit oft genug versagt, wenn es darum gegangen sei, die Stimme für das Judentum zu erheben. "Darüber hinaus ist es nicht Aufgabe der Juden, dieses Jahr zu feiern, sondern es ist Aufgabe unserer ganzen Gesellschaft", betont der Pfarrer.

Das Jubiläumsjahr strahle schon jetzt über Deutschland hinaus, sagt Gerhardt. In Israel und den USA sei es bereits auf positive Resonanz gestoßen. Und es gebe bereits Gedankenspiele, ein solches jüdisches Themenjahr in einigen Jahren einmal EU-weit zu organisieren. (epd/mig)

Bildunterschrift: Jüdisches Leben.

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die tageszeitung Online, 21.01.2021:

Plädoyer im Lübcke-Prozess / Es soll nur Totschlag sein

Im Lübcke-Prozess plädieren die Verteidiger auf Totschlag statt Mord - mit kühner Begründung. Für Stephan E. fordern sie einen Strafrabatt.

Konrad Litschko

Frankfurt am Main (taz). Es ist ein denkwürdiger Prozess. Seit Juni 2020 wird vor dem Oberlandesgericht Frankfurt / Main über den Mord an Walter Lübcke, dem Kasseler Regierungspräsidenten, verhandelt. Dem ersten Mord an einem Politiker durch einen Rechtsextremen seit Jahrzehnten. Ein Prozess mit gleich drei Geständnissen des Angeklagten. Mit einer völlig unklaren Rolle des Mitangeklagten Markus H. Einer Opfer-Familie, die die Glaubwürdigkeit des Täters verteidigt. Und nun auch noch mit einem denkwürdigen Plädoyer.

Die Verteidiger Mustafa Kaplan und Jörg Hardies halten es am Donnerstag für den Hauptangeklagten Stephan E. Und statt Mordes an Walter Lübcke fordern sie nur eine Verurteilung wegen Totschlags - ohne besondere Schwere der Schuld, ohne Sicherungsverwahrung. Eine kühne Forderung. Die Frage der Haftjahre lässt Kaplan offen. Er plädiert für ein "verhältnismäßiges, aber auch annehmbares Urteil".

Dass Stephan E. an der Tötung von Walter Lübcke beteiligt war, ist unstrittig. Von ihm fand sich DNA am Hemd des Opfers und an der Tatwaffe. Der Rechtsextremist gestand auch, Walter Lübcke am 1. Juni 2019 auf dessen Terrasse in Istha bei Kassel erschossen zu haben - aus aufgestautem Hass über dessen Kritik an Geflüchteten-Gegner auf einer Bürgerversammlung in Kassel 2015.

Später aber widerrief Stephan E. sein Geständnis und beschuldigte den Mitangeklagten Markus H. als Schützen. Im Prozess dann Version drei: Er habe doch selbst geschossen, aber Markus H. sei mit am Tatort gewesen und habe ihn zuvor aufgestachelt.

"Schmierentheater, der schlechtesten Sorte"

Auch Verteidiger Kaplan spricht von einem "ungewöhnlichen Verfahren". Die Schuld von Stephan E. stellt er nicht in Frage. Ja, dieser habe geschossen. Das "Geständniswirrwarr" schiebt Kaplan auf E.s frühere Verteidiger, allen voran den Dresdner Frank Hannig. Der habe das zweite Geständnis schlicht erfunden, "ein Schmierentheater der schlechtesten Sorte". Auch die Bundesanwaltschaft trage Verantwortung, da sie den Anwälten JVA-Besuche erlaubte, ohne dass Stephan E. dies erbeten hatte.

Kaplan betont aber: Auch Markus H., ein früherer Kumpel von Stephan E. und ebenso Neonazi, sei mitverantwortlich für die Tat. Markus H. habe Stephan E. 2015 mit zu Lübckes Bürgerversammlung genommen. Er habe das Video mit einer verkürzten Aussage Lübckes online gestellt, das danach rechte Hass-Postings auslöste. Er habe Stephan E. mit zu Schießtrainings genommen und sei bei Ausspähungen in Istha dabei gewesen.

Und Markus H. sei auch mit auf der Terrasse von Walter Lübcke gewesen, so wie Stephan E. aussagte. H. sei vorne gekommen, Stephan E. von der Seite, die Männer hätten Lübcke bedroht, dann fiel der Schuss. Nur in dieser Konstellation seien die Schmauchspuren am Tatort zu erklären, sagt Kaplan. "Wir Verteidiger haben keinen Zweifel, dass Stephan E. die volle Wahrheit erzählt hat."

Anwalt verneint niedere Beweggründe

Für Kaplan ist die Tat dennoch kein Mord. So fehle es am rechtlich nötigen Merkmal der Heimtücke. Zwar sei Lübcke wehrlos gewesen. Arglos überrumpelt aber wurde er nicht, weil er die Männer kommen sah. Und es fehle an niederen Beweggründen, da Stephan E. fälschlich davon ausging, im Sinne einer - asylfeindlichen - Allgemeinheit gehandelt zu haben. Dieser Glaube rühre daher, dass er sich zuvor in einer rein "rechtspopulistischen und rechtsextremen Blase" bewegt habe.

Und sollte das Gericht doch von einem Mord ausgehen, komme zumindest eine besondere Schwere der Schuld nicht in Betracht, erklärt Kaplan. Weil die Tat, mit nur einem Schuss, nicht brutaler war als andere Morde.

Es sind gewagte Thesen. Die Bundesanwaltschaft jedenfalls hat keinen Zweifel, dass es ein Mord war: Die Tat sei lange geplant gewesen und habe mit dem Hass auf einen politischen Gegner ein niederes Motiv. Auch gehen die Ankläger davon aus, dass Stephan E.s erstes Geständnis stimmt und er sich allein auf die Terrasse schlich - also heimtückisch handelte. Ihre Forderung: lebenslange Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung.

Auch die Familie Lübcke zweifelt nicht, dass es ein Mord war. Sie aber glaubt, dass tatsächlich beide Angeklagten am Tatort waren - und fordert für beide die Höchststrafe.

"Alles getan, was er tun konnte"

Die will Verteidiger Kaplan gerade nicht. Er verweist darauf, dass Stephan E. die Tat bereue und die Familie um Verzeihung bat. Dass E. umfassend aussagte und so eine Anklage gegen Markus H. erst ermöglichte. Dass er sogar seine Verteidiger partiell von der Schweigepflicht entband. Dass er mit Hilfe eines Aussteigerprogramms den Rechtsextremismus hinter sich lassen wolle. "Wann hat es jemals etwas Vergleichbares in einem Staatsschutzverfahren gegeben?", fragt Kaplan. "Alles was Herr E. hätte machen können, hat er gemacht. Mehr geht nicht."

Kaplan bittet deshalb eindringlich um einen Strafrabatt für Stephan E. Überschwänglich lobt er dabei Richter Thomas Sagebiel: "Sie sind ein wunderbarer Vorsitzender." Und er erinnert Sagebiel daran, wie dieser zu Prozessbeginn an die Angeklagten appellierte, eine Aussage sei "Ihre beste Chance, vielleicht Ihre einzige Chance". Dies müsse Sagebiel nun einlösen, so Kaplan. "Es braucht auch für andere ein Signal, dass es sich am Ende lohnt, auszusagen."

Auch bei der Familie Lübcke, die im Saal sitzt, bedankt sich der Verteidiger. Für deren "exzellentes" Plädoyer, in dem sie sich für die Glaubwürdigkeit von Stephan E. aussprach und 30 Indizien für die Mittäterschaft von Markus H. aufführte. Und dafür, dass die Familie ihn und Hardies im September 2020 zu sich auf die Terrasse ließen, um den Tatort anzuschauen. "Das war nicht selbstverständlich." Kaplan wendet sich zur Witwe: "Das zeigt, dass die Werte Ihres Mannes weiterleben"“ Am Ende verspricht er der Familie, dass Stephan E. auch nach dem Prozess ihre Fragen zur Tat beantworten werde. "Das gilt unbefristet und unwiderruflich."

Die Verteidiger von Markus H., zwei Szene-Anwälte, kritisieren darauf in einer Erklärung das "herzliche Einvernehmen" des Täters mit den Opfern. Gemeinsam werde versucht, Markus H. an den Tatort zu dichten. Dies aber werde man im eigenen Plädoyer am Dienstag "widerlegen". Markus H. selbst schweigt zu den Vorwürfen.

Welche Rolle Markus H. bei der Tat wirklich inne hatte, ist bis heute unklar. Schon im Oktober entließ ihn das Gericht aus der U-Haft, weil es die Aussagen von Stephan E. anzweifelte. Die Bundesanwaltschaft sieht nur die Beihilfe belegt und fordert neun Jahre und acht Monate Haft für ihn.

Freispruch für Messer-Angriff?

Stephan E. ist indes noch für eine zweite Tat angeklagt: für einen Messer-Angriff auf den Iraker Ahmed I. in Kassel, bereits am 6. Januar 2016. Hinterrücks soll er den Geflüchteten nahe dessen Unterkunft niedergestochen haben. Stephan E. bestreitet die Tat. Und die Verteidiger halten die Beweise für nicht belastbar. Die DNA an einem bei Stephan E. gefundenen Messer, die der von Ahmed I. ähnelt, könne auch von jemand anderes kommen. Und dass E. berichtete, er habe just am 6. Januar 2016 einen Migranten bedroht, meine einen anderen Vorgang.

Die Verteidiger werfen der Bundesanwaltschaft vor, hier eine Verurteilung auf Biegen und Brechen erzwingen zu wollen, um eine Sicherungsverwahrung zu ermöglichen. Kaplan fordert dagegen einen Freispruch. Damit sei auch keine Sicherungsverwahrung mehr möglich, da diese nur bei mehreren schweren Straftaten verhängt werden kann.

Ob es so kommt, wird nun das Gericht entscheiden. Am kommenden Donnerstag soll das Urteil fallen.

Bildunterschrift: Der Anwalt Mustafa Kaplan und Stephan Ernst stehen am 12. Januar 2021 im Gerichtssaal in Frankfurt.

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RedaktionsNetzwerk Deutschland, 21.01.2021:

Lübcke-Prozess: "Die Tötung war für Herrn Ernst ein politisches Ziel"

21.01.2021 - 15.55 Uhr

Die Verteidiger des Hauptangeklagten Stephan Ernst plädieren im Prozess um die Tötung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke auf Totschlag statt Mord.

Für den zweiten Vorwurf, den versuchten Mord an einem irakischen Flüchtling, gebe es nicht genügend Beweise.

Anwalt Mustafa Kaplan fordert ein verhältnismäßiges Urteil - und attackiert die Bundesanwaltschaft.

Thorsten Fuchs

Frankfurt / Main. Der Prozess um den Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke leidet unter einem zentralen Problem: der zweifelhaften Glaubwürdigkeit des Hauptangeklagten Stephan Ernst: Erst habe er selbst geschossen, dann der Mitangeklagte Markus H., dann wieder er selbst.

Dass der sich in seinen Geständnissen wieder widersprach und zum Teil offenkundig log, dafür präsentiert sein Verteidiger Mustafa Kaplan an diesem Tag eine durchaus überraschende Erklärung: Die Bundesanwaltschaft habe mit ihren Besuchserlaubnissen für rechte Szene-Anwälte, die Ernst in der Untersuchungshaft zu Falschaussagen überredet hätten, die Widersprüche mittelbar mit provoziert.

"An dem Geständniswirrwarr hat die Bundesanwaltschaft einen sehr großen Anteil", erklärt Kaplan an diesem Donnerstag vor dem Oberlandesgericht Frankfurt.

Ist das nun einfach eine Provokation? Oder die Lust an der Konfrontation des Anwalts Kaplan, eines Freundes der großen Bühne?

Wehrlos, aber nicht arglos?

In seinem Plädoyer wartet Kaplan mit noch weiteren überraschenden bis kühnen Thesen auf. So will er die Tötung Lübckes nicht als Mord, sondern lediglich als Totschlag gewertet wissen, da nicht alle Mordmerkmale erfüllt seien. So sei Lübcke, der an jenem Abend allein auf seiner Terrasse saß, zwar wehrlos gewesen, nicht aber arglos: Er habe Ernst und H. schließlich ab einem bestimmten Zeitpunkt sehen und wissen können, dass es sich um einen lebensbedrohlichen Angriff handelte.

Auch habe Stephan Ernst keine "niederen Beweggründe" gehabt: Da er bei der Arbeit und im persönlichen Umfeld stets von rechtspopulistischen bis rechtsextremen Ansichten umgeben gewesen war, habe er geglaubt, in einem allgemeinen Interesse zu handeln. "So abstoßend es klingt: Für Herrn Ernst war es damals normal, gegen Ausländer zu hetzen", sagt Kaplan. "Die Tötung Walter Lübckes war für ihn ein politisches Ziel."

Den zweiten Vorwurf, die Messerattacke auf einen Iraker im Januar 2016, die ihm die Bundesanwaltschaft ebenfalls vorwirft, weist sein zweiter Anwalt Jörg Hardies gleich ganz zurück. Das zentrale Indiz ist für die Bundesanwaltschaft hier eine DNA-Spur an einem Messer, das die Ermittler in Ernsts Keller gefunden hatten. Ein Sachverständiger hatte es als wahrscheinlich bezeichnet, dass die Spur von dem Opfer stammt. Tatsächlich sei dies aber keinesfalls bewiesen, betont Hardies. Am Ende fehlten die Beweise.

"Nicht wenige werden ihn als Verräter sehen"

Kaplan verzichtet auf eine konkrete Strafforderung. Das Gericht möge "ein zeitiges Urteil fällen, das verhältnismäßig, aber auch annehmbar ist". Dabei müsse es Ernsts umfangreiche Aussagen schon zu einem frühen Zeitpunkt berücksichtigen: Die Anklage fuße maßgeblich auf Ernsts erstem Geständnis. Zudem habe er auch seine eigene Geschichte in der rechtsextremen Szene umfassend dargelegt und sich gefährdet: "Nicht wenige werden ihn als einen Verräter ansehen."

Sollte Ernst allerdings doch wegen Mordes verurteilt werden, solle das Gericht auf die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld verzichten, die es unwahrscheinlich machen würde, dass Ernst nach 15 Jahren freikommt: Es gebe keine besonderen Umstände wie eine besondere Brutalität, die dies rechtfertige.

Kaplan geht es vor allem auch darum, die Sicherheitsverwahrung abzuwehren, die die Bundesanwaltschaft in ihrem Plädoyer zusätzlich zu einer Verurteilung wegen Mordes gefordert hatte. Dafür ist es entscheidend, dass Ernst nicht auch wegen des Messerangriffs verurteilt wird. Zum zweiten wollen sie die These von der Alleintäterschaft ihres Mandanten erschüttern: Sie sehen Markus H., einen Rechtsextremisten, der mit Ernst das Schießen trainiert hatte und zu rechtsextremen Demonstrationen gefahren war, als Mittäter, der in jener Nacht beim Mord an Walter Lübcke dabei war.

Einig sind sie sich darin ausgerechnet mit der Familie Walter Lübckes, die ebenfalls H. als Mittäter sieht. Das Gericht wiederum hatte mit der Entlassung H.s aus der Untersuchungshaft bereits deutlich gemacht, dass es Ernst an dem Punkt nicht glaubt - und zugleich angedeutet, dass es im Gegensatz zur Bundesanwaltschaft eine Verurteilung wegen der Messerattacke für unwahrscheinlich hält.

Lob für den Richter

Am Ende des rund vierstündigen Plädoyers neigt der Anwalt Mustafa Kaplan dann noch mal zum Pathos. "Sie haben die Gabe, durch Ihre Verhandlungsführung auch hochkomplexen Strafverfahren ein menschliches Antlitz zu geben", sagt er an die Adresse des Vorsitzenden Richters Thomas Sagebiel. "Sie sind ein wunderbarer Vorsitzender." Der Familie Lübcke verspricht er, dass sein Mandant auch weiterhin Fragen beantworten werde: "Die Zusage des Herrn Ernst gilt für den Rest seines Lebens."

An die Adresse der Bundesanwaltschaft richtet er kein einziges Wort.

Für Dienstag sind die Plädoyers der Anwälte von Markus H. geplant. Am Donnerstag will der 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt dann nach rund einem halben Jahr und mehr als 40 Verhandlungstagen sein Urteil im Prozess um den Mord an Walter Lübcke fällen.

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hessenschau.de,21.01.2021:

Lübcke-Prozess / Stephan Ernsts Verteidiger plädieren auf Totschlag

21.01.2021 - 13.03 Uhr

In der Verhandlung zum tödlichen Anschlag auf den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke plädiert die Verteidigung des Hauptangeklagten auf Totschlag. Mordmerkmale lägen nicht vor.

Von Danijel Majić

Im Prozess um die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) beantragt die Verteidigung des Hauptangeklagten Stephan Ernst eine Verurteilung wegen Totschlags. Ernsts Verteidiger Mustafa Kaplan erklärte am Donnerstag, dass bei dem Anschlag die von Bundesanwaltschaft und Nebenklage angenommenen Mordmerkmale der Heimtücke und der niederen Beweggründe nicht vorgelegen hätten. Des Weiteren drängt die Verteidigung auf einen Freispruch bezüglich des Vorwurfs des versuchten Mordes an dem irakischen Flüchtling Ahmed I.

Lübcke soll nicht arglos gewesen sein

Rechtsanwalt Kaplan betonte in seinem Plädoyer, aus Sicht der Verteidigung sei erwiesen, dass Ernst die Tat im Juni 2019 gemeinschaftlich mit dem Mitangeklagten Markus H. ausgeführt habe. Im Gegensatz zu diesem habe Ernst sich jedoch vollumfänglich eingelassen und Reue gezeigt. Seine abweichenden Aussagen im Laufe des Ermittlungsverfahrens seien auf den Einfluss seiner ehemaligen Verteidiger Dirk Waldschmidt und Frank Hannig zurückzuführen.

Kaplan argumentierte, dass die von Ernst eingeräumte Tat nicht als heimtückisch im Sinne des Strafgesetzbuches zu werten sei. Zwar habe Lübcke keine effektive Möglichkeit der Gegenwehr gehabt, diese Wehrlosigkeit habe jedoch nicht auf seiner Arglosigkeit beruht, wie vom Gesetzgeber gefordert. Lübcke sei zum Tatzeitpunkt bereits mit beiden Tätern und ihrer Absicht konfrontiert und somit nicht mehr arglos gewesen.

Auch niedere Beweggründe hätten nicht vorgelegen. Ernst habe sich in den Jahren vor der Tat in einer "rechtspopulistischen Blase" bewegt, die ihn in seiner Wahrnehmung bestärkt habe. "Herr Ernst ging daher irrigerweise davon aus, im Allgemeininteresse zu handeln", so Kaplan. Lübcke sei dabei für ihn "kein namenloser Repräsentant des Staates" gewesen, sondern ein konkret Verantwortlicher für eine aus seiner Sicht verfehlte Flüchtlingspolitik.

Kein Beleg für Angriff auf Geflüchteten

Im Tatkomplex um den Messerangriff auf den irakischen Geflüchteten Ahmed I. im Januar 2016 plädiert die Verteidigung auf Freispruch. Weder die Aussagen des Opfers noch ein Sachgutachten über DNA-Spuren an einem bei Ernst gefundenen Messer hätten eine Täterschaft Ernsts belegen können. Der Bundesanwaltschaft und dem Anwalt der Nebenklage unterstellte Ernsts zweiter Verteidiger Jörg Hardies, sich ein "bestimmtes Ergebnis" zu wünschen und entlastende Indizien gegen seinen Mandanten zu ignorieren.

Abschließend forderte die Verteidigung, Ernst wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe zu verurteilen, die "verhältnismäßig und annehmbar" sei. Für den Fall, dass der Senat die Tat doch als Mord werte, solle das Gericht von der Feststellung der besonderen Schwere der Schuld Abstand nehmen. Die Tat weise "kein Abweichen" von ähnlich gelagerten Mordfällen ab. Da Ernst zudem vom Vorwurf des Mordversuchs an Ahmed I. freizusprechen sei, lägen auch die Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht vor.

Die Bundesanwaltschaft fordert im Lübcke-Prozess für den Hauptangeklagten eine lebenslange Freiheitsstrafe und anschließende Sicherungsverwahrung. Auch der Mitangeklagte Markus H. soll nach dem Willen der Ankläger lange in Haft. Für kommenden Dienstag wird das Plädoyer der Verteidigung von Markus H. erwartet. Das Oberlandesgericht will sein Urteil am Donnerstag, 28. Januar, verkünden.

Bildunterschrift: Stephan Ernst (Mitte) mit seinen Verteidigern Mustafa Kaplan (links) und Jörg Hardies (rechts).

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MiGAZIN, 21.01.2021:

Hanau / Shisha-Bar-Notausgang war versperrt - offenbar auf Anordnung der Polizei

21.01.2021 - 00.02 Uhr

Als der Hanau-Täter in der Shisha-Bar in Hanau wahllos Menschen erschoss, konnten die Gäste nicht fliehen. Jetzt wurde bekannt, dass der Notausgang versperrt war - offenbar auf Anordnung der Sicherheitsbehörden, damit Gäste bei Polizeikontrollen nicht fliehen. SPD fordert Aufklärung.

Die hessische SPD-Chefin Nancy Faeser fordert Aufklärung über Berichte, wonach bei dem rassistischen Anschlag in Hanau vor knapp einem Jahr der Notausgang in einer Shisha-Bar verschlossen gewesen sein soll. Brisant dabei ist, dass die Sperrung auf Anordnung der Polizei erfolgt sein soll, damit Gäste bei Polizeikontrollen keinen Fluchtweg haben.

An diesem Tatort hatte der rechtsextremistische Attentäter im Februar 2020 zwei seiner insgesamt neun Opfer mit Migrationshintergrund erschossen. Angehörige der Opfer haben mit Hinweis auf den verschlossenen Notausgang Anzeige wegen fahrlässiger Tötung erstattet, weil sich die Gäste der Shisha-Bar deshalb nicht vor dem Todesschützen in Sicherheit bringen konnten.

Notausgang auf Anordnung der Polizei verschlossen?

"Ich erwarte, dass die Ermittlungsbehörden rückhaltlos aufklären, ob der Notausgang tatsächlich verschlossen war und wer dafür die Verantwortung trägt", sagte Faeser am Mittwoch in Wiesbaden. Die Strafanzeigen der Hinterbliebenen legten nahe, dass die örtliche Polizei verfügt habe, die Notausgangstür abzuschließen, fügte die Landes- und Fraktionsvorsitzende der SPD hinzu.

In Medienberichten wurden Stammgäste der Bar mit der Aussage zitiert, die Tür sei auf Geheiß der Polizei verriegelt gewesen, um zu verhindern, dass sich Gäste bei Polizeikontrollen unbemerkt entfernen. Das zuständige Polizeipräsidium Südosthessen hat eine solche Anordnung aber dementiert.

Faeser: Innen- und Justizminister in der Pflicht

Faeser sieht den hessischen Innenminister Peter Beuth und Justizministerin Eva Kühne-Hörmann (beide CDU) in der Pflicht, dafür zu sorgen, dass Polizei und Staatsanwaltschaft die neuen Vorwürfe mit der erforderlichen Dringlichkeit klärten. Nancy Faeser weiter: "Interessant wäre auch zu erfahren, wieso das wichtige Detail des mutmaßlich verschlossenen Notausgangs erst durch die Strafanzeigen der Angehörigen zum Thema wurde und nicht schon vorher Gegenstand der Ermittlungen war."

Der Anschlag von Hanau habe die betroffenen Familien schwer traumatisiert. "Umso wichtiger ist es, Klarheit für die Hinterbliebenen über die genauen Umstände der schrecklichen Tat zu schaffen", sagte Faeser weiter. (epd/mig)

Bildunterschrift: Anschlag auf eine Shisha-Bar in Hanau.

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Neues Deutschland Online, 21.01.2021:

Prozessbeginn: Nazi-Devotionalien, Kriegswaffen und Sprengstoff im Garten

21.01.2021 - 16.31 Uhr

Von Daniel Lücking

Das Landgericht Leipzig befasst sich ab Freitag mit dem Fall eines offenbar rechtsradikalen Soldaten der Eliteeinheit Kommando Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr. Der 45-jährige Oberstabsfeldwebel wurde mittlerweile entlassen. Ein Waffenfund löste im Mai 2020 die KSK-Affäre aus, die das Verteidigungsministerium seither öffentlich aufarbeiten muss.

Rückblick: Am 13. Mai 2020 gibt die Generalstaatsanwaltschaft in Dresden bekannt, dass auf einem Privatgrundstück des damaligen Bundeswehrsoldaten Philipp S. in Collm (Landkreis Nordsachsen) Waffen, Munition und Sprengstoff gefunden wurden. Das Depot hat es in sich. Eine Kalaschnikow polnischer Fabrikation, mehrere Tausend Schuss Munition und insgesamt zwei Kilogramm PETN-Plastiksprengstoff. Auch im Wohnhaus werden die Ermittler fündig: Nebel- und Übungsgranaten, Teile einer abgefeuerten Panzerfaust, ein Schalldämpfer sowie Messer und ein Teleskopschlagstock. Rückschlüsse auf die politische Gesinnung des Elitesoldaten untermauern die Funde im Haus, zu denen laut MDR ein SS-Liederbuch, eine Zeitschrift für ehemalige Angehörige der Waffen-SS sowie weitere rechtsextreme Schriften gehörten. In Chat-Nachrichten verwendete der 45-Jährige wohl immer wieder auch SS-Runen. Die Adressaten: KSK-Kameraden. In den darauffolgenden Monaten werden weitere Details der Ermittlungen gegen den Oberstabsfeldwebel bekannt. So gab es Kontakte, die nach Mecklenburg-Vorpommern und zu der dort auffällig gewordenen Prepper-Gruppe "Nordkreuz" führen. Philipp S. hatte mindestens Kontakt zu zwei Polizisten und dem Betreiber eines Schießstands. Dieser sorgte zuletzt für Aufsehen, als bekannt wurde, dass der ehemalige Innenminister vom Mecklenburg-Vorpommern Lorenz Caffier (CDU) dort eine Schusswaffe gekauft hatte, als längst gegen die "Nordkreuz-Gruppe" und das "Uniter-Netzwerk" ermittelt wurde.

Über die mutmaßlich rechtsradikale Gesinnung von Philipp S., die im Prozess wohl nur eine nachgeordnete Rolle spielen soll, war die Bundeswehr schon seit 2017 im Bilde. Damals wurde bei einer Verabschiedungsfeier für den KSK-Kompaniechef Pascal D. nicht nur reichlich rechtsradikale Musik gespielt, sondern auch der Hitlergruß gezeigt und - wohl um sich der eigenen Härte zu versichern - ein martialisches Schweinekopfwerfen veranstaltet. Für die durch eine Zeugin öffentlich gemachten Verfehlungen akzeptierte Oberstleutnant Pascal D. einen Strafbefehl, angeblich, um die schutzbedürftigen Identitäten der KSK-Kameraden nicht offenlegen zu müssen.

Nach dem Zugriff in Collm gab es offensichtlich Handlungsdruck bei der Bundeswehr. Erst wenige Tage zuvor hatte der Militärische Abschirmdienst BAMAD seinen ersten Jahresbericht veröffentlicht. Das Amt stufte demnach nur acht Bundeswehrangehörige als Rechtsextremisten ein und fand lediglich zwei Reichsbürger. Eine eklatante Falschbeurteilung der Lage, denn kaum zwei Monate nach dem Jahresbericht steht im Raum, die rund 1.400 Soldatinnen, Soldaten umfassende KSK-Truppe möglicherweise komplett aufzulösen. Das Verteidigungsministerium startete eine Öffentlichkeitsoffensive und löste die als nicht reformierbar eingeschätzte 2. Kompanie komplett auf. Mittlereile rückte das Ministerium aber von der Auflösung des gesamten KSK wieder ab.

Rund um den in Leipzig angeklagten Philipp S. versiegen die Erkenntnisse derzeit nicht. Der Rechercheverbund von NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung" berichtete in der vergangenen Woche von einem Ex-KSK-Soldaten, der in Kontakt mit Philipp S. stand. Der 2012 regulär aus dem Dienst ausgeschiedene KSK-Soldat hatte seither eine Ranch in Namibia betrieben. Laut den Recherchen sorgte diese Verbindung gleich mehrfach für Handlungsbedarf im Verteidigungsministerium, denn der Ex-Soldat hatte sich zwischenzeitlich für einen Wiedereinstieg in die KSK-Truppe beworben. Dieser sei ihm 2019 auch zugesagt worden, zum Dienstantritt kam es jedoch nicht mehr: Einstellung verweigert.

Als reiche das nicht aus, scheint die Ranch des Ex-Soldaten, der in Namibia Safaris anbietet, in den vergangenen Jahren teils auch dienstlich vom KSK für Trainings genutzt worden zu sein. Wie eng diese Verbindungen waren und ob eventuell eine rechtswidrige Vergabepraxis von Aufträgen durch die zuständige Bundeswehrverwaltung stattfand, beschäftigt die Ermittler weiterhin. Philipp S. war nach den Funden zunächst in Untersuchungshaft, da die Staatsanwaltschaft von Flucht- und Verdunkelungsgefahr ausging. Nach der Anklage wegen Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz sowie das Sprengstoffgesetz wurde der Haftbefehl gegen S. im Dezember 2020 gegen eine Sicherheitsleistung von 15.000 Euro und bei verhängten Meldeauflagen wieder außer Kraft gesetzt.

Die engen privaten Verhältnisse von aktiven und ehemaligen KSK-Soldaten sowie Polizisten bis hin zu Soldaten und Beamten aus dem BAMAD stellen die Sicherheitsbehörden vor eine große Herausforderung. So kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Beschuldigten und ihre Kontaktpersonen auch Kontakte in die ermittelnden Sicherheitsbehörden unterhalten. Dass über diese Verbindungen Ermittlungsdetails und Warnungen weitergeleitet werden, konnte bislang nicht belegt werden. Ein erfolgloses Verfahren richtete sich gegen einen Beamten des BAMAD, der den Kopf des Uniter-Netzwerkes und Ex-KSK-Soldaten André S., Deckname Hannibal, vor einer Kasernen-Durchsuchung gewarnt haben soll.



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Neue Westfälische, 21.01.2021:

NRW-Behörden beobachten 227 Gefährder

Lukas Brekenkamp

Bielefeld. Die Behörden in Nordrhein-Westfalen haben insgesamt fast 230 Gefährder im Blick. Die meisten Personen weisen eine religiöse Ideologie auf. Als Gefährder werden Personen eingestuft, von denen ein erhöhtes Sicherheitsrisiko ausgeht.

Exakt 227 Gefährder sind den Behörden mit Stand 31. Dezember 2020 bekannt, teilte das NRW-Innenministerium auf Anfrage mit. Davon werden 201 Personen in den Bereich "Religiöse Ideologie" eingestuft und betreffen den islamistischen Terrorismus. Allerdings: Die meisten Personen sind nicht als "aktionsfähig" registriert. Das bedeutet, dass eine Vielzahl dieser Personen sich entweder in Haft befindet, im Ausland aufhält oder sogar mutmaßlich im Kriegsgebiet getötet wurde. Die Zahl der "aktionsfähigen" Islamisten wird auf eine "hohe zweistellige" Zahl beziffert, heißt es vom Innenministerium.

Auch andere Phänomenbereichen haben die Behörden im Blick. So werden 19 Personen als rechtsextreme Gefährder eingestuft. Im Phänomenbereich "Ausländische Ideologie" stehen sieben Gefährder im Fokus. Derweil stufen die Behörden keinen Linksextremisten als Gefährder ein.

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t-online.de, 21.01.2021:

AfD klagt gegen Neubrandenburg wegen Streits um Räume

21.01.2021 - 14.13 Uhr

Zwischen dem Landesverband der Alternative für Deutschland (AfD) und der Stadt Neubrandenburg gibt es einen Rechtsstreit. Wie ein Sprecher des Verwaltungsgerichtes Greifswald am Donnerstag erklärte, geht es darum, ob die AfD ihren Landesparteitag Anfang Februar in stadteigenen Räumen abhalten darf oder nicht. Die AfD habe ein "einstweiliges Rechtsschutzverfahren" gegen Neubrandenburgs Oberbürgermeister Silvio Witt (parteilos) eingeleitet. Dieser müsse nun erst Stellung nehmen.

Hintergrund ist die Weigerung der Veranstaltungszentrum Neubrandenburg (VZN) GmbH - Tochterfirma der Stadt - das Jahn-Sportforum für den Landesparteitag am 6. und 7. Februar zu vermieten. Auf dem Parteitag, wo mit 350 Teilnehmern gerechnet wird, sollten Listen zur Bundes- und Landtagswahl 2021 aufgestellt werden. Das VZN hatte die Absage damit begründet, dass wegen der Corona-Einschränkungen maximal Veranstaltungen mit bis zu 100 Teilnehmern bei entsprechenden Abstandsregeln erlaubt wären.

Zudem sei der Lockdown auch gerade wieder verlängert worden, wie eine Stadtsprecherin erklärte. Außerdem habe die AfD nicht darlegen können, warum ihr Landesparteitag wirklich "unaufschiebbar" wäre. Von der AfD hieß es, die Kandidaten müssten jetzt bestimmt werden, sonst könnten Fristen zur Einreichung der Wahlvorschläge für die Bundes- und Landtagswahlen nicht eingehalten werden. Derzeit gebe es keine andere große Halle, in der das in MV möglich wäre.

Der Landesparteitag war schon im November 2020 geplant und damals wegen der Corona-Einschränkungen wieder abgesagt worden. Wann eine Entscheidung fällt, sei noch unklar, sagte der Gerichtssprecher.

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Stuttgarter Nachrichten Online, 21.01.2021:

Plakat-Protest im Plenum / AfD demonstriert gegen Lockdown

21.01.2021 - 10.51 Uhr

Unruhen im baden-württembergischen Landtag: AfD-Abgeordnete heben Plakate mit der Aufschrift "Grundrechte sind nicht verhandelbar!" hoch, zudem tragen sie keinen Mund- und Nasen-Schutz.

Stuttgart. Die AfD-Abgeordneten im baden-württembergischen Landtag haben mit einer Protestaktion zu Beginn der Corona-Sondersitzung für Unruhe gesorgt. Die Parlamentarier hielten am Donnerstag großflächige, weiße Plakate hoch mit der Aufschrift: "Grundrechte sind nicht verhandelbar!". Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne) forderte die Abgeordneten mehrfach auf, die Plakate herunterzunehmen. Sie erteilte einen Ordnungsruf an einen Abgeordneten. Fast alle AfD-Abgeordneten weigerten sich zudem am Donnerstag, im Plenum eine Maske zu tragen.

Der Landtag kam am Donnerstag zu einer erneuten Sondersitzung zusammen, um die Verlängerung des Lockdowns zu debattieren.

Bildunterschrift: Landtagspräsidentin Muhterem Aras forderte die Abgeordneten mehrfach auf, die Plakate herunterzunehmen (Archivbild).

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