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Westfalen-Blatt / Westfälisches Volksblatt , 16.10.2018 :

Anzeige gegen Intendantin verpufft

Paderborn (dk). In der Affäre um die Ankündigung des Stücks "Andorra" von Max Frisch ist die erste Anzeige gegen die Paderborner Theaterleiterin Katharina Kreuzhage ins Leere gelaufen. Die Strafanzeige des ehemaligen Landtagsabgeordneten der Grünen, Peter Eichenseher aus Bad Driburg, werde nicht weiterverfolgt, weil es sich bei ihm nicht um einen Betroffenen handele, sagte der Paderborner Oberstaatsanwalt Christoph Zielke gestern dieser Zeitung. Eichenseher sei kein AfD-Mitglied und lediglich in der Eigenschaft als besorgter Bürger nicht antragsberechtigt.

Wie berichtet hatte das Paderborner Theater das Stück, das am 1. September die neue Saison eröffnete, im Programmheft auch mit einer Grafik angekündigt, in der die Wahlerfolge der NSDAP in den Jahren 1928 bis 1932 beziehungsweise der AfD zwischen 2013 und 2017 dargestellt sind und durch Hinweise auf die sechs Millionen Holocaust-Opfer und die 681 antisemitischen Straftaten im ersten Halbjahr 2017 in Deutschland ergänzt werden. Der AfD-Kreisverband stellte am 6. August Strafanzeige gegen die Theaterleitung wegen Verleumdung und Volksverhetzung. Ob der Anfangsverdacht der Verleumdung vorliege, werde noch geprüft, sagte Zielke gestern. Eichenseher erstellte später als Privatmann Anzeige.

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Neue Westfälische - Paderborn Kreiszeitung, 03.09.2018:

Leserbriefe / Versuch der Ausgrenzung

Betr.: Berichterstattung über die Anzeige der AfD gegen die Intendantin des Theaters Paderborn. Der Verfasser des Offenen Briefes an die Intendantin war von 1995 bis 2005 Landtagsabgeordneter der Grünen, die er Anfang 2016 unter anderem wegen der Position der Grünen zu den Euro-Rettungspaketen für Griechenland und der Flüchtlingsfrage verließ.

Sehr geehrte Frau Kreuzhage, aus der Presse habe ich von der Strafanzeige der AfD erfahren und habe mir daraufhin die Saisonbroschüre des Theaters Paderborn angesehen. Ihre perfekt gestaltete Grafik auf Seite 13 ist mit der nonverbalen Gleichsetzung der AfD mit der NSDAP ein politischer Fehlgriff erster Güte. Eine politisch erfahrene Intendantin sollte den Mumm haben, diesen Fehlgriff durch ein klärendes Gespräch oder eine angemessene Entschuldigung aus der Welt zu schaffen.

Ihre Rechtfertigung, mit der Sie sich hinter der grundgesetzlich garantierten Kunstfreiheit verschanzen, hat mich veranlasst, selbst eine Strafanzeige gegen Sie als Urheberin der Grafik einzureichen. Meine Strafanzeige richtet sich nicht gegen die Inszenierung des Stückes Andorra oder gegen Ihre künstlerischen Auffassungen als Intendantin. Ich schätze den Autor Max Frisch seit Jahrzehnten. Sein Stück Andorra war für mich immer ein Stück gegen den Opportunismus, gegen das Schweigen und Verschweigen - und gegen die Ausgrenzung.

Als parteiloser, langjähriger Beobachter der politischen Szene mache ich mir Sorgen über den Stil der politischen Auseinandersetzung. War ich vor Monaten lediglich besorgt, so bin ich nach Kenntnisnahme Ihrer Programm-Broschüre entsetzt. Entsetzt über Ihren Versuch der Ausgrenzung, mit dem Sie Ihren politischen Zielen eher schaden als nutzen.

Für ein Gespräch sollte es dennoch nie zu spät sein. Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche Premiere.

Peter Eichenseher
33014 Bad Driburg

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Neue Westfälische - Paderborn Kreiszeitung, 03.09.2018:

Das Stück der Stunde

Würdiger Auftakt: Mit "Andorra" eröffnet das Theater Paderborn die neue Spielzeit / Das Publikum ist begeistert - vor allem von Tim Tölke

Von Holger Kosbab

Paderborn. Ordentlich soll es sein: Andorra. Mit weißen Platten ist es ausgelegt und komplett verkleidet. Platten aus Styropor, die, so rein sie auch sein mögen, ein fragiles Fundament bilden, das schnell zerbrechen kann. Das totale Weiß ist lediglich durchquert von einem Holzbalken an der Hinterwand. Ein Balken, der Andorras Richtung vorgibt, von der Mitte hoch nach rechts. Denn ein Gewitter liegt in der Luft in jenem fiktiven Andorra, das nur äußerlich sauber ist und innerlich zutiefst durchsetzt von dunklen Vorurteilen. Auf der Bühne sorgt "Andorra" für Schauer, das zeigte die gefeierte Premiere am Samstag im Theater Paderborn.

Regisseur Tim Egloff inszeniert Max Frischs 57 Jahre alte Parabel im Großen Haus stilsicher ohne plumpe Aktualisierungen. Das Stück ist eine hoch aktuelle Kritik an Antisemitismus und Rassismus, deren Mechanismen Egloff quer durch die Gesellschaftsschichten aufzeigt. Auch Selina Trauns Bühne sowie die zeit- und landesunspezifischen Kostüme stehen für die Andorras dieser Welt. Dies und ein Ensemble, das die verschiedenen Charaktere erschreckend realistisch darstellt, machen das Stück zu einer intensiven und sehr würdigen Saisoneröffnung, die betroffen macht und aufwühlt.

Herausragend ist Tim Tölke als Andri. Die Zerrissenheit seiner Figur, die zugleich jung und lebensfroh ist und seine Ziehschwester Barblin liebt, sich seiner Rolle als Jude hingibt, zum Sündenbock wird und dies am Ende mit dem Tode bezahlt, präsentiert er in allen Nuancen. Andri sucht seine Identität, seine Bestimmung - und Tölke macht dies extrem nachempfindbar. Vom begeisterten Publikum gab es dafür Zwischenapplaus.

Der als Ziehsohn eines Lehrers aufwachsende Andri ist als Jude geduldet, doch zugleich muss er mit Vorteilen leben, wird diskriminiert und schikaniert. Geldgeil sei er und feig, außer Verkaufen habe er nichts im Blut. Er hinterfragt sich: "Ich weiß nicht, wieso ich anders sein soll, als die anderen. Ich seh`s nicht."

Sein Ziehvater (Alexander Wilß) fordert einen starken Sohn. Und Andri nimmt diese Rolle mehr und mehr an. Selbst als er erfährt, dass er gar kein Jude ist, sondern das Kind des Lehrers, das aus dessen Liebe zu einer Frau aus dem antisemitischen und verfeindeten Nachbarstaat - die Schwarzen - stammt. Aus Angst, die Liaison zugeben zu müssen, heiratet er eine Andorranerin (Josephine Mayer) und gibt Andri als Juden-Kind aus, das er an der Grenze gerettet habe. Damit bestimmt er Andris Leben als Geächteter und macht sich mitschuldig an dessen Tod.

Jeder Einzelne trägt Schuld: Nur über Heimat und Andorra spricht die von Vorurteilen gegenüber Juden erfüllte frustrierte Amtsärztin ("Die Wahrheit wird man in Andorra doch noch sagendürfen - oder?"). Mona Kloos spielt diese pseudo-akademische Figur sachlich-kühl und erschreckend unemotional. Carsten Faseler gibt den intellektuell unterdurchschnittlichen, gewaltliebenden und befehlshörigen Macho-Soldaten, der zwar ausführen, aber nicht lesen kann ("Ich habe nur meinen Dienst getan") und Barblin vergewaltigt, während Andri vor ihrer Tür über ihre gemeinsame Zukunft spricht.

Jacob Keller gibt als Pater den schwachen Vertreter einer ebenfalls nicht vorurteilsfreien ("Du bist ein Prachtkerl - in deiner Art") und wegschauenden Kirche. Mit dem Wirt (Ogün Derendeli) ist ein Opportunist dabei, der auch am Bösen mitverdient. Der Tischler-Geselle (Robin Berenz) ist ein Dämlack und zu feige, um eine eigene Meinung zu vertreten. Durch und durch Antisemit ist Andris Chef (Patrick O. Beck), der sich als Teil der gesellschaftlichen Mitte in seinen Vorurteilen sicher fühlt.

Jeder dieser Mittäter tritt rückblickend einzeln vors Publikum und sagt, dass es wohl anders hätte laufen können mit Andri. Doch echte Reue fehlt. Und nachdem die Schwarzen einmarschiert sind, ist alles richtig dunkel in Andorra. Der nunmehr schwarz gekleidete Soldat hisst eine Fahne: Schwarz-Grau-Weiß, die Farben Deutschlands als Schwarz-Weiß-Bild.

In der drastischen Juden-Schau-Szene tragen alle schwarze Tücher über dem Kopf und zittern um ihr Leben. Begleitet von lauten Elektro- Beats, betritt der Juden-Schauer (Kirsten Potthoff) die Bühne: im roten sexy Outfit, mit High Heels und Schäferhund-Maske - ein scharfer Hund, der die Absurdität der Situation verdeutlich und zugleich zeigt, wie verführerisch es sein kann, Teil einer starken Gruppe zu sein.

Die gebrochene, gestrafte und mit dem Erlebten überforderte Barblin (Gesa Köhler), die zu Beginn fröhlich Andri liebt, deren Beziehung aber keine Zukunft hat, da beide Halbgeschwister sind, macht am Schluss da weiter, womit sie zu Anfang begann: sie weißelt Andorra und sich selbst.

Es sei das Stück der Stunde, hatte Theaterchefin Katharina Kreuzhage vor der Premiere gesagt. Womit sie uneingeschränkt Recht hat. Die aktuellen Ereignisse in Chemnitz zeigen, dass Andorra überall sein kann und ein Wut- und Gewaltpotenzial existiert, das nur einen Anlass zum Ausbruch sucht. Aggressive Rassisten wie stumpfe Hutbürger, frustrierte Wutbürger und eine anonyme Masse, die aus unterschiedlichsten Gründen mitmacht oder billigend am Rand steht. Vom Publikum gab es für diese eindringliche und aufrüttelnde Inszenierung stehende Ovationen und einen außergewöhnlich lauten, langen und verdienten Applaus.

Termine und Tickets

Weitere Aufführungen von "Andorra" sind am 8. und 29. September, 6., 10. (Wunschvorstellung für Schulen), 11., 19. und 26. Oktober, 4. und 25. November und 7., 13. und 20. Dezember.

Beginn ist jeweils um 19.30 Uhr.

Karten gibt es an der Theaterkasse unter Tel. (05251) 2881100 oder per E-Mail an kartenservice@theaterpaderborn.de.

Bildunterschrift: Herausragendes Bühnenspiel: Tim Tölke als Andri (Mitte), hier mit der Andorranerin Josephine Mayer und Mona Kloos als frustrierte Amtsärztin (v. l.).

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Westfalen-Blatt / Westfälisches Volksblatt, 03.09.2018:

"Fehlgriff erster Güte"

Ehemaliger Grüner Landtagsabgeordneter zeigt Intendantin an

Paderborn / Höxter (vah). Gegen Katharina Kreuzhage liegt die nächste Anzeige vor: Peter Eichenseher (64) aus Bad Driburg-Reelsen hat nach eigenen Angaben die Paderborner Theaterintendantin angezeigt. Grund ist die Grafik im Programmheft, mit der das Stück "Andorra" angekündigt wurde. Darin sind die Wahlergebnisse der AfD und der NSDAP in einen inhaltlichen Zusammenhang gestellt worden.

Auch der Paderborner AfD-Kreisverband hat schon Klage eingereicht. Doch diesmal kommt der Gegenwind für das Theater von einer unerwarteten Seite: Eichenseher hat von 1995 bis 2005 für die Grünen im Landtag gesessen. 2016 kehrte er seiner Partei den Rücken und ist ausgetreten.

Der 64-Jährige bezeichnet in einem offenen Brief an die Paderborner Theaterleitung die "nonverbalen Gleichsetzung der AfD mit der NSDAP" als einen "politischer Fehlgriff erster Güte". Eine politisch erfahrene Intendantin sollte den Mumm haben, diesen Fehlgriff durch ein klärendes Gespräch oder eine angemessene Entschuldigung aus der Welt zu schaffen. "Ihre Rechtfertigung, mit der Sie sich hinter der grundgesetzlich garantierten Kunstfreiheit verschanzen, hat mich veranlasst, selbst eine Strafanzeige gegen Sie als Urheberin der Grafik einzureichen", schreibt Eichenseher: "Meine Strafanzeige richtet sich nicht gegen die Inszenierung des Stückes Andorra oder gegen Ihre künstlerischen Auffassungen als Intendantin. ( ... ) Als parteiloser, langjähriger Beobachter der politischen Szene mache ich mir Sorgen über den Stil der politischen Auseinandersetzung."

Der ehemalige Landtagsabgeordnete schreibt, dass er entsetzt über den Versuch der Ausgrenzung sei, die den politischen Zielen eher schaden als nutzen. "Für ein Gespräch sollte es dennoch nie zu spät sein", rät er der Paderborner Theaterleitung.

Kultur

Bildunterschrift: Peter Eichenseher.

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Westfalen-Blatt, 03.09.2018:

"Andorra" und der Hass in den Städten

Paderborner Publikum sieht beeindruckende Premiere

Von Rainer Maler

Paderborn (WB). Reibungslose und gefeierte Premiere am Theater Paderborn: Intendantin Katharina Kreuzhage hat das Stück "Andorra" des Schweizer Schriftstellers Max Frisch, 1961 uraufgeführt, aus der Versenkung geholt. Im Vorfeld gab es Diskussionen.

Beworben wird das Stück im Paderborner Theaterprogrammheft mit einer Grafik, in der die Wahlergebnisse von AfD und NSDAP verglichen werden. Die AfD stellte Strafanzeige. Mit Spannung war die erste Aufführung am Samstag erwartet worden. Doch Proteste vor dem Theatergebäude blieben aus. Und auf der Bühne feierte "Andorra" eine grandiose Premiere.

Andri (Tim Tölke) wächst in der fiktiven Kleinstadt Andorra als jüdischer Ziehsohn eines Lehrers auf. Die Andorraner dulden ihn, aber er hat mit Ausgrenzung und Ressentiment zu kämpfen. Die Zuschauer erleben einen angekündigten Tod, wissen mit der ersten Szene, dass Andri tot ist. Am Ende haben die antisemitischen "Schwarzen" Andorra besetzt, den angeblichen Juden Andri ermordet.

Max Frisch schrieb Andorra in zwölf Bildern. Einzeln legen jeweils ein Andorraner, die Amtsärztin, der Tischler, der Wirt, der Pfarrer Zeugnis ab, beteuern ihre Unschuld. War er nicht selbst Schuld, der Jude mit seinem Unmaß an Unschuld? Der Zuschauer erlebt feige Spießbürger. Der Soldat (Carsten Faseler), der Andri verprügelt und großmäulig tönt, ein Andorraner sei nicht feig, nur Juden seien feig, gehört zu den ersten Überläufern, als die "Schwarzen" einmarschieren.

Mit Andorra, dieser Parabel über Schuld und ausbleibende Sühne, inszeniert Regisseur Tim Egloff auch ein Stück deutsche Gegenwart. Es geht um Identität: Wer bin ich? Bin ich der Jude Andri - oder doch der uneheliche Sohn des Lehrers, der zu feige war, sich zu seinem Sohn zu bekennen, sich stattdessen als Juden-Retter ausgab? Ich will nicht anders sein, Lügen sind wie Egel, sie saugen die Wahrheit aus, schreit Andri seinen Zorn auf die heraus, die ihm seine Identität als Andorraner absprechen. Das Böse liegt in der Luft, sagt Andri. Und die Gesellschaft, sie will es in eine Rasse, eine Gruppe, eine Religion packen, in einen Menschen stopfen und diesen vernichten. Wer denkt da nicht an fremdenfeindlich motivierte Demonstrationen in deutschen Städten. "Standing Ovations in diesem Theater, dass ich das mal erlebe", meint am Ende ein älterer Herr.

Der Andri, grandios von Tim Tölke gespielt: Da ist ein blonder, kräftiger Mann, der spüren lässt, wie es sich anfühlt, im Zweifel zu leben, mit dem Makel der falschen Geburt, Herkunft, Religion. Tölke ist furios in seinem körperbetontem Spiel: Trauer, Zorn, Widerstand, Resignation - alle Gefühle ruft er bis zu Erschöpfung ab. Wie auch Gesa Köhler als seine Schwester Barblin: scheu, gebrochen durch die Amoralität der Andorraner. "Ich weißle, ich weißle" - sie weißelt anfangs die Wände aus Styropor (Bühne / Kostüme: Selina Traun) und am Ende, wahnsinnig geworden, weißelt sich eine zerbrochene Frau selbst.

Ein Hingucker: Kirsten Potthoff als Juden-Schauer - hautenger, knallrot glitzernder Anzug, mit Hundekopf etwas plakativ, wie ein Tod und Verderben bringender Großinquisitor, lässt sie die Andorraner zur Juden-Schau antreten.

"Andorra" ist im Theater Paderborn ein spannend inszeniertes Lehrstück, das zeigt, was passiert, wenn Fremdenhass in einer Gesellschaft überhandnimmt.

Ex-Grüner reicht Klage ein

Peter Eichenseher (64) aus Bad Driburg (Kreis Höxter), Ex-Grünen-Landtagsabgeordneter, hat nach eigenen Angaben Anzeige gegen die Paderborner Theaterintendantin Katharina Kreuzhage erstattet. Grund ist die Grafik im Programmheft, mit der das Stück "Andorra" angekündigt wurde. Die Grafik stellt unterschwellig einen Vergleich zwischen NSDAP und AfD an, weshalb bereits der Paderborner AfD-Kreisverband Anzeige erstattet hat (wir berichteten). Eichenseher, von 1995 bis 2005 im Landtag, mittlerweile parteilos, kritisiert die "Holzhammermethode" des Theaters und sagt, er mache sich Sorgen über den Stil der politischen Auseinandersetzung.

Bildunterschrift: Grandioses Spiel: Tim Tölke als Andri, Gesa Köhler als Barblin in "Andorra".

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Neue Westfälische, 25./26.08.2018:

AfD-Anzeige gegen Theater sorgt für Kopfschütteln

Reaktion: Der Intendant des Bielefelder Theaters spricht sich dafür aus, unsere Grundwerte zu schützen / Zudem erkennt er im Vorgehen der Paderborner Partei ein klares Muster

Von Stefan Brams und Holger Kosbab

Bielefeld / Paderborn. Die Strafanzeige der AfD gegen das Paderborner Theaters wegen angeblicher Beleidigung in einer Programmankündigung erntet allerseits Unverständnis. Die Partei fühlte sich durch eine Grafik verunglimpft.

Die Illustration stellt die gestiegenen Wahlergebnisse der Nazi-Partei NSDAP aus den Jahren 1928 und 1932 sowie der AfD von 2013 und 2017 untereinander. Ergänzt wird das Bild durch die Zahl von sechs Millionen Menschen, die während des Holocausts ermordet wurden, und die Zahl der 681 antisemitischen Straftaten, die im ersten Halbjahr 2017 erfasst wurden.

Michael Heicks, Intendant des Bielefelder Theaters, erkennt in dem Vorgehen der AfD in Paderborn ein Muster: "Die Partei will sich nicht von ihrem rechten Rand und Akteuren wie Björn Höcke und anderen distanzieren und beschwert sich dann darüber, mit den Nazis verglichen zu werden." Wenn sie diese Vergleiche nicht wollten, dann müssten sie sich deutlich nach rechts abgrenzen. Auch in dem Vorgehen, immer wieder Strafanzeigen zu erstatten, erkennt Heicks ein Muster: "Sie wollen doch nur eins, mediale Aufmerksamkeit." Daher sollte man vorsichtig sein und nicht über jedes Stöckchen springen, das man uns hinhält. "Ich bin allerdings sehr dafür, die AfD inhaltlich zu stellen und zu entlarven, dass sie zu ganz vielen Themen nichts zu sagen hat." Grundsätzlich spricht sich Heicks im Gespräch mit dieser Zeitung dafür aus, unsere Grundwerte zu schützen und zu verteidigen. "Das Theater hat für mich klar die Aufgabe, daran mitzuwirken", betont Heicks. "Wir setzen zum Beispiel bewusst auf Spielzeit-Leitgedanken, die das auch zum Ausdruck bringen." So habe er die vergangene Spielzeit bewusst unter das Motto "Freiheit" gestellt gehabt. Als Nazis vor einigen Jahren in Bielefeld demonstrierten sangen Theater-Mitglieder ihnen vom Balkon des Stadttheaters "Freude schöner Götterfunken" entgegen. Ralf Petring, Medienjurist in Bielefeld, stuft die Illustration als "politische und historische Bewertung" und damit als zulässige Meinungsäußerung ein. Die Strafanzeige hält er für "weit hergeholt".

Bildunterschrift: Hierum geht`s: Die Illustration zum Stück "Andorra".

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Neue Westfälische - Paderborn Kreiszeitung, 24.08.2018:

Paderborner AfD stellt Strafanzeige gegen das Theater

Anlass ist eine Grafik im Programmheft zur neuen Spielzeit: Der Kreisverband der Partei wirft der Bühne und ihren Verantwortlichen Verleumdung und Volksverhetzung vor / Die Intendantin sieht einem möglichen Verfahren gelassen entgegen

Paderborn (hko). Die erste Premiere am Theater Paderborn - Max Frischs "Andorra" - ist erst am 1. September. Doch schon jetzt sorgt das Stück für Aufsehen - beziehungsweise die Grafik dazu im Programmheft für die Spielzeit 2018 / 19: Der Paderborner AfD-Kreisverband sieht darin eine Diskreditierung seiner Mitglieder und Wähler und hat gegen das Theater und die Verantwortlichen Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Paderborn gestellt wegen Verleumdung und Volksverhetzung.

Die Grafik in dem Heft, das eine Druckauflage von 10.000 Stück hat und im Internet herunterzuladen ist, zeigt das Hakenkreuz und das AfD-Logo, Wahlergebnisse von NSDAP und AfD sowie die Zahl von 681 antisemitischen Straftaten 2017 und 6 Millionen Opfern des Holocaust. Aus Sicht des AfD-Kreisvorsitzenden Karl-Heinz Tegethoff bewege sich die Grafik jenseits künstlerischer Freiheit. "Wir sind es gewöhnt, Nazis genannt zu werden - was jeder Tatsache entbehrt. Aber hier ist eine Grenze erreicht, die wir nicht hinnehmen können", sagt er. "Dort wird die AfD nicht nur mit der NSDAP gleichgesetzt, sondern darüber hinaus gleich auch noch für die ermordeten Juden sowie für antisemitische Straftaten in 2017 verantwortlich gemacht." Tegethoff nennt das Vorgehen "negative Holocaust-Leugnung".

Die Anzeige ist bereits der zweite Schritt der AfD gegen das Theater. Am 10. Juli hatte Tegethoff dem Theater über die Berliner Kanzlei Roscher-Meinel die Androhung einer Unterlassungsklage zukommen lassen. Da darauf nicht reagiert wurde, folgte am 7. August die Strafanzeige. Zu dieser Zeit hatte gerade die Theater-Sommerpause begonnen.

Als Theaterchefin Katharina Kreuzhage aus dem Urlaub zurück war, fand sie den Brief und ließ über den Theater-Anwalt nach Rücksprache mit Paderborns Rechts- und Kulturdezernenten Carsten Venherm mitteilen, dass sie die AfD-Deutung der Grafik nicht teile. Es würden lediglich Wahlergebnisse und Zahlen gezeigt. "Daraus kann jeder seine Schlüsse ziehen."

Einem möglichen Verfahren sieht Kreuzhage gelassen und mit großem Interesse entgegen. Sie möchte die Darstellung von AfD-Ergebnissen in einem kreativen Zusammenhang gerne von einem Gericht untersuchen lassen. "Es geht hier um die Freiheit der Kunst", sagt die Theaterchefin. "Ich kann es mir schwerlich vorstellen, dass aus der Grafik der Vorwurf der Volksverhetzung abgeleitet werden kann."

Das Vorgehen der Paderborner AfD mit der Umkehrung des Vorwurfs der Volksverhetzung sei Teil der publizistischen Strategie der Partei, sagte Kreuzhage. Sie erinnert in diesem Kontext an den AfD-Bundesvorsitzenden Alexander Gauland, der den Nationalsozialismus als "Fliegenschiss" in der deutschen Geschichte bezeichnet habe.

Christoph Zielke von der Staatsanwaltschaft Paderborn sagte, dass geprüft werde, "ob ein Anfangsverdacht strafrechtlich-relevanten Verhaltens gegeben ist".

Bildunterschrift: Hierum geht`s: Die Illustration zum Stück "Andorra" im Programmheft zur neuen Spielzeit.


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