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Neue Westfälische 15 - Paderborn (Kreis) , 10.01.2014 :

"Bulle" ist keine Beleidigung / Richterin stellt Verfahren gegen Frank Gockel ein

Paderborn (JS). Als der unvergessene Lino Ventura 1975 einen unerschrockenen Polizisten spielte, der Politikern und Beamten den Kampf ansagte, schrieb er Filmgeschichte - unter dem Titel "Adieu, Bulle". Und auch der "Bulle von Tölz" erfreut seit Jahren die Krimifans. Doch obschon in Film und Funk die Bezeichnung "Bulle" für Polizisten längst als salonfähig gilt und selbst die höhere Gerichtsbarkeit den Ausdruck nicht unbedingt als Beleidigung einschätzt, sieht man das in Paderborn in gewissen Kreisen ganz anders.

Dort gilt das Wort noch immer als zu sanktionierende Unflätigkeit und damit als guter Grund, die Justiz in Gang zu setzten. Dagegen setzten gestern aber eine Amtsrichterin und eine Staatsanwältin ein deutliches Zeichen.

Im Mittelpunkt des Geschehens steht zunächst allerdings Frank Gockel - hinlänglich dafür bekannt, dass er sich stark macht für Flüchtlinge, aber auch für junge Menschen, die für ihre kulturellen Aktivitäten in Paderborn einen eigenen Ort suchen. Letztere zogen am 2. Februar vergangenen Jahres vor das Rathaus, um dort ein autonomes Kulturzentrum zu fordern.

Ein Anliegen, das auch Frank Gockel mit einer öffentlichen Rede unterstützte. Wiederholt sprach er da von "Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten", stellte aber auch wortwörtlich die Frage: "Vor wem haben die Bullen Angst?" Und blickte dabei in die Richtung der Polizisten, die das Geschehen im Auftrag der Obrigkeit begleiteten. Während die meisten Beamten das Gehörte samt Blick gleichmütig oder gar nicht wahrnahmen, fühlten sich zwei Ordnungshüter beleidigt. Sie erstatteten Anzeige - die Staatsanwaltschaft erließ gegen Gockel Strafbefehl.

Klar, dass sich der 42-Jährige gerade mit Blick auf die einschlägige Rechtsprechung das nicht gefallen lassen wollte, und gegen den Strafbefehl vor das Amtsgericht zog. Und dort stieß er auf offene Ohren. "Ich habe das Problem, in diesem Satz eine Strafbarkeit zu sehen", sagte kurz nach Verhandlungsbeginn Richterin Nicole Heitzig.

"Ist denn "Bulle" heutzutage überhaupt eine Beleidigung", fragte sie sich und verwies auf zahlreiche Fernsehsendungen, in denen mit dem Begriff geradezu geprahlt werde. Zudem hätte Gockel sich mit seiner Ansprache nicht konkret an einen bestimmten Polizisten gewandt. "Ich hätte Sie freigesprochen", versicherte Nicole Heitzig und stellte das Verfahren ein. Schützenhilfe erhielt sie von Staatsanwältin Ilka Matthies. "Ich teile die Auffassung", sagte sie, "und habe mit der Einstellung kein Problem". Schließlich sei da ja die einschlägige Rechtsprechung.

Dass diese im Fall Gockel anscheinend nicht von allen Paderborner Strafverfolgern akzeptiert wird, das kommt den Steuerzahler teuer zu stehen. Die Kosten dafür muss nämlich die Staatskasse übernehmen.


paderborn@neue-westfaelische.de

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