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Neue Westfälische , 30.08.2008 :

Fragwürdige Methoden bei Abschiebung

In zahlreichen Inspektionen der Bundespolizei gibt es möglicherweise einen handfesten Skandal. Er betrifft Praktiken bei der Abschiebung von Ausländern auf deutschen Flughäfen. Die Ausländer werden dort offenbar ohne vorherigen richterlichen Beschluss mehrere Stunden lang in Zellen eingesperrt. Nach einem Gutachten einer Bielefelder Rechtsanwaltskanzlei verstößt dies eindeutig gegen das Grundgesetz. Eventuell ist sogar in vielen Fällen der Straftatbestand der Freiheitsberaubung erfüllt.

Von Hubertus Gärtner

Bielefeld. Etwa 13.000 Menschen werden nach Angaben des Bundesinnenministeriums pro Jahr aus Deutschland abgeschoben. Die breite Öffentlichkeit erfährt von dem Prozedere im Einzelnen nichts, es interessiert vermutlich auch nur wenige. Ausgerechnet das Forum Flughäfen in NRW, wo alle mit der Abschiebung befassten Stellen, wie das Innenministerium, die Wohlfahrtsverbände, Kirchen, Polizeibehörden und Vereine, regelmäßig versammelt sind, hat die brisanten Praktiken nun aber in einem internen Schreiben niedergelegt. Es liegt dieser Zeitung vor. Wörtlich heißt es dort: "Zwei Stunden vor Abflug des Linienfluges und bis zu drei Stunden vor Abflug des Charterfluges zur Sammelabschiebung wird der/die Abzuschiebende von der Ausländerbehörde der Landespolizei oder der Bundespolizei an die Beamten der Bundespolizeidienststelle am Flughafen Düsseldorf übergeben. Nach der Übergabe erfolgt die Personenkontrolle, die Gepäckkontrolle und die Kontrolle der Reisedokumente. In der Regel sind die verschiedenen Kontrollen nach 15 bis 30 Minuten erledigt. Die/Der Abzuschiebende wird dann in einer Zelle (Gewahrsamraum) eingeschlossen." Kurz vor dem Abflug wird der Abzuschiebende dann wieder aus der Zelle geholt und zum Flugzeug gebracht. "Fälle, bei denen die Bundespolizei wegen freiheitsentziehender Maßnahmen eine richterliche Entscheidung herbeigeführt hat, sind uns nicht bekannt."

Freiheitsentziehung ohne richterlichen Beschluss

Genau hier liegt nun die Brisanz. Sie betrifft eine Vielzahl von Personen, die keine Straftaten begangen und sich vor der Durchführung der Abschiebung noch auf freiem Fuß befunden haben. Manchmal werden sie von den Ausländerbehörden direkt aus dem Bett oder aus ihrer Wohnung geholt und zum Flughafen gefahren. Wenn diese Personen in einen Haftraum der Bundespolizei gesperrt oder ansonsten gegen ihren Willen in den Diensträumen der Bundespolizei festgehalten würden, so sei dies eine "freiheitsentziehende Maßnahme", die zuvor zwingend von einem Richter angeordnet werden müsse, schreibt der Bielefelder Rechtsanwalt Sebastian Nickel in einem Gutachten für den Bürener Verein "Hilfe für Menschen in Abschiebehaft". Richterliche Anordnungen würden derzeit von den Behörden aber "nicht veranlasst", so Nickel in seiner Expertise. Vermutlich sind sie der Bundespolizei lästig und dauern ihr oftmals zu lange. Vieles spricht dafür, dass nicht nur in NRW, sondern auch in anderen Bundesländern so verfahren wird. Nickel: "Die fehlende vorherige richterliche Anordnung führt in den Fällen, in denen die betroffene Person weder aus der Strafhaft noch aus der Abschiebungshaft heraus abgeschoben werden soll, ohne weiteres zur Rechtswidrigkeit der Maßnahme."

Vom Bundespolizeipräsidium in Potsdam war keine Stellungnahme zu erhalten.

30/31.08.2008
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