9 Artikel ,
25.05.2023 :
Pressespiegel überregional
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Übersicht:
MiGAZIN, 25.05.2023:
Suche nach Lösung / BGH zu Kunst-Datenbank für mögliches "NS-Raubgut"
MiGAZIN, 25.05.2023:
29. Mai 1993 / Am 30. Jahrestag des Solinger Anschlags rücken die Opfer in den Blick
Zeit Online, 25.05.2023:
Angeklagter von "Vereinte Patrioten": "Corona-Wahnsinn"
MiGAZIN, 25.05.2023:
Prozess um Anschlag auf Synagoge / Reue und rechtsradikale Gesinnung
MiGAZIN, 25.05.2023:
Konfliktforscher warnt / Asyldebatte fördert Gefahr rechtsextremer Anschläge
die tageszeitung, 25.05.2023:
Der rechte Rand / Wo die NPD noch Konkurrenz ist
die tageszeitung, 25.05.2023:
Antisemitismus / Mann in Marzahn beleidigt
Westfalen-Blatt, 25.05.2023:
Strafe für Hitlergruß
MiGAZIN, 25.05.2023:
Brandenburg / Schulämter melden mehr rechte Vorfälle - Cottbus vorn
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MiGAZIN, 25.05.2023:
Suche nach Lösung / BGH zu Kunst-Datenbank für mögliches "NS-Raubgut"
25.05.2023 - 18.00 Uhr
Bei der Suche nach Kunstwerken, die Nazis einst vor allem jüdischen Eigentümern entrissen, soll eine Datenbank helfen. Ein Privatsammler erfährt anlässlich einer Schau in Baden-Baden davon, dass ein Gemälde aus seinem Besitz da auftaucht. Nun schaut sich der BGH den Fall an.
Der Bundesgerichtshof (BGH) prüft, ob ein Eintrag in einer Datenbank für potenzielles "NS-Raubgut" und eine Interpol-Fahndung Makel an einem Kunstwerk sind. "Wir sehen hier durchaus, dass der Kläger in einer misslichen Lage ist", sagte die Vorsitzende Richterin des fünften Zivilsenats, Bettina Brückner, am Donnerstag. Die "Kalabrische Küste" des Malers Andreas Achenbach (1815 - 1910), um die es in dem Fall geht, dürfte so schwer verkäuflich sein, räumte Brückner ein. Ein Kunstsammler klagt sich durch die Instanzen, weil er sich in seinem Eigentum beeinträchtigt sieht. Der Senat will sein Urteil am 21. Juli in Karlsruhe sprechen.
1935 hatte die Reichskammer der bildenden Künste gegen den jüdischen Kunsthändler Max Stern ein Berufsverbot verhängt, vollzog es aber nicht. 1937 verkaufte er das Küsten-Gemälde an eine Privatperson in Essen, gab die Düsseldorfer Galerie auf und wanderte nach Kanada aus.
Der Kläger erwarb das Bild 1999 im Rahmen einer Auktion in London. Dass er nach deutschem Recht der rechtmäßige Eigentümer sei, erklärte auch der Vertreter der Gegenseite vor dem BGH. Dies sind Treuhänder eines kanadischen Trusts, der Sterns Nachlass verwaltet.
Der Kläger möchte, dass sein Eigentum nicht weiter bemäkelt wird, weil Stern das Gemälde womöglich unter Verfolgungsdruck der Nazis verkauft hatte. Die Treuhänder hatten eine Suchmeldung für das Bild auf der Internetseite der Lost-Art-Datenbank veröffentlichen lassen. Dort ist es seit 29. Juni 2016 vermerkt. "Verlustumstand gemeldet als NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut", heißt es dazu.
Suche nach einer fairen Lösung
Das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste mit Sitz in Magdeburg betreibt diese Datenbank, die Kulturgüter dokumentiert, die insbesondere jüdischen Eigentümern unter den Nationalsozialisten entzogen wurden - oder für die ein solcher Verlust nicht auszuschließen ist. Frühere Eigentümer beziehungsweise deren Erben sollen den Angaben zufolge mit heutigen Besitzern zusammengeführt und beim Finden einer gerechten und fairen Lösung über den Verbleib der Werke unterstützt werden.
Im Rahmen einer Ausstellung in Baden-Baden erfuhr der Kläger von der Suchmeldung sowie von einer in Kanada veranlassten Fahndung nach dem Gemälde durch die kriminalpolizeiliche Organisation Interpol. Sollte er in Karlsruhe - wie schon in den Vorinstanzen - mit seinem Antrag auf Unterlassen scheitern, möchte er zumindest, dass die Treuhänder das Löschen der Suchmeldung in der Datenbank beantragen müssen.
Der Vertreter der Treuhänder, Anwalt Siegfried Mennemeyer, sagte, das Register sei dazu da, historische Tatsachen zu erfassen. Diese hätten seine Mandanten geliefert. "Nicht mehr und nicht weniger haben wir gemacht." Dabei gehe es nicht um Fragen des Eigentums.
Nicht das erste Verfahren um Datenbank-Einträge
In Deutschland seien in der Datenbank gelistete Bilder durchaus auch lukrativ weiterverkauft worden, sagte er - räumte aber ein, dass das in Übersee anders aussehen könne. Um den Eintrag zu löschen, müsse sich der Kläger aus seiner Sicht an den Betreiber der Datenbank wenden. "Das ist nicht unsere Verantwortung", sagte Mennemeyer.
Als Vertreter des Klägers entgegnete Wendt Nassall, die Liste habe einen konkreten Zweck: bei Eigentumsstreitigkeiten zu vermitteln. Für die Veröffentlichung sei das Einverständnis des Melders nötig - er könne den Eintrag also zurückziehen lassen. Den Kontakt zum Deutschen Zentrum Kulturgutverluste zu suchen, bezeichnete er als Umweg.
Weil das Zentrum nicht Partei in dem Streit ist, äußerte es sich dazu nicht. Es sei aber nicht das erste Verfahren um Datenbank-Einträge. (epd/mig)
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MiGAZIN, 25.05.2023:
29. Mai 1993 / Am 30. Jahrestag des Solinger Anschlags rücken die Opfer in den Blick
25.05.2023 - 14.00 Uhr
Fokus auf die Opfer und großer Gedenkakt mit Bundespräsident: Der 30. Jahrestag des fremdenfeindlichen Solinger Brandanschlags wird anders begangen als in den Vorjahren. Im Blickpunkt stehen stärker als bisher die fünf getöteten Frauen und Mädchen.
Von Michael Bosse
Der 30. Jahrestag des rassistischen Anschlags auf das Wohnhaus der türkeistämmigen Familie Genç am 29. Mai ist nicht nur wegen der runden Jahreszahl etwas Besonderes. In diesem Jahr findet das Gedenken am Pfingstmontag erstmals ohne die im Oktober gestorbene Mevlüde Genç statt. Sie verlor bei dem rechtsextremen Verbrechen zwei Töchter, eine Nichte und zwei Enkel - und wurde dennoch zur Friedensbotschafterin, die als Versöhnerin und Mahnerin für Toleranz und Verständigung auftrat.
Seine Mutter sei eine "sehr starke Person gewesen, die unsere Gefühle am besten zum Ausdruck gebracht hat", sagte der Sohn der Verstorbenen, Kamil Genç, kurz vor dem Jahrestag dem "Evangelischen Pressedienst". Diese Aufgabe müsse nun künftig auf mehrere Schultern verteilt werden. Die Familie wolle sich auf jeden Fall weiter für Versöhnung und gegen Hass und Rassismus einsetzen. Zu Ehren von Mevlüde Genç soll am Sonntag der Solinger Mercimek-Platz nach ihr benannt werden.
Vor fünf Jahren - zum 25. Jahrestag - hatte ein Unwetter die im Freien organisierte Gedenkfeier am Mahnmal zum Brandanschlag jäh unterbrochen, in diesem Jahr findet die zentrale Gedenkveranstaltung im städtischen Theater- und Konzerthaus statt. Erwartet werden unter anderen Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU). Auch Bundestagspräsidentin Bärbel Bas und Bundesinnenminister Nancy Faeser (beide SPD) sowie Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) haben ihr Kommen zugesagt.
Ausstellung im Zentrum für verfolgte Künste
Bei dem Gedenken sollen nach dem Willen der Familie Genç die Namen und Schicksale der fünf getöteten Frauen und Mädchen stärker in den Fokus rücken. Dafür wurde eine Ausstellung erarbeitet, die im Zentrum für verfolgte Künste an die fünf Todesopfer - Gürsün Ince, Hatice Genç, Gülüstan Öztürk, Hülya Genç und Saime Genç - erinnert. Unter dem Motto "Solingen ’93 – Unutturmayacag z! Niemals vergessen!" soll die Schau bis zum 17. September an Hand einer Chronologie zeigen, wie Betroffene rassistischer Gewalt und die Gesellschaft mit den Erfahrungen rechten Terrors umgehen.
Der Anschlag auf das Wohnhaus der Familie Genç in der Unteren Wernerstraße war einer von mehreren fremdenfeindlichen Anschlägen, die in den 90er Jahre das wiedervereinigte Deutschland erschütterten. Zwar sei Solingen kein Zentrum rechtsradikaler Umtriebe gewesen, allerdings sei die fremdenfeindliche Stimmung damals ein "bundesweites Phänomen" gewesen, das zu dem Anschlag vom 29. Mai geführt habe, sagt der Sachgebietsleiter für Demokratie-Förderung und Verwaltung im Stadtdienst Integration, Michael Roden.
Rassismus bleibt wichtige Aufgabe für Politik und Gesellschaft
Als Reaktion auf den Vorfall gründete sich in der Bergischen Großstadt unter anderem das Bündnis für Toleranz und Zivilcourage, das sich mit Projekten für ein besseres Miteinander einsetzt und den Solinger Preis für Zivilcourage, den "Silbernen Schuh", verleiht. Zudem engagiert sich die Stadt über das Landesprogramm "NRWeltoffen" an Projekten gegen Rechtsextremismus und Rassismus. Träger ist das Diakonische Werk des Evangelischen Kirchenkreises Solingen.
Trotz aller Bemühungen bleibt der Kampf gegen Fremdenhass und Rassismus nach Ansicht der Familie Genç eine wichtige Aufgabe für Politik und Gesellschaft. Man habe in Deutschland nach wie vor ein Rassismus-Problem, das Sorgen bereite, sagt Hatice Genç, Schwiegertochter von Mevlüde Genç, die den gleichen Vornamen wie eines der Todesopfer trägt. Auch Ministerpräsident Wüst mahnt, aus der Vergangenheit zu lernen. Es gelte, jeden Tag dafür einzustehen, "dass Hass, Hetze und Fremdenfeindlichkeit keinen Platz in unserer Gesellschaft haben", sagte er dem "Evangelischen Pressedienst". (epd/mig)
Bildunterschrift: Das Haus der Familie Genç nach dem Brandanschlag.
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Zeit Online, 25.05.2023:
Angeklagter von "Vereinte Patrioten": "Corona-Wahnsinn"
25.05.2023 - 15.21 Uhr
Im Prozess um die mutmaßliche Terror-Gruppe der "Vereinten Patrioten", die einen Umsturz in Deutschland angestrebt haben soll, hat einer der Angeklagten während einer mehrstündigen Erklärung harsche Kritik an der Corona-Politik geübt. Der 55 Jahre alte Sven Birkmann sprach am Donnerstag vor dem Oberlandesgericht Koblenz von einer "Corona-Diktatur" und vom "Corona-Wahnsinn", der ihn letztlich vor Gericht gebracht habe.
Zweifler an der Politik oder einer Impfung seien früh als Verleugner abgestempelt worden, es habe eine "beispiellose Ausgrenzung" gegeben. Masken bezeichnete er als "Feind unserer Emotionen". Der 55-Jährige erzählte, dass er während eines Einkaufs ohne Maske von einem Mann mit Rollator in einem Supermarkt als Mörder beschimpft worden sei.
Im Frühjahr 2021 habe er "gleichgesinnte Veteranen" gefunden, sie hätten einen "Veteranen-Pool" beim Nachrichtendienst Telegram eröffnet und nach wenigen Tagen Tausende Interessenten gehabt. Zum Ende der Verlesung der Erklärung, mit der er bereits am Verhandlungstag am Mittwoch begonnen hatte, verwies er auf den britischen Rocksänger Billy Idol und sagte: "Ich halte Protest gegen die Mächtigen für absolut rational und dringend geboten."
Die Anklage sieht den 55-Jährigen aus Brandenburg als einen der Rädelsführer der Gruppe und ordnet den Mann, der eine Offiziersausbildung bei der Nationalen Volksarmee der DDR gemacht hat, einem militärischen Arm der Gruppe zu. Laut Bundesanwaltschaft soll er federführend bei dem geplanten Vorhaben gewesen sein, Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zu entführen.
Insgesamt sind in dem Verfahren fünf Personen angeklagt. Neben Birkmann drei weitere Männer im Alter von 44 bis 56 Jahren und eine 75 Jahre alte frühere Lehrerin. Ihnen wird vorgeworfen, eine inländische terroristische Vereinigung gegründet zu haben oder darin Mitglied gewesen zu sein. Die Gruppe soll einem Umsturz geplant haben, wollte laut Anklage Chaos durch einen großflächigen Stromausfall verursachen. Die Fünf wurden 2022 festgenommen.
Die Lehrerin, die früher in Mainz unterrichtete, hält die Bundesanwaltschaft für die "politische Vordenkerin". Die 75-Jährige, der auf Grund ihres "Reichsbürger"-Gedankenguts das Ruhegehalt aberkannt worden war, wogegen sie sich vergeblich juristisch zur Wehr gesetzt hatte, hatte in einer von ihrem Verteidiger verlesenen Erklärung die Vorwürfe zurückgewiesen.
In dem Verfahren steht nun nach drei Verhandlungstagen eine Pause an, weiter geht es am 14. Juni.
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MiGAZIN, 25.05.2023:
Prozess um Anschlag auf Synagoge / Reue und rechtsradikale Gesinnung
25.05.2023 - 17.00 Uhr
In der Silvesternacht 2022 möchte ein junger Mann eine Synagoge in Oberfranken in Brand setzen. Nur mit Glück kommt es nicht dazu. Vor Gericht zeigt der Angeklagte Reue - und eine eindeutige Gesinnung.
Von Sebastian Schlenker
Als der Angeklagte den Verlauf des Silvestertags 2022 schildert, erzählt er von einer Treibjagd im Landkreis Forchheim, wie er bereits am Mittag anfängt Alkohol zu trinken und schließlich in einem Gasthaus gegenüber der Synagoge von Ermreuth ins neue Jahr feiert. Doch als die anderen Feiernden gegen Mitternacht weiterziehen, geht der 22-Jährige nicht mit. Er geht zur Synagoge und versucht, das Gebäude mit einem Feuerwerk in Brand zu setzen.
Was ihn dazu gebracht hat, will der junge Mann am Donnerstag im Prozess vor dem Amtsgericht Bamberg nicht mehr wissen. Er räumt die Tat ein, auch wenn er sich auf Grund seines Alkoholkonsums nicht mehr an alles erinnern könne. Was in der Anklage stehe, sei richtig, erklärt sein Verteidiger. Er bereue die Tat zutiefst und möchte sich bei der Jüdischen Gemeinde, bei seinen Eltern und dem Bürgermeister der Gemeinde entschuldigen.
Für die Generalstaatsanwaltschaft München ist das Motiv klar: die "gefestigte judenfeindliche und rechtsextreme Geisteshaltung" des Angeklagten. Auf Nachfrage räumt der Mann ein, dass an dem Abend eine rechtsradikale Gesinnung in ihm hervorgekommen sei. Auf seinem Handy fanden Ermittler zahlreiche Bilder, Texte und Musikstücke mit rechtsradikalem und antisemitischem Inhalt. Auf einem Foto steht der Angeklagte vor einer Reichsflagge und zeigt den Hitlergruß.
Roth: "Anschlag auf unsere Demokratie"
Eine Überwachungskamera zeichnete die ganze Tat auf. Als der Angeklagte eine Scheibe der Synagoge eingeschlagen hatte, versuchte er mehrfach vergeblich, ein Feuerwerk anzuzünden und es ins Gebäude zu werfen. Als das misslang, ging er schließlich weiter. Laut den Ermittlungen wäre das Feuerwerk geeignet gewesen, einen Brand zu verursachen. In der Tatnacht hielt sich keiner im Gebäude auf. Die Generalstaatsanwaltschaft wirft ihm versuchte schwere Brandstiftung und gemeinschädliche Sachbeschädigung vor.
Nicht nur in Ermreuth, einem Ortsteil von Neunkirchen am Brand in Oberfranken, sorgte der Vorfall für Bestürzung. Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) besuchte die Gemeinde und bezeichnete die versuchte Brandstiftung als "Anschlag auf unsere Demokratie".
Angeklagter will sich Hilfe holen
Die Synagoge von Ermreuth wurde 1822 errichtet. Nach dem Zweiten Weltkrieg ging sie zunächst an die Raiffeisengenossenschaft über und wurde als Lagerhaus genutzt. Nach Sanierungsarbeiten öffnete die ehemalige Synagoge 1994 wieder und wurde nach Angaben der Generalstaatsanwaltschaft zugleich zur Religionsausübung wiedergeweiht. Die Synagoge ist heute ein Haus der Begegnung und der Kultur. Sie steht beispielhaft für das Landjudentum, das in vergangenen Jahrhunderten viele fränkische Dörfer prägte.
Der Verteidiger des Mannes erklärte vor Gericht, er habe sich bei der Jüdischen Gemeinde in Ermreuth über den entstandenen Schaden informiert, und die Eltern des Angeklagten hätten daraufhin rund 1.900 Euro an die Gemeinde überwiesen. Der 22-Jährige wurde wenige Tage nach der Tat festgenommen und sitzt seitdem in Untersuchungshaft. Er stellt sich bereits auf weitere Zeit im Gefängnis ein. Nach einer Verurteilung wolle er sich Hilfe holen und Gespräche mit Vertretern der Bayerischen Informationsstelle gegen Extremismus in Nürnberg fortsetzen. Ein Gutachter bewertet im Prozess die Gesinnung des Mannes. Ein Urteil soll an diesem Freitag gesprochen werden. (dpa/mig)
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MiGAZIN, 25.05.2023:
Konfliktforscher warnt / Asyldebatte fördert Gefahr rechtsextremer Anschläge
25.05.2023 - 16.00 Uhr
Überlastete Städte, Kommunen am Limit - der Streit um die Aufnahme und Versorgung von Geflüchteten hält an. Konfliktforscher Zick warnt derweil vor den Gefahren dieser Debatte. Es gebe eine stabile rechtsextreme Kultur in der Gesellschaft.
Von Holger Spierig
Die Gefahr fremdenfeindlicher Anschläge in Deutschland ist nach Einschätzung des Konfliktforschers Andreas Zick größer geworden. Durch die aktuelle Asyldebatte und eine Rückkehr nationalistischer Orientierungen hätten rechtsextreme Kreise Aufwind erhalten, sagte Zick dem "Evangelischen Pressedienst" mit Blick auf den 30. Jahrestag des rassistischen Brandanschlags von Solingen. Die Zahl rechtsextremer Straftaten sei seit dem Anschlag gestiegen, im Rechtsextremismus seien mehr Menschen organisiert.
Nach wie vor gebe es eine stabile rechtsextreme Kultur, die nun viele junge Menschen insbesondere im Osten abhole und eine eigene Jugendkultur und Sozialisation bilde, warnte der Wissenschaftler. Auch die Mehrheit der Bevölkerung sei der Meinung, dass der Rechtsextremismus eine Bedrohung für Deutschland sei. Das habe die letzte Mitte-Studie seines Instituts aus dem Jahr 2020 / 21 gezeigt.
Normalisierungsstrategie von Rechtsextremen
Die Rechtsextremen hätten eine Normalisierungsstrategie entwickelt, mit der sie sich erfolgreich als Freiheits- und Widerstandskämpfer für Deutsche darstellten, erläuterte Zick. Die Legitimierung von Gewalt als Mittel zur Durchsetzung der nationalen Vormachtstellung sei in weiten Teilen der Gesellschaft attraktiv geworden.
Der rechtsextreme Anschlag von Solingen habe sich in eine Attentats-Serie eingereiht, die einer Radikalisierung in eine Pogromstimmung in der rechtsextremen Szene gefolgt sei, erklärte der Extremismus-Forscher. Vorausgegangen seien die menschenfeindlichen Ausschreitungen in Hoyerswerda. Nach Solingen habe es weitere Anschläge sowie Hetzjagden und die Bildung von Terror-Zellen gegeben.
Rechtsextremismus ist gesellschaftliche Realität
Am 29. Mai 1993 hatten vier junge Neonazis aus Ausländerhass das Haus der türkeistämmigen Familie Genç in Solingen angezündet. Zwei Frauen und drei Mädchen kamen ums Leben. Die Tat rief weltweit Entsetzen hervor. Die im vergangenen Jahr gestorbene Mevlüde Genç, die 1993 zwei Töchter, eine Nichte und zwei Enkelinnen verlor, habe damals viel Courage trotz der verständlichen Wut von vielen Menschen mit Einwanderungsgeschichte bewiesen, würdigte sie Zick.
In Deutschland werde Rechtsextremismus als Abweichung und nicht als Teil der gemeinsamen gesellschaftlichen Realität betrachtet, kritisierte der Wissenschaftler. Als Prävention seien eine Stärkung von Zivilcourage, die Ausweitung von Angeboten zur Deradikalisierung, historische Bildung sowie eine Stärkung von Erinnerungskultur wichtig. (epd/mig)
Bildunterschrift: Extremismus-Forscher Prof. Dr. Andreas Zick.
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die tageszeitung, 25.05.2023:
Der rechte Rand / Wo die NPD noch Konkurrenz ist
Andreas Speit
Die Kommunalwahl in Schleswig-Holstein hat offenbart: Im Bundesland zwischen Nord- und Ostsee haben rechtsextreme Wahloptionen eine treue Stammklientel. Die vermeintliche Alternative für Deutschland - kurz AfD - und die in "Heimat Neumünster" umbenannte NPD konnten am 14. Mai Erfolge verbuchen. Zwei stille Siegende, die sich weiter kommunalpolitisch verankern.
Die AfD um Landessprecher Kurt Kleinschmidt kam landesweit auf 8,1 Prozent, mit 94.687 Stimmen. "Vielen Dank", sagte Kleinschmidt und versicherte: "Mit der AfD ist in Schleswig-Holstein zu rechnen." Per Pressemitteilung verkündet die AfD sehr zufrieden, dass sie im "Vergleich zur Landtagswahl im vergangenen Jahr" einen Zuwachs von 3,6 Prozent erreicht habe; im "Vergleich zur letzten Kommunalwahl" von 2,6 Prozent.
Nach dem knappen Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde bei der Landtagswahl 2022 ist das mehr als ein Achtungserfolg. Der Landesverband hatte sich zuvor auch wegen der ehemaligen Landesvorsitzenden und Landtagsabgeordneten Doris von Sayn-Wittgenstein in nachhaltige Konflikte verstrickt. 2018 lagen der taz E-Mails vor, die Sayn-Wittgenstein versendet hatte. Knapp 80 gedruckte Seiten, die deutlich belegten, dass die AfD-Politikerin Kontakte zu rechtsextremen Kulturvereinen, Freunden der Waffen-SS, Holocaust-Leugnern und Verfechtern einer Reichsideologie bis zum internationalen Rechtsextremismus unterhielt.
Im Landesverband herrschte keine Einigkeit, ob sie gehen oder bleiben sollte. Das Bundesschiedsgericht setzte letztlich, gegen das Landesschiedsgericht, einen Parteiausschluss durch.
Erst 2022 - fast drei Jahre später - gelang mit Kleinschmidt eine personelle Neubesetzung des Landesvorsitzes. Der ehemalige Berufssoldat versprach nicht bloß, nach außen eine Einigkeit des Landesverbandes zu vermitteln, sondern auch, den Verband wieder zusammenzuführen. Der Erfolg bei der Kommunalwahl dürfte seine Macht in der Partei gefestigt haben.
Die Wählenden will der Landesvorsitzende nun nicht enttäuschen. "Wir werden in den Kreistagen und Gemeinderäten pragmatische freiheitlich-konservative Politik im Sinne der Bürger betreiben", schreibt er. In Rendsburg Stadt und Kaltenkirchen erreichte die AfD mit jeweils 12,7 Prozent ihre besten Ergebnisse, gefolgt von den Kreisen Steinburg mit 10,6 Prozent und Segeberg mit 10,3. Zwischen sechs und neun Prozent erzielt sie in fast allen weiteren Wahlkreisen. Nur in Heikendorf, Schwarzenbek, Geesthacht und Neumünster liegen sie unter fünf Prozent.
In Schleswig-Holstein haben rechtsextreme Wahloptionen eine treue Stammklientel
In Neumünster ist das keine Überraschung: Seit Jahren ist in der Stadt eine NPD-nahe Szene zwischen Kameradschaften und Rockern präsent. Bereits an die zehn Jahre sitzt Mark Proch für die NPD im Stadtrat. Dem NPD-Landesvorsitzenden gelang es bei der Kommunalwahl 2018, ganze vier Prozent für seine Partei zu gewinnen, sodass Horst Micheel ebenso in den Rat einziehen konnte.
Trotz des Erfolges nannte sich die NPD im Dezember 2022 vor Ort in "Heimat Neumünster" um. "Mit der Umbenennung geht es uns vielmehr darum, uns zu öffnen und Bürger anzusprechen, die vor den "drei Buchstaben" die Augen verschließen", erklärte die Partei. Nicht ohne Erfolg: Die NPD mit neuem Namen konnte in Neumünster nun 5,6 Prozent auf sich vereinigen, die AfD nur 4,7. Im Stadtrat dürfte so mindestens ein weiteres Mandat an die NPD gehen. Das könnte Karin Mundt übernehmen - eine der wenigen weiblichen Szene-Stars des Rechtsrock.
In Neumünster, der viertgrößten Stadt in Schleswig-Holstein, haben 10,3 Prozent weit rechts gewählt - zählt man die Ergebnisse von AfD und "Heimat Neumünster" zusammen. Rechnet man "die Basis" mit dazu, sind es sogar fast 12 Prozent.
Andreas Speit arbeitet als freier Journalist und Autor über die rechte Szene nicht nur in Norddeutschland.
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die tageszeitung, 25.05.2023:
Antisemitismus / Mann in Marzahn beleidigt
Zwei Unbekannte haben einen Mann in Marzahn antisemitisch beleidigt. Einer der beiden habe zudem versucht, den 45-Jährigen zu schlagen. Dieser konnte jedoch ausweichen und blieb unverletzt, wie die Polizei am Mittwoch mitteilte. Der Mann saß demnach am Dienstagnachmittag auf einer Parkbank an der Allee der Kosmonauten, als die zwei Verdächtigen unvermittelt auf ihn zukamen und ihn beleidigten. Der 45-Jährige suchte nach Polizeiangaben daraufhin in einem nahen Hauseingang Schutz. Einer der beiden Unbekannten folgte ihm und versuchte ihn zu schlagen und zu treten. Dann flüchteten die Verdächtigen mit einem E-Roller. Der Polizeiliche Staatsschutz hat inzwischen die Ermittlungen aufgenommen. (dpa)
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Westfalen-Blatt, 25.05.2023:
Strafe für Hitlergruß
Düsseldorf (dpa). Ein 47-jähriger Mülheimer muss wegen des Zeigens des Hitlergrußes und Beamtenbeleidigung 3.600 Euro Strafe zahlen. Das hat das Düsseldorfer Landgericht am Mittwoch entschieden, nachdem weder der 47-Jährige noch sein Verteidiger zur Berufungsverhandlung erschienen waren. Der Mann soll vor zwei Jahren in der Düsseldorfer Altstadt bei einer Kontrolle "alle Essener Polizisten" als Rassisten bezeichnet und dann den Hitlergruß gezeigt haben. Der 47-Jährige ist nach Gerichtsangaben wegen Zugehörigkeit zu einem verbotenen Charter der Rocker-Gruppe Hells Angels vorbestraft. Gegen den Mülheimer waren bereits in erster Instanz 3.600 Euro Strafe verhängt worden.
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MiGAZIN, 25.05.2023:
Brandenburg / Schulämter melden mehr rechte Vorfälle - Cottbus vorn
25.05.2023 - 15.00 Uhr
Nach dem Brandbrief von Lehrkräften in Spreewald über rechtsextreme Vorfälle in Schulen ist die Zahl der gemeldeten Fälle sprunghaft angestiegen. Die meisten Meldungen kamen aus Cottbus.
Die Schulämter in Brandenburg haben seit dem Bekanntwerden rechtsextremer Vorfälle im Spreewald mehr solcher Fälle gemeldet. Die meisten neuen Vorkommnisse gab es nach Angaben des Bildungsministeriums vom Donnerstag in Südbrandenburg im Bereich des Staatlichen Schulamts Cottbus.
Dort liegt auch die Schule in Burg im Spreewald, wo Lehrkräfte in einem Brief beklagt hatten, sie seien täglich mit Rechtsextremismus, Sexismus und Homophobie konfrontiert. Das ARD-Magazin "Kontraste" berichtet am Donnerstag über rechtsextreme Fälle an weiteren Schulen in Südbrandenburg.
Zwischen dem 1. und 12. Mai dieses Jahres meldeten die Schulleitungen in Brandenburg 19 Vorfälle an die staatlichen Schulämter. Im Schulamt Cottbus habe es acht Vorfälle oder Äußerungen gegeben, teilte das Bildungsministerium mit. Das Schulamt Frankfurt (Oder) zählte sechs Vorfälle oder Äußerungen, die Schulämter Neuruppin und Brandenburg / Havel registrierten jeweils drei Fälle.
Deutlich weniger Mitteilungen vor Spreewald
Im Zeitraum zwischen 20. Februar und 3. März dieses Jahres gab es zum Beispiel nur je eine Meldung aus den Schulämtern Brandenburg / Havel und Frankfurt (Oder). Zwischen dem 20. und 31. März zählten die Ämter Brandenburg / Havel und Frankfurt (Oder) je drei Fälle, Cottbus und Neuruppin je zwei Fälle.
"Die Schulen sowohl im Bereich des Schulamtes Cottbus als auch darüber hinaus in ganz Brandenburg nehmen Fälle mit extremistischer Symbolik grundsätzlich sehr ernst", teilte das Ministerium mit. Bildungsminister Steffen Freiberg (SPD) hatte die Lehrkräfte zu mehr Transparenz ermuntert. (dpa/mig)
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