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10 Artikel , 24.05.2023 :

Pressespiegel überregional

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Übersicht:


MiGAZIN, 24.05.2023:
Fragen und Antworten / NSU-Terroristin will ins Aussteigerprogramm - und zeigt Reue

Neue Westfälische, 23.05.2023:
NSU-Terroristin Zschäpe bekennt ihre Schuld

die tageszeitung Online, 24.05.2023:
Geplante Lauterbach-Entführung / "Russland-Freund" statt "Reichsbürger"

Süddeutsche Zeitung Online, 24.05.2023:
Koblenz / Einlassungen im Prozess gegen "Vereinte Patrioten" erwartet

MiGAZIN, 24.05.2023:
Brandenburg / Schon 50 Straftaten mit rassistischem Bezug im ersten Quartal 2023

Spiegel Online, 24.05.2023:
Zentralrat der Juden kritisiert Freispruch für Corona-Impfgegner Bhakdi

Jüdische Allgemeine Online, 24.05.2023:
Josef Schuster kritisiert Bhakdi-Freispruch

Neue Westfälische, 23.05.2023:
Ikone der "Querdenker" freigesprochen

MiGAZIN, 24.05.2023:
Nach Tod des 16-jährigen Geflüchteten / Dortmunder Polizeipräsident besorgt um Beamte

MiGAZIN, 24.05.2023:
"Brauner Dreck" / Netz solidarisiert sich mit rausgeworfener Polizei-Dozentin

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MiGAZIN, 24.05.2023:

Fragen und Antworten / NSU-Terroristin will ins Aussteigerprogramm - und zeigt Reue

24.05.2023 - 14.00 Uhr

Es war für viele eine Überraschung: Fünf Jahre nach dem Ende des NSU-Prozesses redete Beate Zschäpe vor dem bayerischen Untersuchungsausschuss. Sie erzählte, wie sich das "Trio" über Ermittlungsfehler der Polizei amüsierte. Was hat sie noch gesagt - und was nicht?

Es ist wohl der bislang größte Erfolg des zweiten NSU-Untersuchungsausschusses im bayerischen Landtag: Die 2018 zu lebenslanger Haft verurteilte Rechtsterroristin Beate Zschäpe stand den Abgeordneten am Montag stundenlang Rede und Antwort. Grundlegend neu muss die Geschichte der Mordserie an zehn Menschen, die die Republik nachhaltig erschütterte, nicht geschrieben werden. Aber manches Neue hat Zschäpe doch gesagt, über ihre toten Freunde Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, und über ihre ganz persönliche Mitschuld.

Warum hat Beate Zschäpe nun so ausführlich ausgesagt?

Das ist schon die erste Neuigkeit gewesen: dass Zschäpe dem Ausschuss überhaupt Rede und Antwort stand. Und dann auch noch so viele Stunden lang. Niemand hätte sie zwingen können, eine Drohung mit Beugehaft wäre sinnlos gewesen. Es war das erste Mal, dass sie sich seit Prozessende äußerte, und das erste Mal überhaupt, dass sie direkt auf Fragen antwortete. Zur Erinnerung: Im Prozess hatte sie sich - abgesehen von zwei kurzen Wortmeldungen - nur schriftlich geäußert. Warum also jetzt? Darüber lässt sich nur mutmaßen. Weil sie nun ohnehin nichts mehr zu verlieren hat? Oder vor allem deshalb, weil sie irgendwann auf Lockerungen im Strafvollzug hofft, wenn sie rechtzeitig eine Portion Reue zeigt? Taktische Reue sozusagen.

Was war das Neue an Beate Zschäpes Aussage?

Nach Angaben ihres Anwalts Mathias Grasel räumte sie eine Mitschuld an der NSU-Mordserie "deutlich intensiver" ein als im Prozess. "Ich hätte verhindern können, dass aus dem ersten Mord eine Serie wird", sagte sie demnach. Nämlich wenn sie sich damals der Polizei gestellt hätte. "Ich habe das Leben von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt fälschlicherweise über das Leben der Opfer gestellt." Neu auch: Zschäpe bekundete ihr Interesse an einem Aussteigerprogramm, wie ihr Anwalt sagte - darüber berichtete als erstes die "Süddeutsche Zeitung". Sie habe sich deswegen bereits zweimal an die Leitung der Frauenhaftanstalt Chemnitz gewandt, so die "SZ". Die Verantwortlichen hätten aber bisher entschieden, dafür sei die Zeit noch nicht reif.

Hat Zschäpe etwas Neues zu ihrer Tatbeteiligung gesagt?

Ja und nein. Grundsätzlich blieb sie dabei: An konkreten Mordplänen will sie nicht beteiligt gewesen sein, geschweige denn an den Taten. "Eine aktive Mitwirkung gab es nicht, weder in der Vorbereitung noch in der Durchführung", sagte Grasel. Aber: Erstmals hat Zschäpe zugegeben, dass sie von den Ausspähungen potenzieller Opfer gewusst habe. Dass es dabei eben nicht nur um Ziele von Raubüberfällen ging, um Supermärkte und Tankstellen, sondern um Menschen. Die Kriterien seien gewesen: "ausländisch klingender Name, vorzugsweise türkisch, und gute Fluchtmöglichkeit", sagte Grasel. Der Ausschussvorsitzende Toni Schuberl (Grüne) sagte: "Sie wusste, dass auch für Morde ausgespäht wurde." Dass ein Mordopfer griechischstämmig war? Er sei wohl für einen Türken gehalten worden, sagte Zschäpe laut Schuberl. Alle Opfer seien nach Darstellung Zschäpes Zufallsopfer gewesen.

Wäre das Urteil gegen Zschäpe mit diesen Aussagen anders ausgefallen?

Das Oberlandesgericht München verurteilte Zschäpe 2018 auch so wegen zehnfachen Mordes zur Höchststrafe: lebenslange Haft, mit besonderer Schwere der Schuld. Nach fast fünf Jahren Prozessdauer folgte das Gericht der Argumentation der Anklage: Zschäpe habe sehr wohl "alles gewusst, alles mitgetragen und auf ihre eigene Art mitgesteuert und mit bewirkt". Deshalb die Verurteilung als Mittäterin, die 2021 auch vor dem Bundesgerichtshof hielt. Mit Zschäpes neuen Aussagen hätte sich der Senat aber leichter getan, die Mittäterschaft zu begründen. Zschäpe habe gesagt, berichtete Schuberl, dass sie die Schuld ganz klar auch bei sich sehe: "So, als hätte sie selbst abgedrückt." Das entspricht fast der klassischen Definition der Mittäterschaft.

Hat Zschäpe weitere neue Details preisgegeben?

Einige Details waren durchaus neu. Schuberl zitierte Zschäpe etwa damit, dass sich das Trio nach dem Auffliegen eines bekannten V-Mannes gewundert habe, warum man nicht geschnappt wurde. Dass Mundlos sich über Ermittlungsfehler der Behörden, die man über die Medien mitbekommen habe, sehr amüsiert habe. Dass es Böhnhardt dagegen lieber gewesen wäre, wenn die Morde als rechtsextreme Taten eingeordnet worden wären. Dass sich alle drei gewundert hätten, warum der rechtsextreme Hintergrund der Mordserie nicht erkannt worden sei. Andererseits sagte Zschäpe nach Angaben von Abgeordneten auch, dass Tatorte weit weg vom eigenen Wohnort ausgewählt worden seien, damit sie, drei Rechtsextremisten im Untergrund, nicht in Verdacht geraten.

Welche Fragen bleiben offen?

Eine zentrale Frage ist und bleibt auch nach Zschäpes Befragung: Hatte der NSU Unterstützer und Helfer an den Tatorten? Zschäpe sagte dazu laut Schuberl, Mundlos und Böhnhardt hätten potenzielle Tatorte ausgespäht, immer "städteweise" und in zeitlichem Abstand zur dann folgenden Tat. Aber niemand sonst. Es habe keine Helfer etwa in Bayern gegeben, so fassten mehrere Abgeordnete ihre Aussage zusammen. Und Zschäpe habe auch sonst keine Kontakte nach Bayern dargelegt - und zudem bestritten, selbst mehrfach in Nürnberg gewesen zu sein. Ob all das so stimmt? Darin gibt es große Zweifel. Auch der ehemalige bayerische Innenminister Günther Beckstein (CSU) hatte zuletzt ausgesagt, er gehe weiterhin fest von Helfern an den Tatorten aus. Und die Angehörigen der Opfer werden sich weiter vor allem eine Frage stellen: warum ausgerechnet ihr Ehemann, Vater, Sohn sterben musste. (dpa/mig)

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Neue Westfälische, 23.05.2023:

NSU-Terroristin Zschäpe bekennt ihre Schuld

Es ist wohl der bislang größte Erfolg des zweiten Untersuchungsausschusses im bayerischen Landtag: Die 2018 zu lebenslanger Haft verurteilte Rechtsterroristin stand den Abgeordneten stundenlang Rede und Antwort

Christoph Trost

Warum hat Beate Zschäpe so ausführlich ausgesagt?

Das ist schon die erste Neuigkeit gewesen: dass Zschäpe dem Ausschuss überhaupt Rede und Antwort stand, und das über viele Stunden. Niemand hätte sie zwingen können, Beugehaft wäre sinnlos - sie sitzt lebenslänglich. Es war das erste Mal, dass sie überhaupt direkt auf Fragen antwortete. Im Prozess hatte sie sich - abgesehen von zwei kurzen Wortmeldungen - nur schriftlich geäußert. Warum also jetzt? Darüber lässt sich nur mutmaßen. Vielleicht, weil sie nichts mehr zu verlieren hat. Oder weil sie auf Lockerungen im Strafvollzug hofft, wenn sie Reue zeigt.

Was war das Neue an Zschäpes Aussage?

Nach Angaben ihres Anwalts Mathias Grasel räumte sie eine Mitschuld an der NSU-Mordserie "deutlich intensiver" ein als im Prozess. "Ich hätte verhindern können, dass aus dem ersten Mord eine Serie wird", sagte sie demnach. Nämlich wenn sie sich damals der Polizei gestellt hätte. "Ich habe das Leben von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt fälschlicherweise über das Leben der Opfer gestellt."

Hat sie etwas Neues zu ihrer Tatbeteiligung gesagt?

Ja und nein. Grundsätzlich blieb sie dabei: An konkreten Mordplänen will sie nicht beteiligt gewesen sein. "Eine aktive Mitwirkung gab es nicht, weder in der Vorbereitung noch in der Durchführung", sagte Grasel. Aber: Erstmals hat Zschäpe zugegeben, dass sie von den Ausspähungen potenzieller Opfer gewusst habe. Die Kriterien seien gewesen: "ausländisch klingender Name, vorzugsweise türkisch, und gute Fluchtmöglichkeit", sagte Grasel. Der Ausschussvorsitzende Toni Schuberl (Grüne) sagte: "Sie wusste, dass auch für Morde ausgespäht wurde."

Wäre das Urteil gegen Zschäpe mit diesen Aussagen anders ausgefallen?

Das Oberlandesgericht München verurteilte Zschäpe 2018 wegen zehnfachen Mordes zur Höchststrafe: lebenslange Haft, mit besonderer Schwere der Schuld. Nach fast fünf Jahren Prozessdauer folgte das Gericht der Argumentation der Anklage. Zschäpe habe sehr wohl "alles gewusst, alles mitgetragen und auf ihre eigene Art mitgesteuert und mit bewirkt". Deshalb die Verurteilung als Mittäterin, die 2021 auch vor dem Bundesgerichtshof hielt. Mit Zschäpes neuen Aussagen hätte sich der Senat aber leichter getan, die Mittäterschaft zu begründen. Zschäpe habe gesagt, berichtete Schuberl, dass sie die Schuld ganz klar auch bei sich sehe: "So, als hätte sie selbst abgedrückt." Das entspricht fast der klassischen Definition der Mittäterschaft.

Hat Zschäpe weitere neue Details preisgegeben?

Einige Details waren durchaus neu. Schuberl zitierte Zschäpe etwa damit, dass sich das Trio nach dem Auffliegen eines bekannten V-Mannes gewundert habe, warum man nicht geschnappt wurde. Dass Mundlos sich über Ermittlungsfehler der Behörden sehr amüsiert habe. Dass es Böhnhardt dagegen lieber gewesen wäre, wenn die Morde als rechtsextreme Taten eingeordnet worden wären. Dass sich alle drei gewundert hätten, warum der rechtsextreme Hintergrund der Mordserie nicht erkannt worden sei.

Bleiben Fragen offen?

Eine zentrale Frage ist und bleibt auch nach Zschäpes Befragung: Hatte der NSU Unterstützer und Helfer an den Tatorten? Zschäpe sagte dazu laut Schuberl, Mundlos und Böhnhardt hätten potenzielle Tatorte ausgespäht, immer "städteweise" und in zeitlichem Abstand zur dann folgenden Tat. Aber niemand sonst. Es habe keine Helfer gegeben, so fassten mehrere Abgeordnete ihre Aussage zusammen. Ob all das so stimmt? Darin gibt es große Zweifel.

Bildunterschrift: Beate Zschäpe im Juli 2016 im Prozess.

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die tageszeitung Online, 24.05.2023:

Geplante Lauterbach-Entführung / "Russland-Freund" statt "Reichsbürger"

24.05.2023 - 16.54 Uhr

Im Prozess gegen die "Vereinten Patrioten" spricht ein Angeklagter über Umsturzpläne. Der Regierungswechsel sollte unblutig sein.

Christoph Schmidt-Lunau

Koblenz (taz). Fünf Angeklagte aus der Reichsbürger- und Corona-Leugner-Szene müssen sich seit vergangener Woche vor dem Oberlandesgericht Koblenz verantworten.

Die Anklage der Bundesanwaltschaft lautet auf Gründung einer terroristischen Vereinigung und den Versuch, mit einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat in Deutschland einen Umsturz herbeizuführen. Unter anderem sollte den Plänen nach Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) mit Gewalt entführt werden.

Die Pläne und Vorbereitungen waren im April 2022 aufgeflogen, als der Angeklagte Thomas O. in Neustadt an der Weinstraße auf dem Parkplatz eines Baumarkts Waffen übernehmen wollte. Die "Patrioten" waren auf einen verdeckten Ermittler des rheinland-pfälzischen Landeskriminalamts hereingefallen.

Ausschweifende Polemik

Zum Prozessauftakt hatten mehrere Verteidiger deshalb die Einstellung des Verfahrens beantragt. Mit seinem Waffen-Angebot habe "Mark" vom LKA die Tat provoziert; bis zum Zeitpunkt der Übergabe der Waffen sei noch gar keine Vereinigung gegründet gewesen, so die Argumentation der Verteidiger.

Diese Lesart wies der Senat am Mittwoch entschieden zurück. Eine "rechtswidrige Tatprovokation" könne sie nicht erkennen, sagte die Vorsitzende Richterin Anne Kerber. Auch die übrigen Anträge, die Verhandlung in einen größeren Saal zu verlegen und die Sitzungen aufzuzeichnen, lehnte sie ab. Der Prozess habe keine herausragende zeitgeschichtliche Bedeutung, "da die Umsturzpläne nicht in die Tat umgesetzt worden sind", stellte sie fest.

Doch der Angeklagte B, ein Fachmann für Buchhaltung mit NVA- Vergangenheit, der das Kommando "Klabautermann" gegen Bundesminister Lauterbach führen sollte, sieht sich offenbar doch als Person der Zeitgeschichte. Er nutzte den zweiten Verhandlungstag für ein stundenlanges Klagelied über die Zumutungen seines Lebens: Der lieblose und prügelnde Adoptivvater, die verlorene schöne Zeit bei der Oma in der DDR, dann die Unzulänglichkeiten der politischen Alltags im Westen, von der Verschwendung von Lebensmitteln über die misslungene Integration in einer "Multi-Kulti-Welt" bis zum Drogenkonsum. Es gab kaum ein Thema, das er nicht kommentierte.

Ausschweifend polemisierte er gegen die Institutionen von Deutschland, der EU und deren Akteure. Zu seiner politischen Haltung gab er eher vage zu Protokoll. "Ich bin ein Russland-Freund", die Bundesregierung bezichtigte er der "Kriegstreiberei". Ein "Reichsbürger" sei er jedenfalls nicht, sagte er und wies die Zuordnung zu diesem Milieu als "Diffamierung" zurück. "Wir haben Wege gesucht, die nach unserer Meinung einzig gültige Verfassung wieder in Kraft zu setzen." Laut Anklage wollten er und seine Mitangeklagten die Verfassung des Kaiserreichs von 1871 wieder in Kraft setzen, allerdings ohne Kaiser. "Kaiserreichs-Gruppe" treffe die Sache deshalb schon eher, so B. vor Gericht.

Urteil noch nicht absehbar

Der Verteidiger des redseligen Angeklagten, Philipp Grassl, ergänzte, dass sein Mandant niemanden habe verletzten oder töten wollen. Er habe aber keinen anderen Ausweg mehr gesehen, so Grassl. Wegen illegaler Einwanderung, "Zwangsimpfung unter Führung eines Bundeswehrgenerals" sei B. verzweifelt gewesen. Sein Ziel sei ein unblutiger Regierungswechsel gewesen, "wie beim Mauerfall in der DDR", so Anwalt Grassl. Ob sich B., wie sein Verteidiger meint, tatsächlich auf ein "Recht auf Widerstand nach Art 20 Art. 4" berufen kann, wird der Senat am Ende des Verfahrens entscheiden.

Thomas K., der laut Anklage mit Anschlägen das Stromnetz ausschalten und mit dem "Blackout" die Bevölkerung auf den Umsturz vorbereiten sollte, wurde in Koblenz von Rechtsanwalt Patrick Schladt weniger offensiv vertreten. Der Verteidiger erinnerte den Senat vorsichtshalber daran, dass in diesem Verfahren die Tatanteile und die individuelle Schuld jedes einzelnen Angeklagten nachgewiesen und bewertet werden müssten, trotz "der großen Töne, die nach Gewalt klingen".

Bis Januar 2024 sind weitere Verhandlungstermine angesetzt. Wann es ein Urteil geben wird, ist derzeit noch nicht absehbar.

Bildunterschrift: Ein mutmaßliches Mitglied der Terror-Gruppe wird am Dienstag in den Verhandlungssaal gebracht.

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Süddeutsche Zeitung Online, 24.05.2023:

Koblenz / Einlassungen im Prozess gegen "Vereinte Patrioten" erwartet

24.05.2023 - 05.47 Uhr

Koblenz (dpa/lrs). Voraussichtlich mit Einlassungen einiger Angeklagter geht an diesem Mittwoch der Prozess gegen die mutmaßliche Terror-Gruppe "Vereinte Patrioten" weiter. Auf der Anklagebank im Oberlandesgericht (OLG) Koblenz sitzen seit vergangener Woche insgesamt vier Männer im Alter zwischen 44 und 56 Jahren und eine 75-jährige Frau. Sie und drei der Männer hatten am Auftakt-Tag des mit Spannung erwarteten Verfahrens über ihre Anwälte angekündigt, sich zu den Vorwürfen äußern zu wollen. Die Einlassungen dürften sich mindestens bis in den Donnerstag ziehen, Zeugen sind einer Gerichtssprecherin zufolge in dieser Woche noch nicht geladen.

Den Angeklagten wird vorgeworfen, eine inländische terroristische Vereinigung gegründet zu haben oder darin Mitglied gewesen zu sein. Die Gruppe soll unter anderem geplant haben, einen großflächigen Stromausfall herbeizuführen und Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zu entführen. Den ersten Teil des Vorhabens nannten sie "Silent Night", die geplante Entführung bezeichneten sie laut Bundesanwaltschaft als Aktion "Klabautermann".

Den flächendeckenden Blackout wollten sie laut Anklage mit Sprengstoffanschlägen auf Strom-Infrastruktur in Deutschland herbeiführen. In einer "False-Flag"-Aktion sei darüber hinaus geplant gewesen, dass ein Schauspieler den Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier oder Bundeskanzler Olaf Scholz imitiert und die Absetzung der Bundesregierung sowie die Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit des Deutschen Reiches verkündet.

Laut Anklage sollen die Angeklagten ihre Vorhaben bei einer Reihe von Treffen, in Chats und Telefonaten besprochen haben. Die Gruppe wollte 2022 Waffen kaufen, geriet dabei an einen verdeckten Ermittler, woraufhin die Festnahmen der Gruppe folgten, die sich laut Anklage in einen administrativen und einen militärischen Arm aufgeteilt haben soll.

Die Frau, eine frühere in Mainz tätige Lehrerin, soll eine übergeordnete Rolle einer politischen Vordenkerin eingenommen haben. Ihr war auf Grund ihres "Reichsbürger"-Gedankenguts das Ruhegehalt aberkannt worden war, wogegen sie sich vergeblich juristisch zur Wehr setzte. Der 55-jährige Angeklagte Sven Birkmann aus Neuruppin soll eine Führungsrolle im militärischen Arm für sich beansprucht haben.

In der Folge der Ermittlungen gegen die Gruppe der "Vereinten Patrioten" hatte es in Deutschland weitere Ermittlungen und Festnahmen in der "Reichsbürger"-Szene gegeben, darunter die Großrazzia gegen eine Gruppe um den mutmaßlichen Rädelsführer Heinrich Prinz Reuß aus Frankfurt. Zuletzt waren drei weitere mutmaßliche Mitstreiter von ihm festgenommen worden.

Bildunterschrift: Zum Prozessauftakt wird ein mutmaßliches Mitglied der Terror-Gruppe "Vereinte Patrioten" in den Verhandlungssaal gebracht und unterhält sich mit seinen Verteidigern.

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MiGAZIN, 24.05.2023:

Brandenburg / Schon 50 Straftaten mit rassistischem Bezug im ersten Quartal 2023

24.05.2023 - 18.00 Uhr

Die politisch motivierten Straftaten in Brandenburg hatten im Vorjahr einen Höchststand erreicht. Nach vorläufigen Zahlen für das erste Quartal 2023 könnte sich dieser Trend fortsetzen. Die meisten Taten sind rechts motiviert.

Die Polizei in Brandenburg hat im ersten Quartal dieses Jahres nach vorläufigen Angaben 50 Straftaten mit rassistischem Hintergrund registriert. Das waren 19 Delikte weniger als im ersten Quartal des Vorjahres, wie aus der Antwort des Innenministeriums in Potsdam auf eine Anfrage der Landtagsabgeordneten Andrea Johlige (Linke) hervorgeht.

Die tatsächliche Zahl der Straftaten liegt nach bisherigen Erfahrungen allerdings höher, da im Laufe des Jahres Nachmeldungen aus polizeilichen Ermittlungen aus anderen Delikten hinzu kommen. So hatte sich die zunächst genannte Zahl der rassistisch motivierten Straftaten für das erste Quartal 2022 von 41 zum Jahresende auf 69 erhöht.

Die Zahl der Straftaten gegen Flüchtlinge und deren Unterkünfte erhöhte sich laut Innenressort dagegen im Vergleich zu den ersten Quartalen beider Jahre leicht von 46 auf 48. Auch hier handelt es sich um eine vorläufige Zahl, die höher ausfallen könnte.

Fast alle Straftaten rechts motiviert

Bis auf drei Fälle ordnete die Polizei alle Straftaten mit rassistischem Bezug dem rechten Spektrum zu. Das gilt auch für 43 der 48 Angriffe auf Flüchtlinge und deren Unterkünfte. Bei den übrigen Delikten galt religiöse Ideologie als Motiv oder aber sie konnte keinem Bereich zugeordnet werden. Die mit Abstand meisten Straftaten betrafen den Vorwurf der Volksverhetzung. Bei weiteren Delikten ging es unter anderem um Beleidigungen, Körperverletzungen und Nötigungen.

Nach Ansicht der Linken-Abgeordneten Johlige bedeutet jede rassistisch motivierte Straftat einen tiefen Einschnitt für die Opfer, die nicht selten auch anderen Diskriminierungen ausgesetzt seien. "Deshalb bleibt es wichtig, Haltung zu zeigen gegen rassistische Diskriminierungen", sagte sie der Deutschen Presse-Agentur. Der Staat müsse dafür sorgen, dass den Straftaten eine konsequente Strafverfolgung und schnelle Verfahren folgten. (dpa/mig)

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Spiegel Online, 24.05.2023:

Zentralrat der Juden kritisiert Freispruch für Corona-Impfgegner Bhakdi

23.05.2023 - 12.32 Uhr

"Das Gericht legitimiert hier reinen Antisemitismus"

Ein falsches Verständnis von Meinungsfreiheit? Der Zentralrat der Juden hat empört auf den Freispruch von Sucharit Bhakdi reagiert. Auch die Generalstaatsanwaltschaft ist nicht einverstanden mit dem Urteil.

Der Zentralrat der Juden in Deutschland zeigt sich verärgert über den Freispruch für den Mediziner und Autor Sucharit Bhakdi vom Vorwurf der Volksverhetzung. Der Präsident des Zentralrats, Josef Schuster, nannte das Urteil empörend und sagte: "Das Gericht legitimiert hier reinen Antisemitismus."

Mit der Auslegung des Begriffes "Volk der Juden" als vermeintliche Kritik an der israelischen Regierung folge das Gericht dem Narrativ, das jeden Juden überall für die Aktivitäten des Staates Israel verantwortlich mache. Diese Haltung von einem deutschen Gericht als Argumentationsgrundlage zu hören, "ist nichts weniger als skandalös", sagte Schuster.

Er kritisierte auch, dass das Gericht zwar die Verharmlosung des Holocausts durch Bhakdi zweifelsfrei gesehen habe, aber Meinungsfreiheit bei einer Wahlkampf-Rede höher gestellt habe. "Zum wiederholten Mal sehe ich mich gezwungen darauf hinzuweisen, dass Antisemitismus keine Meinung ist."

Reden während der Corona-Pandemie nicht strafbar

Das Amtsgericht im schleswig-holsteinischen Plön hatte Bhakdi, der als eine Ikone der "Querdenker"-Bewegung gilt, am Dienstag vom Vorwurf der zweifachen Volksverhetzung freigesprochen. Das Gericht bewertete Reden des Angeklagten während der Corona-Pandemie als nicht strafbar.

Die Generalstaatsanwaltschaft hatte Bhakdi vorgeworfen, im April 2021 im Zusammenhang mit heftiger Kritik an der Impf-Politik Israels auch gegenüber in Deutschland lebenden Jüdinnen und Juden zum Hass aufgestachelt und diese als religiöse Gruppe böswillig verächtlich gemacht zu haben.

Der Richter hatte in seiner Begründung gesagt, es sei nicht vollständig auszuschließen, dass Bhakdi mit seinen Äußerungen nur die israelische Regierung und nicht das Volk meinte. Die Vertreterin der Generalstaatsanwaltschaft kündigte Rechtsmittel an.

Bhakdi, ein Mikrobiologe, verbreitete in seinen Bestsellern zur Pandemie, in Interviews und Reden nach Wertung von Wissenschaftlern mehrfach Corona-Falschinformationen. Die Universitäten in Mainz und Kiel, an denen er früher arbeitete, haben sich von Bhakdis Äußerungen distanziert.

Bildunterschrift: Josef Schuster (2021): "Zum wiederholten Mal sehe ich mich gezwungen, darauf hinzuweisen, dass Antisemitismus keine Meinung ist."

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Jüdische Allgemeine Online, 24.05.2023:

Josef Schuster kritisiert Bhakdi-Freispruch

24.05.2023 - 12.05 Uhr

Zentralratspräsident: "Gericht legitimiert mit Urteil reinen Antisemitismus".

Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, ist "empört" über den Freispruch des umstrittenen Mediziners Sucharit Bhakdi durch das Amtsgericht Plön. Er bezeichnete das Urteil als "skandalös".

Die Generalstaatsanwaltschaft hatte Bhakdi Volksverhetzung in zwei Fällen vorgeworfen. Demnach sollte er im April 2021 im Zusammenhang mit heftiger Kritik an der Impf-Politik Israels auch gegenüber in Deutschland lebenden Jüdinnen und Juden zu Hass aufgestachelt und diese als religiöse Gruppe böswillig verächtlich gemacht haben.

Bhakdi hatte damals gesagt: "Das Volk, das geflüchtet ist aus diesem Land, aus diesem Land, wo das Erzböse war, und haben ihr Land gefunden, haben ihr eigenes Land verwandelt in etwas, was noch schlimmer ist, als Deutschland war. ( … ) Das ist das Schlimme an den Juden: Sie lernen gut. Es gibt kein Volk, das besser lernt als sie. Aber sie haben das Böse jetzt gelernt - und umgesetzt. Und deswegen ist Israel jetzt living hell - die lebende Hölle."

Querdenker

Der pensionierte Professor für Mikrobiologie gilt als Ikone der "Querdenker"-Bewegung. In seinen Bestseller-Büchern zur Pandemie, in Interviews und Reden verbreitete er mehrfach Falschinformationen über die Corona-Pandemie.

Der Richter am Amtsgericht Plön folgte der Argumentation der Staatsanwaltschaft jedoch nicht und sprach Bhakdi in beiden Anklagepunkten frei. Es müssten auch andere Deutungen berücksichtigt werden. Es sei nicht vollständig auszuschließen, dass Bhakdi mit seinen Äußerungen nur die israelische Regierung und nicht das jüdische Volk gemeint habe.

Der Zentralratspräsident wies diese Begründung mit scharfen Worten zurück. Wörtlich erklärte Josef Schuster: "Das Gericht legitimiert hier reinen Antisemitismus. Mit der Auslegung des Begriffes "Volk der Juden" als vermeintlicher Kritik an der israelischen Regierung folgt es dem Narrativ, welches jeden Juden, überall, für die Aktivitäten des Staates Israel verantwortlich macht. Dies ist eine Haltung, die man von BDS-Aktivisten kennt. Sie von einem deutschen Gericht als Argumentationsgrundlage zu hören, ist nicht weniger als skandalös."

Präzisierung

Der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Volker Beck, regte eine Präzisierung der strafrechtlichen Bestimmungen an. An Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) gewandt, schrieb Beck auf Twitter: "Das Urteil zu Bhakdi war womöglich richtig. Die Rechtslage ist es nicht. Es braucht eine Korrektur." Volksverhetzung gegen Menschengruppen im Ausland straflos zu lassen, vergifte das Klima.

Die Generalstaatsanwaltschaft teilte der Jüdischen Allgemeinen auf Anfrage mit, man werde das Urteil nicht hinnehmen. "Die Generalstaatsanwaltschaft Schleswig-Holstein teilt die rechtliche Einschätzung des Amtsgerichts nicht. Sie wird gegen das Urteil Rechtsmittel einlegen und die Entscheidung hinsichtlich beider Anklagepunkte anfechten", erklärte die Behörde in Schleswig. Infrage kommt sowohl eine Berufung, bei das Verfahren vor dem Landgericht Kiel neu verhandelt würde, als auch die Revision vor dem Oberlandesgericht, bei der nur mögliche rechtliche Fehler überprüft werden würden. (mth/dpa)

Bildunterschrift: Findet die Argumentation des Richters befremdlich: Zentralratspräsident Josef Schuster.

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Neue Westfälische, 23.05.2023:

Ikone der "Querdenker" freigesprochen

Karen Katzke und Sönke Möhl

Plön. Der Mediziner und Autor Sucharit Bhakdi ist vor dem Amtsgericht im schleswig-holsteinischen Plön vom Vorwurf der zweifachen Volksverhetzung freigesprochen worden. Das Gericht habe nicht feststellen können, dass sich der 76-Jährige mit Äußerungen im Wahlkampf 2021 sowie einem Interview im Internet strafbar gemacht habe, sagte Richter Malte Grundmann in der Urteilsbegründung. Zwar sei der Vergleich zwischen Impf-Politik und Holocaust nicht hinnehmbar, aber Bhakdis Äußerungen seien nicht geeignet gewesen, den öffentlichen Frieden zu stören. Das Gericht folgte damit der Auffassung der Verteidigung, die Freispruch gefordert hatte.

Die Generalstaatsanwaltschaft warf dem pensionierten Professor für Mikrobiologie Volksverhetzung in zwei Fällen vor. Laut Anklage soll Bhakdi im Zusammenhang mit heftiger Kritik an der Impf-Politik Israels auch gegenüber in Deutschland lebenden Jüdinnen und Juden zum Hass aufgestachelt und diese als religiöse Gruppe böswillig verächtlich gemacht haben. Die Verteidigung wies dies zurück und warf der Generalstaatsanwaltschaft vor, das Verfahren politisiert zu haben.

Bhakdi selbst sagte nach dem Freispruch: "Ich empfinde große Dankbarkeit gegenüber der deutschen Justiz und dem Gericht Plön." Ein 67 Jahre alter Unterstützer meinte: "Es gibt doch noch Gerechtigkeit. Damit habe ich nicht gerechnet." Doch noch ist der Fall nicht abgeschlossen. Die Oberstaatsanwältin kündigte Rechtsmittel an.

Vor dem Gerichtsgebäude in der Kreisstadt hatten sich bereits am frühen Morgen mehr als 300 Anhänger Bhakdis versammelt. Mehrere Hundert Anhänger des scharfen Kritikers der Corona-Politik bejubelten den Professor erneut lautstark. Im Gerichtssaal kam es vor Beginn der Verhandlung zu einer ungewöhnlichen Szene. Eine weiß gekleidete Frau kniete vor dem Angeklagten nieder. Der bekennende Buddhist Bhakdi hielt seine flachen Hände vor der Brust gegeneinander, lächelte und unterhielt sich mit der Frau.

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MiGAZIN, 24.05.2023:

Nach Tod des 16-jährigen Geflüchteten / Dortmunder Polizeipräsident besorgt um Beamte

24.05.2023 - 15.00 Uhr

Der Tod des 16-jährigen Asylbewerbers in Dortmund hatte eine Debatte um Polizeigewalt und Rassismus in den Reihen der Sicherheitsbehörden ausgelöst. Ein "Bild"-Bericht rückt jetzt die Dortmunder Polizei als Opfer in den Fokus. Der Polizeipräsident zeigt sich besorgt.

Nach Medienberichten über Sicherheitsprobleme in der Dortmunder Nordstadt hat Polizeipräsident Gregor Lange Verunsicherung unter den für die Wache tätigen Polizisten eingeräumt. Sie stünde in Zusammenhang mit dem Einsatz im August 2022, bei dem der 16 Jahre alte Geflüchtete Mouhamed Dramé aus dem Senegal von einem Polizisten erschossen worden war. Spätere Untersuchungen hatten gravierendes Polizei-Versagen zutage gefördert.

"Was im Wachbereich Nord im vergangenen Jahr passiert ist, steckt nicht jeder so einfach weg", teilte Lange am Dienstag in einer schriftlichen Stellungnahme mit. Fünf Kolleginnen und Kollegen müssten sich demnächst vor Gericht verantworten. "Es ist nur verständlich, dass die derzeitige Situation auch Unsicherheit auslöst."

Dennoch erwarte er von seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, "dass sie da, wo kriminelle Strukturen erkennbar werden, konsequent einschreiten - natürlich immer unter Nutzung rechtsstaatlicher Mittel und Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes." Dafür hätten alle Beamtinnen und Beamten Rückendeckung.

Bericht macht Runde in rechten Kreisen

Zuvor hatte das Boulevardblatt "Bild" anonyme Aussagen von Polizisten veröffentlicht, die fehlende Rückendeckung des Präsidiums bei Einsätzen in dem Viertel kritisierten. Beamte seien etwa angewiesen worden, möglichst wenige Migranten zu kontrollieren. Auch Geschäftsleute aus der Nordstadt beklagten laut "Bild" mangelnde Kontrollen. Beamte hätten Angst, gegen aggressive Dealer einzugreifen. "Die Polizisten wollen halt keinen neuen Ärger", wurde ein Ladeninhaber zitiert. Der "Bild"-Bericht macht in den Sozialen Medien in rechten Kreisen die Runde, rechtsextreme Internetportale übernehmen die Meldung.

Polizeipräsident Lange sieht die Behörde vor einer Zerreißprobe: "Die einen fordern von uns härteres Vorgehen. Von anderer Seite wird uns übertriebene Härte vorgeworfen." Die Anzahl der Straftaten sei zuletzt gestiegen.

Sechs Schüsse auf einen 16-Jährigen Asylbewerber

Die Personaldecke sei im Wach- und Wechseldienst allgemein angespannt, teilte Polizeisprecher Felix Groß mit. Aktuell lägen 15 Umsetzungsgesuche von Beamten aus der Wache Nord vor, "für eine derartig große Wache eine unauffällige Zahl". Daneben gäbe es 14 Gesuche von Beamten, die von einer anderen Wache zur Wache Nord wechseln wollten.

Bei dem Einsatz am 8. August hatte ein Polizist sechs Schüsse aus einer Maschinenpistole abgefeuert. Vier trafen den Jugendlichen, von dem bis zum Angriff der Polizei keine Gefahr ausgegangen ist. In Dortmund kam es danach zu Demonstrationen des linken Spektrums und der afrikanischen Community. Der Fall hatte bundesweit Empörung ausgelöst und eine Debatte über Polizeigewalt entfacht. Prof. Dr. Claus Melter von der Fachhochschule Bielefeld hatte gegenüber MiGAZIN erklärt: "Es ist schwer vorstellbar, dass bei einem Anruf einer Jugendhilfeeinrichtung bei einem, als weiß und christlich angesehenem suizid-gefährdetem Jugendlichen, ähnlich gehandelt worden wäre." (dpa/mig)

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MiGAZIN, 24.05.2023:

"Brauner Dreck" / Netz solidarisiert sich mit rausgeworfener Polizei-Dozentin

24.05.2023 - 13.00 Uhr

Nach einem Tweet ist sie ihren Nebenjob als Hochschuldozentin los: Bahar Aslan, die an der Polizei-Hochschule Gelsenkirchen "interkulturelle Kompetenzen" vermittelte, wird dies künftig dort wohl nicht mehr tun. Sie hat aber offenbar schon neue Job-Angebote und volle Rückendeckung im Netz. Die Polizei erntet Kritik.

Die Hochschuldozentin Bahar Aslan hat sich nach ihrem Rauswurf von der Polizei-Hochschule in Gelsenkirchen für Unterstützung und Zuspruch bedankt. Besonders freue sie sich über diverse Jobangebote von Universitäten und Fachhochschulen, twitterte sie in der Nacht zum Dienstag. Aslans Lehrauftrag war wegen eines Tweets nicht erneuert worden.

Die Kritik an ihrem Rauswurf reicht von "Dunkler Tag für die Meinungsfreiheit" und "Klarer Fall von Cancel Culture". Aslan räumte aber auch erstmals ein: "Die Ausdrucksweise mag man kritisieren, vielleicht war es eine unglückliche Wortwahl."

"Es tut mir leid, wenn sich Polizisten angesprochen fühlen, die vorbildlich ihren Dienst tun. Es ging mir um jene Beamtinnen und Beamte, die sich an rechtsextremen Chats beteiligen, die mit ihrer rassistischen Geisteshaltung ganze Dienststellen vergiften. Sie haben das Vertrauen in diese Institution gerade in der migrantischen Community tief erschüttert", sagte sie "Zeit online".

Gleichwohl sei sie der Ansicht: "Dass sie mich rauswerfen, ist gesellschaftlich ein bedenkliches Signal. Ich bin überrascht, dass sie das gemacht haben, ohne mit mir zu reden." Aslan hatte an der Polizei-Hochschule einen Lehrauftrag für "interkulturelle Kompetenzen".

Der braune Dreck in den Sicherheitsbehörden

Der Tweet von Aslan lautet: "Ich bekomme mittlerweile Herzrasen, wenn ich oder meine Freundinnen, Freunde in eine Polizeikontrolle geraten, weil der ganze braune Dreck innerhalb der Sicherheitsbehörden uns Angst macht. Das ist nicht nur meine Realität, sondern die von vielen Menschen in diesem Land."

Die Hochschule hatte daraufhin am Montag mitgeteilt: "Aus Sicht der Hochschulleitung ist die Dozentin auf Grund ihrer aktuellen Äußerungen ungeeignet, sowohl den angehenden Polizistinnen und Polizisten als auch den zukünftigen Verwaltungsbeamtinnen und -beamten eine vorurteilsfreie, respektive fundierte Sichtweise im Hinblick auf Demokratie, Toleranz und Neutralität zu vermitteln."

Gewerkschaft der Polizei löst Hass-Welle aus

Michael Mertens, Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP), hatte zuvor am Montag gesagt, eine solche "Pauschalverurteilung der Sicherheitsbehörden geht gar nicht". Der Fall müsse arbeits- und strafrechtlich aufgearbeitet und geprüft werden. Der nordrhein-westfälische CDU-Innenpolitiker Christos Katzidis sagte, die Äußerung sei "unerträglich und untragbar". Er erwarte eine strafrechtliche und eine disziplinarrechtliche Prüfung.

Aslan sprach von einer Verleumdungskampagne, an der sich zu ihrem Erstaunen GdP-Landeschef Mertens beteiligt habe: Es habe sich bei ihrem Tweet nicht um eine Pauschalverurteilung aller Polizisten gehandelt, wie dieser behaupte. "Dachte, dass es Konsens ist, dass wir klare Kante gegen Rechts zeigen. Habe mich offensichtlich geirrt", twitterte sie. Über das Agieren der Gewerkschaft sei sie "sehr erstaunt". Sie bekomme nun Hass-Botschaften im Minutentakt.

Bezirksregierung prüft Vorgang

Aus dem NRW-Schulministerium hieß es, zum konkreten Einzelfall könne man keine Stellung nehmen. Grundsätzlich gelte aber, dass Lehrer zwar die Meinungsfreiheit des Grundgesetzes genießen, besonders als Beamte aber bei politischen Äußerungen zu Mäßigung und Zurückhaltung aufgerufen seien. Hauptberuflich unterrichtet Aslan an einer Gelsenkirchener Hauptschule.

Vor diesem Hintergrund prüften die personalrechtlich zuständigen Bezirksregierungen grundsätzlich auch Äußerungen von Lehrern auf Twitter. Die zuständige Bezirksregierung Münster werde den Vorgang prüfen. Dort bestätigte ein Sprecher, man werde den aktuellen Vorgang als Schulaufsicht prüfen.

Netz solidarisch mit Aslan

Im Netz schlägt der Fall hohe Wellen. Zahlreiche Persönlichkeiten solidarisieren sich mit Aslan, die Polizei erntet deutliche Kritik. Rechtsanwältin Asha Hedayati sieht in der Causa Aslan "ein eindrückliches Lehrstück über deutsche Verhältnisse", in denen People of Colour "in allen Bereichen härter bewertet, verurteilt, mundtot gemacht werden, ihre Jobs und schlimmstenfalls ihr Leben verlieren".

Ähnlich sieht das Selmin Çalışkan, frühere Generalsekretärin der deutschen Sektion von amnesty international. Die Entlassung von Bahar Aslan sei "ein Skandal" für die demokratische Verfasstheit deutscher Institutionen. "Die Polizei soll uns vor Rechtsmotivierten schützen. Nicht die Kritikerin gehört gestoppt, sondern die nachweisliche Unterwanderung der Polizei durch rechte Netzwerke", kritisiert Çalışkan auf Twitter.

Bittere Wahrheiten

Seda Başay-Yıldız, NSU-Opfer-Anwältin, schreibt auf Twitter: "Tatsächlich bewege ich mich aus Gründen so unauffällig wie möglich in Frankfurt, um bloß in keine (Polizei-)Kontrolle zu geraten. Was ist daran so schwer zu verstehen, dass die Verunsicherung groß ist, weil man grad nicht weiß mit wem man es zu tun hat?"

Laut Bettina Kohlrausch, Soziologin und Hochschullehrerin an der Universität Paderborn, ist es "sehr besorgniserregend", wenn die Thematisierung rechtsradikaler Strukturen innerhalb demokratischer Institutionen, wie der Polizei, sanktioniert wird. Georg Restle, Journalist, twittert: "Dass die Polizei ein erhebliches Problem mit rechtsextremen Zirkeln in ihren Reihen hat, gehört … zu den bitteren Wahrheiten in diesem Land. Darauf hinzuweisen ist ein Verdienst, kein Kündigungsgrund."

Very long way to go

Kritik erntet die Polizei auch von Ronen Steinke, Journalist und Buchautor: "Der Beruf des Polizisten, der Polizistin, erfordert Courage nach außen wie auch nach innen. Auch gegen Rechtsverletzungen oder Ressentiments in den eigenen Reihen muss man den Mund aufbekommen. Eine Polizeihochschule NRW, die dies nicht will, kann abtreten."

Der Kriminologe und Autor des Buches "Die Polizei - Helfer, Gegner, Staatsgewalt", Tobias Singelnstein, macht auf einen weiteren Punkt aufmerksam: Der Fall zeige "wie unter einem Brennglas, wie wenig Verständnis der Mainstream in der Polizei für die Perspektive von Menschen hat, die von Rassismus betroffenen sind. Very long way to go." (dpa/mig)

Bildunterschrift: Umstrittener Tweet von Bahar Aslan.

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