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Lippische Landes-Zeitung , 23.01.2023 :

"Die Initiative muss von den Bürgern ausgehen"

"Stolpersteine" erinnern vielerorts an die Opfer des Holocaust / In Schieder-Schwalenberg gab es 2015 eine erste Initiative, einen solchen Stein zu verlegen / Nun kommt wieder Bewegung in die Sache

Martin Hostert

Schieder-Schwalenberg. Stolpersteine erinnern in vielen Orten Lippes an die Opfer des Nationalsozialismus - etwa in Barntrup, in Lemgo, in Bad Salzuflen und Detmold. In Blomberg sind sieben Stolpersteine geplant, in Detmold wird es ebenfalls weitere geben, auch in Lage läuft die Diskussion. In Schwalenberg hingegen ist das Thema derzeit nicht mehr aktuell, soll es aber wieder werden.

Rückblick: Im Juni 2015 hatte der Rat einer Beschlussvorlage einstimmig zugestimmt: Der Rat ermutige dazu, "sich intensiv und mutig mit einem dunklen Kapitel deutscher Geschichte auseinanderzusetzen", hieß es vor siebeneinhalb Jahren in der Vorlage des damaligen Bürgermeisters Gert Klaus. Es ging darum, vor dem stadteigenen Gebäude Marktstraße 5, also der städtischen Galerie "Haus Bachrach", einen Stolperstein zu verlegen. Dort hatte die Familie Bachrach gelebt, die den Novemberpogromen 1938 zum Opfer fiel.

"Die Verwaltung wird beauftragt, die Bevölkerung allgemein sowie Vereine und Institutionen (etwa Kirchengemeinden) individuell über das Vorhaben zu informieren und zu einer offenen und unterstützenden Haltung zu bewegen", hieß es damals weiter. Denn: "In der Stadt gibt es keine sichtbaren Hinweise auf das Leben und Schicksal jüdischer Familien." Im Januar 2018 flackerte das Thema erneut kurz auf, seitdem ruht es.

Die LZ fragte im Rathaus nach und erfuhr von Bürgermeister Jörg Bierwirth: Eine Schwalenberger Bürgerin habe ihm gegenüber jüngst erneut den Anstoß gegeben, die Angelegenheit wieder aufzunehmen. Bierwirth freue das sehr, er stellt aber klar: "Mir ist ganz wichtig, dass ein solches Engagement von der Bürgerschaft ausgeht, von Vereinen, Verbänden oder Privatpersonen." Auch der erste Anstoß 2015 sei von den Bürgern gekommen, nämlich vom Jugendkreis Schieder, was er sehr begrüßt habe.

Damals gab es sogar eine Ausstellung im Haus Bachrach. Doch als Sozialarbeiterin Linda Hermanns-Janßen den Arbeitsplatz gewechselt habe, sei die Idee allerdings nicht weiter verfolgt worden. Der Bürgermeister: "Wir hatten das Thema, zumindest was den Ort Schwalenberg und die Familie Bachrach betrifft, soweit ausgearbeitet."

Bierwirth sagt, er habe in den vergangenen Jahren "den einen oder anderen" immer wieder ermuntert, das Vorhaben weiterzuführen.

Das sei ein ehrenamtliches Projekt, er unterstütze es. "Ich würde es begrüßen, dass wir zumindest in Schwalenberg vor unserer städtischen Galerie Haus Bachrach einen solchen Stein verlegen würden. Die Zeit dafür ist sehr reif." Aber, macht der Bürgermeister auch klar: "Der Kunstverein erinnert ja mindestens einmal im Jahr mit einer Aktion an die Pogromnacht." Mit Lesungen, Aktionen, Schüler-Projekten. "Solche Aktionen finde ich sogar noch besser als die Stolpersteine, die ergänzend wären. Die Geschichte wird den Menschen dadurch sehr nahe gebracht." Er sei froh, dass der Kunstverein die Erinnerung an das Grauen des Holocaust immer wieder aufgreife.

Kontakt zum Autor: MHostert@lz.de

Bildunterschrift: Der Kunstverein erinnert seit Jahren an die Reichspogromnacht - etwa wie hier 2021 mit eindrucksvollen Lichteffekten auf der Fassade von Haus Bachrach. Die Verlegung eines Stolpersteines vor dem Haus würde dieses Engagement ergänzen.

Bildunterschrift: Ein Stolperstein in Bad Salzuflen erinnert an Kurt Andermann, der von den Nazis verschleppt und ermordet wurde. Das Vorhaben, einen solchen Stein auch in Schwalenberg zu verlegen, ruht seit Jahren.

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Lippische Landes-Zeitung, 07./08.11.2020:

Gedenken in Worten, Klängen und Bewegung

Der Berliner Künstler Jens Reulecke erinnert am Montag mit einer Performance an das frühere jüdische Leben im Haus Bachrach / Der Kunstverein zeichnet die Aktion auf, um sie über den November im Fenster der Galerie zu präsentieren

Barbara Luetgebrune

Schieder-Schwalenberg. "abwesend - da": In Leucht-Buchstaben ist dieser Schriftzug in den Fenstern von Haus Bachrach zu lesen. Die Installation stammt von Jens Reulecke, der aktuell gemeinsam mit Marlies Reulecke in der Galerie des Kunstvereins Schwalenberg die Ausstellung "Augenblicke - von Leben und Sterben" zeigt. Der Schriftzug, obwohl anders gemeint, bringt die aktuelle Lage auf den Punkt: Kunstfreunde sind in der Galerie derzeit Corona-bedingt abwesend - der Berliner Künstler aber wird da sein. Am Montag, 9. November, präsentiert er ab 18 Uhr seine Performance "nächtlich schwanken". Auch ohne Publikum.

Natürlich spiele das Publikum generell eine wichtige Rolle bei Performances, sagt Jens Reulecke. "Aber in diesem Fall geht es mir vor allem um den Ort und um das, was ich dort gespürt habe, speziell im Kontext mit dem früheren jüdischen Leben dort. Das ist dort nach wie vor so präsent, dass es auch ohne Zuschauer gehen wird." Das jüdische Leben ist abwesend und doch da, ist wahrzunehmen im Haus Bachrach: Mit der Lichtinstallation und eben auch mit der Performance reagiert der Künstler auf das Schicksal der früheren Bewohner des Hauses. Sie ist verbleibender Teil des Programms "Sachor! Erinnere dich", das der Kunstverein dem Gedenken der Opfer der Pogromnacht am 9. November 1938 widmet.

Die Familie Bachrach war eine der alteingesessenen jüdischen Familien in Schwalenberg, sie hatte 1700 ein Handelsgeschäft gegründet. Bis in die 1930er Jahre versorgte es Kunden vor allem im ländlichen Umland mit Manufaktur- und Modewaren, Eisenwaren und Landesprodukten. "Während des Novemberpogroms von 1938 wurde das Geschäft der Familie Bachrach verwüstet, die Wohnung demoliert und der Besitzer in eine so genannte Schutzhaft genommen. Zuletzt fielen alle acht in Schwalenberg noch wohnende Juden ihren Mördern zum Opfer. Als Sterbeorte werden Riga, Stutthof, Lodz und Auschwitz genannt", stellt der Kunstverein dem Programm voran.

Die Performance "nächtlich schwanken" wird begleitet von Texten der Schriftstellerin Jenny Aloni, die 1917 in Paderborn geboren wurde und 1939 nach Palästina auswanderte, wo sie 1993 starb. Ihre Eltern und ihre Schwester, die in Deutschland zurückblieben, wurden deportiert und ermordet. Jenny Alonis Texte beschreiben detailliert die Zerstörung des Warenhauses ihrer Familie während des Novemberpogroms und schaffen so eine Nähe zu jenen Ereignissen, die der Familie Bachrach zur selben Zeit widerfuhren.

"Ich habe geschaut, was und wen es in der Region noch gab. In diesem Kontext und bin auf Jenny Aloni gestoßen", sagt Jens Reulecke. "Sie hat Gedichte geschrieben, aber auch ein literarisches Lesebuch herausgegeben, in dem sie die Ereignisse dieser Zeit genau schildert." Einige Passagen daraus hat der Künstler selbst eingelesen, kommentiert und begleitet werden die aufgenommenen Texte von unterschiedlichen Klängen. "Es gibt ein Xylophon, das sich durchzieht, aber auch Klänge von einem Streichpsalter, den ich zupfe", erläutert Jens Reulecke. "Außerdem wird es bei der Performance selbst eine dritte Klangebene geben, die aus Sounds besteht, die ich erzeuge, wenn ich Alu-Elemente anschlage und sie nachklingen lasse." So entstehen Schwingungen, die Jenny Alonis Worte weiter tragen und in der Schwebe halten, wenn der Künstler sich unmittelbar zu den Texten und Klängen bewegt, und zwar auf dem Weg von Haus Bachrach an der Marktstraße 15 zur ehemaligen Schwalenberger Synagoge und zurück. "Ein Weg, den die Familie oft gegangen sein dürfte", sagt Jens Reulecke.

Der Kunstverein Schwalenberg wird die Aktion am Montag begleiten und per Video aufzeichnen, das später im "Kunstfenster" der Pandemie-bedingt über den November geschlossenen Galerie zu sehen sein wird - das Angebot des "Kunstfensters" war schon im ersten Lockdown im Frühjahr gut angenommen worden durch die Schwalenberger Kunstfreunde.

Dass die lange geplante Aktion nun wieder in die Lockdown-Zeit falle, sei in gewisser Weise stimmig, findet Jens Reulecke, der an der Hochschule der Künste Berlin Bildende Kunst studiert hat und aktuell künstlerisch in den Genres Performance, Installation und Fotografie arbeitet. "Der Lockdown passt thematisch insofern zu der Zeit, die ich in "nächtlich schwanken" thematisiere, als durch ihn die Dinge aus den Angeln gehoben werden."

Weitere Infos:

www.kunstverein-schwalenberg.de
www.jensreulecke.com

Bildunterschrift: Die Installation "abwesend - da" von Künstler Jens Reulecke ist aktuell im "Kunstfenster" der Galerie Haus Bachrach in Schieder-Schwalenberg zu sehen.

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Lippische Landes-Zeitung, 14.02.2018

Stadt erwägt Verlegung von Stolpersteinen

Schieder-Schwalenberg (bo). In Schieder-Schwalenberg wird überlegt, durch so genannte Stolpersteine an die aus der Stadt stammenden jüdischen Opfer der NS-Diktatur zu erinnern. Allerdings stehen die Pläne dazu noch ganz am Anfang, berichtet Bürgermeister Jörg Bierwirth auf LZ-Anfrage.

Die Stolpersteine sind ein Projekt, das der Künstler Gunter Demnig ins Leben gerufen hat. Dabei werden kleine Gedenktafeln mit den Namen der NS-Opfer im Boden versenkt, in der Regel vor den ehemaligen Wohnhäusern. Zahlreiche Städte in Deutschland, aber auch in anderen europäischen Ländern, haben sich bereits an der Aktion beteiligt. In Schieder-Schwalenberg gibt es nun ebenfalls solche Überlegungen. "Es hat ein erstes Treffen gegeben, bei dem wir mit etwa acht Leuten zusammengesessen haben", berichtet Bürgermeister Bierwirth. Überlegt werde, etwa vor einem Haus in Schwalenberg einen Stolperstein zu installieren. "Allerdings soll zunächst einmal Kontakt mit den in den USA lebenden Nachfahren der jüdischen Familie aufgenommen werden, ob sie die Installation eines Stolpersteins überhaupt wünschen würden", sagt das Stadtoberhaupt. Die Federführung bei dem Projekt soll seinen Angaben zufolge das Jugendzentrum in Schieder übernehmen.

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Im Juni 2015 stimmte der Rat der Stadt Schieder-Schwalenberg einer Beschlussvorlage, "sich intensiv und mutig mit einem dunklen Kapitel deutscher Geschichte auseinanderzusetzen ( ... )", übereinstimmend zu.

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www.schieder-schwalenberg.de

www.jüdische-gemeinden.de/index.php/gemeinden/s-t/1777-schwalenberg-nordrhein-westfalen


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