3 Artikel ,
14.01.2022 :
Pressespiegel überregional
_______________________________________________
Übersicht:
die tageszeitung, 14.01.2022:
Die unsichtbare Tinte des Good Guy
t-online.de, 14.01.2022:
Rechter Angriff auf Habeck / AfD-Mann verharmlost im Bundestag den Nationalsozialismus
Neue Westfälische, 14.01.2022:
AfD-Politiker muss vor Amtsgericht / Gunnar Beck wird Titelmissbrauch vorgeworfen
_______________________________________________
die tageszeitung, 14.01.2022:
Die unsichtbare Tinte des Good Guy
Emigrant, Literaturprofessor, "Ritchie Boy", Exil-Forscher: Der aus Hildesheim stammende Guy Stern feiert heute seinen 100. Geburtstag. Seine Memoiren gibt es nun auch auf Deutsch.
Von Wilfried Weinke
Nur wenige Fotos zeigen Guy Stern nicht mit strahlendem Lächeln. Es ist sein stets freundlicher Gesichtsausdruck, der diesen bis ins hohe Alter agilen und neugierigen Mann ausmacht, dem man sein Interesse an Austausch, Gespräch und Vermittlung ansieht.
Als Sohn einer assimilierten jüdischen Familie 1922 in Hildesheim geboren, verbrachte Günther Stern eine unbeschwerte Kindheit und Schulzeit in Niedersachsen. Auch wenn die Erinnerungen an die frühe Lebensphase von "Mörtel … aus Vermutungen, Notbehelfen und Schlussfolgerungen" zusammengehalten werden, treten die geliebten sonntäglichen Ausflüge der Familie und die regelmäßigen Theaterbesuche mit den Eltern hervor. "Ein beinahe idyllischer Anfang", so Stern, der jäh endete.
Die Machtübertragung an die Nationalsozialisten im Januar 1933 war für Günther Stern jenes Ereignis, das für ihn "das Ende der Welt verhieß, in der wir gelebt hatten". Der Ausschluss von Juden aus der deutschen Zivilgesellschaft traf auch den Zwölfjährigen, der nicht mehr Mitglied im geliebten Turnverein sein durfte. Zugehörigkeit und Halt fand er für kurze Zeit im Schwarzen Fähnlein, einer jüdischen Jugendgruppe, bis auch sie verboten wurde.
Brutale Attacke
Die Rechtlosigkeit von Juden im Nazi-Deutschland wurde der Familie vor Augen geführt, als der Vater brutal geschlagen wurde, die Attacke jedoch folgenlos blieb. Sterns Eltern entschlossen sich, ihr ältestes Kind aus Deutschland fortzuschicken, in der Hoffnung, dass es ihm gelänge, die Familie zu retten. Dank eines Onkels in den USA, der für ihn bürgte, sowie des hilfsbereiten US-Konsuls in Hamburg gelang Günther Stern als Einzigem seiner fünfköpfigen Familie die Flucht in die USA. Der Abschied von seiner Familie im November 1937 war für immer. Sterns Eltern und jüngere Geschwister wurden im März 1942 deportiert und ermordet. Seine Schulausbildung komplettierte Günther Stern an der Soldan High School in St. Louis, die für ihn den ersten Schritt seiner US-Sozialisation darstellte; ebenso wie seine Arbeit als (Abräum-)Kellner, die ihm nicht nur ein finanzielles Zubrot, sondern eine spezielle Berufserfahrung lieferte. Ein begonnenes Studium unterbrach die freiwillige Meldung zum Militärdienst. Im "Camp Ritchie", Maryland, zählte er zu den deutschsprachigen, zumeist jüdischen Emigranten (wie Werner Angress, Ernst Cramer, Hans Habe, Stefan Heym, Georg Kreisler), die für militärische Aufklärungsarbeit eingesetzt wurden. Wenige Tage nach der Landung der Alliierten in der Normandie beteiligte er sich als einer der "Ritchie Boys" am Kampf gegen die Nationalsozialisten und wurde Spezialist für Verhöre deutscher Kriegsgefangener. Aus Günther war mittlerweile Guy und seit 1. Mai 1943 ein US-Staatsbürger geworden.
Erst nach der Befreiung Deutschlands erfuhr der 23-Jährige in Hildesheim von der "Umsiedlung" seiner Angehörigen und deren gewaltsamem Tod. Nach der Rückkehr in die USA begann er das Studium, zuerst Romanistik, dann Germanistik, eine bewusste Form der Selbstbehauptung und zugleich Heimatverbundenheit. Nach Lehrtätigkeiten an verschiedenen US-Hochschulen erhielt Guy Stern 1981 die Berufung als distinguished professor für deutsche Literatur- und Kulturgeschichte an der Wayne State University in Detroit: eine Stellung, die er bis 2003 innehatte. Besonderes Augenmerk gilt der Exilliteratur. Den Vertriebenen aus den deutschsprachigen Heimatländern, den Dichtern im Exil, widmete er unzählige Aufsätze und Reden. Es kann nicht verwundern, dass Guy Stern für sein Lebenswerk im März 2017 der Ovid-Preis des PEN-Zentrums deutschsprachiger Autoren im Ausland verliehen wurde.
Das Spektrum seiner unermüdlichen Aktivitäten ist bewundernswert. Neben Gastprofessuren an Universitäten in Freiburg, Frankfurt, Leipzig, Potsdam und München zählte er zu den Gründungsmitgliedern der Society for Exile Studies sowie der Lessing Society. Er bekleidete unterschiedliche Ämter in der Kurt Weill Foundation for Music, arbeitete im Kuratorium des Leo Baeck Institute; seit 2003 engagiert er sich im Holocaust Memorial Center in Detroit, um insbesondere an "das Heldentum und den Altruismus von Juden zu erinnern, die anderen Juden halfen". Auch hier ein unmittelbarer biografischer Bezug: Erst 2011 erfuhr Guy Stern, dass er zu den mehr als 1.000 Kindern und Jugendlichen zählte, die dank der selbstlosen Arbeit der German Jewish Children’s Aid vor nationalsozialistischer Verfolgung in die USA gerettet werden konnten.
Guy Sterns Wirkungskreis beschränkt sich nicht allein auf die akademische Welt. In öffentlichen Reden - so 1988 anlässlich der Eröffnung des Mahnmals für die zerstörte Hildesheimer Synagoge, zehn Jahre später im Deutschen Bundestag anlässlich des 60. Jahrestags des Novemberpogroms - betonte er die Pflicht zur Erinnerung. Für seine Tätigkeit als Lehrender sowie für sein gesellschaftspolitisches Engagement wurde er vielfach ausgezeichnet, für ihn ganz besonders war gewiss die Verleihung des Ehrenbürgerrechts seiner Geburtsstadt Hildesheim am 8. Mai 2012.
Nachfahre der Aufklärung
Die Originalausgabe von Sterns Memoiren erschien 2020 in den USA unter dem Titel "Invisible Ink": ein Zitat seines sich sorgenden Vaters, der seine Kinder angesichts der bedrohlichen Situation während des Nationalsozialismus ermahnte, sie müssten wie "unsichtbare Tinte" sein. Dass Guy Stern mit seinem Lebenswerk das Gegenteil erreichte, führen die von seiner Frau Susanna Piontek übersetzten Erinnerungen lebhaft vor Augen. Stern, der sich selbst als "Nachfahren des Zeitalters der Aufklärung" sieht, fragt auch nach den Motiven für sein Arbeitspensum und verweist auf "das Überlebensschuld-Syndrom": "Wer eine Katastrophe überlebt, verspürt das Bedürfnis, seine weitere Existenz zu rechtfertigen." Jenseits der persönlichen Erinnerungen bietet die von Frederick A. Lubich und Marlen Eckl herausgegebene Festschrift Begegnungen mit diesem inspirierenden wie humorvollen Workaholic. Freunde, Kollegen, Weggefährten haben sich auf eine Spurensuche begeben, spannen den Bogen von Sterns Exil-Erfahrung zu der von ihm geprägten Exil-Forschung, seinem Herzensanliegen. Julius H. Schoeps, Direktor des Moses Mendelssohn Zentrums Potsdam, bleibt es vorbehalten, in die Zukunft zu schauen: 2024 soll in Hildesheim ein Studentenwohnheim den Namen Guy-Stern-Haus erhalten. Die nun erschienene Festschrift ehrt einen Zeitzeugen, der schon zu Lebzeiten ein good guy ist.
Guy Stern: "Wir sind nur noch wenige. Erinnerungen eines hundertjährigen Ritchie Boys". Aufbau Verlag, Berlin 2022, 304 Seiten, 23 Euro.
Frederik A. Lubich, Marlen Eckl (Hrsg.): "Von der Exilerfahrung zur Exilforschung. Zum Jahrhundertleben eines transatlantischen Brückenbauers. Festschrift zu Ehren von Guy Stern". Königshausen & Neumann, Würzburg 2022, 738 Seiten, 48 Euro.
Bildunterschrift: Guy Stern mit Eltern und Schwester.
Bildunterschrift: Guy Stern feiert heute seinen 100.
_______________________________________________
t-online.de, 14.01.2022:
Rechter Angriff auf Habeck / AfD-Mann verharmlost im Bundestag den Nationalsozialismus
14.01.2022 - 07.53 Uhr
Von Annika Leister
Karsten Hilse ist einer der radikalsten AfD-Abgeordneten im Bundestag. Am Donnerstag trat er ans Mikrofon, beleidigte Minister Habeck sowie große Teile des Parlaments und relativierte die NS-Vergangenheit.
Wegen Ermittlungen gegen ihn droht ihm bereits die Aufhebung der Immunität. Für den AfD-Abgeordneten Karsten Hilse ist das aber offenbar kein Grund sich zu zügeln. Am Donnerstag trat der 57-jährige Sachse nach Wirtschafts- und Klima-Minister Robert Habeck (Grüne) ans Mikrofon im Bundestag - und verharmloste in einer rund fünfminütigen Rede auf der Ungeimpften-Tribüne den Nationalsozialismus, schürte Ängste vor Impfungen und beleidigte Habeck sowie große Teile des Parlaments.
Habeck hatte zuvor im Hinblick auf die Energieversorgung von einer "Phase der großen Veränderung" gesprochen und erklärt, mit welchen Maßnahmen die Ampel-Regierung Deutschland mittelfristig unabhängig von fossilen Energien machen will. Das gebiete der Klimaschutz.
Für Hilse ist das ein Reizthema: Er ist Sprecher der AfD-Fraktion für Klimaschutz und Energiepolitik - und leugnet den Einfluss des Menschen auf den Klimawandel. Was ihn in anderen Fraktionen für den Posten als Sprecher in dem Bereich disqualifizieren würde, geht bei der AfD voll auf. Auch die Partei vertritt in ihrem Programm die These, dass es den menschengemachten Klimawandel nicht gibt und der Ausstieg aus Kohle- wie Atomenergie ein Fehler ist.
Radikaler "Lautsprecher" der AfD
Hilse, der als radikaler "Lautsprecher" der AfD bekannt ist, wurde diesem Ruf am Donnerstag wieder voll gerecht und verquickte maßlose Kritik an der Klima- sowie der Corona-Politik des Bundes mit Geschichtsrevisionismus und einer Kaskade an unter Rechten beliebten Stanzen.
So behauptete er mit Blick auf die Corona-Politik, dass die Bundesregierung die Freiheitsrechte aushebele und Bürger wie Abgeordnete zu Menschen zweiter Klasse degradiere, "wenn sie sich der experimentellen Gentherapie entziehen". Das, so Hilse weiter, erinnere "an die dunkelsten Zeiten der Geschichte". Letzteres ist eine Formulierung, die üblicherweise für die Phase des Nationalsozialismus in Deutschland, in der Schätzungen zufolge 60 Millionen Menschen ihr Leben lassen mussten, gebraucht wird.
Damit aber war Hilse noch lange nicht am Ende. Habeck wolle mit seiner Klimapolitik, die einen massiven Ausbau der Windkraft vorsieht, nicht nur die deutsche Wirtschaft, sondern auch die Natur zerstören, behauptete er. "Allein das würde schon ausreichen, Sie und Ihre Berater auf ihren Geisteszustand untersuchen zu lassen", ätzte Hilse. Und: "Sie, Minister Habeck, wollen den Untergang Deutschlands, schließlich fanden Sie Vaterlandsliebe schon immer zum Kotzen."
"Ich verachte Sie zutiefst"
Ganz im Gegensatz zur AfD, betonte Hilse im Anschluss, um dann zum wirren Finale zu kommen: "Aber irgendwann werden Sie alle sich verantworten müssen für die Verarmung und Verelendung großer Teile des deutschen Volkes, für die Zehntausenden Toten bei einem Blackout und durch die Gentherapie-Schäden, für die Ebnung des Weges in den Totalitarismus und vor allem für die geschundenen Kinderseelen auf Grund ihrer menschenverachtenden Corona-Politik."
Was wie eine Drohung klingt, entkräftet Hilse knapp durch den Zusatz, vielleicht müssten sich die Adressierten nicht vor einem weltlichen Gericht verantworten, ganz sicher jedoch im Jenseits.
Seinen letzten Satz richtet Hilse schließlich nicht nur an Habeck, sondern an das gesamte Plenum: "Ich verachte Sie - bis auf wenige Ausnahmen - zutiefst."
Nutzer kritisieren "Wahnwichtel" und "Bullshitbingo"
Im Plenarsaal blieb Hilses Rede weitgehend unwidersprochen, in den Sozialen Medien äußerten Nutzer jedoch schnell scharfe Kritik: Manche kritisierten eine "Wahnwichtel-Show", andere Hilses "großes Bullshitbingo", wieder andere kommentierten schlicht "unerträglich" oder "Karsten Hilse ist ein Nazi".
Pikanterweise ist der AfD-Mann eigentlich Polizist. Bereits 2017 zog er über das Direktmandat für den sächsischen Wahlkreis "Bautzen I" in den Bundestag ein. Seither ist er nach eigener Aussage vom Polizeidienst freigestellt.
Bei einer Demonstration gegen die Corona-Politik in Berlin wurde er im November 2020 von der Polizei festgenommen. Ein Video der Festnahme wurde von AfD-Politikern und Unterstützern in den Sozialen Medien weit verbreitet. Die Bundespolizei notierte Medienberichten zufolge in einem internen Bericht, Hilse habe einen Begleiter zum Filmen aufgefordert - und erst danach Widerstand geleistet. Eine Widerstands-Inszenierung also.
Deshalb droht Hilse laut Informationen der dpa wohl ein juristisches Nachspiel. Das Parlament erteilte am Donnerstag die Genehmigung eines Strafverfahrens gegen den AfD-Mann. Konkret soll es dabei um die Vorfälle während der Corona-Demonstration gehen.
Kritische Phase für die AfD
Seit Einführung der 3G-Regel im Bundestag im November sitzt Hilse auf der Tribüne für Ungeimpfte, zu Anfang mit gut sichtbarem "Ungeimpft"-Button. Von dort aus hielt er auch seine Rede am Donnerstag. Auf Facebook teilte er das Video von seinem Auftritt mit den Worten "Meine erste Rede von der Ehrentribüne".
In mehr als 200 Kommentaren danken ihm viele seiner Follower und sprechen ihren Respekt aus. Doch einige Hilse-Fans äußern auch Kritik: Der AfD-Abgeordnete solle verbal abrüsten. "Es geht nicht, im Bundestag mit Beleidigungen (wenn auch verständlich) um sich zu werfen." Die AfD müsse gerade jetzt auf Seriosität achten.
Die radikalen Köpfe der AfD stehen zur Zeit unter besonderer Beobachtung. Denn das Verwaltungsgericht Köln verhandelt am 8. und 9. März über die Frage, ob der Verfassungsschutz die AfD als rechtsextremistischen Verdachtsfall ins Visier nehmen darf. Die AfD hat gleich vier Klagen eingereicht, um die Einstufung zu verhindern. Würde die Partei vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall unter die Lupe genommen, könnte der Verfassungsschutz V-Leute und andere Methoden der heimlichen Informationsbeschaffung einsetzen. Mehrere AfD-Landesverbände - darunter auch Hilses Landesverband Sachsen - stehen bereits unter Beobachtung.
Bildunterschrift: Voller Verachtung: Mit einer Wut-Rede, die an die Sprache des Nationalsozialismus erinnert, wütet ein AfD-Mann gegen den Vizekanzler.
Bildunterschrift: Robert Habeck bei der Diskussion zum Klimaschutz: Der Grünen-Politiker lauschte Hilse stoisch, blickte lediglich auf sein Handy.
_______________________________________________
Neue Westfälische, 14.01.2022:
AfD-Politiker muss vor Amtsgericht / Gunnar Beck wird Titelmissbrauch vorgeworfen
Neuss (lnw). Der Europa-Abgeordnete Gunnar Beck (AfD) muss wegen des Verdachts des Titelmissbrauchs vor Gericht. Das hat das Amtsgericht in Neuss angekündigt. Termin der Verhandlung sei der 5. Mai. Das Amtsgericht hatte zuvor einen Strafbefehl in Höhe von 60 Tagessätzen gegen den 56-jährigen Beck erlassen, gegen den dessen Verteidiger aber Einspruch angekündigt hatte.
Die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft hatte 2019 ein Ermittlungsverfahren gegen Beck eingeleitet. Zuvor waren Zweifel am Professorentitel des Politikers aufgekommen. Beck hatte die Vorwürfe zurückgewiesen: Er arbeite seit vielen Jahren als Hochschullehrer in Großbritannien. Der Staatsanwaltschaft zufolge soll er sich auf einer Versammlung der AfD in Magdeburg im November 2018 als Professor vorgestellt haben, ohne Professor zu sein. Für den Missbrauch von Titeln sieht das Gesetz eine Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr vor.
Bildunterschrift: Gunnar Beck (AfD) ist Europa-Abgeordneter.
_______________________________________________
|