5 Artikel ,
08.09.2021 :
Pressespiegel überregional
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Übersicht:
Zeit Online, 08.08.2021:
Ein Jahr auf Bewährung für Angriff auf jüdisches Restaurant
Mitteldeutscher Rundfunk, 08.09.2021:
Bewährungsstrafe nach Angriff auf jüdisches Restaurant in Chemnitz
Blick nach Rechts, 08.09.2021:
Fretterode-Prozess eröffnet
Norddeutscher Rundfunk, 08.09.2021:
"Kriminelle Gurken" / Weber startet Schlammschlacht in der AfD
die tageszeitung Online, 08.09.2021:
"Höchst problematisch"
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Zeit Online, 08.08.2021:
Ein Jahr auf Bewährung für Angriff auf jüdisches Restaurant
08.09.2021 - 18.08 Uhr
Chemnitz (dpa). Drei Jahre nach dem Angriff auf das jüdische Restaurant "Schalom" in Chemnitz trennen Gastwirt Uwe Dziuballa am Mittwoch vor Gericht nur etwa zwei Meter von einem der Steinewerfer. Während der Mann aus Niedersachsen zu den Vorwürfen beharrlich schweigt, berichtet Dziuballa als Zeuge von der Attacke am Abend des 27. August 2018. Nach nur einem Prozesstag sprach das Amtsgericht Chemnitz den 30-jährigen Angeklagten am Mittwoch schuldig. Wegen gefährlicher Körperverletzung und Landfriedensbruchs wurde der Deutsche zu einem Jahr Haft verurteilt, ausgesetzt zur Bewährung. Darin enthalten ist eine frühere Verurteilung wegen Drogenhandels.
Der Angriff datiert auf jene Tage, als Aufmärsche und Ausschreitungen in der Stadt international Schlagzeilen machten. Dazu kamen Rechtsextreme aus ganz Deutschland in die sächsische Stadt. Auslöser war der gewaltsame Tod eines 35-Jährigen am Rande eines Stadtfestes, für den später ein Syrer verurteilt wurde.
Dziuballa ist in der Stadt geboren. In seinem "Schalom" wurde an dem Abend ein Vortrag gehalten. Dann tauchte eine Gruppe von etwa 10 Personen unvermittelt vor dem Restaurant auf, und es flogen Steine. Von einem "Schockmoment" sprach der heute 56-Jährige am Mittwoch. Einer der Steine traf ihn an der Schulter. Auch wurde er antisemitisch beschimpft. Dann verschwanden die Angreifer. Ermittler fanden vor dem Restaurant Pflastersteine, Bierflaschen, eine Eisenstange und eine abgebrochene Holzlatte. Die DNA an einem der Steine führte sie zu dem Mann aus dem Landkreis Stade.
Der 30-Jährige ist mehrfach vorbestraft. Bei einer Wohnungsdurchsuchung fanden Beamte eine schwarz-weiß-rote Sturmhaube, seine E-Mail-Adresse enthält die bei Rechtsextremen beliebte Zahl 88. Zudem konnten Ermittler einen Chat auf seinem Handy wiederherstellen, in dem er sich für den Tattag in Chemnitz verabredet hatte. Chat-Partner soll ein Thüringer Rechtsextremist gewesen sein.
Richter Dominik Börner zweifelte nicht an der Schuld des Angeklagten - auch wenn Gastwirt Dziuballa ihn vor Gericht nicht wiedererkennen konnte und eine Auswertung von Videos der Versammlungen an jenem Tag keinen Treffer ergaben. Börner sprach in seiner Urteilsbegründung von einer "logischen Kette". Der Angeklagte und sein Verteidiger hätten im Prozess keine Erklärung geliefert, wie die DNA anders an den Stein gekommen sei. Die Spur führe zu ihm und die Tat passe in sein politisches Weltbild, stellte Börner fest.
Auch Staatsanwalt Thomas Fischer hatte in seinem Plädoyer von einer "rassistischen Tat" gesprochen. Der Wirt habe getroffen werden sollen, weil er sich zum Judentum bekenne. Fischer verlangte eine Strafe von insgesamt einem Jahr und einem Monat - ohne Bewährung. Die Verteidigung forderte dagegen Freispruch. Über die DNA-Spur hinaus seien keine weiteren Indizien für eine Schuld seines Mandanten gefunden worden, sagte Rechtsanwalt Jan-Hendrik Herms.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Dziuballa selbst hatte sich unabhängig von dem Richterspruch zufrieden gezeigt, dass es nun zum Prozess gekommen ist - auch wenn der drei Jahre auf sich warten ließ. Mit dem Verfahren werde ein Zeichen gesetzt, dass auch das Werfen von Steinen Konsequenzen habe, sagte er.
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Mitteldeutscher Rundfunk, 08.09.2021:
Bewährungsstrafe nach Angriff auf jüdisches Restaurant in Chemnitz
08.09.2021 - 17.43 Uhr
Von MDR Sachsen
Vor drei Jahren ist am Rande rechtsextremer Ausschreitungen in Chemnitz auch ein jüdisches Restaurant attackiert worden. Der Wirt erlitt dabei Verletzungen. Am Mittwochnachmittag ist der Täter vom Amtsgericht Chemnitz verurteilt worden.
Das Amtsgericht Chemnitz hat einen 30 Jahre alten Mann wegen des Angriffs auf das jüdische Restaurant "Schalom" zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Die Strafe ist für drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt. Damit wurde der Mann aus Niedersachsen wegen schweren Landfriedensbruchs und gefährlicher Körperverletzung schuldig gesprochen, teilte eine Gerichtssprecherin am Donnerstag mit. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der Angeklagte aus einer Gruppe heraus das Restaurant angegriffen und den jüdischen Wirt mit mindestens einem Stein beworfen hat. Der Geschädigte wurde dabei an der Schulter verletzt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, es kann noch angefochten werden.
Staatsanwalt für Haftstrafe ohne Bewährung
Zuvor hatte die Staatsanwaltschaft eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und einem Monat ohne Bewährung verlangt. Sie betonte den klaren antisemitischen Bezug der Tat.
Der Verteidiger hingegen hatte einen Freispruch beantragt. In seinem Plädoyer betonte er, dass die Tat seinem Mandanten nicht abschließend zugeordnet werden könne. Es sei unklar, wie der Stein mit der DNA-Spur des Niedersachsen vor das Restaurant gekommen sei und wer überhaupt die Steine geworfen habe.
DNA überführte Angeklagten
Auf den mehrfach vorbestraften Mann waren die Ermittler gekommen, weil eine DNA-Spur auf einem der Steine mit der DNA des 30-Jährigen übereinstimmte. Andere mutmaßliche Beteiligte des Angriffs konnten nicht gefasst werden. Es dränge sich auf, dass der Angeklagte an der Tat beteiligt war, sagte Richter Dominik Börner in seiner Urteilsbegründung. Der Angeklagte habe sich außerdem zur Teilnahme an den rechtsextremistischen Aufmärschen 2018 in Chemnitz verabredet. Das sei aus einem Chat-Verlauf ersichtlich. Die Tat passe in sein politisches Weltbild. Auch der jüdische Hintergrund des Opfers sei dem Angeklagten bekannt gewesen.
Angeklagter äußerte sich nicht
Der 30-Jährige sagte am Donnerstag nichts zu den Vorwürfen. Das Gericht hörte aber Zeugen und den Restaurantbetreiber. Er sagte aus, dass er am Abend des 27. August 2018 routinemäßig vor sein Restaurant ging, um nachzuschauen, ob alles in Ordnung ist.
Opfer sah in Augen voller Hass
Kurz darauf habe er einen dumpfen Schlag an der Schulter gespürt. Um ihn herum habe es geknallt. Zuvor habe er eine Gruppe dunkel gekleideter Menschen, "eine schwarze Masse", wahrgenommen. Einige Angreifer hätten direkt vor dem "Schalom" auf der Straße gestanden. "Gefühlt waren es hundert Leute, real zwischen zehn bis zwölf Personen", sagte der Betreiber. Sie hätten "Judensau" und "Verschwinde!" gerufen. Einige von ihnen seien vermummt gewesen. Er könne sich noch an Augen erinnern, die voller Hass gewesen seien, sagte der Wirt.
Der Betreiber des "Schalom" ist alteingesessener Chemnitzer. Sein Restaurant wurde auch zuvor schon mehrfach attackiert. Eine Zeugin, die zum Zeitpunkt des Angriffs in dem jüdischen Restaurant saß, berichtete ebenfalls von einem lauten Knall. Als sie nachsehen wollte, was los ist, habe der Wirt sie wieder hinein geschoben und gesagt: "Geh rein, das ist kein Spaß!"
Rechtsextreme Aufmärsche nach gewaltsamem Tod eines Chemnitzers
Der Angriff hatte sich am Rande rechtsextremer Aufmärsche 2018 ereignet, die Chemnitz bundesweit in die Schlagzeilen brachten. Auslöser war der gewaltsame Tod eines 35-Jährigen auf dem Stadtfest. Wegen des tödlichen Angriffs wurde 2019 ein Syrer zu neuneinhalb Jahren Haft verurteilt.
Ursprünglich war der Prozess bereits für Juni 2021 geplant worden. Er wurde aber verschoben, weil die Generalstaatsanwaltschaft kurzfristig weitere Beweismittel vorlegte.
Bildunterschrift: Der angeklagte Kevin A. (Mitte) vor Beginn des Prozesses wegen Körperverletzung und weiterer Delikte bei einer Personenkontrolle im Amtsgericht Chemnitz.
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Blick nach Rechts, 08.09.2021:
Fretterode-Prozess eröffnet
Von Kai Budler
Vor dem Landgericht Mühlhausen in Thüringen ist dreieinhalb Jahre nach einem brutalen Angriff auf Journalisten der Prozess gegen zwei Neonazis eröffnet worden. In einer ersten Einlassung stellen die Angeklagten sich als eigentliche Opfer dar.
Überraschend schnell geht der erste Verhandlungstag gegen zwei Neonazis wegen eines Überfalls auf zwei Journalisten zu Ende. Nach nur knapp zwei Stunden ist die Sitzung vor dem Landgericht Mühlhausen vorbei, die aus Kapazitätsgründen im Puschkinhaus vor Ort stattfindet. Die Betroffenen, die als Nebenkläger auftreten, aber hatten den Verhandlungssaal aus Protest schon vorher verlassen.
Die Journalisten waren im April 2018 von den Angeklagten im thüringischen Eichsfeld mit dem Auto verfolgt, angegriffen, verletzt und ihrer rund 1.500 Euro teuren Fotoausrüstung beraubt worden, ist sich die Staatsanwaltschaft sicher. Sie legte im Februar 2019 ihre Anklageschrift vor, in der sie den heute 22 und 27 Jahre alten Männern Sachbeschädigung, schweren Raub und gefährliche Körperverletzung vorwirft.
Keine Unbekannten
Die Angeklagten sind keine Unbekannten. Es handelt sich um Gianluca B., einen politischen Ziehsohn des Neonazi-Funktionärs Thorsten Heise, und um Nordulf H., der älteste Sohn von Heise. Von dessen Grundstück im Eichsfeld-Dorf Fretterode ging der Angriff auf die Journalisten aus, als sie für eine Recherche Fotos von dem Haus und Grundstück machten.
Doch vor Gericht legen die Szene-Anwälte Wolfram Nahrath und Klaus Kunze für die Angeklagten eine ganz eigene Version der Ereignisse vor. Bei den Journalisten habe es sich vielmehr um Antifa-Aktivisten gehandelt. Nordulf H. und Gianluca B. hätten lediglich das Autokennzeichen feststellen wollen, um die Fotos löschen zu lassen und zu vermeiden, auf "Fahndungsplakaten der Antifa" zu landen.
Bruch des Schädelknochens
Dabei hätten ihn die Journalisten gleich zwei Mal fast überfahren, auch die physischen Angriffe unter anderen mit einem Baseballschläger seien von ihnen ausgegangen. Die Verfolgungsjagd sei vielmehr ein "Hinterherfahren" gewesen, B. habe dabei sein Auto nicht gefährden wollen, auch von einem Messer will er nichts gesehen haben. H. räumt ein, er habe mit Werkzeug auf das Auto der Journalisten eingeschlagen. "Es war, als hätte sich ein Schalter umgelegt", lässt der 22-jährige in seiner Einlassung verlauten.
Die Staatsanwaltschaft hingegen sieht es als erwiesen an, dass Nordulf H., als das Auto der Journalisten liegen geblieben war, Reizgas in das Innere sprühte und einem der Opfer mit einem Messer in den Oberschenkel stach. Gianluca B. schlug nach Ansicht der Strafverfolgungsbehörde dem anderen Journalisten mit einem circa 50 Zentimeter langen Schraubenschlüssel auf den Kopf, so dass er einen Bruch des Schädelknochens und eine Kopfplatzwunde erlitt.
Saal aus Protest verlassen
Angesichts der Schwere der Tat hatten die Anwälte der Nebenkläger darauf gedrängt, neben den angeklagten Delikten auch "einen versuchten Totschlag strafrechtlich mit in den Blick zu nehmen". Den beiden Betroffenen sind die Folgen des Überfalls vor mehr als drei Jahren noch heute anzumerken, einer von ihnen hat seine Tätigkeit als Journalist deswegen aufgegeben.
Als die Anwälte der Angeklagten dann noch die Version einer Selbstverteidigung präsentierten, reicht es den beiden Nebenklägern. Sie stehen auf und verlassen den Saal. Doch schon in den nächsten Verhandlungstagen müssen sie sich vor Gericht befragen lassen, insgesamt sind für den Prozess zwölf Verhandlungstage vorgesehen
Bildunterschrift: Im Puschkinhaus in Mühlhausen findet der Prozess statt.
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Norddeutscher Rundfunk, 08.09.2021:
"Kriminelle Gurken" / Weber startet Schlammschlacht in der AfD
08.09.2021 - 10.36 Uhr
Jetzt wird richtig schmutzige Wäsche gewaschen in der Landes-AfD in Mecklenburg-Vorpommern. Keine drei Wochen vor der Landtagswahl feuert der geschasste AfD-Abgeordnete Ralph Weber gegen die eigenen Leute. Auf seiner öffentlichen Facebook-Seite nennt der Parlamentarische Geschäftsführer der Landtagsfraktion die Kandidatenliste eine "Gurkentruppe" - und er nennt erstmals Namen.
Von Stefan Ludmann, NDR 1 Radio MV
Normalerweise attackieren Parteien den politischen Gegner, der AfD-Mann Weber nimmt sich seine Parteifreunde vor. Dem Landtagsabgeordneten Jens-Holger Schneider (Listenplatz 13) aus Schwerin und dem Kandidaten Robert Schnell, AfD-Fraktionschef im Kreistag Mecklenburgische Seenplatte (Listenplatz 15), wirft er vor, nicht integer zu sein und als Bewerber um ein Mandat nicht zu taugen. Er listet die beiden auf seiner Facebook-Seite unter der Rubrik "kriminelle Gurken" auf.
AfD-Kandidaten als Autoschieber und Inkasso-Abzocker
Schneider habe mit gestohlenen Autos gehandelt und sie nach Griechenland verschoben und dafür in dem Land in Haft gesessen. Außerdem sei er bei NPD-Demonstrationen mitgelaufen. Schnell habe als Chef einer Inkasso-Gesellschaft Klein-Unternehmer einen Eintrag in ein Internet-Branchenbuch angeboten - verbunden mit horrenden Nebenkosten. Auf seiner Facebook-Seite rückt Weber den 34-jährigen Schnell in die Nähe von dubiosen Abzockern. Die Vorwürfe gegen die beiden sind nicht neu, über sie wurde bereits berichtet. Die Vorgänger liegen Jahre zurück. Weber wärmt die Sachen jetzt quasi noch einmal auf.
Weber hat mit Landesverband gebrochen
Seine "Enthüllungen" hat Weber offenbar mit dem Ziel veröffentlicht, der AfD maximal zu schaden. Der Greifswalder Jura-Professor hat mit dem Landesverband gebrochen, seitdem er bei der Kandidatenaufstellung auf dem Parteitag gescheitert ist und seitdem er auch seine Kandidatur für seinen Direktwahlkreis in Wolgast / Usedom verloren hat. Dem Landesvorstand um Parteichef Leif-Erik Holm wirft er seit Monaten ein diktatorisches Verhalten vor. Weber tritt jetzt offensichtlich nach, in der Partei wird das als massives Frust-Foul gesehen.
Betroffene wollen rechtliche Schritte einleiten
Die beiden Betroffenen wehren sich. Der Abgeordnete Schneider erklärte, er sei seinerzeit 2003 nicht verurteilt worden. Das Verfahren gegen ihn sei eingestellt worden, er habe kein Vorstrafenregister. Schneider will Webers Vorwürfe auch deshalb nicht einfach hinnehmen: "Ich schalte einen Anwalt ein, Webers Behauptungen sind voller Unwahrheiten", sagte Schneider dem NDR. Auch Robert Schnell, der Landeschef der vom Verfassungsschutz beachteten "Jungen Alternative" (JA) ist, will gegen Weber rechtlich vorgehen. Schnell sieht seine Persönlichkeitsrechte verletzt. Als Rechtsprofessor müsste es Weber eigentlich besser wissen, mit seinen Vorwürfen öffne Weber "Tür und Tor", rechtlich dagegen vorzugehen.
Schnell erklärte, die Firma, für die er tätig gewesen sei, habe "niemals" Angebote für Branchenbucheinträge verschickt. Das sei durch einen bereits Verurteilten Jahre vorher geschehen. In seinem Fall, so Schnell, sei es nicht um Betrug, sondern um eine mögliche Markenrechtsverletzung gegangen. Ob Schnell - wie Weber behauptet- eine Einstellung des Verfahrens gegen Zahlung von 20.000 Euro bewirkte, blieb offen.
Weber: "Würde mich über juristische Auseinandersetzung freuen"
Fraglich ist, ob Weber sich von der Gegenwehr beeindrucken lässt. Dem NDR sagte er: "Ich würde mich über eine juristische Auseinandersetzung sehr freuen." Er habe nichts Unwahres behauptet. Weber hat eine weitere Attacke gegen die "Gurkentruppe" der AfD-Kandidaten angekündigt. Offenbar will er die in einer lockeren Serie auf seiner Facebook-Seite veröffentlichen. Keine drei Wochen vor der Wahl wirft die Schlammschlacht einen Schatten auf den Wahlkampf der AfD. Die Parteispitze hat sich bisher nicht geäußert. Sie hat gegen Weber bereits vor Wochen ein Parteiausschlussverfahren eingeleitet.
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die tageszeitung Online, 08.09.2021:
"Höchst problematisch"
Mittels eines Analysezentrums will der Verfassungsschutz künftig mit der Wissenschaft kooperieren. Dort aber warnen mehr als 200 Forschende vor Vereinnahmung.
Konrad Litschko
Berlin (taz). Am Donnerstag in einer Woche wird es die Premiere geben. Dann will das Zentrum für Analyse und Forschung (ZAF) das erste Mal mit einer "Wissenschaftskonferenz" in Berlin an den Start gehen, zum Thema "Extremismus und Sozialisation". Forscherinnen, Forscher aus 11 Hochschulen wollen dann diskutieren, ob gesellschaftliche Teilhabe Radikalisierung verhindert oder wo sich Islamisten und Incels ähneln.
Das Besondere: Mit auf dem Podium werden Vertreter des Verfassungsschutzes sitzen, inklusive Präsident Thomas Haldenwang. Überraschend ist das nicht - denn das ZAF ist ein neues Kind des Geheimdienstes. Das Zentrum soll nach eigener Auskunft eine "phänomenübergreifende, interdisziplinär arbeitende Forschungsstelle" sein und mit der Wissenschaft kooperieren. Das Ziel: die Analysekompetenz des Amtes zu stärken, etwa um Radikalisierungen zu verstehen. Das aber zieht bereits jetzt Kritik auf sich - aus Teilen der Wissenschaft.
In einem zu Wochenbeginn veröffentlichten "Einspruch" von mehr als 200 Wissenschaftlerinnen, Wissenschaftlern heißt es, man stehe dem ZAF "sehr skeptisch gegenüber". Dass der Verfassungsschutz die Zusammenarbeit mit der externen Wissenschaft suche, sei "ein Problem". Zu den Unterzeichnern gehören renommierte Namen wie Wilhelm Heitmeyer, Oliver Decker oder Matthias Quent.
Sie verweisen auf Wissenschaftsstandards wie das freie Forschen oder die öffentliche Verfügbarkeit erhobener Daten - was der Verfassungsschutz "qua Auftrag gar nicht einhalten" könne. Auch unterliege der Dienst Weisungen aus den Innenministerien: Erkenntnisse könnten zurückgehalten werden, Mittelvergaben erfolgten "auf Zuruf". Forscherinnen, Forscher liefen damit Gefahr, "Zulieferinnen, Zulieferer für behördlich vorgegebene Ziele" zu werden. Zudem sei absehbar, dass die "Entgrenzung" solcher Forschung bei einem Teil der Beforschten "erhebliches Misstrauen" hervorrufen werde.
Der Sozialpsychologe Oliver Decker von der Universität Leipzig, einer der Erstunterzeichner und Mitherausgeber der bekannten Autoritarismusstudien, unterstreicht diese Kritik. "Der Verfassungsschutz wagt sich immer weiter in Bereiche vor, für die er bisher aus guten Gründen nicht zuständig ist. Und dazu gehört sicherlich die Erforschung von Einstellungen." Offensichtlich suche der Geheimdienst Expertise, da er bei seinen Analysen überfordert sei, so Decker zur taz. Eine Vermischung mit der Wissenschaft sei aber "hoch problematisch", da zu den Erkenntnissen des Geheimdienstes keinerlei Transparenz herrsche. "Hier braucht es vielmehr eine klare Abgrenzung: Der Verfassungsschutz sollte sich auf die Terror-Abwehr beschränken, um den Rest kümmern sich Wissenschaft und Zivilgesellschaft."
2021 bekommt das ZAF 490.000 Euro an Mitteln für die Extremismus-Prävention
Beim Verfassungsschutz äußert man sich vor der Konferenz nicht öffentlich zu der Kritik. Auf eine Linken-Anfrage antwortete die Bundesregierung zuletzt aber, das ZAF wolle mit künftigen Forschungspartnern eine "vertragliche Vereinbarung" eingehen, wie mit den erhobenen Daten umgegangen wird. Spreche der Geheimschutz nicht dagegen, würden gemeinsame Forschungsergebnisse veröffentlicht. Auch sei ein "Ethikkodex" geplant. Das Zentrum wird von der Bundesregierung für 2021 mit 490.000 Euro aus Geldern für die Extremismus-Prävention bezuschusst.
Auch der Soziologe Matthias Quent hat damit Bauchschmerzen. "Verfassungsschutzbehörden berufen sich auf Geheimwissen, um ihre teils folgenschweren Einschätzungen zu begründen. Das ist mit wissenschaftlichen Standards nicht vereinbar." Auch eine Unabhängigkeit fehle ihnen. Gerade Sozialforschung sollte hier kritisch sein und sich nicht für die Rechtfertigung von nachrichtendienstlichen Aussagen vereinnahmen lassen, so Quent zur taz. Bei der wissenschaftlichen Bearbeitung gesellschaftlicher Probleme drohe sonst eine "staatszentrierte Versicherheitlichung". Auch Quent plädiert stattdessen für eine unabhängige wissenschaftliche Struktur, "nicht im Auftrag des Verfassungsschutzes, sondern als dessen Korrektiv".
Für die Verfassungsschutz-Konferenz des ZAF am 16. September sagten dennoch mehrere Wissenschaftlerinnen, Wissenschaftler zu. Die Berliner Politikprofessorin Sabine Achour, Mitautorin der renommierten "Mitte-Studie", ist eine von ihnen. Auch sie indes kann den "Einspruch" ihrer Kolleginnen, Kollegen nachvollziehen: "Die Kritik im Aufruf ist wichtig und muss diskutiert werden." Sie selbst komme aus der politischen Bildung, die seit geraumer Zeit im Zeichen einer "Versicherheitlichung" stehe und als "Instrument der Extremismus-Prävention" eingesetzt werde, sagt Achour der taz. "Das passt nicht zu ihrem Selbstverständnis." Diese Kritik wolle sie auf dem Kongress einbringen, und dafür sei sie auch eingeladen. Eine längerfristige Zusammenarbeit mit dem ZAF sei dagegen schwierig vorstellbar, so Achour. "Dafür arbeiten politische Bildung und Verfassungsschutz viel zu unterschiedlich."
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