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3 Artikel , 17.07.2021 :

Pressespiegel überregional

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Übersicht:


Mitteldeutscher Rundfunk, 17.07.2021:
"Offener Prozess" / Ausstellung in Jena: Kunst hilft, die NSU-Morde gesellschaftlich aufzuarbeiten

Jüdische Allgemeine Online, 17.07.2021:
Verlag stellt Zusammenarbeit mit Corona-Maßnahmen-Kritiker Bhakdi ein

Bayerischer Rundfunk, 17.07.2021:
Was ist aus der Gründung der Querdenken-Stiftung geworden?

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Mitteldeutscher Rundfunk, 17.07.2021:

"Offener Prozess" / Ausstellung in Jena: Kunst hilft, die NSU-Morde gesellschaftlich aufzuarbeiten

17.07.2021 - 04.00 Uhr

Von Mareike Wiemann, MDR Kultur

Die Ausstellung "Offener Prozess" in der Kunstsammlung Jena widmet sich den Opfern des NSU. Fast zehn Jahre ist es mittlerweile her, dass der so genannte Nationalsozialistische Untergrund sich in Eisenach selbst enttarnte. Der NSU-Prozess ist Geschichte, auch die meisten parlamentarischen Untersuchungsausschüsse sind längst abgeschlossen worden. Aber gesellschaftlich aufgearbeitet ist die Geschichte des Terror-Netzwerks damit noch lange nicht. Dem will die Schau entgegenwirken.

Die Namen des NSU-Trios sind in Deutschland ziemlich bekannt. Die Namen derer, die ermordet wurden, aber nicht. Die Stuttgarter Künstlerin Ülkü Süngün zählt in ihrer Videoarbeit "Takdir - die Anerkennung" diese Namen auf, ruhig und bedacht. Sie bezieht die Besucher mit ein und sagt "Ich werde Ihnen jetzt beibringen, wie man die Namen der zehn Mordopfer des nationalsozialistischen Untergrundkomplexes richtig ausspricht. Bitte sprechen Sie mir laut nach: Enver Şimşek ... " Es ist eine Auftragsarbeit, die für die Schau "Offener Prozess", aus einer Performance heraus entstanden ist.

"Die Arbeit von Ülkü Süngün knüpft ganz stark eben auch an diesen Hashtag "Say their names" an, der ja im Kontext der Ermordung George Floyds ganz groß geworden ist. Der in Hanau wieder aufgegriffen wurde. Und die Sichtbarkeit der Ermordeten in den Vordergrund geschoben hat."
Hannah Zimmermann, Ausstellungsmacherin

Perspektivwechsel

Es geht in "Offener Prozess" ums große Ganze - um Rassismus, um die Erfahrungen, die Betroffene gerade in Ostdeutschland damit gemacht haben und immer noch machen. Mit der Ausstellung soll auch eine Zeuginnenschaft bewirkt werden, sagt Hannah Zimmermann, die die Schau mitkonzipiert hat, das stehe für die Macherinnen und Macher ganz zentral im Fokus dieser Ausstellung.

"Die Menschen, die in die Ausstellung kommen, werden sich verbinden mit den Geschichten der Menschen, die bis heute marginalisiert sind in ihren Perspektiven. Und werden Zeuginnen von deren Leben. Und auch deren rassistischen Gewalterfahrungen."
Hannah Zimmermann

Zum Kennenlernen anderer Perspektiven gehört auch die der Menschen, die bereits 2006 bei einer Demo in Kassel vor einer rechten Mordserie warnten - die aber keiner ernst nahm. Oder die der Familie Yozgat, die dafür kämpft, dass eine Straße nach ihrem ermordeten Sohn Halit benannt wird - damit aber bislang erfolglos blieb.

Es geht um Empathie

So geht es hier wohl um eine Übung in Empathie, wie sie auch die Künstlerin Belit Sağ in ihrer Videoarbeit "Cut Out" anstellt. Darin betrachtet sie die Fotos der NSU-Mordopfer, die in den Polizeiakten zu finden waren. Sie haben sich ins öffentliche Bewusstsein eingebrannt - der Kontext aber, wieso die Bilder einst gemacht wurden, ist völlig unbekannt. Sağ versucht, das Leben zurückzubringen. Kurator Fritz Lasszlo Weber beschreibt das Vorhaben: "Sie versucht zu lesen: wann sind diese Fotos entstanden, war das ein Urlaub, war das ein Familienfest, wie ging es ihm da. Sozusagen eine Arbeit, die versucht, dadurch noch mal die Opfer selber einer späten Würdigung zukommen zu lassen. Indem man eben diese doch sehr kalten Fotos der Akten versucht in einen größeren gesellschaftlichen Kontext zu bringen."

Den eigenen Rassismus verlernen

Das Ausstellungsteam verfolgt mit "Offener Prozess" ein ganz klar formuliertes politisches Ziel: durch Zuhören und Zuschauen, durchs Einfühlen in andere Perspektiven soll das Publikum den eigenen Rassismus quasi verlernen. Es geht ums lebendige Erinnern bei dieser Ausstellung. Etwas, das alle angeht - zehn Jahre, nachdem in Eisenach ein Wohnmobil in Flammen aufging.

Wohltuender Weise wirkt die Schau aber trotz dieses Anspruchs nicht bemüht oder belehrend, ganz im Gegenteil. In den Räumen ist es ruhig, wer den Ton zu den Videoarbeiten hören will, muss selbstständig Kopfhörer einstöpseln, sonst bleibt es stumm. Und auch Text ist wenig zu lesen, dank eines technischen Kniffs: Wer mehr Hintergründe erfahren will, kann einen QR-Code auf dem Smartphone einscannen und bekommt dann über einen Chatbot, WhatsApp oder Telegram Nachrichten geschickt. Auch Informationen zu den geschichtlichen Hintergründen können so abgerufen werden, so zu Fragen wie: Was ist Gastarbeit gewesen? Was ist Vertragsarbeit? Was ist überhaupt der NSU? Es gibt dadurch ein Glossar mit Werkinfos, die dann aber auch mit Links und Bildern erweitert sind. Und man kann sie mit dem Handy mit nach Hause nehmen, um zu recherchieren.

Zuerst in Thüringen statt in Sachsen

Weber und Zimmermann haben "Offener Prozess" für den Chemnitzer Verein Asa FF entwickelt,thematisch liegt deswegen der Fokus auf Sachsen. Eigentlich sollte die als Wanderausstellung konzipierte Schau dort auch zuerst gezeigt werden, was aber nicht klappte. Als nächste Stationen sind die neue sächsische Galerie in Chemnitz und das Berliner Maxim Gorki Theater geplant. Eigentlich soll sie früher oder später in allen Städten gezeigt werden, die mit dem NSU Berührungspunkte haben - das ist aber anscheinend nicht so einfach.

"Die Ausstellung wollten wir eigentlich in Zwickau eröffnen. Leider sind wir da auch an politischen Widerständen gescheitert. Und eröffnen deswegen jetzt auch in Jena."
Hannah Zimmermann

Die Ausstellung: "Offener Prozess"

17. Juli bis 15. August 2021

Kunstsammlung Jena, Markt 7, 07743 Jena

Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 17.00 Uhr, Montag geschlossen

Kuratorisches Konzept: Ayse Güleç und Fritz Laszlo Weber

Projektleitung: Hannah Zimmermann und Jörg Buschmann

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Jüdische Allgemeine Online, 17.07.2021:

Verlag stellt Zusammenarbeit mit Corona-Maßnahmen-Kritiker Bhakdi ein

17.07.2021 - 23.01 Uhr

"Wir distanzieren uns klar von Antisemitismus", stellt Goldegg klar

Der Goldegg-Verlag stellt die Zusammenarbeit mit dem umstrittenen Mikrobiologen und Bestsellerautor Sucharit Bhakdi ein. Anlass sind Äußerungen Bhakdis in einem Interview, die auch im Kurznachrichtendienst Twitter verbreitet wurden.

"Wir distanzieren uns sowohl als Verlag als auch als Menschen klar von rechtem Gedankengut und Antisemitismus", erklärte eine Sprecherin des Verlags in Wien. Bisher habe der Verlag den Autor nicht als Menschen kennengelernt, der sich jemals in dieser Weise geäußert habe. Eine vom Verlag geforderte Stellungnahme von Bhakdi sei bisher nicht eingetroffen, hieß es weiter.

Bhakdi warf Israel in dem Interview vor, einen Zwang zum Impfen auszuüben, und er äußerte sinngemäß, die aktuelle Situation in dem Land sei schlimmer als in Deutschland zur Zeit des Nationalsozialismus. "Es gibt kein Volk, das besser lernt als sie", sagt er in Bezug auf Juden. "Aber sie haben das Böse jetzt gelernt und umgesetzt, und deswegen ist Israel jetzt living hell - die lebende Hölle."

Bei der Bundestagswahl kandidiert Bhakdi für die Partei Die Basis. Sie wurde nach eigenen Angaben im Sommer 2020 "als Reaktion auf die Corona-Krise und die darauf erfolgten Maßnahmen der Bundesregierung gegründet". Die Partei wies entsprechende Vorwürfe gegenüber Bhakdi zu Juden-Hass und Verharmlosung des Holocausts auf Twitter zurück. "Die Sätze wurden aus dem Kontext gerissen, um diesen Vorwurf zu konstruieren."

Ein Fotograf hatte das insgesamt eineinhalb Stunden lange Interview mit Bhakdi bereits im April auf seiner Webseite veröffentlicht. Ein kurzer Ausschnitt aus diesem Video mit der genannten Passage sorgt seit Dienstag für Empörung.

Unter anderem der baden-württembergische Antisemitismus-Beauftragte Michael Blume bezeichnete die Aussagen Bhakdis als antisemitisch. Zahlreiche andere Experten teilen diese Einschätzung. Sigmount Königsberg, der Antisemitismus-Beauftragte der Jüdischen Gemeinde Berlin, stellte Strafanzeige gegen Bhakdi.

Bhakdi war Professor für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene in Mainz. Mehrere seiner Thesen zur Covid-Pandemie wurden von Experten - etwa seines ehemaligen Instituts an der Universität Mainz - als irreführend oder sogar falsch eingeordnet.

Sein Buch "Corona Fehlalarm?" war eines der meistverkauften Sachbücher des Jahres 2020. Er gilt als Ikone von radikalen Gegnern der staatlichen Corona-Maßnahmen wie der Querdenker-Bewegung. (dpa)

Bildunterschrift: Kundgebung von Corona-Leugnern und Bhakdi-Anhängern in Leipzig.

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Bayerischer Rundfunk, 17.07.2021:

Was ist aus der Gründung der Querdenken-Stiftung geworden?

17.07.2021 - 06.10 Uhr

Querdenken-Gründer Michael Ballweg hatte 2020 angekündigt, eine Stiftung zu gründen, um die Querdenken-Finanzen transparent zu machen. Nun hat er offenbar eine Stiftung gegründet - mit Querdenken hat die aber nichts zu tun. Ein Faktenfuchs.

Am 29. August 2020 war Berlin Schauplatz einer großen Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen von Bund und Ländern und die damit verbundenen Grundrechts-Einschränkungen. Mehr als 38.000 Menschen nahmen an der Demonstration teil, die die Polizei wegen Nichteinhaltung des Abstandsgebots auflöste. Zur Demonstration aufgerufen hatte die Bewegung Querdenken 711, die zu den bekanntesten und lautstärksten Stimmen gegen die Corona-Politik zählt. Die 711 steht für die Telefonvorwahl von Stuttgart, inzwischen gibt es Ableger in vielen anderen deutschen Städten.

Seit Ende April werden Teile der Querdenken-Bewegung vom Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet, weil sie legitime Proteste und Demonstrationen gegen die Corona-Politik zunehmend instrumentalisierten und darauf abzielten, "das Vertrauen in die staatlichen Institutionen und seine Repräsentanten nachhaltig zu erschüttern". Seit einiger Zeit ruft Querdenken 711 zu einer "Großdemonstration für Frieden und Freiheit" am 1. August 2021 auf - wieder in Berlin.

Ins Leben gerufen wurde Querdenken 2020 vom Stuttgarter IT-Unternehmer Michael Ballweg. Im Impressum steht Ballweg mit einer Stuttgarter Adresse, aber keine Organisation, eine Rechtsform ist nicht erkennbar. Ob jemand als Privatperson oder im Namen eines Vereins oder einer Organisation tätig ist, macht in steuerlicher Hinsicht einen Unterschied. Dazu später mehr.

Über die verschiedenen Finanzierungsquellen von Querdenken 711 ist schon viel berichtet worden, dieser Artikel legt den Fokus auf die Rolle von Schenkungen. Weil es immer wieder Kritik gab, dass Michael Ballweg nicht transparent macht, wie viele Schenkungen er bekommt, hat er 2020 angekündigt, eine Stiftung für die Querdenken-Bewegung zu gründen. Nun hat Ballweg wohl eine Stiftung gegründet - die aber nichts mit Querdenken zu tun hat.

Bevor es um den Ablauf der Stiftungsgründung geht, ist es wichtig zu verstehen, welche Rolle Schenkungen bei der Finanzierung von Querdenken 711 spielen.

Schenkungen auf ein Privatkonto Michael Ballwegs

Offiziell ist Querdenken ehrenamtlich tätig: "Wir arbeiten seit fast einem Jahr ehrenamtlich für Demokratie und Grundrechte", heißt es auf der Website. Dennoch ruft Querdenken zu Schenkungen auf. Auf der aktuellen Querdenken-Homepage steht links oben gut sichtbar ein orangefarbener Button mit der Aufschrift "Unterstützen" und einem Herz-Symbol.

Wer draufklickt, kommt auf eine Seite, auf der verschiedene finanzielle Unterstützungsmöglichkeiten angegeben sind: Zuerst ein deutsches Konto, dessen Inhaber Michael Ballweg ist, gefolgt von den Adressen der vier Krypto-Währungen Bitcoin, Cardano, Ethereum und Ripple. Zuletzt ist ein in Belgien geführtes Konto von Wise aufgeführt, ein Online-Geldtransferservice für Fremdwährungen, das ebenfalls auf Michael Ballweg läuft. Abschließend ist ein Paypal-Konto mit der Querdenken-E-Mail-Adresse aufgeführt. "Als Betreff bitte SCHENKUNG angeben", heißt es auf der Seite.

Die Einnahmen aus Schenkungen würden für die Organisation von Demonstrationen, für die Finanzierung von Klagen gegen Versammlungsverbote und -auflagen, die Entwicklung von IT-Tools sowie die Entwicklung einer YouTube-Alternative verwendet, heißt es auf der Webpage. Der YouTube-Account von Querdenken 711 ist im Mai gelöscht worden.

Kritik: Ballweg geht nicht transparent mit Schenkungen um

Dass die Schenkungen auf Konten von Michael Ballweg landen, hat ihm viel Kritik eingebracht. So wurde Ballweg im Januar 2021 in einem Interview mit dem rechts-konservativen Magazin Tichys Einblick zu seiner "Spenden-Politik" gefragt: "Warum zeigen Sie nicht lückenlos auf, was reingekommen ist, wo es verblieben ist oder wo es noch hingehen soll?" Die Kritik komme ja auch aus den eigenen Reihen, so der Fragesteller.

Ballweg antwortete: "Spende ist ja das falsche Wort. Es geht um Schenkungen." Er habe seine Rentenversicherungen gekündigt, "meine Firma, mein Hauptprodukt" verkauft (Anmerkung der Redaktion: In einer Mail an den Faktenfuchs schrieb Querdenken 711, die Firma media access GmbH habe ihr Hauptprodukt im März 2020 an einen langjährigen Kunden verkauft). Damit habe er Querdenken finanziert. "Was sollte man daran denn bitte transparent gestalten?" Das Konto, auf das die Schenkungen überwiesen werden, sei "von Anfang an ein separates Konto" gewesen.

Der Unterschied zwischen Schenkungen und Spenden

"Eine Zuwendung, durch die jemand aus seinem Vermögen einen anderen bereichert, ist Schenkung", heißt es in § 516 Abs. 1 BGB. Es handelt sich dabei um eine so genannte "Handschenkung": Das kann Bargeld sein, vergleichbar einem Geschenk zu Weihnachten oder zum Geburtstag. Diese Beträge können nicht zurückgefordert werden und sind steuerlich nicht relevant. Allerdings haben diese Beträge den Nachteil, dass der Schenker sie auch nicht bei seiner Steuer absetzen kann. Das Schenkungsrecht ist an das Erbschaftsrecht angeglichen - mit dem Unterschied, dass Schenkungen unter Lebenden überreicht werden. Auf Schenkungen von Nicht-Verwandten bis zu einer Summe von 20.000 Euro in zehn Jahren fällt keine Schenkungssteuer an.

Spenden - und eine Spendenquittung dafür erhalten - kann man rechtlich gesehen nur an Körperschaften, die einen steuerbegünstigten Zweck haben. Dazu zählen gemeinnützige Zwecke. Der Spender bekommt eine Spendenquittung und kann seine Spende von der Einkommenssteuer abziehen. Gemeinnützige Institutionen sind wiederum von Körperschaftsteuer und gegebenenfalls Gewerbesteuer befreit.

Auf Nachfrage, warum er nicht einen Verein gründe, sagte Ballweg in dem Interview mit Tichys Einblick, er habe "die Stiftung gegründet oder die Stiftung angemeldet", er wisse nicht, "warum sich das so lange hinzieht". Weiter sagte Ballweg in dem Interview: "Natürlich" werde die Stiftung sich "dann allen Verpflichtungen, die zwecks Offenlegung da sind, stellen … Wenn wir Transparenz machen, dann machen wir es richtig."

Allerdings gibt es für Stiftungen in Deutschland gar keine Transparenzpflicht. Stiftungen müssen in der Regel ihrer Aufsichtsbehörde, das ist die zuständige Behörde des Bundeslandes, in dem die Stiftung ihren Sitz hat, eine Jahresabrechnung vorlegen. Veröffentlichen müssen sie diese Jahresabrechnung nicht - im Gegensatz zu GmbHs, die jährlich eine Bilanz vorlegen müssen, die auch im elektronischen Bundesanzeiger einzusehen ist.

Es gibt auch keine genauen Vorschriften, wie die Jahresabrechnung auszusehen hat. "Jede Stiftung kann selbst bestimmen, welche Zahlen sie in welcher Form in ihrer Jahresabrechnung offenlegt", sagt Birgit Weitemeyer, Direktorin des Instituts für Stiftungsrecht an der Bucerius Law School in Hamburg dem Faktenfuchs. Stiftungen machten sich auch nicht strafbar, wenn die Jahresabrechnung nicht stimme.

Ballweg kündigte 2020 Gründung einer Querdenken-Stiftung an

Sowohl zu dem auf seinen Namen laufenden Konto als auch zur Stiftungsgründung hatte sich Ballweg bereits im Dezember 2020 in einer Pressemitteilung geäußert: Bei dem Konto handele es sich um ein "separates Konto", das bis zur Gründung der Stiftung, "die leider durch das Regierungspräsidium Darmstadt in die Länge gezogen wird" als Übergangskonto diene.

Zur Stiftungsgründung schreibt Ballweg in derselben Pressemitteilung weiter: "Ich habe aus meinem privaten Vermögen 100.000 EUR zur Gründung einer Stiftung Querdenken 711 mit folgendem Zweck angemeldet: Zweck der Stiftung ist die Förderung des demokratischen Staatswesens im Geltungsbereich dieses Gesetzes; hierzu gehören nicht Bestrebungen, die nur bestimmte Einzelinteressen staatsbürgerlicher Art verfolgen oder die auf den kommunalpolitischen Bereich beschränkt sind." Der letzte Satz entspricht fast wörtlich Nummer 24 in der Auflistung der gemeinnützigen Zwecke nach §52 der Abgabenordnung. Mit der Formulierung "im Geltungsbereich dieses Gesetzes" ist Deutschland gemeint. Die Gemeinnützigkeit muss eine Stiftung beim zuständigen Finanzamt beantragen.

Was unter der "Förderung des demokratischen Staatswesens" zu verstehen ist, ist Birgit Weitemeyer zufolge "durch Auslegung zu ermitteln". Beispiele dafür seien die parteinahen Stiftungen und die Bundeszentrale für politische Bildung. Nicht erlaubt sei hingegen ein allgemeinpolitisches Mandat wie bei der globalisierungskritischen NGO Attac. Im Januar 2021 hat der Bundesfinanzhof in der Folge-Entscheidung zum Attac-Urteil von 2019 entschieden, dass "Einflussnahme auf politische Willensbildung und öffentliche Meinung kein eigenständiger gemeinnütziger Zweck ist".

Verschiedene Rechtsformen für Stiftungen möglich

In der Pressemitteilung vom 16. Dezember 2020 macht Ballweg weitere Angaben zur geplanten Stiftungs-Konstruktion: "Unterhalb der Stiftung" werde es zwei GmbHs geben: Die Querdenken 711 gGmbH für gemeinnützige Aktivitäten sowie eine Querdenken 711 GmbH für nicht-gemeinnützige Aktivitäten. Als Sitz der Stiftung sei Frankfurt am Main geplant.

Prinzipiell kann eine Stiftung verschiedene Rechtsformen haben: Stiftung des bürgerlichen Rechts, Stiftung des öffentlichen Rechts, eingetragener Verein, GmbH, sogar eine AG ist möglich.

"Stiftungen haben in Deutschland einen positiven Touch. Zum einen, weil die meisten gemeinnützig sind. Zum anderen, weil sich der Stifter unwiderruflich von seinem Geld trennt." Birgit Weitemeyer, Direktorin des Instituts für Stiftungsrecht an der Bucerius Law School in Hamburg zum Faktenfuchs.

Nach Angaben des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen verfolgen 92 Prozent der mehr als 23.800 Stiftungen in Deutschland ausschließlich steuerbegünstigte Zwecke, zu denen gemeinnützige Zwecke ebenso zählen wie mildtätige und kirchliche Zwecke.

Auch eine Konstruktion, wie sie Michael Ballweg ins Auge gefasst hatte, ist möglich: So können Stiftungen zum Beispiel (alleiniger) Gesellschafter einer oder auch mehrerer GmbHs sein, zum Beispiel sowohl einer gemeinnützigen GmbH (gGmbH) als auch einer nicht-gemeinnützigen GmbH.

Querdenken: Stiftung wurde im Mai 2021 gegründet

Auf Faktenfuchs-Anfrage, ob die Stiftungs-Gründung inzwischen abgeschlossen sei, antwortete das Querdenken-Presseteam am 22. Juni:

"Die Stiftung wurde im Mai 2021 gegründet. Der Gründungsprozess hat aus uns nicht nachvollziehbaren Gründen fast ein ganzes Jahr in Anspruch genommen. Im Moment laufen die notwendigen Schritte im Nachgang zur Gründung." Mail von Querdenken 711 an den Faktenfuchs.

Antrag auf Querdenken-Stiftungsgründung am Folgetag zurückgezogen

Das zuständige Regierungspräsidium Darmstadt bestätigt auf Faktenfuchs-Anfrage, dass "im Auftrag von und für Herrn Ballweg" dort im September 2020 eine Anfrage auf Gründung einer Stiftung gestellt worden sei, bei der es einen "sachlichen Zusammenhang zur Querdenken-Bewegung" gegeben habe. Am Folgetag sei der Antrag zurückgenommen worden. Warum, hat Ballweg dem Faktenfuchs nicht beantwortet.

Um welche Stiftung handelt es sich also bei der "im Mai gegründeten Stiftung", von der die Querdenken 711-Pressestelle spricht? Auch dazu antwortet Michael Ballweg auf Faktenfuchs-Nachfrage nicht.

Michael Ballweg ist Vertretungsberechtigter einer Familienstiftung

Während also der Antrag auf eine Querdenken-Stiftung wieder zurückgenommen wurde, wurde ein Antrag auf eine andere Stiftung binnen kurzer Zeit genehmigt: Am 5. Mai 2021 hat das Regierungspräsidium Darmstadt die "Herzensmenschen Familienstiftung" mit Sitz Darmstadt als rechtsfähige Familienstiftung des bürgerlichen Rechts anerkannt. Vertretungsberechtige Personen sind Michael Ballweg und Christina Ballweg. Der Stiftungszweck der "Herzensmenschen Familienstiftung" ist "die Förderung des Stifters, der leiblichen und gesetzlichen Abkömmlinge des Stifters und des in gültiger Ehe lebenden Ehepartners des Stifters". Der Pressesprecher des Regierungspräsidiums schreibt dem Faktenfuchs: "Ein Zusammenhang mit der Querdenken-Bewegung ist dem Stiftungszweck nicht zu entnehmen."

Ob Michael Ballweg der Stifter ist, ist dem Stiftungsverzeichnis nicht zu entnehmen, das Regierungspräsidium Darmstadt äußert sich zu dieser Frage nicht.

Stiftungen kann man an einem beliebigen Ort gründen

Familienstiftungen sind privatnützig und nicht gemeinnützig, Spendenbescheinigungen kann die "Herzensmenschen Familienstiftung" also nicht ausstellen. "Familienstiftungen werden normalerweise von vermögenden Leuten gegründet, um Erbfolgen zu regeln. Aus dem Ertrag werden Angehörige versorgt", sagt der Pressesprecher des Regierungspräsidiums Darmstadt im Gespräch mit dem Faktenfuchs.

Die Gründung einer Stiftung ist in Deutschland nicht an den Wohnort gebunden, ein Stifter kann die Stiftungsgründung an einem Ort seiner Wahl beantragen.

Unterschiede zwischen Stiftungsgesetzen der Bundesländer

Im baden-württembergischen Stiftungsgesetz - Ballweg wohnt in Stuttgart - gibt es keine Ausnahme von der Rechnungslegungspflicht für Familienstiftungen.

Nach § 21 des Hessischen Stiftungsgesetzes unterliegen Familienstiftungen dagegen nur eingeschränkt der staatlichen Aufsicht. "Anders als bei sonstigen Stiftungen ist daher keine Jahresabrechnung vorzulegen, sondern nur ein jährlicher Bericht über die Erfüllung des Stiftungszwecks", schreibt der Pressesprecher des Regierungspräsidiums Darmstadt dem Faktenfuchs.

Stiftungsexpertin Birgit Weitemeyer, erläutert im Gespräch mit dem Faktenfuchs: "Das heißt, dass die Stiftungsaufsicht also nur eingreift, wenn sie Hinweise auf schwere Verstöße hat, also etwa, dass sich der Stifter sein Geld zurückholt, was er nicht darf."

Zur Frage, warum er die "Herzensmenschen Familienstiftung" in Hessen und nicht in Baden-Württemberg beantragt hat, hat Ballweg dem Faktenfuchs nicht geantwortet.

Gründung der Familienstiftung dauerte einen Monat

Und was ist mit der monatelangen Verzögerung, von der Ballweg spricht? Der Antrag zur Gründung der Herzensmenschen Familienstiftung ist am 7. April 2021 beim Regierungspräsidium Darmstadt gestellt worden. Am 5. Mai wurde sie anerkannt, wie es auf Seite 680 des hessischen Staatsanzeigers vom 17. Mai 2021 vermerkt ist. Zwischen Antrag und Anerkennung liegt also ein Monat.

Fazit

Querdenken-Gründer Michael Ballweg hat 2020 die Gründung einer Querdenken 711-Stiftung angekündigt. Unter anderem auch, um die Finanzen der Querdenken-Bewegung transparent machen zu können, wie er in einem Interview sagte. Diese Stiftung gibt es bislang nicht, stattdessen aber eine, die weder gemeinnützig ist noch etwas mit der Querdenken-Bewegung zu tun hat, und bei der Ballweg als vertretungsberechtigte Person ausgewiesen ist.

Laut Auskunft des Regierungspräsidiums Darmstadt hat Ballweg im September 2020 zwar einen Antrag auf Gründung einer Stiftung, die im Zusammenhang mit der Querdenken-Bewegung steht, stellen lassen, dieser Antrag wurde jedoch einen Tag später zurückgezogen.

Im Mai 2021 hat das Regierungspräsidium Darmstadt die offenbar von Ballweg gegründete "Herzensmenschen Familienstiftung" als Familienstiftung des bürgerlichen Rechts anerkannt. Der Stiftungszweck der "Herzensmenschen Familienstiftung" ist die Förderung des Stifters. Ein Zusammenhang mit der Querdenken-Bewegung sei nicht erkennbar.

Michael Ballweg beziehungsweise das Querdenken-Presseteam verweist auf Anfragen zur Stiftungsgründung lediglich darauf, dass "die Stiftung" im Mai 2021 gegründet worden sei. Auf Nachfragen, ob damit die "Herzensmenschen Familienstiftung" gemeint sei, hat Ballweg nicht geantwortet.

Bildunterschrift: Im hessischen Stiftungsregister ist Michael Ballweg als Vertretungsberechtigter der "Herzensmenschen Familienstiftung" angegeben.

Bildunterschrift: Laut hessischem Staatsanzeiger wurde die Gründung der "Herzensmenschen Familienstiftung" am 7. April 2021 beantragt und am 5. Mai 2021 genehmigt.

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