10 Artikel ,
16.07.2021 :
Pressespiegel überregional
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Übersicht:
Berliner Zeitung Online, 16.07.2021:
Antisemitismus: Goldegg Verlag feuert Sucharit Bhakdi
Bild.de, 16.07.2021:
Beihilfe zum Mord in 11.000 Fällen / Frühere KZ-Sekretärin (96) muss vor Gericht
Jüdische Allgemeine Online, 16.07.2021:
KZ Stutthof / Ehemalige Sekretärin kommt vor Gericht
Norddeutscher Rundfunk, 16.07.2021:
Ehemalige Sekretärin von KZ-Kommandanten in Itzehoe vor Gericht
Welt Online, 16.07.2021:
Landgericht Itzehoe / 96-jährige frühere Sekretärin im KZ Stutthof kommt vor Gericht
MiGAZIN, 16.07.2021:
Sternstunden und Katastrophen / Das jüdische Erbe am Rhein könnte UNESCO-Welterbe werden
Nordbayern.de, 16.07.2021:
Gedenkkultur / Ehrung für NSU-Opfer: Stadt benennt Platz nach getötetem Blumenhändler
Münchner Merkur Online, 16.07.2021:
Platz soll nach erstem NSU-Opfer benannt werden
Frankfurter Allgemeine Zeitung Online, 16.07.2021:
"Sicherheit aufs Spiel gesetzt" / Kaminsky zeigt sich fassungslos nach Notruf-Mängeln
Nordbayern.de, 16.07.2021:
"Messerer" und "Menschenfresser" / Hetze gegen Flüchtlinge: Geldstrafe für Nürnberger Theologen Cran
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Berliner Zeitung Online, 16.07.2021:
Antisemitismus: Goldegg Verlag feuert Sucharit Bhakdi
16.07.2021 - 12.32 Uhr
Mit unzweifelhaft antisemitischen Aussagen brüskiert der Mikrobiologe Sucharit Bhakdi seinen Verlag - der die Zusammenarbeit beendet.
Michael Maier
Berlin / Wien. Der österreichische Goldegg Verlag, der die Bücher des früheren Mainzer Mikrobiologie-Professors Sucharit Bhakdi herausgegeben hat, beendet laut einer Mitteilung des Verlags die Zusammenarbeit mit einem der bekanntesten Kritiker der Corona-Maßnahmen. Der Grund sind antisemitische Aussagen Bhakdis in einem Internet-Video. Darin hatte Bhakdi unter anderem gesagt, er sei früher ein großer Bewunderer jüdischer Künstler und Musiker gewesen. Das habe sich aber geändert. Bhakdi sagte, "das Volk", das aus Deutschland geflüchtet sei, "aus diesem Land, wo das Erzböse war", hätten Israel "in etwas verwandelt, was noch schlimmer ist, als Deutschland war". Bhakdi weiter: "Das ist das Schlimme an den Juden: Sie lernen gut. Es gibt kein Volk, das besser lernt als sie. Aber sie haben das Böse jetzt gelernt - und umgesetzt." Deshalb sei Israel jetzt "living hell" - die lebende Hölle.
Es besteht unter Gesichtspunkten der Antisemitismus-Forschung kein Zweifel, dass diese Aussagen mehrere antisemitische Klischees bedienen. Ob sie auch den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllen, wird von den Gerichten zu klären sein. Der Antisemitismus-Beauftragte der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Sigmount Königsberg, hat jedenfalls Strafanzeige gegen Bhakdi gestellt.
Der Goldegg Verlag, in dem Bhakdi unter anderem die Bücher "Corona Fehlalarm?", "Corona unmasked" und "Schreckgespenst Infektionen" veröffentlicht hat, zeigt sich entsetzt über die Aussagen von Bhakdi. Der Verlag teilt mit: "Die aktuellen Aussagen von Prof. Bhakdi können wir nicht nur nicht nachvollziehen, sie stehen außerhalb unseres Verständnisses. Im Verlag sind wir tief betroffen und distanzieren uns vehement von derartigem Gedankengut." Man habe Bhakdi bisher "nicht als Menschen kennengelernt, der sich jemals in dieser Weise geäußert hat". Der Verlag habe den Mediziner um eine Stellungnahme gebeten, die allerdings noch nicht eingetroffen sei. Von einer weiteren Zusammenarbeit mit Bhakdi nehme Goldegg Abstand. Es würden keine neuen Projekte mehr mit Bhakdi umgesetzt.
Der Verlag verzichtet demnach auch auf den Nachdruck der sehr erfolgreichen Bücher von Bhakdi. Der Verlag: "Wir distanzieren uns sowohl als Verlag als auch als Menschen klar von rechtem Gedankengut und Antisemitismus. Der Goldegg Verlag steht für bewusste Inhalte und will mit seinen Büchern ein breites Meinungsspektrum abbilden und zum gesellschaftlichen Diskurs beitragen."
Bildunterschrift: Sucharit Bhakdi im Interview.
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Bild.de, 16.07.2021:
Beihilfe zum Mord in 11.000 Fällen / Frühere KZ-Sekretärin (96) muss vor Gericht
16.07.2021 - 17.51 Uhr
Itzehoe (Schleswig-Holstein). Eine ehemalige Sekretärin im deutschen Konzentrationslager Stutthof bei Danzig muss sich vom 30. September an vor Gericht verantworten.
Das Landgericht Itzehoe hat das Hauptverfahren am Freitag eröffnet, wie eine Gerichtssprecherin sagte. Irmgard Furchner (96) ist wegen Beihilfe in mehr als 11 000 Fällen des Mordes und des versuchten Mordes angeklagt. Im Konzentrationslager Stutthof ermordeten die Nationalsozialisten Zehntausende Menschen.
Furchner war in den 40er-Jahren die Stenotypistin des Lagerkommandanten Paul-Werner Hoppe in Stutthof. Laut Anklage der Staatsanwaltschaft Itzehoe soll sie "in ihrer Funktion als Stenotypistin und Schreibkraft in der Lagerkommandantur des ehemaligen Konzentrationslagers Stutthof zwischen Juni 1943 und April 1945 den Verantwortlichen des Lagers bei der systematischen Tötung von dort Inhaftierten Hilfe geleistet zu haben". Es ging dabei um jüdische Gefangene, polnische Partisanen und sowjetische Kriegsgefangene.
Furchner, die in einem Pflegeheim im schleswig-holsteinischen Quickborn (bei Hamburg) lebt, sagte bereits zweimal als Zeugin zu ihrer Rolle in Stutthof aus, in den Jahren 1954 und 1962. 1954 habe sie ausgesagt, dass der gesamte Schriftverkehr mit dem SS-Wirtschaftsverwaltungshauptamt über ihren Schreibtisch gelaufen sei. Kommandant Hoppe habe ihr täglich Schreiben diktiert und Funksprüche verfügt. Von der Tötungsmaschinerie, der während ihrer Dienstzeit in unmittelbarer Nähe Zehntausende Menschen zum Opfer fielen, habe sie nichts gewusst, sagte sie damals.
Das Verfahren im September werde vor einer Jugendkammer stattfinden, weil die Beschuldigte zur Tatzeit mit 18 oder 19 Jahren noch eine Heranwachsende war.
Im Sommer 2020 rückten die grausamen Taten, die in dem Konzentrationslager Stutthof begangen wurden, schon einmal in Blickpunkt. Damals musste sich der 93-jährige Bruno D. (93) wegen Beihilfe zum Mord in mehr als 5.230 Fällen vor dem Hamburger Landgericht verantworten.
Als SS-Wachmann unterstützte Bruno D. zwischen dem 9. August 1944 und dem 26. April 1945 im Konzentrationslager Stutthof "die heimtückische und grausame Tötung insbesondere jüdischer Häftlinge".
Am 23. Juli 2020 wurde Bruno D. wegen Beihilfe zum Mord in 5.232 Fällen und wegen Beihilfe zu einem versuchten Mord im KZ Stutthof schuldig gesprochen.
Während die Staatsanwaltschaft nach dem neunmonatigen Prozess eine Jugendstrafe von drei Jahren Haft forderte, plädierte die Verteidigung auf Freispruch.
Die Vorsitzende Richterin, Anne Meier-Göring, verurteilte ihn zu zwei Jahren auf Bewährung.
Bildunterschrift: Das ehemalige deutsche Konzentrationslager Stutthof bei Danzig.
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Jüdische Allgemeine Online, 16.07.2021:
KZ Stutthof / Ehemalige Sekretärin kommt vor Gericht
16.07.2021 - 17.17 Uhr
Hauptverfahren gegen die 96-Jährige eröffnet - Vorwurf der Beihilfe zum Mord in mehr als 11.000 Fällen
Eine ehemalige Sekretärin im deutschen Konzentrationslager Stutthof bei Danzig muss sich vor Gericht verantworten. Das Landgericht Itzehoe habe am Freitag das Hauptverfahren gegen die 96-Jährige eröffnet, teilte eine Sprecherin des Gerichts mit. Der Angeklagten werde Beihilfe zu mehr als 11.000 Fällen des Mordes vorgeworfen. Der Prozess soll am 30. September beginnen.
Das Verfahren werde vor einer Jugendkammer stattfinden, weil die Beschuldigte zur Tatzeit mit 18 oder 19 Jahren noch eine Heranwachsende war. "Der Angeklagten wird zur Last gelegt, in ihrer Funktion als Stenotypistin und Schreibkraft in der Lagerkommandantur des ehemaligen Konzentrationslagers Stutthof zwischen Juni 1943 und April 1945 den Verantwortlichen des Lagers bei der systematischen Tötung von dort Inhaftierten Hilfe geleistet zu haben", hieß es in der Mitteilung des Gerichts in der Stadt in Schleswig-Holstein.
Beihilfe
Die 3. Große Jugendkammer erachte die Angeklagte für hinreichend verdächtig, durch eine Handlung Beihilfe zu 11.387 Fällen des Mordes geleistet zu haben, wovon es in sieben Fällen beim Versuch geblieben sein soll. Die Gerichtssprecherin wies darauf hin, dass jeder Angeklagte bis zu einer eventuellen rechtskräftigen Verurteilung als unschuldig gilt.
Nach einem Bericht der ARD-"Tagesschau" aus dem vergangenen Jahr war die Frau bereits mehrfach als Zeugin befragt worden. 1954 habe sie ausgesagt, dass der gesamte Schriftverkehr mit dem SS-Wirtschaftsverwaltungshauptamt über ihren Schreibtisch gelaufen sei. Kommandant Paul Werner Hoppe habe ihr täglich Schreiben diktiert und Funksprüche verfügt. Von der Tötungsmaschinerie, der während ihrer Dienstzeit in unmittelbarer Nähe Zehntausende Menschen zum Opfer fielen, habe sie nichts gewusst, sagte sie damals. (dpa)
Bildunterschrift: Die Nationalsozialisten ermordeten im Konzentrationslager Stutthof nahe Danzig mehr als 65.000 Menschen.
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Norddeutscher Rundfunk, 16.07.2021:
Ehemalige Sekretärin von KZ-Kommandanten in Itzehoe vor Gericht
16.07.2021 - 15.38 Uhr
Weil sie im ehemaligen Konzentrationslagers Stutthof bei Danzig dabei Hilfe geleistet haben soll, Inhaftierte systematisch zu töten, muss sich eine über 90-Jährige nun vor der Jugendkammer des Landgerichts Itzehoe verantworten.
Konkret wird der Frau vorgeworfen, den Verantwortlichen des Lagers bei der systematischen Tötung der Inhaftierten Hilfe geleistet zu haben. In ihrer Funktion als Stenotypistin und persönliche Schreibkraft des KZ-Lagerkommandanten Paul-Werner Hoppe soll sie von den Morden gewusst haben. Sie war zwischen Juni 1943 und April 1945 in dem Lager tätig. Die Anklage wirft der damals Heranwachsenden Beihilfe wegen Mordes und versuchten Mordes in mehr als 11.000 Fällen vor.
In Stutthof und den Nebenlagern ermordeten die Nationalsozialisten etwa 65.000 Menschen. Die heute 96 Jahre alte Irmgard F. lebt derzeit in einem Pflegeheim in Quickborn (Kreis Pinneberg).
Jugendkammer ist zuständig
Die 3. Große Jugendkammer des Landgerichts Itzehoe hat am Freitag das Hauptverfahren eröffnet. Das Verfahren wird vor der Jugendkammer verhandelt, weil die Angeklagte zum Zeitpunkt der Tat 18 beziehungsweise 19 Jahre alt und somit eine Heranwachsende im Sinne des Jugendgerichtsgesetzes war. Die Hauptverhandlung beginnt am 30. September 2021.
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Welt Online, 16.07.2021:
Landgericht Itzehoe / 96-jährige frühere Sekretärin im KZ Stutthof kommt vor Gericht
Sie soll Beihilfe in mehr als 11.000 Fällen des Mordes und versuchten Mordes begangen haben. Die damals 18-Jährige frühere Sekretärin des KZ Stutthof bei Danzig steht ab 30. September vor Gericht. Sie ist heute 96 Jahre alt.
Das Landgericht Itzehoe hat das Hauptverfahren gegen eine ehemalige Sekretärin des NS-Konzentrationslagers Stutthof eröffnet. Die Große Jugendkammer habe die Anklage auf Beihilfe zu Mord und versuchtem Mord in mehr als 11.000 Fällen zugelassen, teilte das Gericht am Freitag mit.
Der damals Heranwachsenden wird vorgeworfen, als Stenotypistin und Schreibkraft des Lagerkommandanten des ehemaligen Konzentrationslagers Stutthof zwischen Juni 1943 und April 1945 "den Verantwortlichen des Lagers bei der systematischen Tötung von dort Inhaftierten Hilfe geleistet zu haben".
Die Kammer erachtet den Angaben nach die heute 96-jährige Frau für hinreichend verdächtig, durch eine Handlung Beihilfe zu 11.387 Fällen des Mordes geleistet zu haben, wovon es in sieben Fällen beim Versuch geblieben sein soll. Das Verfahren solle vor der Jugendkammer verhandelt werden, weil die Angeklagte zum Zeitpunkt der Tat 18 beziehungsweise 19 Jahre alt und somit eine Heranwachsende im Sinne des Jugendgerichtsgesetzes war. Der Prozess soll am 30. September beginnen.
In den vergangenen Jahren hatte es in Deutschland noch einmal eine ganze Reihe von Anklagen und Prozessen gegen ehemalige Angehörige der Wach- und Verwaltungsmannschaften der beiden Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz und Stutthof gegeben. Zuletzt verurteilte das Landgericht in Hamburg im Juli 2020 einen 93-jährigen früheren Stutthof-Wachmann wegen Beihilfe zum Mord in 5.232 Fällen zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe nach Jugendstrafrecht. Das Urteil ist inzwischen rechtskräftig.
Im Lager Stutthof bei Danzig hatte die SS im Zweiten Weltkrieg mehr als hunderttausend Menschen unter erbärmlichen Bedingungen gefangen gehalten, darunter viele Juden. Etwa 65.000 Menschen starben. Stutthof war als Lager berüchtigt für die absichtlich völlig unzureichende Versorgung und lebensfeindliche Zustände. Die meisten Gefangenen starben an Krankheiten und Entkräftung.
Strafverfolgung wegen NS-Verbrechens nur noch wegen Mordes oder Beihilfe
Eine Strafverfolgung wegen NS-Verbrechen ist in Deutschland nur noch wegen Mordes oder Beihilfe dazu möglich, andere denkbare Vorwürfe sind verjährt. Der Wachdienst in einem Konzentrationslager allein reicht nicht aus. Nur bei Todes- und Vernichtungslagern, deren Zweck die systematische Tötung aller Gefangenen war, gilt nach deutscher Rechtsprechung bereits die reine Zugehörigkeit zur Wachmannschaft als Beihilfe zum Mord. Eine direkte Beteiligung an Tötungen ist nicht nötig.
Der Anklageerhebung vorausgegangen war nach Angaben eines Sprechers der Staatsanwaltschaft ein aufwändiges längeres Ermittlungsverfahren. Dafür seien unter anderem Zeugen in den USA und Israel befragt worden. Auch ein Historiker wurde beauftragt, um mehr Informationen über die Funktion der Beschuldigten innerhalb der Lagerverwaltung zu erhalten.
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MiGAZIN, 16.07.2021:
Sternstunden und Katastrophen / Das jüdische Erbe am Rhein könnte UNESCO-Welterbe werden
16.07.2021 - 05.20 Uhr
Mainz, Worms und Speyer am Rhein waren im Mittelalter Zentren jüdischer Kultur und Gelehrsamkeit. Die wenigen sichtbaren Überreste an die Blütezeit der so genannten SchUM-Gemeinden könnten im Juli von der UNESCO als Weltkulturerbe anerkannt werden.
Von Karsten Packeiser
Der Grabstein ist mehr als 800 Jahre alt, die hebräische Inschrift verwittert: "Unser Meister Menachem, der Sohn des Jaakow, Vater der Weisheit, Lehrer, Ausleger und Dichter - und an nichts mangelte es ihm." Die Zeilen erinnern an Menachem ben Jaakow, einen einst berühmten Rabbiner. Seine letzte Ruhe fand er auf dem Heiligen Sand - dem ältesten erhaltenen jüdischen Friedhof Europas in Worms. Das verwunschene Gelände mit seinen rund 2.500 noch sichtbaren Grabsteinen ist seit jeher Pilger-Ziel frommer Juden aus aller Welt. Bald könnte es noch viel bekannter werden - falls die UNESCO den Friedhof und andere Zeugnisse der jüdischen Kultur am Rhein als Welterbe anerkennt.
Seit über 15 Jahren bemüht sich das Land Rheinland-Pfalz um die Auszeichnung für die so genannten SchUM-Stätten in Mainz, Worms und Speyer. Bei einer Online-Tagung des Welterbekomitees der UNESCO vom 16. bis 31. Juli soll nun nach jahrelanger Vorbereitung über den Antrag abgestimmt werden. "Wir fühlen uns schon lange als Stadt der Religionen", erklärt der Wormser Oberbürgermeister Adolf Kessel (CDU). Eine Anerkennung als Welterbe wäre eine weitere enorme Aufwertung für die Stadt. Es gehe aber auch darum, das jüdische Erbe besser erhalten zu können.
Zentrum der jüdischen Kultur und Theologie
Im Mittelalter bildeten die drei Jüdischen Gemeinden in Speyer, Worms und Mainz den SchUM-Verbund, benannt nach den Anfangsbuchstaben der mittelalterlichen hebräischen Städtenamen. Die Region wurde zum Zentrum der mitteleuropäischen jüdischen Kultur und Theologie. Gelehrte wie Rabbi Salomon ben Isaak, genannt Raschi, verfassten hier Bibel- und Talmud-Kommentare, die bis heute in der jüdischen Welt Beachtung finden.
Die Architektur der SchUM-Synagogen wurde stilbildend für viele andere Gemeinden in Europa. Und nicht zuletzt entstand hier am Rhein die Grundlage für die später in Osteuropa weit verbreitete jiddische Sprache. "Die prägende geistige Kraft von SchUM für das Judentum kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden", notierte der 2020 verstorbene Theologe Otto Böcher.
Nur wenige sichtbare Spuren
Bis in die Gegenwart blieben aus dieser Zeit aber nur wenige sichtbare Spuren erhalten. Zur Anerkennung als UNESCO-Welterbe sind neben dem Friedhof Heiliger Sand und dem Gelände der Wormser Synagoge auch der Judenhof in Speyer mit seiner uralten Mikwe - dem jüdischen Ritualbad - und die alten jüdischen Grabsteine auf dem Mainzer Judensand vorgeschlagen worden. Der erst nach der Jahrtausendwende eingeweihte spektakuläre Synagogen-Neubau in Mainz wurde hingegen nicht nominiert. "Die neue Synagoge ist fantastisch", sagt Susanne Urban, Geschäftsführerin des Vereins der SchUM-Städte. "Aber damit hätten wir uns selbst den Antrag torpediert."
Der Mangel an authentischen historischen Orten sei von Anfang an ein Problem auf dem Weg zur Aufnahme in die Welterbeliste gewesen, erklärt Andreas Lehnardt, Professor für Judaistik an der Mainzer Gutenberg-Universität. Jüdische Besucher kämen oft wegen der Aura von Mainz und der anderen SchUM-Städte in die Region. "Manche meiner Gäste sind dann eher enttäuscht. Aber das spiegelt eben auch die jüdische Geschichte in Deutschland wider." Er selbst hätte sich gewünscht, dass auch das immaterielle jüdische Erbe der Städte am Rhein stärkere Berücksichtigung findet.
Es grenzt an ein Wunder
Als Folge zahlreicher Kriege, judenfeindlicher Pogrome und der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft grenzt es an ein Wunder, dass überhaupt noch Spuren der großen jüdischen Vergangenheit von Mainz, Worms und Speyer zu finden sind. So wurde der alte Mainzer Judenfriedhof im Laufe der Jahrhunderte geplündert und viele Grabsteine als Baumaterial verwendet. Die heutige Anlage entstand erst Anfang des 20. Jahrhunderts, als auf Initiative der örtlichen Jüdischen Gemeinde alte Grabsteine aus allen Stadtteilen am historischen Standort zusammengestellt wurden.
Die Synagoge in Worms wurde von den Nationalsozialisten dem Erdboden gleichgemacht und erst nach 1945 originalgetreu wieder aufgebaut. Von Synagoge und "Frauenschul" in Speyer blieben nur Ruinen.
Jüdische Gemeinde hat letztes Wort
Welche Folgen eine positive Entscheidung der UNESCO haben würde und wie viel Tourismus an den Welterbestätten überhaupt erwünscht wäre, haben die Verantwortlichen noch nicht abschließend geklärt. "Das letzte Wort hat die Jüdische Gemeinde", stellt der Wormser Oberbürgermeister Kessel klar.
In Mainz gibt es Überlegungen für einen touristischen Rundweg auf den Spuren des Judentums: Stationen könnte es am Jüdischen Friedhof geben, an der neuen Synagoge und in der Stephanskirche mit ihren Kirchenfenstern von Marc Chagall, die als Symbol der christlich-jüdischen Versöhnung gestaltet wurden. Das eigentliche Friedhofsgelände aber soll für Besucherinnen und Besucher tabu bleiben. Nach den bisherigen Plänen können sie das Gelände in der Regel nur von einem Besucherpavillon aus betrachten. (epd/mig)
Bildunterschrift: SchUM-Stätten am Rhein.
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Nordbayern.de, 16.07.2021:
Gedenkkultur / Ehrung für NSU-Opfer: Stadt benennt Platz nach getötetem Blumenhändler
16.07.2021 - 07.43 Uhr
Von Elke Graßer-Reitzner
Nürnberg. Die Stadt Nürnberg wird einen kleinen Platz zwischen Altenfurt und Langwasser dem Blumenhändler Enver Simsek widmen, der als erstes von zehn Menschen von der rechtsextremistischen Terror-Zelle NSU getötet wurde. Reicht das für ein "kraftvolles Gedenken" an die Opfer?
Wie sieht ein würdiges Gedenken an die Opfer der Rechtsterroristen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) in Nürnberg künftig aus? Die Stadt räumt der Erinnerungskultur einen hohen Stellenwert ein und will mit einer Platzumbenennung und mehreren Gedenktafeln das Andenken der getöteten Mitbürger ehren.
Dennoch dürfte es im Stadtrat in der kommenden Woche (Mittwoch, 21. Juli, um 15 Uhr im Historischen Rathaussaal) eine eifrige Debatte über dieses "große Thema", so Oberbürgermeister Marcus König (CSU), geben. Denn im vergangenen Jahr, als mit verschiedenen Gedenkfeiern der 20. Jahrestag der Ermordung des Blumenhändlers Enver Simsek, dem ersten von zehn NSU-Opfern in Deutschland, begangen wurde, kam Kritik auf.
Gräueltaten von 1933 bis 45
Die Allianz gegen Rechtsextremismus in der Metropolregion forderte eine schlüssige Kultur des Erinnerns. Sie solle nicht nur die NSU-Mordserie umfassen, sondern müsse auch den Terror der Nationalsozialisten 1933 bis 45 mit einbeziehen, sagte Allianz-Vorsitzender Stephan Doll damals.
Auch die CSU-Stadtratsfraktion forderte ein "Gesamtkonzept". Und: Der kleine Platz an der Liegnitzer Straße zwischen Langwasser und Altenfurt, auf dem Enver Simsek seinen Blumenstand unterhalten hatte und an dem er erschossen wurde, solle in Enver-Simsek-Platz getauft werden.
Dem Ansinnen will die Stadt nun nachkommen, nachdem auch SPD und Grüne beantragt hatten, Plätze und Straßen umzubenennen und Erinnerungstafeln an den Tatorten anzubringen. Oberbürgermeister Marcus König hatte bereits im vergangenen September Simseks Sohn Abdul-Kerim versprochen, den kleinen Platz, auf dem die Familie immer noch einen Blumenverkauf betreibt, nach seinem Vater zu benennen.
SÖR schaut sich regelmäßig um
Die Stadt werde den Platz würdig gestalten und der Servicebetrieb Öffentlicher Raum (SÖR) werde regelmäßig dort nach dem Rechten sehen und das Grün pflegen, versichert der Oberbürgermeister, der sich im Namen der gesamten Stadt bei den Opferfamilien für die grausamen Taten entschuldigt hatte.
Doch die Umwidmung der Gyulaer Straße, in der Abdurrahim Özüdogru im Jahr 2001 getötet wurde, und der Scharrer-Straße, in der Ismail Yazar 2005 ermordet wurde, wird es wohl nicht geben. Dies hatten rund 20 Initiativen, Vereine und Parteiorganisationen in einem Schreiben an das Rathaus gefordert.
Denn die Gyulaer Straße nimmt Bezug auf den Geburtsort des Vaters von Albrecht Dürer in Ungarn. Nürnbergs damaliger Oberbürgermeister Hermann Luppe hatte den Hinweis auf Dürers migrantische Wurzeln 1928 in der Weimarer Republik durchgesetzt. Und auch die Erinnerung an Johannes Scharrer, der Nürnbergs Entwicklung im 19. Jahrhundert geprägt hat, will man nicht tilgen. Diese Bezüge seien wichtig für Nürnberg, sagt Oberbürgermeister König.
Martina Mittenhuber, die Leiterin des städtischen Menschenrechtsbüros, die seit Jahren Kontakt zu den Opferfamilien hält, weist darauf hin, dass "alles, was wir an Formaten entwickeln, immer im Einklang mit den betroffenen Familien" geschehe, nichts gegen ihren Willen. Es brauche eine "kraftvolle Erinnerung", die sich in die Gedenkkultur der Stadt einreihen müsse.
An allen Tatorten montiert nun die Stadt Gedenktafeln. "Wir legen Wert auf die Sichtbarkeit der Opfer", sagt sie. Die Täter erwähne man bewusst nicht. An der Liegnitzer Straße ist bereits auf Initiative der Altenfurter Kirchengemeinden eine Erinnerungstafel angebracht worden. Am Ende der Straße der Menschenrechte ist 2013 eine Stele eingeweiht worden, der erste offizielle Gedenkort für die NSU-Opfer in Deutschland.
Jetzt überlegt man, wo ein Baum-Geschenk aus Zwickau, dem Ort, an dem das NSU-Kerntrio zuletzt untergetaucht gewesen war, eingepflanzt und als "wachsende Erinnerung" gedeihen kann. Viele kleine Bausteine sollen ein umfassendes Gedenken ermöglichen, dazu gehört auch, dass man an einem virtuellen Rundgang zu den Tatorten bastelt. Zudem sei es eine "gesamtgesellschaftliche Aufgabe", das Geschehene wach zu halten, betont Mittenhuber.
"Die Erinnerungskultur wird sich verändern. Und sie wird kein Ende haben", verspricht Marcus König. Er fordert abermals die Einsetzung eines zweiten NSU-Untersuchungsausschusses in Bayern, um endlich Helfer vor Ort zu enttarnen.
Bildunterschrift: An der Liegnitzer Straße zwischen Altenfurt und Langwasser wurde Enver Simsek im September 2000 ermordet. Seine Familie betreibt dort noch einen Blumenverkauf. Jetzt soll der Platz seinen Namen erhalten.
Bildunterschrift: Bei Gedenkfeiern erinnerten in der Vergangenheit die Fotos von den Getöteten an die brutalen Verbrechen des NSU. Die Stadt will jetzt ein "kraftvolles Gedenken" ermöglichen.
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Münchner Merkur Online, 16.07.2021:
Platz soll nach erstem NSU-Opfer benannt werden
16.07.2021 - 06.20 Uhr
Vor 21 Jahren begann in Nürnberg die Mordserie des Neonazi-Trios NSU. Das erste Opfer war der 38-jährige Enver Şimşek. Ein nach ihm benannter Platz soll künftig an ihn und die NSU-Verbrechen erinnern.
Nürnberg. Am 9. September 2000 erschoss die rechtsextremistische Terror-Gruppe NSU den Blumenhändler Enver Şimşek in Nürnberg. Er war das erste Opfer des Neonazi-Trios "Nationalsozialistischer Untergrund". Zu seinem 21. Todestag will die Stadt Nürnberg einen Platz am Tatort in der Liegnitzer Straße nach Enver Şimşek benennen.
Am Mittwoch (21. Juli) wird der Stadtrat über die Pläne abstimmen. Eine Mehrheit dafür gilt als wahrscheinlich, da sich die Stadtratsfraktionen von CSU, SPD, Grünen und Die Linke bereits in Anträgen für eine Umbenennung des Platzes ausgesprochen haben - als Gedenken an das erste Opfer des NSU und als Mahnung, wie es im CSU-Antrag heißt. Die Einweihung ist nach Angaben des Menschenrechtsbüro der Stadt für den 13. September geplant.
Zwischen 2000 und 2007 brachte die Terror-Zelle acht türkischstämmige und einen griechischstämmigen Kleinunternehmer sowie eine Polizistin um. Drei der Verbrechen geschahen in Nürnberg: Nach Enver Şimşek wurden 2001 der 49-jährige Änderungsschneider Abdurrahim Özüdoğru und 2005 der 50-jährige Imbiss-Besitzer Ismail Yaşar getötet. Auch nach ihnen sollen an den Tatorten Straßen oder Plätze benannt werden, fordern SPD, Grüne und Die Linke in einem gemeinsamen Antrag.
Ein Bündnis von Vereinen und Parteien hatte bereits im vergangenen Jahr zum 20. Todestag von Enver Şimşek gefordert, das Gedenken an die Opfer der NSU-Mordserie in der Stadt sichtbarer zu machen - unter anderem mit Gedenktafeln oder Mahnmalen sowie der Umbenennung der Straßen oder Plätze an den Tatorten. Über ein Gesamtkonzept der Erinnerungskultur will der Stadtrat am Mittwoch ebenfalls abstimmen. (dpa)
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Frankfurter Allgemeine Zeitung Online, 16.07.2021:
"Sicherheit aufs Spiel gesetzt" / Kaminsky zeigt sich fassungslos nach Notruf-Mängeln
16.07.2021 - 17.58 Uhr
Von Luise Glaser-Lotz, Hanau
Nachdem neue Erkenntnisse zur Untersuchung wegen fahrlässiger Tötung von Vili-Viorel Paun bekannt wurden, äußerte sich Hanaus Oberbürgermeister Claus Kaminsky. Er sei wütend auf die politisch Verantwortlichen.
Von "unvorstellbaren Mängeln in der gesamten Organisationsstruktur der Polizei" spricht Hanaus Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD). Er reagiert damit auf Untersuchungen der Hanauer Staatsanwaltschaft zum Attentatsabend des 19. Februar 2020, als ein rassistisch motivierter Attentäter neun Menschen in der Stadt erschoss. Die vollständigen Ergebnisse der "Voruntersuchungen" der Staatsanwaltschaft nach Medienberichten über die mögliche Unterbesetzung des Notrufs und einer Anzeige des Vaters von Vili-Viorel Paun wegen fahrlässiger Tötung waren in dieser Woche bekannt geworden. Sein Sohn hatte den Attentäter verfolgt und war am zweiten Anschlagsort erschossen worden. Der Vater geht davon aus, dass ein Gespräch mit einem Beamten bei der Verfolgungsjagd den Tod seines Sohnes hätte verhindern können, doch der junge Mann konnte mit seinem Handy niemanden auf der Wache erreichen.
Er sei fassungslos und maßlos wütend, sagt Kaminsky. Er wirft den politisch Verantwortlichen vor, die Sicherheit von rund 100.000 Hanauern sehenden Auges aufs Spiel gesetzt zu haben, denn trotz aller Forderungen aus den Reihen der Polizei nach mehr Personal und besserer Technik sei nichts an den prekären Umständen verbessert worden. Was die Staatsanwaltschaft in akribischer Sorgfalt herausgearbeitet habe, belegt nach Ansicht von Kaminsky die über Jahre bestehenden Missstände. In der Vergangenheit habe es immer wieder Hinweise aus der Bevölkerung gegeben, dass die Polizeidirektion in Hanau augenfällig unterbesetzt gewesen sei.
Zu wenig Polizisten im Dienst
Offensichtlich habe die Stadt nach der Zusammenlegung der Polizeipräsidien Hanau und Offenbach spürbar zurückstecken müssen, wenn es um die technische und personelle Ausstattung gegangen sei. Das habe eine deutliche Schwächung des Standorts bedeutet, die trotz aller Anhaltspunkte nie kompensiert worden sei. "Wie wir heute wissen, sind in einer regulären Schicht der Polizeistation Hanau 1 nur sieben Beamte im Dienst. Schon diese Besetzung ist für das Gebiet der Innenstadt, Kesselstadt und Mittelbuchen zu wenig", sagt Kaminsky.
Die Beamten der Wache hätten seit vielen Jahren die schwierige Aufgabe zu bewältigen gehabt, einen dauerhaften Mangel an Personal zu verwalten. In der Nacht des Anschlags seien dann noch drei Polizeikräfte abgezogen worden, um die Kollegen bei einer Bombenentschärfung in Zeppelinheim zu unterstützen. "Ich frage mich ernsthaft, wer ist für einen solch taktischen Unfug zuständig und wer hat diese Entscheidung zu verantworten?" Sicherlich seien in der Vergangenheit schon solch brenzlige Situationen heraufbeschworen worden, ohne dass es bekannt geworden sei, "einfach, weil wir Glück hatten und alles gut gegangen ist", sagt Kaminsky.
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Nordbayern.de, 16.07.2021:
"Messerer" und "Menschenfresser" / Hetze gegen Flüchtlinge: Geldstrafe für Nürnberger Theologen Cran
16.07.2021 - 09.16 Uhr
Von Ulrike Löw
Nürnberg. Als Punk-Musiker im Talar wurde Ernst Cran populär, mittlerweile fällt der Theologe nur noch durch Volksverhetzung auf. Ein Video, das seinen Auftritt auf dem Nürnberger Barden-Treffen zeigt, bringt ihm 2.700 Euro Geldstrafe ein.
Er lebe im "Deutschen Reich", sein Name sei Ernst, er gehöre zum Stamm der "Cran". Ernst Cran ist im August 1956 geboren, er wuchs in Großhabersdorf bei Fürth auf einem Bauernhof auf - und offenbar ist er der Meinung, dass es einen Staat namens Bundesrepublik Deutschland gar nicht gibt.
Er gefiel sich als Punk-Musiker und Pfarrer, bis er 1998 der Landeskirche den Rücken kehrte. Er trat als konfessionsloser Trauerredner auf und sprach auf Pegida-Bühnen, bis die "Bundesarbeitsgemeinschaft Trauerfeier" seine politischen Reden nicht mehr hinnahm. In Dresden titulierte er im Herbst 2015 Muslime als "tickende Zeitbomben", verunglimpfte sie als potentielle Attentäter und wurde wegen Volksverhetzung verurteilt. In Wiesbaden sang er 2018 über Muslime: "Ihr schlachtet gerne Christen und schändet ihre Frauen." Eine weitere Verurteilung wegen Volksverhetzung folgte.
Nun sitzt er wieder wegen Volksverhetzung vor dem Amtsgericht Nürnberg, diesmal geht es um einen Auftritt auf dem Nürnberger Barden-Treffen 2019. Er gab ein Lied über Flüchtlinge als Vergewaltiger und Mörder zum besten, denn er, so sagt Cran, halte es für seine Pflicht, seine "Mitbürger zu sensibilisieren".
Ex-Pfarrer, Hass-Prediger, Reichsbürger
Wie wurde Ernst Cran das, was er heute ist? Ehemalige Wegbegleiter attestieren ihm ein "pathologisches Geltungsbedürfnis".
Im Saal 51 atmet Richterin Brigitta Bühl die Provokation "Deutsches Reich" bei der Frage nach den Personalien weg. Sollte der Angeklagte tatsächlich süchtig nach Aufmerksamkeit sein, von ihr erhält er nur professionelle Zuwendung. Die Richterin kommentiert auch Crans 45-Minuten-Monolog über den Islam - seine Antwort auf den Anklagevorwurf - kaum.
Der Islam, so Cran, sei "keine Religion", sondern eine "terroristische Weltanschauung". Das Nürnberger Barden-Treffen stehe als Symbol für Vielfalt, Toleranz und Lebensfreude, daher griff er zu seiner Gitarre, und spielte an der Jakobskirche seine Variante von "Say it loud, say it clear: Refugees are welcome here!".
"Messerer" und "Menschenfresser"
Der ursprüngliche Text heißt Flüchtlinge willkommen, Cran fordert sie zum Gehen auf. Er nennt sie nicht "Refugees", sondern "Rape-fugees". Rape, so ergänzt er, meine Vergewaltigung, er habe "präzise und geschliffen" gereimt, sein Lied verstehe er als Plädoyer für gewaltfreies Zusammenleben und gegen importierte archaische Gewalt.
Diese Darbietung präsentierte er auch als Video bei YouTube, hier fiel sein Gesang den Ermittlungsbehörden auf - denn entscheidend ist, wie der Inhalt verstanden wird. Und da im Lied Afrikaner pauschal als "Neger", als "Messerer" besungen werden, die sich lieber zu Hause gegenseitig kalt machen sollen, und Cran im Gerichtssaal erklärend "Menschenfresser" ergänzt, nimmt man als Zuhörer statt sprachlicher Feinheit bösartig-dumpfe Formulierungen wahr.
Ernst Cran reklamiert die Meinungsfreiheit für sich. "Du kannst den Sänger in Ketten legen. Aber niemals sein Lied", so zitiert er den Sänger Udo Jürgens. Anleihen schätzt er offenbar. Auf YouTube präsentiert er sich in in einem weiteren Auftritt ausgerechnet vor der Ehrenhalle, auf dem Reichsparteitags-Gelände. Dort gedachte Hitler den "Märtyrern" der NS-Bewegung, Cran singt mit der Neonazi-Aktivistin Angela Schaller "Unsere Worte sind frei".
Rechtsextreme, Antisemiten und Esoteriker
Im Gerichtssaal schüttelt er den Kopf. Ist er denn einer der wenigen, der scharfsinnig genug ist, zu erkennen, wie die Dinge wirklich liegen? Er, der mit verurteilten Holocaust-Leugnern für die Abschaffung des Volksverhetzungs-Paragrafen demonstrierte und sich nun als Reichsbürger gibt, glaubt zu wissen, wie die Welt wirklich verfasst ist. Er tummelt sich in den Kreisen von Rechtsextremen, Antisemiten und Esoterikern. Lange wurde diese Szene belächelt. Bis am 19. Oktober 2016 ein Reichsbürger in Georgensgmünd im Landkreis Roth in seinem Mini-Staat auf drei Polizisten schoss und einen von ihnen getötet hat.
Cran fühlt sich gegängelt von Vorschriften und Verordnungen, wie so manch anderer Deutsche. Mit dem Unterschied, dass er Rechtsnormen ähnlich verdreht wie Liedertexte. Als Trauerredner wähnte er sich eher als Künstler denn als Dienstleister, schon weil dies zu einem ermäßigten Steuersatz führt. Nach einem langjährigen Rechtsstreit mit dem Finanzamt zahlt er bis heute Steuerschulden ab. Und nun hält er seine Meinungsfreiheit für eingeschränkt, weil er Dunkelhäutige und Muslime nicht pauschal Mörder und Vergewaltiger nennen darf?
Meinungsfreiheit versus Aufforderung zu Gewalt
Scharfe Angriffe, aggressive Untertöne und deftige Reden reichen nicht aus, um die in Paragraf 130 beschriebene Volksverhetzung zu erfüllen. Das Gesetz hält die freie Rede hoch, doch der Paragraf stellt die "Aufstachelung zum Hass" und die Aufforderung zu Gewalt und Willkür gegen nationale, rassische, religiöse oder ethnische Gruppen unter Strafe; darunter lassen sich "Flüchtlinge raus"-Parolen fassen, auch wenn sich Ernst Cran als Liedermacher versteht, der für Toleranz eintritt.
Die Staatsanwältin fordert "zur Verteidigung der Rechtsordnung" eine Freiheitsstrafe, der Verteidiger Freispruch, die Richterin verhängt eine Geldstrafe: 90 Tagessätze zu 30 Euro, dies entspricht drei Monatseinkommen, insgesamt 2.700 Euro, muss Cran zahlen.
Bildunterschrift: Als Theologe, Musiker und Trauerredner wurde Ernst Cran bekannt, seit Jahren fällt er mit Liedern und Reden voller Hetze auf.
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