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2 Artikel , 11.07.2021 :

Pressespiegel überregional

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Übersicht:


Westdeutscher Rundfunk Köln, 11.07.2021:
Exklusiv: Nazi-Affäre belastet AfD-Landesvize in NRW

Frankfurter Rundschau Online, 11.07.2021:
Hessen / Eklat in der Expertenkommission: Polizeipräsident soll interne Unterlagen weitergegeben haben

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Westdeutscher Rundfunk Köln, 11.07.2021:

Exklusiv: Nazi-Affäre belastet AfD-Landesvize in NRW

11.07.2021 - 18.15 Uhr

Recherchen des WDR belasten den Vize-Chef der AfD in Nordrhein-Westfalen. Mal wollte Matthias Helferich in einem Chat den "demokratischen Freisler" geben, mal schrieb er unter ein Foto von sich selbst: "das freundliche gesicht des ns". NS ist die Abkürzung für Nationalsozialismus.

Vergangenen Montagabend kam der AfD-Landesvorstand Nordrhein-Westfalen per Telefonschalte zu einer Sitzung zusammen. Der Vorsitzende Rüdiger Lucassen hatte den Termin kurzfristig einberufen. Nun berichtete er seinen Kollegen, dass er ein Schriftstück mit Chat-Aussagen seines Stellvertreters Matthias Helferich erhalten habe.

Helferich gilt als Lucassens Vertrauter und als Shootingstar im größten Landesverband der AfD. Auf der AfD-Landesliste für die Bundestagswahl belegt er den aussichtsreichen Platz sieben. Im Herbst soll es für Helferich nach Berlin gehen.

Dokumente gewähren Einblick in Fall Helferich

Vergangenen Freitag gab dann der Bundesvorstand der AfD bekannt, dass er sich am Montag mit Chats von Matthias Helferich befasse. Inhaltliche Angaben dazu will der Pressesprecher des Bundesvorstands nicht machen. Ein Insider spricht von "krassen Aussagen".

Dem WDR liegen nun ein Mitschnitt der AfD-Landesvorstandssitzung und Chat-Aussagen Matthias Helferichs vor. Die Dokumente gewähren Einblick in einen Fall, der zwei Monate vor der Bundestagswahl weder der AfD-Führung noch ihren beiden Spitzenkandidaten Alice Weidel und Tino Chrupalla gefallen dürfte. Der Fall Helferich bringt die Partei in die Bredouille.

AfD-Chef in NRW: Sachverhalte, die den Nationalsozialismus beinhalten

"Hier wird sicherlich ( … ) schon versucht, Matthias Helferich in vielen Dingen zu beschuldigen", sagte Rüdiger Lucassen bei der Sitzung des Landesvorstands mit Blick auf dessen Aussagen und die dazugehörigen Kommentare. Der Landeschef äußerte sich auch inhaltlich: "Anonym habe ich bekommen ein Schriftstück, in dem, sag ich mal, fünf, sechs, sieben Sachverhalte sind, Themen, die indirekt oder direkt den Nationalsozialismus beinhalten, beschrieben sind."

Fünf bis sieben Sachverhalte, die den Nationalsozialismus betreffen - manche Mitglieder des Landesvorstands wollten da gern mehr wissen. Doch Lucassen weigerte sich, seinen Vorstandskollegen die konkreten Zitate zu nennen. "Das geht zum jetzigen Zeitpunkt nicht", begründete er sein Schweigen. "Das ist eine rufschädigende Äußerung offensichtlich, die Matthias betrifft."

"Das freundliche Gesicht des NS" als Foto-Unterzeile

In den Auszügen eines Facebook-Messenger-Chats von Matthias Helferich, die dem WDR vorliegen, finden sich Äußerungen, die offenbar aus den Jahren 2016 und 2017 stammen und die in der Tat "direkt oder indirekt" den Nationalsozialismus zum Thema haben.

Einmal postet Helferich ein Foto von sich mit AfD-Flyer in der Hand vor einer Kirche. Darunter schreibt er: "das freundliche gesicht des ns". Die Abkürzung NS steht für den Nationalsozialismus. Jahre später, im Mai 2021, als die NRW-AfD ihre Liste für den Bundestag wählte, löschte er offenbar diesen Chat-Eintrag.

Kornblumen: "Geheimes Symbol der Nationalsozialisten"

An einem anderen Tag stellt der AfD-Funktionär ein Foto in den Chat, das neben einer Kerze eine kleine Vase mit einer blauen Kornblume zeigt. "Gemütlich", antwortet sein Chat-Partner - und bekommt dann gleich eine Erklärung von Helferich: "Die kornblumen: geheimes symbol der nationalsozialisten während des verbots in österreich".

Weiter schreibt Helferich: "ich züchte sie im garten", und zeigt ein Kornblumen-Foto in einem Beet. Sein Gesprächspartner antwortet, er verbinde mit der Kornblume den Dichter Novalis. "Ich die Erschießung der österreichischen Staatsführung", antwortet Helferich. Nationalsozialisten in Österreich erschossen dort 1934 den Staatspräsidenten Engelbert Dollfuss.

Chat über Freisler-Video

In einem Chat-Auszug bezeichnet Helferich einen Parteifreund als "bullen-tucke" und kündigt an, ihn "im persönlichen Gespräch" zu bedrohen. Über eine andere Person, den sein Chat-Partner als verformten Charakter bezeichnet, schreibt Helferich, jetzt erneut mit Blick auf die NS-Zeit: "lebensborn in falsch". Der Verein Lebensborn versuchte während des Nationalsozialismus, die Zahl so genannter arischer Kinder zu erhöhen. Dabei orientierte er sich streng an der menschenverachtenden Rassenlehre der NSDAP.

Im Nazi-Deutschland zwischen 1933 und 1945 wirkte auch der Richter Roland Freisler. Der Vorsitzende des Volksgerichtshofs verantwortete tausende Todesurteile, unter anderem gegen die Widerstandskämpfer Hans und Sophie Scholl. Matthias Helferich schickt seinem Chat-Partner ein Video, das den Nazi-Richter Freisler in Aktion zeigt. Nachdem sein Gesprächspartner ihm etwas geantwortet hat, schreibt Helferich: "ich wollte den "demokratischen Freisler" beim landeskongress geben".

Bundes-AfD will sich von Causa Helferich ein Bild machen

Die Chat-Auszüge Matthias Helferichs, der damals Mitte / Ende 20 war, lesen sich unzweideutig. Am vergangenen Montag, zum Zeitpunkt der Sitzung des AfD-Landesvorstands, hatten die Bundesparteivorsitzenden Tino Chrupalla und Jörg Meuthen den NRW-Parteichef Rüdiger Lucassen bereits zu einer Stellungnahme aufgefordert. So stellte es Lucassen dar. Die beiden AfD-Bundesvorsitzenden wollen sich nun mit ihren Kollegen im Bundesvorstand ein Bild machen von der Causa Helferich.

Der Fall des Lucassen-Vertrauten wirft die Frage auf, ob die AfD einen Juristen in den Bundestag schicken möchte, der schrieb, er habe einen demokratischen Freisler geben wollen und der unter ein Foto von sich selbst "das freundliche gesicht des ns" schrieb.

Helferich: Recht auf informationelle Selbstbestimmung

Rüdiger Lucassen wollte Fragen des WDR zum Fall Helferich nicht beantworten. Der WDR schickte auch Matthias Helferich Fragen zu den Chat-Auszügen. Helferich antwortete, ging dabei aber nicht konkret auf die Fragen ein. Er bestritt nicht, dass die Chat-Einträge von ihm stammen, wollte das aber auch nicht bestätigen. Er verweist auf eine ablehnende Haltung zu "Neonazi-Parteien". In seiner ersten Stellungnahme äußerte er, "vermeintliche Chatinhalte" unterfielen dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung.

Der Fall belastet auch den Landesvorstand (LaVo) der AfD. Dort erhielt Rüdiger Lucassen deftige Kritik für seinen Umgang mit dem Fall Helferich. Lucassen selbst kündigte nach der Sitzung schriftlich eine Art Kontaktsperre an. "Ich werde über den Fortgang in der Causa Helferich in keiner Weise mehr unseren LaVo unterrichten, geschweige denn über mein weiteres Vorgehen in Kenntnis setzen." Lucassen wertete als "Vertrauensbruch", dass einer seiner Kollegen sich in der Causa Helferich womöglich an den Bundesvorsitzenden Jörg Meuthen gewandt habe.

Ein Mitglied des Landesvorstands empörte sich bereits per Mail auf diesen Vorstoß und wandte sich an ein Mitglied des Bundesvorstands. "So eine Vertuschungsaktion ist nicht akzeptabel." Ein anderes Vorstandsmitglied forderte Lucassen schriftlich zum Rücktritt auf.

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Frankfurter Rundschau Online, 11.07.2021:

Hessen / Eklat in der Expertenkommission: Polizeipräsident soll interne Unterlagen weitergegeben haben

11.07.2021 - 16.40 Uhr

Von Pitt von Bebenburg

Kurz bevor Innenminister Peter Beuth den Bericht vorstellt, kommt heraus: Landespolizeipräsident Ullmann hat interne Unterlagen weitergegeben.

In der Arbeit der vom hessischen Innenminister Peter Beuth (CDU) eingesetzten Polizei-Expertenkommission hat es einen Eklat gegeben. Wie die Frankfurter Rundschau erfuhr, hat Landespolizeipräsident Roland Ullmann interne Unterlagen, die kritische Passagen enthielten, an eine Reihe von Polizistinnen und Polizisten geschickt, die sie kommentieren sollten.

Bei diesen Unterlagen handelte es sich nach FR-Informationen um den vorläufigen Bericht der Kommissionsarbeitsgruppe Datenschutz. Er enthielt Namen von Informantinnen, Informanten. Es ging in dem Bericht um den hinhaltenden Widerstand in der hessischen Polizei, Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, damit es keine unbefugten Datenabfragen von Polizei-Computern mehr geben kann.

Polizei in Hessen: Innenminister Peter Beuth will Bericht vorstellen

In der Expertenkommission gab es Unmut über das Vorgehen des Landespolizeipräsidenten, weil befürchtet wurde, dass kritische Stimmen innerhalb des Polizeiapparats bloßgestellt werden könnten. Anschließend sollen die Whistleblowerinnen, Whistleblower teilweise aufgefordert worden sein, Stellung zu nehmen: Sie hätten sich unter diesem Druck von einigen ihrer Aussagen distanziert. Offizielle Angaben gibt es zu diesen Vorgänge nicht, da sich die Mitglieder der Expertenkommission nach eigener Aussage zum Stillschweigen verpflichtet haben.

Am heutigen Montag will Beuth gemeinsam mit der Vorsitzenden der Expertenkommission, der Juraprofessorin Angelika Nußberger, und ihrem Stellvertreter, dem ehemaligen Grünen-Bundestagsabgeordneten Jerzy Montag, die Empfehlungen des Gremiums in Wiesbaden vorstellen.

Polizei in Hessen: Expertenkommission in 2020 eingesetzt

Der Innenminister hatte die Kommission im August vergangenen Jahres eingesetzt. Ihm gehörten seinerzeit 14 Mitglieder an, darunter Landespolizeipräsident Ullmann, weitere Vertreter von Polizei und Verfassungsschutz, der hessische Datenschutzbeauftragte sowie Fachleute aus der Zivilgesellschaft. Zwei Expertinnen schieden Anfang April im Streit aus.

Die Expertenkommission soll das Leitbild der Polizei weiterentwickeln und Konsequenzen vorschlagen, wie Politik und Polizei auf rechtsextreme Chat-Gruppen und illegale Datenabfragen in Polizeirevieren reagieren sollen. In Frankfurt und Wiesbaden waren persönliche Daten von drei prominenten Frauen abgerufen worden. Sie alle erhielten kurz darauf rechtsextreme und rassistische Drohschreiben mit dem Kürzel "NSU 2.0", in denen Bezug auf diese Daten genommen wurde.

Polizei in Hessen: Ergebnisse einer Arbeitsgruppe ernüchternd

Ende 2018, nachdem das erste "NSU 2.0"-Drohschreiben an die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz und die vorangegangene Abfrage ihrer Daten bekannt geworden war, ist in der Polizei eine Arbeitsgruppe eingerichtet worden, um Vorschläge zu erarbeiten, wie solcher Missbrauch zu verhindern sei. Die Ergebnisse, die vom Präsidenten des Hessischen Polizeipräsidiums für Technik, Karl-Heinz Reinstädt, vorgelegt wurden, waren ernüchternd. Er beklagte nach FR-Informationen: "Das Bewusstsein für den Datenschutz und das Informationssicherheitsmanagement lässt auf allen Hierarchieebenen der Polizei zu wünschen übrig."

Dazu befragten Mitglieder der Expertenkommission Polizistinnen und Polizisten. Den vorläufigen Bericht dieser Arbeitsgruppe Datenschutz, in dem die Namen nicht geschwärzt waren, soll Ullmann in den Polizeiapparat hineingegeben haben, um ihn kommentieren und korrigieren zu lassen.

Polizei in Hessen: Zwei Mitglieder aus Expertenkommission zurückgetreten

In diesem Zusammenhang erhält der Rücktritt von zwei Mitgliedern der Kommission Brisanz. Im April hatte die Kommission bekanntgegeben, dass Beate Rudolf, Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenrechte in Berlin, und Anna-Lena von Hodenberg, Gründerin der Organisation Hate Aid, ihre Mitarbeit beendet hätten. "Anlass sind unterschiedliche Auffassungen über die Darstellung der Arbeitsweise der Kommission bei der Erstellung des Abschlussberichts", hieß es seinerzeit in der offiziellen Mitteilung.

Nach Informationen der FR ging es bei dem internen Streit darum, wie transparent im Abschlussbericht der Expertenkommission Ullmanns Vorgehen dargestellt werden solle, den internen Entwurf der Kommission in den Polizeiapparat weiterzureichen - also ausgerechnet in die Institution hinein, die mit Hilfe externer Fachleute überprüft werden sollte. Mit Spannung wird nun erwartet, inwiefern sich dieser Vorgang im Kommissionsbericht widerspiegelt, der am Montag vorgestellt werden soll. Das gilt auch als Probe, inwieweit die von Beuth in der Polizei wiederholt angemahnte "Fehlerkultur" gelebt wird.

Zuletzt sorgte die Polizei in Hessen für Skandale ohne Ende.

Bildunterschrift: Roland Ullmann ist seit Sommer Landespolizeipräsident.

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