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3 Artikel , 19.02.2021 :

Pressespiegel überregional

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Übersicht:


MiGAZIN, 19.02.2021:
Hanau ringt ein Jahr nach dem Anschlag mit der Erinnerung

MiGAZIN, 19.02.2021:
Ein Jahr nach Hanau / Gedenken und Rufe nach politischen Konsequenzen

MiGAZIN, 19.02.2021:
Zivilcourage / Ludwig-Beck-Preis 2021 geht an Seda Başay-Yıldız

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MiGAZIN, 19.02.2021:

Hanau ringt ein Jahr nach dem Anschlag mit der Erinnerung

19.02.2021 - 05.25 Uhr

Ein Jahr nach dem Anschlag gegen Bürger aus Einwandererfamilien ist das Entsetzen in Hanau immer noch spürbar. Fragen zur Aufklärung des Verbrechens quälen die Hinterbliebenen bis heute.

Von Jens Bayer-Gimm

"Der Schock sitzt weiterhin tief", sagt Selma Yılmaz-Ilkhan, Vorsitzende des Ausländerbeirats Hanau. In der Stadt herrsche immer noch Trauer über das Massaker vor einem Jahr. Menschen legen weiterhin frische Blumen vor Bildern der Ermordeten am Brüder-Grimm-Denkmal auf dem Marktplatz ab. Am Abend des 19. Februars 2020 erschoss der Hanauer Tobias R. neun Bürger aus Einwandererfamilien, seine Mutter und sich selbst, weitere Opfer überlebten verletzt. Ein Gutachten diagnostizierte bei dem Täter paranoide Schizophrenie, auf die eine Ideologie mit rassistischen Elementen aufgesetzt gewesen sei. Einen Prozess gibt es nicht, da der Täter tot ist.

Die Hinterbliebenen forderten vor allem Aufklärung über das Verbrechen, sagt der systemische Berater und Mediator Robert Erkan, der unmittelbar nach der Tat von der Stadt vorübergehend zum Opfer-Beauftragten ernannt worden war. Transparenz der Ermittlungsbehörden wäre "ganz wichtig für die Bewältigung der Trauer", aber "die findet bis heute nicht statt". Der Generalbundesanwalt verweist darauf, dass das Ermittlungsverfahren noch nicht abgeschlossen sei. Nach Informationen des "Evangelischen Pressedienstes" hat die Behörde im Dezember ein Zwischenergebnis den Anwälten der Hinterbliebenen zur Einsicht und Stellungnahme übergeben. Es habe sich kein Hinweis auf weitere Mitwisser oder Helfer ergeben, gegen die ermittelt werden müsste.

Zweifel am Polizeieinsatz

Jedoch quälten Zweifel am Polizeieinsatz die Hinterbliebenen mit der Frage, ob ihre Angehörigen vielleicht hätten gerettet werden können, berichtet Yılmaz-Ilkhan. Der hessische Innenminister Peter Beuth (CDU) räumte ein, dass die Polizeistation am Tatabend aus technischen Gründen tatsächlich nur eine begrenzte Anzahl von Notrufen entgegennehmen konnte. Doch unabhängig davon seien Polizisten nach Eingang der ersten Notrufe innerhalb von wenigen Minuten an den beiden Tatorten gewesen. Die Staatsanwaltschaft Hanau prüft den Vorgang seit dem 28. Januar.

Weitere drängende Fragen betreffen die Waffen-Erlaubnis für den Schützen, der zuvor Verschwörungs- und Mord-Fantasien im Internet veröffentlicht hatte, und den verschlossenen Notausgang am ersten Tatort, zu dem die Staatsanwaltschaft Hanau seit November ermittelt. Die Behörden seien den Pannen erst auf Journalisten-Recherchen und Anzeigen der Hinterbliebenen hin nachgegangen, kritisiert Hagen Kopp, Gründungsmitglied der "Initiative 19. Februar Hanau". Die Angehörigen der Opfer erwarteten Konsequenzen.

"Die vergessen uns"

Für die Hinterbliebenen sind die Folgen des Anschlags auch in materieller Hinsicht einschneidend. "Sie sind nicht mehr in der Lage zu arbeiten", berichtet Yılmaz-Ilkhan. Die Familien lebten nun von Opfer-Hilfe und Sozialleistungen. Das Bundesamt für Justiz hat bisher 1,2 Millionen Euro an Opfer-Hilfe für 60 Antragsteller gezahlt. Doch das Geld hilft nur für eine bestimmte Frist.

Unmittelbar nach der Tat fanden sich Tausende zu Gedenkkundgebungen in der Stadt zusammen, am 4. März kamen der Bundespräsident und die Bundeskanzlerin zu einer Trauerfeier. Doch kurz darauf wurde der Corona-Lockdown verhängt. Therapeuten stellten Behandlungen ein, die Stadt untersagte Versammlungen. Traumatisierte hätten den Eindruck gewonnen: "Die vergessen uns", sagt der Stadtverordnete Erkan. "Wir sind noch in einem eingefrorenen Zustand."

Bohren in Behördenversagen hilft nicht

Trotzdem gründeten Hanauer als Reaktion auf das Massaker Initiativen. Das "Institut für Toleranz und Zivilcourage" und die "Initiative 19. Februar Hanau" betreuten Hinterbliebene und organisierten monatliche Gedenktreffen. Die Initiative eröffnete einen Treffpunkt für Trauernde und Unterstützer in der Innenstadt und organisierte eine Demonstration.

Das Institut indes versuche, die Stadtgesellschaft zusammenzuhalten und Spaltungen zu verhindern, erklärt die Mitgründerin Yılmaz-Ilkhan. Es hat Empowerment-Seminare für Betroffene und Jugendliche online veranstaltet sowie Lesungen Prominenter. Traumatisierte Menschen bräuchten Ruhe. Das Bohren in Behördenversagen helfe ihnen nicht weiter. Auch könne man nicht behaupten, die Gesellschaft sei an dem Anschlag schuld. Die Bürger hätten sich von Anfang an solidarisch gezeigt.

Gedenkveranstaltung im kleinen Rahmen

Die Stadt hat Gedenktafeln an den Tatorten angebracht. Ein Wettbewerb für die Gestaltung eines Denkmals hat Ende Dezember 118 Einsendungen ergeben. Die Stadt gründet ein "Zentrum für Demokratie und Vielfalt", finanziert auch mit Bundes- und Landesmitteln.

Zum Jahrestag am 19. Februar sieht die Stadt auf Grund der Corona-Pandemie nur eine Gedenkveranstaltung im kleinen Rahmen vor. Erwartet werden im Congress-Park unter anderen Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) und der Fußballweltmeister und Ehrenbürger Rudi Völler. Für die Zukunft hält Mediator Erkan fest: "Alle, die in Hanau wohnen, leben oder arbeiten, wir können den Anschlag nicht vergessen." (epd/mig)

Bildunterschrift: Muslime auf der Mahnwache in Hanau.

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MiGAZIN, 19.02.2021:

Ein Jahr nach Hanau / Gedenken und Rufe nach politischen Konsequenzen

19.02.2021 - 05.24 Uhr

Am 19. Februar 2020 erschoss ein 43-jähriger Deutscher in Hanau neun Menschen mit ausländischen Wurzeln. Zum Jahrestag rufen Politiker, Religionsvertreter und Verbände zum Kampf gegen Rechtsextremismus und Rassismus auf.

Ein Jahr nach dem rassistisch motivierten Anschlag in Hanau haben Regierungsvertreter, Verbände, Muslime und Kirchen am Donnerstag an die Opfer erinnert. Die Diakonie und der Zentralrat der Juden drängten auf eine dauerhafte staatliche Förderung von Initiativen im Kampf gegen Rechtsextremismus und Rassismus.

Am Freitag vor einem Jahr, am 19. Februar 2020, hatte ein 43-jähriger Deutscher in Hanau an mehreren Orten der hessischen Stadt neun Menschen mit ausländischen Wurzeln erschossen. Anschließend tötete er seine Mutter und sich selbst. Ein Gutachten diagnostizierte bei dem Täter paranoide Schizophrenie, gepaart mit rassistischer Ideologie.

Schuster fordert Fördergesetz

Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, drängte darauf, jene zu stärken, die sich oft mit hohem persönlichen Risiko für eine wehrhafte Demokratie einsetzten. "Das geplante Fördergesetz muss endlich vorgelegt werden", verlangte Schuster: "Die beschlossenen Maßnahmen gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus dürfen nicht in der Schublade verschwinden."

Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) erklärte, der Kampf gegen Rechtsextremismus und Rassismus habe "höchste Priorität". Sie arbeite gemeinsam mit dem Bundesinnenminister an einem Gesetz, um für die Projekte, die über das Bundesprogramm "Demokratie leben!" gefördert werden, dauerhafte und finanziell verlässliche Rahmenbedingungen zu schaffen.

Opfer-Beauftragte sagt weitere Hilfen zu

Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) sagte, der Kabinettsausschuss zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus sei eine wichtige politische Konsequenz aus dem Anschlag gewesen. Die von ihm in die Wege geleiteten Maßnahmen müssten noch vor der Bundestagswahl umgesetzt werden.

Der Opfer-Beauftragte der Bundesregierung, Edgar Franke, sagte den Familien der Opfer von Hanau weitere Hilfen zu. Der Bund habe bisher knapp 1,1 Millionen Euro an 42 Hinterbliebene und 109.000 Euro an 19 verletzte und traumatisierte Opfer ausgezahlt, sagte Franke. Die Beantwortung der quälenden Fragen der Hinterbliebenen an die hessischen Behörden nach nicht funktionierenden Notrufen oder der Waffen-Erlaubnis des vor der Tat schon lange auffälligen Täters sei überfällig.

Moscheen erinnern in Freitagspredigten an Anschlag

Der Koordinationsrat der Muslime in Deutschland (KRM) rief für Freitag zum Gedenken an die Opfer auf. Deutschlandweit werde in Moscheen für die Opfer der Tat und ihre Hinterbliebenen gebetet, teilte der KRM am Donnerstag in Köln mit. Zudem wird ein gemeinsamer Aufruf veröffentlicht.

Darin heißt es unter anderem: "Der Terroranschlag von Hanau ist nicht der erste in unserem Land. Er reiht sich ein in eine lange Liste von gewalttätigen und mörderischen Angriffen in unserem Land gegen Migranten, die häufig Muslime sind." Mindestens 900 islamfeindliche Straftaten seien im vergangenen Jahr bundesweit registriert worden. Der Staat sei aufgefordert, wirksam gegen Terroristen zu ermitteln und - sofern nötig - strukturelle und personelle Konsequenzen zu ziehen.

Gedenkfeier mit Bundespräsident Steinmeier

Der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, rief dazu auf, als Gesellschaft zusammenzustehen und mutig für Weltoffenheit, Toleranz und demokratische Werte einzustehen. Der rheinische Präses Manfred Rekowski forderte in einer in Düsseldorf veröffentlichten Videobotschaft, Christen müssten rassistischen und rechtsextremistischen Äußerungen widersprechen.

Am Jahrestag des Anschlags findet am Freitag (19. Februar) in Hanau eine Gedenkfeier mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) statt. Unter den Pandemie-bedingt nur 50 geladenen Gästen sind vor allem Angehörige der Ermordeten sowie der stellvertretende türkische Außenminister Yavuz Selim Kıran.

Fragen unbeantwortet

Ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis in Hessen appellierte an die Landesregierung, Rechtsextremismus und Rassismus stärker zu bekämpfen. Noch immer seien viele Fragen der Hinterbliebenen unbeantwortet, etwa zum Handeln der Sicherheitsbehörden vor dem Attentat und in der Tatnacht, kritisierte das Bündnis von 13 Organisationen in Frankfurt am Main. Der hessische Landes-Ausländerbeirat in Wiesbaden rief die Landesregierung dazu auf, die Begleitumstände der Tat aufzuklären.

Der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, appellierte in Heidelberg an die Politik, "dieses Fehlverhalten bei den Ermittlungen grundlegend zu überprüfen und endlich abzustellen, um dem Vertrauensverlust der Menschen in den Rechtsstaat entgegenzuwirken". Unter den neun Toten des Anschlags seien auch drei Angehörige der Minderheit der Sinti und Roma. (epd/mig)

Bildunterschrift: Hanau ein Jahr nach dem rassistisch motivierten Anschlag.

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MiGAZIN, 19.02.2021:

Zivilcourage / Ludwig-Beck-Preis 2021 geht an Seda Başay-Yıldız

19.02.2021 - 05.23 Uhr

Der Ludwig-Beck-Preis geht in diesem Jahr an die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız. Sie bekommt den Preis für ihre Zivilcourage im Umgang mit Droh-Mails, die mit "NSU 2.0" unterzeichnet waren.

Die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız erhält den Ludwig-Beck-Preis für Zivilcourage der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden. Sie werde für ihren bemerkenswerten Umgang mit den rechtsterroristischen Bedrohungen nach ihrem Eintreten als Anwältin für die Familie eines Opfers der NSU-Morde gewürdigt, teilte Oberbürgermeister Jens-Uwe Mende (SPD) am Donnerstag zur Begründung mit.

Başay-Yıldız habe in herausragender Art und Weise Zivilcourage im Sinne von Ludwig Beck bewiesen. Der Preis ist mit 10.000 Euro dotiert und soll am 2. Juli verliehen werden. Laudatorin ist ZDF-Moderatorin Dunja Hayali.

Droh-Mails von "NSU 2.0"

Die 1976 in Marburg geborene Başay-Yıldız wurde als Anwältin der Nebenklage für die Familie von Enver Şimşek im Prozess gegen die rechtsterroristische Gruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) bekannt. Seit August 2018 erhielt sie eine Reihe von Morddrohungen, die mit "NSU 2.0" unterzeichnet waren und private, öffentlich nicht zugängliche Informationen von Başay-Yıldız enthielten. Später wurde bekannt, dass die Informationen mit einem Computer in einer Polizeiwache abgerufen wurden.

Mit dem Ludwig-Beck-Preis ehrt die Stadt Wiesbaden Menschen, Institutionen oder Vereinigungen aus aller Welt, die sich mit besonderer Zivilcourage für das Allgemeinwohl, das friedliche Zusammenleben der Menschen, die soziale Gerechtigkeit und die Grundprinzipien der Demokratie und des Rechtsstaates eingesetzt haben. Die Auszeichnung ist nach dem Hitler-Gegner Generaloberst Ludwig Beck (1880 - 1944) benannt. Sie wird mit Unterbrechungen seit 2004 verliehen. Seit 2011 werden auch Kandidaten ohne direkten Bezug zu Wiesbaden geehrt. (epd/mig)

Bildunterschrift: Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız.

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