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Neue Westfälische - Verler Tageblatt , 12.01.2021 :

Flucht und Vertreibung als Jahresthema

Der Heimatverein will sich mit dem Schicksal der Menschen befassen, die nach dem Weltkrieg nach Verl kamen / Dafür werden Zeitzeugen gesucht / Außerdem bildet das jüdische Leben einen zweiten Schwerpunkt

Roland Thöring

Verl. Sein Jubiläumsjahr hatte sich der Heimatverein Verl völlig anders vorgestellt. 2020 sollte ein Höhepunkt in der 100-jährigen Vereinsgeschichte werden, doch dann kam die Corona-Pandemie dazwischen. Kein Festakt, kaum Veranstaltungen: Wenigstens das Projekt "100 Bäume für Verl" konnte der Heimatverein mit der Pflanzung der ersten Bäume auf dem Grundstück der ehemaligen jüdischen Begräbnisstätte am Bükersweg starten und damit an die Geschichte der Verler Familie Hope erinnern. Im neuen Jahr will der Verein diesen thematischen Faden wieder aufnehmen.

Die kleine Feierstunde, die zu der Pflanzung im November geplant war, soll nachgeholt werden, teilt der Heimatverein in einem Rundbrief an seine Mitglieder mit. Die Jüdische Kultusgemeinde in Bielefeld hat zugesagt, sich mit einer kleinen liturgischen Feier zu beteiligen. "Durch diesen ersten Kontakt anlässlich der Pflanzung ergibt sich hoffentlich zukünftig die Möglichkeit, jüdisches Leben heute in Verl an der einen oder anderen Stelle sichtbar werden zu lassen", schreiben die drei Vorsitzenden des Heimatvereins Regina Bogdanow, Matthias Holzmeier und Herbert Kleinhans in dem Brief.

Im neuen Jahr soll mit zahlreichen Veranstaltungen und Ausstellungen an 1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland gedacht werden. Der Heimatverein Verl möchte zu diesem Anlass das Jüdische Museum Westfalen in Dorsten besuchen, verbunden mit einem Abstecher zur Alten Synagoge in Essen.

Das Thema, das der Heimatverein 2021 in den Mittelpunkt stellen will, heißt aber "Flüchtlinge und Vertriebene in Verl nach 1945". 75 Jahre nach Kriegsende dränge die Zeit, die Geschehnisse von damals und die Erinnerung daran festzuhalten. Die gesellschaftliche und persönliche Leistung der Neu-Beheimatung und des Wiederaufbaus verdienten eine genauere Betrachtung der individuellen Schicksale und Erlebnisse, so der Vorstand in dem Rundbrief weiter.

Als Folge des von den Deutschen begonnenen und verschuldeten Weltkrieges kamen nach 1945 zahlreiche Flüchtlinge und Vertriebene in das damalige Amt Verl. Aus Schlesien, Ostpreußen, Pommern, Danzig, dem Sudetenland und anderen Gebieten stammend, mussten sie unter schwierigen Bedingungen in Verl Fuß fassen.

Das "Sichbeheimaten" war auch in Verl schwer

Das "Sichbeheimaten" war schwer: Entwurzelt, die Familien auseinandergerissen, viele Väter im Krieg getötet, Wohnraummangel, Lebensmittelknappheit, ein anderer Dialekt und andere Konfession trennten die neuen Bürger von der einheimischen Bevölkerung. Flüchtlingsfamilien wurden in Zimmer einquartiert, die Verler zwangsweise räumen mussten. Einige Flüchtlinge bezogen äußerst bescheidene Baracken-Siedlungen.

Auch die Ortsansässigen mussten sich an die Situation gewöhnen. Sie nahmen die neuen Nachbarn bei der Verteilung der knappen Ressourcen Wohnraum, Hausrat und Lebensmittel teilweise als Konkurrenten wahr. In vielen Situationen begegneten sie ihnen aber auch mit Hilfsbereitschaft und Gastfreundschaft.

Doch wie war es genau? Wie haben Flüchtlinge und Einheimische die damalige Zeit erlebt? Welche Erinnerung haben sie an das Ankommen, die Wohnsituation, das Zusammenleben in Verl?

Das möchte der Heimatverein von den "alten" Verlern und den damals Vertriebenen wissen. Für Gespräche und Erfahrungsberichte ist Annette Kröning als Ansprechpartnerin erreichbar unter Tel. (05246) 709760 oder per E-Mail an kroening.verl@t-online.de.

Natürlich stehen auch die anderen Vorstandsmitglieder jederzeit zur Verfügung. Darüber hinaus ist der Heimatverein an Fundstücken, Fotos oder anderen Gegenständen aus dieser Zeit interessiert. Diese sollen fotografiert werden.

Soweit es die Rahmenbedingungen unter der Pandemie erlauben, soll es im neuen Jahr auch einzelne Veranstaltungen geben, neben der Feierstunde zur Aktion "100 Bäume für Verl" und der Fahrt zum Jüdischen Museum Westfalen.

Geplant sind ein Vortragsabend, an dem ein im Verler Land aufgewachsener Schlesier von seinen Erinnerungen und Erfahrungen aus der Kindheit berichten wird; Exkursionen zum Gelände der Stalag-Gedenkstätte in Stukenbrock und zum Heimathaus Schloß Holte-Stukenbrock mit der Ostdeutschen Heimatstube; ein Filmabend "Jokehnen oder wie lange fährt man von Ostpreußen nach Deutschland?" nach dem Roman von Arno Surminski; Radtouren zum Landschaftspflegehof Ramsbrock in Bielefeld und zur Siedlungsgeschichte der Sürenheide.

Fest steht bereits, dass die alljährlich im März stattfindende Mitgliederversammlung zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt werden muss.

Bildunterschrift: Die Tür zum Heimathaus ist Pandemie-bedingt geschlossen, aber der Heimatverein Verl hofft trotzdem, im neuen Jahr ein Programm mit verschiedenen Exkursionen anbieten zu können. Schwerpunktmäßig soll es 2021 um "Flüchtlinge und Vertriebene in Verl nach 1945" gehen.

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Neue Westfälische Online, 16.11.2020:

Hier soll an das Schicksal der jüdischen Familie Hope aus Verl erinnert werden

16.11.2020 - 18.42 Uhr

Auf der früheren jüdischen Begräbnisstätte hat der Heimatverein Verl einen "Hain der Erinnerung" geschaffen. Die Anordnung von Eichen und Steinen symbolisiert einen Davidstern.

Roland Thöring

Verl. Auf den Spaziergänger wirkt die Anlage wie ein kleiner Kreis. Sechs Eichen, symmetrisch gepflanzt, stehen um sechs grob gebrochene Natursteine in ihrer Mitte auf einer Wiese. Erst aus der Luft wird die Symbolik der Anordnung offensichtlich. Verbindet man einen Baum gedanklich über jeweils zwei Steine hinweg mit dem übernächsten, so entstehen zwei versetzte Dreiecke, die einen Davidstern bilden. "Hain der Erinnerung" nennt der Heimatverein Verl die Anlage am Rande der Bebauung am Bükersweg. Wo sich einst die Begräbnisstätte der jüdischen Familie Hope befand, sollen die Bäume und die Steine als ökologisch wertvoller Teil der Kulturlandschaft die Erinnerung an die hier Bestatteten und an das Schicksal der Familie wachhalten.

Die sechs Eichen gehören zu jenen 100 Bäumen, die der Heimatverein anlässlich seines 100-jährigen Bestehens der Stadt und ihren Bürgern geschenkt hat. Weitere 30 bis 40 kleinere Bäume sollen am Rand der Fläche gepflanzt werden, damit an dieser Stelle eines Tages eine Lichtung entsteht.

Bewusst keine Gedenkstätte mit Schautafel

Bewusst hat der Verein auf der privaten Begräbnisstätte, die nie ein jüdischer Friedhof war, keine Gedenkstätte geschaffen. Davon hatte schon vor 30 Jahren ein Rabbiner abgeraten, als die Geschichte der Familie Hope in Verl allmählich aufgearbeitet wurde. Der Grund war damals der gleiche, mit dem heute der Verzicht auf eine Hinweis- oder Schautafel begründet wird: Interessierte Besucher, die den Weg hierher finden, gelangen an einen Ort der Stille und der Natur; Antisemiten und Neonazis soll der Weg aber nicht gewiesen werden.

Kurz nach der Pogromnacht, im Dezember 1938, musste Laura Hope im Zuge der Arisierung das Grundstück an die Gemeinde Verl verkaufen. Noch heute ist es in städtischen Besitz. Ab 1853 sind hier nachweislich mindestens vier Mitglieder der Familie bestattet worden. In der Nazi-Zeit sollen die hier noch vorhanden gewesen Grabsteine umgeworfen worden sein und später als Fundamente für Baracken gedient haben, die auf dem Grundstück bis in die 1970er Jahre hinein gestanden hatten.

Ursprünglich hatte der Heimatverein eine feierliche Einweihung des "Hains der Erinnerung" geplant - auch das, wie schon sämtliche anderen Feierlichkeiten zum runden Vereinsjubiläum, hat die Corona-Pandemie zunichte gemacht. Im Vorfeld der Gestaltung hatte der Heimatverein Kontakt mit der Jüdischen Kultusgemeinde in Bielefeld aufgenommen. Deren Vertreter hatten ihren Besuch zugesagt. Mitglieder der Kultusgemeinde wollten das jüdische Totengebet Kaddisch sprechen. Die Feier, versprach Heimatvereinsvorsitzender Matthias Holzmeier am Freitagnachmittag bei der Übergabe der Anlage an die Stadt, soll zu einem späteren Zeitpunkt noch nachgeholt werden.

Bildunterschrift: Sechs Bäume und sechs Steine symbolisieren auf der ehemaligen jüdischen Begräbnisstätte am Bükersweg den Davidstern. Zur besseren Orientierung sind auf dem Luftbild die gedachten Verbindungslinien blau eingezeichnet.

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Neue Westfälische - Verler Tageblatt, 29./30.07.2017:

Jahrestag eines Nazi-Verbrechens

Vor der Haustür: Vor 75 Jahren wurden mit Laura und Otto Hope die letzten Verler Juden in die Vernichtungslager deportiert / An sie erinnern ein Gedenkstein und Stolpersteine

Von Roland Thöring

Verl. Der Bus in den Tod fuhr pünktlich um 9.20 Uhr ab. "Es sollte wohl so aussehen, als gingen sie freiwillig. Laura Hope und Otto Hope standen mit ihren Sachen vor unserem Geschäft und warteten auf den Bus", hat sich 50 Jahre danach die damalige Nachbarin und Augenzeugin Magdalene Wildoer, geborene Maasjost, erinnert. Das war auf den Tag genau heute vor 75 Jahren. Am 29. Juli 1942 wurden mit Laura Hope, damals bereits 75 Jahre alt, und ihrem 42 Jahre alten Neffen Otto Hope die beiden letzten Mitglieder der jüdischen Familie aus Verl deportiert. In den Konzentrationslagern Theresienstadt und Auschwitz wurden sie wenige Wochen später ermordet.

Drei Wochen zuvor, am 8. Juli 1942, hatte die Geheime Staatspolizei über eine Verfügung des Landrates des Kreises Wiedenbrück durch den Oberwachtmeister der Gendarmerie Spiegel bereits Lauras zu diesem Zeitpunkt 49 Jahre alte Tochter Anna "Ännchen" Wichelhausen abholen lassen. Sie wurde in Auschwitz ermordet. "Ännchen war sehr gefasst", erinnerte sich Magdalene Wildoer, die beobachtet hatte, wie Anna Wichelhausen, als sie ins Auto stieg, zu ihrer Mutter hinaufblickte, die oben am Fenster stand.

Der Besitz wurde versteigert - für die Hitlerjugend

Die Hopes wurden zunächst nach Bielefeld in ein Sammellager in der Innenstadt gebracht. Anna Wichelhausen hat hier zumindest zwei Tage, laut einem Brief ihrer Schwester Auguste Altmann, die in Berlin verheiratet war, vielleicht auch vier Tage zugebracht, ehe sie ins Konzentrationslager Auschwitz weitertransportiert wurde. Auguste Altmann selbst überlebte Mutter und Schwester nur kurz: Sie nahm sich in Berlin Ende November 1942 aus Verzweiflung mit einer Überdosis Schlaftabletten das Leben und entging so wohl dem Tod in der Gaskammer. Auguste Altmann wurde 43 Jahre alt.

Kaum hatten Laura und Otto Hope am 29. Juli 1942 Verl verlassen, stellte die örtliche Polizei ihren Hausrat zusammen und versiegelte die Wohnräume. Laura Hope bewohnte damals in dem Haus Verl 9 (heute Hauptstraße 33) der Familie Schmalenströer eine Drei-Zimmer-Wohnung. Ihr behinderter Neffe Otto Hope lebte im katholischen St.-Anna-Krankenhaus. Auch hier wurde die Tür seines Zimmers versiegelt.

Zwei Tage später, am 31. Juli, wurden 925 Menschen jüdischen Glaubens aus dem Bezirk der Staatspolizeileitstelle Münster nach Theresienstadt deportiert. Aus dem Bezirk der Außendienststelle Bielefeld waren für den Transport 625 Juden vorgesehen. Laura und Otto Hope standen auf der namentlichen Liste. "Es ist darauf zu achten, dass die Juden sich keine Erkrankung durch Transport mit offenen Verkehrsmitteln zuziehen, da die Juden bei ihrem Eintreffen im Osten voll arbeitsfähig sein müssen", heißt es zynisch in einem Festnahmebefehl der Staatspolizeileitstelle.

Die aus dem Bielefelder Sammellager, das sich damals am Kesselbrink befand, deportierten Frauen und Männer gehörten zu den ersten Juden aus dem Kerngebiet des Deutschen Reiches, die in die neuen Vernichtungsanlagen von Auschwitz geschickt und mit dem Gas Zyklon B qualvoll ermordet wurden.

Fritz Hope, Jahrgang 1894 und neben den Töchtern Anna und Auguste das dritte Kind von Laura Hope, lebte damals in Aachen und wanderte nach Brasilien aus. 1951 forderte er vor Gericht den Besitz seiner Familie zurück. Durch ein Schreiben der damaligen Verler Amtsverwaltung erfuhr er, was damit geschehen war: Der Hausrat war auf Veranlassung des Wiedenbrücker Finanzamtes versteigert worden. Von dem Erlös in Höhe von 1.516,67 Reichsmark kassierte die Behörde 598 Reichsmark - der Rest wurde der örtlichen Hitlerjugend für den Ausbau ihres HJ-Heims "zur Verfügung gestellt".

Bildunterschrift: Gedenkstein: Er wurde von Ingrid Große-Rüschkamp und zwei weiteren anonymen Verlern 1991 gestiftet und steht gegenüber dem Haus Hauptstraße 33, in dem ein Teil der Familie Hope gelebt hat. Die Menora trägt die Inschrift "Es werde Frieden".

Bildunterschrift: Stolpersteine: Diese vier erinnern seit fünf Jahren auf dem Gehweg vor dem Haus Hauptstraße 33 an die ermordeten Mitglieder der Familie Hope.

Bildunterschrift: Lebensorte: Die Hopes bewohnten die Häuser Sender Straße 1 (r.), das heute das Knopfmuseum beherbergt, und Hauptstraße 33 (l.).

Bildunterschrift: Ermordet: Anna Wichelhausen (l.) wurde drei Wochen vor ihrer Mutter Laura (r.) deportiert und in Auschwitz ermordet.

Bildunterschrift: Quittung: Anna Wichelhausen musste am 8. Juli 1942 vor ihrer Deportation, quittieren, welche Wertsachen ihr abgenommen wurden.

Bildunterschrift: Mit Geschwistern: Das Foto zeigt Otto Hope (l.) mit Gertrud, die 1983 in den USA starb, und Richard, gestorben 1941 in Minsk.

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Neue Westfälische - Verler Tageblatt, 29./30.07.2017:

Verl: Vor 75 Jahren wurden die letzten Verler Juden deportiert

Verl. Vor genau 75 Jahren, am 29. Juli 1942, wurden Laura und Otto Hope aus ihren Wohnungen geholt und über die Zwischenstation Bielefeld in den Tod geschickt. Die 75-Jährige und ihr 42 Jahre alter behinderter Neffe waren die beiden letzten Mitglieder der jüdischen Familie, die von den Nazis in die Vernichtungslager deportiert wurden.

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Am 23. April 2012 verlegte Gunter Demnig in Verl fünf Stolpersteine zum Gedenken an: Laura Hope (geb. Schild), Anna Wichelhausen (geb. Hope), Auguste Altmann (Hope), Otto Hope und Dr. Richard Max Hope.

Am 29. Juli 1942 wurden mit Laura Hope (geborene Schild) - damals bereits 75 Jahre alt - sowie ihrem 42 Jahre alten Neffen Otto Hope die beiden letzten Mitglieder der jüdischen Familie Hope aus Verl deportiert.

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https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Verl


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