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10 Artikel , 23.09.2020 :

Pressespiegel überregional

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Übersicht:


MiGAZIN, 23.09.2020:
Nach Halle / Länder schützen jüdische Einrichtungen stärker

Jüdische Allgemeine Online, 23.09.2020:
Halle-Prozess: "Der Notruf glaubte uns zuerst nicht"

MiGAZIN, 23.09.2020:
Halle-Prozess / Zeugen aus Döner-Imbiss traumatisiert

Bayerischer Rundfunk, 23.09.2020:
Opferfonds für Oktoberfest-Attentat: Reaktionen sind verhalten

Südwestrundfunk, 23.09.2020:
Landgericht Ulm sieht rassistisches Motiv / Bewährungsstrafen im Prozess um Fackelwurf in Erbach

Der Tagesspiegel Online, 23.09.2020:
Rechtsextremismus bei der Polizei / Weitere Hinweise auf "Grenzüberschreitungen" durch Polizisten in NRW

Berliner Zeitung Online, 23.09.2020:
Der III. Weg: Neonazis marschieren am Lindencenter auf

Hessische / Niedersächsische Allgemeine Online, 23.09.2020:
Abwahl der Landesvorsitzenden / Streit der AfD Niedersachsen - Jetzt kracht es in der Landtagsfraktion

Blick nach Rechts, 23.09.2020:
AfD: Jörg Meuthens Schlappen-Serie

Rhein-Neckar-Zeitung Online, 23.09.2020:
Walldorf / "Böswilliges" Glockenläuten ließ "Querdenker" verstummen

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MiGAZIN, 23.09.2020:

Nach Halle / Länder schützen jüdische Einrichtungen stärker

23.09.2020 - 05.21 Uhr

Seit dem Anschlag auf die Synagoge in Halle werden jüdische Einrichtungen laut einer Umfrage besser geschützt. Aber es gebe weiterhin Defizite, die einen Rechtsstaat beschämen müssten, sagt der Journalist Ronen Steinke.

Von Markus Geiler

Empathielose Polizisten, mangelhafte Ermittlungen, Fehleinschätzung der Gefährdungslage: Die Vorwürfe der jüdischen Gemeinschaft gegenüber Polizei und Behörden wiegen zum Teil schwer. Seit dem Anschlag vom 9. Oktober vergangenen Jahres in Halle und dem Prozess gegen den Synagogen-Attentäter Stephan B. vor dem in Magdeburg tagenden Oberlandesgericht Naumburg ist das Thema Sicherheit für jüdische Einrichtungen sehr viel präsenter als vorher.

Laut einer am Dienstag in Berlin vorgestellten Umfrage des Mediendienstes Integration haben die meisten Bundesländer seitdem zusätzliche Gelder zum Schutz bereitgestellt, etwa für schusssichere Türen, Zäune oder Schleusen am Einlass. Auch würden jetzt jüdische Einrichtungen von der Polizei stärker bewacht. So habe etwa Sachsen-Anhalt für 2020 und 2021 rund 2,4 Millionen Euro zugesagt, Bayern acht Millionen Euro. Darüber hinaus stelle der Bund 22 Millionen Euro für Umbaumaßnahmen und Sicherungen an Gebäuden für 2020 bereit.

Gefährdung falsch eingeschätzt

Alle Bundesländer hätten angegeben, bereits vor dem Anschlag in Halle regelmäßig überprüft zu haben, wie sehr jüdische Einrichtungen gefährdet seien. In großen Gemeinden wie Berlin oder Frankfurt laufe die Zusammenarbeit mit den Behörden sehr gut. In Halle aber sei die Gefährdung falsch eingeschätzt worden, konstatieren die Autoren.

Um Vorkehrungen wie Zäune, Poller oder Sicherheitsschleusen mussten sich viele Gemeinden bislang selbst kümmern, hieß es. Einige Gemeinden engagierten zusätzlich einen Sicherheitsdienst oder hätten eigenes Sicherheitspersonal. Diese Maßnahmen seien bisher nur von manchen Bundesländern und dann oft auch nicht vollständig finanziert worden.

Viele Gemeinden konnten sich indes solche Maßnahmen nicht leisten oder blieben auf den Kosten sitzen. Andere mussten ganz darauf verzichten oder andere Spender suchen. So stand trotz der voll besetzten Synagoge in Halle an dem hohen jüdischen Feiertag Jom Kippur am 9. Oktober keine Polizei vor der Tür. Die legendäre Holztür, an der der Attentäter scheiterte, war der Gemeinde von einer jüdischen Organisation bezahlt worden, nicht vom Land.

Der Attentäter sei davon ausgegangen, dass die Synagoge schusssichere Fenster hatte und habe deshalb nicht darauf geschossen, sagte der Journalist und Autor Ronen Steinke. Das Gebäude hatte aber keine Sicherheitsfenster, weil sich die Gemeinde diese nicht leisten konnte und es vom Land dafür kein Geld gab.

Beschämende Defizite für den Rechtsstaat

Für sein im Juli erschienenes Buch "Terror gegen Juden. Wie antisemitische Gewalt erstarkt und der Staat versagt" hat Steinke zahlreiche jüdische Gemeinden befragt: "Dabei haben sich Defizite gezeigt, für die sich der Rechtsstaat schämen muss."

Naomi Henkel-Gümbel ist Überlebende des Anschlags und Nebenklägerin im Halle-Prozess. Sie sei entsetzt über die mangelhaften Ermittlungen des Bundeskriminalamtes über die Online-Aktivitäten des Attentäters, die in dem Prozess zutage kamen, sagte die angehende Rabbinerin. Erst eine private Initiative von Wissenschaftlern habe das alles ausführlich recherchiert. Auch seien die Polizisten am Tag des Anschlags im Umgang mit den Synagogen-Besuchern genervt und abweisend gewesen. "Die einzigen, die Empathie und Respekt gezeigt haben, war das Krankenhaus-Personal", sagte Henkel-Gümbel. (epd/mig)

Bildunterschrift: Die Tür der Synagoge in Halle (Archivfoto).

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Jüdische Allgemeine Online, 23.09.2020:

Halle-Prozess: "Der Notruf glaubte uns zuerst nicht"

23.09.2020 - 12.18 Uhr

Von Franziska Höhnl

Am Tag des Terroranschlags in Halle hat die Polizei laut einem Paar zunächst nicht geglaubt, dass es angeschossen worden war. Sie habe beim Notruf gesagt, dass ihr Mann verblute, sagte eine 51 Jahre alte Frau am Mittwoch als Zeugin vor dem Oberlandesgericht in Magdeburg aus.

"Das hat der gar nicht richtig wahrgenommen, er hat gesagt, ich sollte rausgehen und Ausschau halten, wo der Schütze ist." Erst als ihr Nachbar gekommen sei und das Gespräch übernommen habe, sei ein Beamter gekommen.

Der Attentäter hatte auf seiner Flucht versucht, an ein neues Auto zu kommen, weil er an seinem Wagen zwei Reifen zerschossen hatte. Dabei hielt er an einem Hof im Landsberger Ortsteil Wiedersdorf im Saalekreis, auf dem der 52-Jährige im Garten arbeitete. Es habe am Hoftor geklopft und er habe in eine Pistole geblickt, sagte der Mann am Mittwoch mit stockender Stimme. Der Täter habe den Schlüssel für das Auto gefordert.

Der 52-Jährige berichtete, dass der Attentäter auf ihn geschossen habe, als er weggelaufen sei. Die Kugel traf den Zeugen im Nacken und blieb hinter dem rechten Ohr stecken. Kurz darauf habe der Täter auch von hinten auf die 51 Jahre alte Frau geschossen, die auf den Hof geeilt sei. Beide Zeugen sind seit den Schüssen arbeitsunfähig und leiden an Spätfolgen.

Seit Juli arbeitet der Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts den Terroranschlag vom 9. Oktober 2019 auf. Aus Platzgründen wird in einem Saal des Magdeburger Landgerichts verhandelt. Angeklagt ist ein 28 Jahre alter Deutscher. Die Bundesanwaltschaft wirft ihm vor, "aus einer antisemitischen, rassistischen und fremdenfeindlichen Gesinnung heraus einen Mordanschlag auf Mitbürgerinnen und Mitbürger jüdischen Glaubens" geplant zu haben. Der Angeklagte hat die Taten gestanden.

Als ihm misslang, am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur in die Synagoge einzudringen, erschoss der Attentäter eine 40 Jahre alte Passantin. Im Anschluss attackierte er in einem nahen Döner-Imbiss und tötete einen 20 Jahre alten Mann. Auf seiner Flucht verletzte der Attentäter weitere Menschen, ehe er von der Polizei gefasst wurde. Der Angeklagte Stephan Balliet kommt aus Mansfeld-Südharz.

Bildunterschrift: Aus Platzgründen wird der Halle-Prozess - unter hohen Sicherheitsvorkehrungen - in einem Saal des Magdeburger Landgerichts verhandelt.

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MiGAZIN, 23.09.2020:

Halle-Prozess / Zeugen aus Döner-Imbiss traumatisiert

23.09.2020 - 05.24 Uhr

14. Verhandlungstag im Halle-Prozess: Der Kollege des getöteten Kevin S., der mit im Döner-Imbiss war, ist so traumatisiert, dass er nicht persönlich vor Gericht aussagen kann. Ein Somalier schildert, wie er vom Attentäter angefahren wurde.

Der Synagogen-Attentäter Stephan B. hat auf seiner Flucht in Halle offenbar gezielt einen Somalier angefahren. Im Prozess vor dem in Magdeburg tagenden Oberlandesgericht Naumburg sagte am Dienstag der 24-jährige Somalier aus, der dabei verletzt wurde. Der junge Mann, der auch Nebenkläger in dem Mordprozess ist, berichtete, er sei gemeinsam mit einem Freund aus einer Straßenbahn gestiegen, als er von dem Attentäter angefahren wurde.

Der Somalier gab an, zu Boden gefallen und kurz ohnmächtig gewesen zu sein. Er erlitt Verletzungen an Knie und Arm. Ein weiterer Zeuge des Vorfalls schätzte die Geschwindigkeit des Fluchtautos auf 70 bis 80 Kilometer pro Stunde. Nach seiner Beobachtung war das Fahrzeug gezielt auf die Personen zugefahren. Der Somalier gab an, noch immer unter den psychischen Folgen zu leiden. Er wolle nicht mehr in Halle leben, sagte er. Mit Halle verbinde er viele schlechte Erinnerungen, immer wieder Diskriminierungen und Beleidigungen. Nach dem Vorfall am 9. Oktober 2019 sei er dünnhäutiger geworden.

Ein Kollege des getöteten Kevin S., der mit dem 20-Jährigen in der Mittagspause im Döner-Imbiss war, konnte nicht als Zeuge vor Gericht aussagen. Es wurden Atteste verlesen, die deutlich machten, dass er durch den Anschlag schwer gesundheitlich beeinträchtigt ist. Ereignisse wie der Anschlag von Hanau im Februar 2020 und Medienberichte hätten seine Traumatisierung immer wieder reaktiviert.

Mitten aus dem Leben gerissen

Seine Anwältin erklärte, ihr Mandant, ein Mann Mitte 40, sei durch diese abscheuliche und feige Tat mitten aus seinem Leben gerissen worden. Er sei seit dem 9. Oktober 2019 nicht mehr arbeitsfähig und kaum in der Lage, seine Wohnung zu verlassen. Zudem mache er sich Vorwürfe: Er hatte an dem Tag sein Mittagessen vergessen und sei daraufhin mit Kevin S. in den Döner-Imbiss gegangen, was er vorgeschlagen hatte.

Vor Gericht wurde seine Aussage verlesen, die er bei der Polizei gemacht hatte. Er war gemeinsam mit Kevin S. auf einer Baustelle etwa zwei Minuten vom Döner-Imbiss entfernt im Einsatz. Zum Tatzeitpunkt hatte er mit seiner Freundin telefoniert, die am Telefon alles mitbekam. Bei dem Angriff sei er sofort aufgesprungen, habe sich zunächst hinter einem Kühlschrank versteckt. Er habe furchtbare Angst gehabt, sagte er der Polizei: "Ich wollte einfach nur überleben." Schließlich sei er in Panik in einen hinteren Raum geflüchtet.

Zeuge bis heute in Angst und Panik

Ein weiterer Gast aus dem Döner-Imbiss sagte als Zeuge aus und berichtete, wie er auf die Toilette geflohen sei und die Polizei alarmiert habe. Noch heute leide er unter Angst und Panik. Wenn er schwer bewaffnete Polizisten sehe, dann werfe ihn das in diesen Tag zurück, und er sehe sich wieder in dem Döner-Imbiss, sagte der Mann.

Stephan B. hatte am 9. Oktober 2019 aus einer antisemitischen und rassistischen Motivation heraus einen Anschlag auf die Synagoge in Halle verübt. Weil es ihm nicht gelang, mit Sprengsätzen und Schusswaffen in die Synagoge zu gelangen, erschoss er zunächst eine 40 Jahre alte Passantin und dann in einem nahe gelegenen Döner-Imbiss den 20-jährigen Mann. Die Bundesanwaltschaft hat B. wegen Mordes in zwei Fällen und versuchten Mordes in mehreren Fällen sowie weiterer Straftaten angeklagt. (epd/mig)

Bildunterschrift: Rechtsterrorist schießt auf Menschen im Döner-Imbiss in Halle.

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Bayerischer Rundfunk, 23.09.2020:

Opferfonds für Oktoberfest-Attentat: Reaktionen sind verhalten

23.09.2020 - 07.31 Uhr

40 Jahre nach dem Bombenanschlag auf dem Oktoberfest zahlen Bund, Land und Stadt München in einen Hilfsfonds für die Opfer ein. Mehr als eine Million Euro sollen zusammenkommen - viel zu wenig für die vielen Geschädigten, kritisiert ein Anwalt.

Jahrzehntelang hat sich der Freistaat Bayern geweigert, die Betroffenen des Oktoberfest-Attentats 1980 umfassend finanziell zu unterstützen. Immer wieder hatte die CSU-Staatsregierung erklärt: Erst müsse erwiesen sein, dass es sich tatsächlich um einen extrem rechten Anschlag gehandelt habe. Vor wenigen Wochen hat die Bundesanwaltschaft offiziell festgestellt: Das Attentat war rechtsextrem motiviert.

Opferfonds kommt - aber spät

Kurz vor dem 40. Jahrestag des Anschlags hat der Ministerrat nun beschlossen, dass der Freistaat 500.000 Euro zur Verfügung stellt für einen gemeinsamen Opferfonds von Bund, Land und Stadt München. Die Reaktionen auf diese Entscheidung sind verhalten. Er freue sich, dass der Freistaat beschlossen habe, Gelder für die Attentats-Opfer zur Verfügung zu stellen, sagt Robert Höckmayr. Es sei aber schon erstaunlich, dass es so lange gedauert habe. Höckmayr hat beim Oktoberfest-Attentat zwei jüngere Geschwister verloren, der damals 12-Jährige und weiter Familienangehörige wurden schwerst verletzt. Bis heute musste Höckmayr mehr als 40 Mal operiert werden, noch immer hat er über 20 Splitter der Bombe in seinem Körper.

Anwalt: Zu wenig Geld im Fonds

Opferanwalt Werner Dietrich, der 16 Betroffene des Wiesn-Attentats vertritt, findet die anvisierte Gesamtsumme des Fonds von voraussichtlich rund 1,2 Millionen Euro völlig unzureichend. Bei über 200 Verletzten, von denen wohl noch weit mehr als 100 am Leben seien, werde das Geld kaum reichen, um körperliche und psychische Folgen des Attentats auszugleichen. Dietrichs Ansicht nach sollten auch die Festzelt-Wirte in den Fonds einzahlen. Wichtig sei nun, dass die Überlebenden schnell und unbürokratisch an ihr Geld kommen, schließlich seien die meisten heute zwischen 60 und 90 Jahre alt, viele lebten im Ausland.

Kritik: Für viele kommt die Hilfe zu spät

Der langjährige BR-Journalist Ulrich Chaussy, dessen Recherchen dazu beigetragen haben, dass der Anschlag vor kurzem offiziell als rechtsextreme Tat anerkannt wurde, begrüßt zwar den Opferfonds, kritisiert aber: Für viele Betroffene komme die Hilfe zu spät. So auch für zwei Geschwister von Robert Höckmayr. Das Attentat hatten sie zwar schwer verletzt überlebt, von den Ereignissen waren sie aber so stark traumatisiert, dass sie später Suizid verübten. Mit frühzeitiger therapeutischer Hilfe hätte das vielleicht verhindert werden können.

Frühere Hilfsgelder erreichten nicht alle

Beim Oktoberfest-Attentat am 26. September 1980 waren zwölf Menschen ermordet worden, auch der Attentäter kam ums Leben. Weit über 200 Menschen wurden zum Teil schwer verletzt. Der Freistaat Bayern hatte zwar frühzeitig Hilfsgelder zur Verfügung gestellt, ein Großteil der Attentats-Opfer ging jedoch leer aus. Anschließend weigerte sich die Staatsregierung jahrzehntelang, einen Hilfsfonds aufzulegen. Die Stadt München hat erst vor zwei Jahren einen eigenen Fonds geschaffen, der mit insgesamt 100.000 Euro ausgestattet ist. Dieses Geld ist aber inzwischen nahezu aufgebraucht.

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Südwestrundfunk, 23.09.2020:

Landgericht Ulm sieht rassistisches Motiv / Bewährungsstrafen im Prozess um Fackelwurf in Erbach

23.09.2020 - 08.52 Uhr

Im so genannten Fackelwurf-Prozess am Ulmer Landgericht sind vier der fünf Angeklagten zu Bewährungsstrafen verurteilt worden. Das Gericht sah die rassistischen Gründe für die Tat in Erbach als erwiesen an.

Die vier jungen Männer sind wegen Nötigung verurteilt worden. Damit rückte das Gericht von den Vorwürfen des versuchten Mordes und der Brandstiftung ab. Die Jugendstrafen wurden zur Bewährung ausgesetzt. Außerdem ordnete das Landgericht Ulm den Besuch einer KZ-Gedenkstätte an.

Verurteilte handelten laut Gericht aus rassistischen Gründen

Über die Jugendstrafe des fünften Angeklagten soll nach anderthalb Jahren Bewährungszeit entschieden werden, hieß es am Mittwochvormittag. Die Kammer sah es als erwiesen an, dass die fünf Verurteilten im Mai 2019 in Erbach im Alb-Donau-Kreis aus rassistischen Gründen eine Fackel in Richtung eines Wohnwagens einer Roma-Familie warf. Dort schliefen eine Mutter und ihr Kind. Die Fackel verfehlte den Wohnwagen, verletzt wurde niemand.

Die Angeklagten hatten die Tat zu Prozessbeginn unter Vorbehalt gestanden. Sie hatten aber beteuert, dass sie bei der Tat niemanden verletzen wollten. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Bildunterschrift: Am Mittwochvormittag vor der Urteilsverkündung des Landgerichts Ulm.

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Der Tagesspiegel Online, 23.09.2020:

Rechtsextremismus bei der Polizei / Weitere Hinweise auf "Grenzüberschreitungen" durch Polizisten in NRW

23.09.2020 - 07.24 Uhr

Vor einer Woche wurden bei der Polizei in Nordrhein-Westfalen rechtsextreme Chat-Gruppen aufgedeckt. Innenminister Reul kann mit mehr Enthüllungen rechnen.

Eine Woche nach Bekanntwerden von Chat-Gruppen mit rechtsextremen Inhalten bei der NRW-Polizei sind bei den Behörden Hinweise auf weitere "Grenzüberschreitungen" durch Beamte eingegangen. "Wir erhalten einen ganzen Schwung von Hinweisen aus Polizeikreisen oder von Bürgern", sagte Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) der Zeitung "Welt".

Er begrüße diese Hinweise, sagte Reul der Zeitung. "Da sagt jemand: Ich war selbst lange in einer solchen Chat-Gruppe und habe tatenlos zugeschaut. Aber jetzt sage ich es. Oder eine junge Frau, die von Vorfällen in der Ausbildung berichtet. Das schauen wir uns jetzt an." Das habe nichts mit Verrat zu tun, betonte der Minister.

Die Polizei benötige eine Fehlerkultur. Polizisten müssten selbst einschreiten, wenn sie von entsprechenden Grenzüberschreitungen durch Kollegen erführen. "Wer wegguckt, ist mitschuldig", sagte Reul.

Eine rote Linie sehe er, "wenn ein Beamter von seiner inneren Überzeugung her nicht mehr auf dem Boden des Grundgesetzes steht. Wenn er andere verächtlich macht. Wenn er diffamiert, wenn er rassistisch ist." Neben diese Akteure träten aber auch jene, die solch ein Handeln duldeten.

Um Täter schneller belangen zu können, brachte er eine Verschärfung des Disziplinarrechts ins Spiel: "Das ist ja ein Gesetz, das lässt sich, wenn notwendig, auch verbessern. Ziel muss sein, das wir bei Extremisten in den eigenen Reihen handlungsfähig bleiben."

Bei der NRW-Polizei waren fünf Chat-Gruppen mit rechtsextremen Inhalten aufgedeckt worden. Bislang wurden 30 Polizisten vorläufig vom Dienst suspendiert. 14 sollen endgültig aus dem Dienst entfernt werden. Reul hatte am Tag der Enthüllung, dem 16. September, die Erstellung eines Lagebilds Rechtsextremismus bei der Polizei in NRW angekündigt. (dpa)

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Berliner Zeitung Online, 23.09.2020:

Der III. Weg: Neonazis marschieren am Lindencenter auf

23.09.2020 - 15.04 Uhr

Die Linke hat nun dazu aufgerufen, gegen die geplante Veranstaltung der Neonazis in Lichtenberg zu protestieren.

Berlin. Die rechtsextremistischen Mitglieder der Partei "Der III. Weg" marschieren in Lichtenberg auf. Die Linke hat nun dazu aufgerufen, gegen die geplante Veranstaltung zu protestieren. "Am 3. Oktober 2020 finden auf dem Bahnhofsvorplatz in Lichtenberg von 11 bis 12 Uhr und auf dem Vorplatz des Linden-Centers ab 13.00 Uhr zwei Kundgebungen gegen den geplanten Aufmarsch der neonazistischen Partei statt", teilte das Bezirksamt Lichtenberg am Mittwoch mit.

Bezirksbürgermeister Michael Grunst (Die Linke) sagte: "Den Versuch des rechtsradikalen "Der III. Weg", hier in Lichtenberg ihre menschenverachtenden Vorstellungen zu verbreiten, werden wir nicht unbeantwortet lassen. Zusammen zeigen wir, dass in Lichtenberg kein Platz für rassistische Hetze ist. Lichtenberg ist und bleibt vielfältig."

Daher rufe er alle Lichtenberger sowie alle Berliner dazu auf, sich an den Kundgebungen zu beteiligen und "gemeinsam ein Zeichen gegen den Neonazi-Aufmarsch zu setzen".

Die 2013 in Heidelberg von Ex-NPD-Funktionären und Neonazis gegründete Partei verfolgt laut Verfassungsschutz einen strikten neonationalsozialistischen Rechtsextremismus mit völkischen, fremdenfeindlichen und antidemokratischen Positionen.

Die Organisationsform als Partei diene als Schutz vor einem Parteiverbotsverfahren, das nur vom Bundesverfassungsgericht in einem komplexen Verfahren festgestellt werden könne.

Bildunterschrift: Ein Mitglied der vom Verfassungsschutz beobachteten Partei "Der III. Weg".

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Hessische / Niedersächsische Allgemeine Online, 23.09.2020:

Abwahl der Landesvorsitzenden / Streit der AfD Niedersachsen - Jetzt kracht es in der Landtagsfraktion

23.09.2020 - 17.59 Uhr

Der Machtkampf bei der AfD in Niedersachsen hält an. Nach der Abwahl der Landesvorsitzenden Dana Guth geht der Streit in der Landtagsfraktion weiter - mit einem lauten Knall.

Göttingen / Hannover. Der Führungsstreit bei der niedersächsischen AfD hat zum Bruch der Landtagsfraktion geführt. Die bisherige Vorsitzende Dana Guth aus Herzberg (Landkreis Göttingen) sowie die Abgeordneten Stefan Wirtz aus Braunschweig und Jens Ahrends aus Bad Zwischenahn haben die neunköpfige Fraktion verlassen, wie die AfD am Dienstag in Hannover mitteilte. Zuerst hatte das Politikjournal "Rundblick" darüber berichtet.

"Wir drei haben uns heute nach den Vorkommnissen der letzten zehn Tage entschlossen, die Fraktion zu verlassen", sagte Dana Guth der Hannoverschen Allgemeinen. Das müsse aber nicht das Ende der AfD im Landtag in Hannover sein. Man stehe für die Gründung einer neuen Fraktion zur Verfügung.

Der Bruch der Fraktion kam einen Tag nach der Verschiebung der Neuwahl der AfD-Fraktionsspitze, für die Guth nach bisherigen Angaben wieder antreten wollte. Wie der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Fraktion, Klaus Wichmann auf Anfrage sagte, entfachte sich der Streit formell an der Suche nach einem neuen Wahltermin. Er gehe aber von einem vorbereiteten Coup der drei aus, hieß es am Dienstag.

Bei der niedersächsischen AfD gibt es seit längerem einen Machtkampf zwischen gemäßigten und radikaleren Kräften in der Partei. So war Guth auf dem Landesparteitag in Braunschweig vor gut einer Woche abgewählt und der AfD-Bundestagsabgeordnete Jens Kestner (Northeim) mit knappem Vorsprung zum neuen Landesvorsitzenden gewählt worden.

Kestner wird dem offiziell aufgelösten, völkisch-nationalistischen "Flügel" zugerechnet. Er wetterte in Braunschweig gegen die Migrations-Politik, die "verkorkste Energiewende", die "Erosion der inneren Sicherheit" durch Jugendliche, die die Innenstädte verwüsteten. Die als gemäßigt geltende Guth, die beim Parteitag in Braunschweig vergeblich die Einheit der Partei beschworen hatte, signalisierte danach zunächst, weiter an der Fraktionsspitze bleiben zu wollen.

Die AfD war im Jahr 2017 mit einem Ergebnis von 6,2 Prozent erstmals in den niedersächsischen Landtag eingezogen. Der Verlust der Fraktionsstärke hat zur Folge, dass die AfD künftig weniger parlamentarische Rechte im niedersächsischen Landtag hat. (lni/bsc)

Bildunterschrift: Dana Guth, AfD Niedersachsens, beim Landesparteitag der Partei Alternative für Deutschland (AfD) Niedersachsen.

Bildunterschrift: Jens Ahrends (AfD).

Bildunterschrift: Stefan Wirtz, AfD.

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Blick nach Rechts, 23.09.2020:

AfD: Jörg Meuthens Schlappen-Serie

Von Rainer Roeser

Der Name seines Intimfeinds Andreas Kalbitz ist zwar erst einmal aus den Schlagzeilen verschwunden. Doch abgesehen davon gestalteten sich die letzten Wochen für den AfD-Chef Meuthen alles andere als gut.

Seine Parteifreunde in Sachsen-Anhalt bescherten dem AfD-Bundessprecher Jörg Meuthen am vorigen Wochenende einmal mehr schlechte Nachrichten. Die rund 550 Mitglieder, die zum Parteitag nach Dessau-Roßlau gekommen waren, wählten einen neuen Vorstand, der ihm nicht gefallen kann. Der Bundestagsabgeordnete Martin Reichardt - fest in den "Flügel"-Strukturen verankert, ehe sich die Rechtsaußen-Gruppe für aufgelöst erklärt hatte - wurde mit einer fast 91-prozentigen Zustimmung als Vorsitzender bestätigt. 85 Prozent votierten für seinen neuen Stellvertreter Hans-Thomas Tillschneider - auch er festes Inventar bei Veranstaltungen des "Flügels". Einst hatte er gar die "Patriotische Plattform" geleitet, die stets noch eine Spur verbalradikaler auftrat als die Riege um Björn Höcke und Andreas Kalbitz.

Auf lediglich 56 Prozent der abgegebenen Stimmen kam der andere Landesvize: Kay-Uwe Ziegler, der zumindest in der Vergangenheit eher im Lager der nach AfD-Maßstäben "Gemäßigteren" vermutet wurde. Eine Absprache im Vorfeld hatte seine Wahl möglich gemacht. Reichardt setzte für den Vorstand, dem künftig ausschließlich Männer angehören, sein Wunschpersonal durch.

"Eine Schlacht epischen Ausmaßes"

Leute wie Christian Hecht, Kreisvorsitzender im Harz und Meuthen-Anhänger, gehören nicht dazu. Kurz vor dem Parteitag rüstete er in einem internen Chat quasi zum finalen Kampf: "Packt den Feldspaten ein. Wir ziehen in eine Schlacht epischen Ausmaßes und es verspricht bereits jetzt schmutzig zu werden." Es stünden "Wahrheit gegen Lüge" und "Aufrichtigkeit gegen Intrige". Als über das Amt des stellvertretenden Schriftführers abgestimmt wurde, standen 161 Mitglieder hinter ihm; hinter seinem Gegenkandidaten jedoch 313 - Spaten hin, Spaten her.

Vergangenheit sein dürften mit dem Parteitag vom Sonntag die Zeiten, da Reichardt im eigenen Vorstand in wichtigen Fragen schon einmal in die Minderheit geriet. Ab und an passierte es ihm in den letzten zwei Jahren - etwa beim Ausschlussantrag gegen "Flügel"-Mann Frank Pasemann. Vorbei sein dürften auch die Zeiten, da umgekehrt eine Mehrheit des Vorstands einen Meuthen-Anhänger vor einem Ausschlussverfahren im Ergebnis sogar schützte. Bei Landesschiedsgerichtspräsident Peter Günther war das nach einem "Spiegel"-Bericht der Fall gewesen.

Pleite bei Kommunalwahl

Der Landesvorstand hatte ihm lediglich eine "Verwarnung" erteilt, nachdem Günther via Facebook antisemitische Verschwörungsideologien verbreitet und unter anderem geschrieben hatte, Kanzlerin Angela Merkel, die eigentlich Jüdin sei, wolle den "Hooton-Plan" durchsetzen, sprich: die deutsche Bevölkerung gegen Ausländer austauschen. Günthers Heimat-Kreisverband in Magdeburg hatte ein Parteiausschlussverfahren verlangt und erklärt, der oberste Schiedsrichter auf Landesebene füge mit seinen Behauptungen der Partei "vorsätzlich schweren Schaden zu". Doch mit der Verwarnung ist ein Ausschlussverfahren offenbar erst einmal vom Tisch. Derlei Nachsicht im Umgang mit Meuthen-Anhängern ist künftig in Sachsen-Anhalt nicht zu erwarten. Der Parteitag in Dessau-Roßlau zeigte, dass ein ohnehin schon rechts außen stehender Landesverband noch weiter nach rechts rücken kann.

Am Wochenende zuvor musste Meuthen gleich zwei Rückschläge hinnehmen. Da war am 13. September das dürftige AfD-Ergebnis bei den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen. Nur mit Mühe und Not hatte der Landesverband, dessen Vorsitzender sich rühmt, er habe die Anti-"Flügel"-Aktivitäten in der Bundespartei eigentlich initiiert, die Fünf-Prozent-Marke übertroffen. Die Wahlschlappe an Rhein und Ruhr lasten seine Gegner nicht nur Landeschef Rüdiger Lucassen an, sondern auch ihrem Bundessprecher Meuthen.

"Flügel"-Mann übernimmt Niedersachsen

Wichtiger noch als Parteitage in Sachsen-Anhalt oder Kommunalwahlergebnisse im einwohnerreichsten Bundesland könnte jedoch werden, was sich tags zuvor in Braunschweig ereignet hatte. Dort wählten die niedersächsischen Mitglieder "Flügel"-Mann Jens Kestner zum neuen Landeschef. Meuthen-Anhängerin und Amtsinhaberin Dana Guth musste die Segel streichen. Zwar fiel das Wahlergebnis mit 278 Stimmen für Kestner und 248 Stimmen für Guth vergleichsweise knapp aus. Doch die - im Vergleich zu Meuthen - radikaleren Kräfte bewiesen, dass sie auch in der Nach-Kalbitz-Ära in der Lage sind, in einem westdeutschen Flächenland die Macht zu übernehmen. Guth-Anhänger sind im neuen Vorstand nicht mehr vertreten.

Kestner forderte, die AfD müsse "politischer werden". Die Partei solle "auf die Straße und in die Säle ziehen". Lethargie und Stagnation müssten beendet werden. Das richtete sich vordergründig gegen Guth. Meuthen freilich durfte sich ebenfalls gemeint fühlen.

Video mit fiktiver Beisetzung Meuthens

Noch einmal eine Woche zuvor, am ersten Septemberwochenende, war der Machtkampf in Meuthens Heimat-Landesverband Baden-Württemberg eskaliert. Hintergrund war die Frage, ob gegen das Freiburger Stadtratsmitglied Dubravko Mandic ein Ausschlussverfahren eingeleitet werden sollte. "Flügel"-Anhänger Mandic hatte Meuthen regelmäßig beschimpft und beleidigt. Das Fass zum Überlaufen brachte ein von ihm veröffentlichtes Video mit einer fiktiven Beisetzung Meuthens, mit Mandic als einem der Sargträger. Eine Entscheidung der Stuttgarter Parteispitze war zunächst ausgeblieben.

Meuthen witterte den Versuch von Mitgliedern des Landesvorstands, ein Parteiordnungsverfahren bewusst verzögern zu wollen. In einer Mail an den Vorstand in Baden-Württemberg wetterte er: "Ich fühle mich, insbesondere durch eine ganze Reihe telefonischer Auskünfte diverser Landesvorstandsmitglieder in den vergangenen zwei Monaten, die ich im Nachhinein nur als Verschleierung des tatsächlichen Vorgehens des Landesvorstands interpretieren kann, entweder mit Vorsatz oder in Unkenntnis der tatsächlichen Vorgänge seitens der mich informierenden Landesvorstandsmitglieder getäuscht. Das eine wie das andere ist vollkommen inakzeptabel." Und um dem Ganzen noch mehr Gewicht zu verleihen, schickte er seine Mail gleich noch an alle Kreisverbände im Südwesten. Dass sein Wutausbruch prompt in den Medien landete, war die unvermeidliche Folge.

Nur zweijährige Ämtersperre für Mandic

Immerhin scheint seine Intervention die Entscheidungsfindung im Landesverband doch noch beschleunigt zu haben. Mit dem Resultat dürfte er aber weniger zufrieden sein. Für die Einleitung eines Ausschlussverfahrens fand sich im Landesvorstand keine Mehrheit, wie nun bekannt wurde. Stattdessen soll Dubravko Mandic nur mit einer zweijährigen Ämtersperre belegt werden.

Wie wenig Meuthens Wort in großen Teilen der Partei noch gilt, hatte der Bundessprecher schon Ende August erleben müssen. Am 29. August reisten zahlreiche AfDler zur Corona-Demonstration nach Berlin. Meuthen hatte zuvor von einem zu offensiven Auftreten der Partei abgeraten. Bei mehreren Treffen mit Spitzenfunktionären warnte er Medienberichten zufolge vor der "Querdenken"-Veranstaltung: Wenn man zur Teilnahme aufrufe, unterstütze man Reichsbürger, Rechtsextreme und Verschwörungstheoretiker.

Kurs auf Spaltung

Verhindern konnte er freilich nicht, dass Ko-Sprecher Tino Chrupalla, sein Vize Stefan Brandner oder Fraktionschefin Alice Weidel die Werbetrommel rührten. Verhindern konnte Meuthen auch nicht, dass am Tag der Demonstration um die 40 AfD-Bundestagsabgeordnete, zahlreiche Landtagsmitglieder und diverse Funktionäre der Partei öffentlich den Schulterschluss mit "Reichsbürgern", Antisemiten, offen Rechtsextremen, Esoterikern und Verschwörungsgläubigen aller Art praktizierten. Mit dabei waren auch viele, die man ansonsten an Meuthens Seite vermutet hätte.

Den Machtkampf mit Kalbitz mag er vorerst für sich entschieden haben - ob Meuthen den Streit in der AfD aber selbst politisch übersteht, scheint eine ganz offene Frage zu sein. Auch die jüngste Wendung in den nicht enden wollenden internen Auseinandersetzungen könnte zu seinen Lasten gehen: Am Dienstag verließ Dana Guth mit zwei Getreuen die niedersächsische Landtagsfraktion und sorgte damit für deren Ende. Die Zahl derer, die meinen, Meuthens Kurs führe geradewegs in eine Spaltung der Partei, dürfte eher wachsen.

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Rhein-Neckar-Zeitung Online, 23.09.2020:

Walldorf / "Böswilliges" Glockenläuten ließ "Querdenker" verstummen

23.09.2020 - 06.00 Uhr

Protest gegen Corona-Maßnahmen in der Stadtmitte - Zwei Gegendemos: Widerspruch von Antifa-Jugend und SPD-initiierter Kundgebung

Walldorf. (seb) Drei Demonstrationen fanden am Montagabend in Walldorfs Stadtmitte statt: eine der so genannten "Querdenker" auf der Drehscheibe, eine Gegendemonstration neben der evangelischen Kirche, bei der auch der evangelische Posaunenchor aufspielte, und ein spontaner Protest der Antifa-Jugend Walldorf.

"Genmanipulierende Zwangsimpfung: Nein", "Gib Gates keine Chance" und "DDR 2.0" stand auf Schildern und T-Shirts der rund 40 Demonstranten auf der Drehscheibe. Auf die Abstandsregel und die Notwendigkeit, sich in die Anwesenheitslisten einzutragen, wies Versammlungsleiter Ralph Bühler aus Nußloch eingangs hin.

"Jedes Leben zählt", erklärte Bühler: Seine Kritik gelte der Politik. "Wir stehen alle auf dem Boden des Grundgesetzes", jetzt fordere er, dass die Grundrechte nicht mehr eingeschränkt werden. "Wir sind keine Corona-Leugner, auch keine Impf-Gegner", ergänzte Bühler, "wir wollen selbst entscheiden und sind gegen Genmanipulation". Für die jetzigen politischen Entscheidungen "büßt die nächste und übernächste Generation", so Bühler, "es wird Geld gedruckt ohne Ende, man redet von Billionen". Mit Blick auf die Flüchtlingspolitik kritisierte er alle, die sagten "Wir haben Platz", das seien Worte "ohne Inhalt", wer sei denn dabei, wenn sie verteilt würden?

Auch die Wende zur Elektromobilität, zu Fahrzeugen "mit geringer Reichweite", interpretierte Bühler als Einschränkung von Freiheitsrechten. Die Corona-Krise werde für "die Abschaffung des Bargelds" vorgeschoben, meinte er, bald habe jeder einen "Chip unter der Haut wie in Schweden" und stehe "unter Vollkontrolle nach dem China-Modell".

Weitere Redebeiträge der "Querdenker" drehten sich um Kritik an der Politik, die in "unbegründeter Panik" aufs Virus reagiert habe: Die Gefährdung sei "nicht höher als bei der Grippe". Auch die Masken-Pflicht wurde ebenso wie Bewertungen durchs Robert-Koch-Institut in Zweifel gezogen. Medienkritik schloss sich an: "Da wird massiv gelogen." Das Glockenläuten - das die evangelische Kirche täglich um 7 und 19 Uhr erklingen lässt - fassten die "Querdenker" als böswillige Unterbrechung der Reden auf, Ralph Bühler beschimpfte die "Kinderschänder" der Kirche.

Die Antifa-Jugend skandierte "Verschwörungsmythen raus aus den Köpfen", auch "Ihr hängt mit Nazis rum" sang die 15-köpfige Gruppe lautstark. "Überlegt doch, mit wem ihr gemeinsame Sache macht": Die Sprecher auf der von der Walldorfer SPD-Gemeinderätin Elisabeth Krämer angemeldeten Gegendemonstration wollten diejenigen mit berechtigten Sorgen wegen der Corona-Einschränkungen getrennt wissen von denen, die solche Sorgen nur vorschieben. Vor gut 40 Personen kritisierte Andy Herrmann von der "Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes / Bund der Antifaschistinnen" Ralph Bühler als "rechten Aktivisten" und "Anhänger der AfD", der nur vorgebe, für demokratische Werte einzutreten.

Die Forderungen der "Querdenker" hätten zwar "halbwegs nachvollziehbare Aspekte wie die Kritik an der Einschränkung der Versammlungsfreiheit", seien aber durchmischt mit "antisemitischen Weltverschwörungstheorien und Geschichtsfälschung". Das "eigentliche Problem" sei "die vollkommene Distanzlosigkeit zu Reichsbürgern, Neonazis, Antisemiten, Rassisten und anderen Menschenfeinden".

"Weitgehend unproblematisch" verlief der Abend laut Peter Albrecht, Leiter des Wieslocher Polizeireviers. Bis auf eine Beleidigung, die Konsequenzen habe: Im "Überschwang der Gefühle" habe einer der Antifa-Jugendlichen Ralph Bühler als Nazi bezeichnet. Albrecht kritisierte, dass bei den "Querdenkern" bis auf die Ordner niemand Mund-Nasen-Bedeckungen trug. Die Polizei hatte anfangs die drei Demonstrations-Gruppen voneinander getrennt. Eine gewisse Distanz hielt man für wichtig, andererseits sehe das Versammlungsrecht ausdrücklich "Sicht- und Hörweite" vor.

Bildunterschrift: Die Antifa-Jugend Walldorf startete eine der beiden Gegendemonstrationen.

Bildunterschrift: Auf der Drehscheibe in Walldorf demonstrierten "Querdenker" gegen die Corona-Maßnahmen.

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