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Neue Westfälische - Paderborner Kreiszeitung , 06.07.2020 :

Vom Schicksal der Kriegsgefangenen

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges erreichen ehemalige Stalag-Gefangene das Auguste-Viktoria-Stift / Sie sind schwer krank und werden den Sommer nicht überleben / Ein Obelisk erinnert heute an ihre Geschichte

Klaus Karenfeld

Bad Lippspringe. Sommer 1945: Der Zweite Weltkrieg ist seit drei Monaten offiziell beendet. Doch das Leiden vieler Menschen geht weiter. In Bad Lippspringe wird das Auguste-Viktoria-Stift vor genau 70 Jahren zum Sterbehospiz für 85 ehemalige sowjetische Kriegsgefangene. Die Todesursache: Lungentuberkulose. "Die Männer machten auf uns einen ziemlich heruntergekommenen Eindruck bei ihrer Ankunft Anfang Mai. Die meisten waren sehr geschwächt, schlecht genährt und offensichtlich schwer lungenkrank", erinnerte sich Hedwig Platetta, damals Büroangestellte im Auguste-Viktoria-Stift noch Jahrzehnte später.

Ende April 1945, also nur kurz zuvor, hatten die Amerikaner die Krankenhausleitung mit der Anweisung überrascht, das Anstaltsgebäude innerhalb von nur zwei Tagen vollständig zu räumen. Der Platz werde dringend für geschätzte 560 kranke russische Soldaten benötigt, die sich noch im ehemaligen Kriegsgefangenenlager Stalag 326 (VI K) bei Stukenbrock aufhielten.

Quasi über Nacht musste daraufhin eine unbekannte Zahl deutscher Patienten in ein behelfsmäßig hergerichtetes Barackenlager in Schloß Neuhaus gebracht werden. "Ohne Rücksicht auf den Gesundheitszustand", wie ein Augenzeuge beklagte. Ein kleiner Teil der Patienten kam in anderen Sanatorien und Heilstätten in Bad Lippspringe unter.

Mit jedem Transport, der die kranken Russen von Staumühle ins Auguste-Viktoria-Stift brachte, wuchsen die Probleme vor Ort. Das Haus sei bald "enorm überbelegt gewesen", heißt es in dem bereits erwähnten Augenzeugenbericht weiter.

Für die Toten standen zunächst keine Särge zur Verfügung

Das habe zu Streitereien nicht nur unter den Patienten geführt. Demgegenüber wird das Verhältnis zwischen den russischen Ärzten und dem Krankenhauspersonal als insgesamt einvernehmlich-vertrauensvoll beschrieben. Ein Indiz dafür mag gewesen sein, dass "der russische Chefarzt alle deutschen Mitarbeiter an der guten Verpflegung teilhaben ließ, die von den Amerikanern geliefert wurde", so der Augenzeugenbericht.

Trotz intensiver medizinischer Bemühungen auch des deutschen Ärzte- und Pflegepersonals starben bis in den Spätsommer 1945 insgesamt 85 russische Patienten an Lungentuberkulose. Da zunächst keine Särge zur Verfügung standen, wurden die Toten in weiße Betttücher gewickelt und mit einem Militärlastwagen zum Ehrenfriedhof im Bad Lippspringer Kurwald gebracht. In den folgenden Tagen verließen der russische Chefarzt, sein Mitarbeiterstab und viele noch schwer kranke Patienten das Auguste-Viktoria-Stift. Ihnen war gesagt worden, es gehe zurück in die Heimat.

Kleine Holztafeln versehen mit einem Sowjetstern, auf denen der jeweilige Name des Verstorbenen, das Herkunftsland und der Todestag vermerkt waren, erinnerten in den folgenden Jahren an die im Auguste-Viktoria-Stift verstorbenen Soldaten. Die Tafeln wurden später durch Grabplatten ersetzt.

Geblieben ist ein 1,50 Meter hoher Obelisk mit kyrillischer Inschrift, auf dem (übersetzt) geschrieben steht: "Hier liegen 85 sowjetische Bürger begraben, die in faschistischer Gefangenschaft umgekommen sind. 1941 - 1945."

Bildunterschrift: Das Auguste-Viktoria-Stift in Bad Lippspringe wurde nach Kriegsende 1945 zum Hospiz für sowjetische Kriegsgefangene.

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