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Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt , 10.04.2020 :

Der Künstler aus der Waldschlucht

Stadtgeschichte: Der Expressionist Herbert Ebersbach übersteht das Konzentrationslager und die Vernichtung seiner Werke / Im so genannten Malerhaus in Wistinghausen schafft er später großartige Bilder

Horst Biere

Oerlinghausen. Es muss der Schock seines Lebens gewesen sein, damals im Herbst 1934. Herbert Ebersbach, ein 32-jähriger Künstler, kommt nach einem Jahr aus dem Konzentrationslager Burg Hohnstein in Sachsen zurück nach Hause und stellt fest, dass seine Mutter und sein Bruder sein Werk, etwa 100 Bilder, verbrannt haben. Die Nazis hatten den bekannten Expressionisten aus Dresden - als "entarteten Künstler" und auch, weil er mit den Kommunisten sympathisierte, - inhaftiert und schwer misshandelt. Nun, zurück aus dem Konzentrationslager, steht er vor dem Nichts. Sogar seine Familie hat sich gegen ihn gestellt.

Sechs Bilder kann Herbert Ebersbach retten, mit ihnen zieht er nach Bielefeld, weil einige frühere Malerfreunde ihm dort eine Unterkunft besorgt haben. Der Bielefelder Bäckermeister Wilhelm Kölker gibt Ebersbach eine kleine Wohnung hinter seiner Backstube an der Breiten Straße. Mit ihm ist der Maler lebenslang freundschaftlich verbunden. Doch es geht auch künstlerisch wieder aufwärts, denn die Bielefelder Kunst-Szene und auch die Obrigkeit sind offenbar liberaler eingestellt und helfen Herbert Ebersbach, wieder Fuß zu fassen.

Der erste Erfolg stellt sich ein, als das Städtische Kunsthaus in Bielefeld seine "Sennelandschaft" erwirbt. Die Senne scheint den Maler zu inspirieren, wohl auch, weil man ihm einen Raum zum Malen in einem Kotten auf dem Stauhof in Lipperreihe (heute ein Pferdehof) überlässt. Und auch privat geht es ihm wieder besser, in seinen Kunstkreisen lernt er die junge Elsa Dicke aus Brackwede kennen, die beiden heiraten kurz darauf. Drei Kinder sollten im Laufe der Jahre hinzukommen.

Selbst im eher freiheitlichen Bielefeld setzen sich die braunen Machthaber immer mehr durch und beginnen mit "Säuberungsaktionen" in der Kunst-Szene. Aus dem Kunsthaus entfernt man nicht nur Ebersbachs "entartete" Sennelandschaft, sondern auch Werke von Peter August Böckstiegel, Emil Nolde und Hermann Stenner. Mit Gelegenheitsarbeiten schlägt sich Herbert Ebersbach durch. Als man ihn während der Kriegszeit dienstverpflichtet, hat er es wieder mit Farben zu tun: Bei Benteler spritzt er Kanonen mit Nitrolacken an.

Beim Straßenbau und mit Feldarbeit verdient er sich in den kargen Nachkriegsjahren ein wenig Geld, um die Familie, die mittlerweile in Stieghorst wohnt, über Wasser zu halten. An der ersten Gruppenausstellung in der Oetker-Halle 1946 ist Herbert Ebersbach bereits mit Stillleben und ersten Landschaftsbildern vertreten. Der Einstieg in ein geordnetes bürgerliches Leben mit festem Einkommen gelingt aber erst viele Jahre später. Ab 1957 tritt Herbert Ebersbach als Kunsterzieher in den Schuldienst ein und unterrichtete bis zu seinem 65. Lebensjahr an mehreren Bielefelder Schulen.

Einen der größten Schritte in seiner künstlerischen Entwicklung macht er, als er ein Atelier in der Wistinghauser Schlucht in Oerlinghausen findet. Von einem Bekannten wird Ebersbach auf den kleinen, versteckt gelegenen Sandsteinkotten aufmerksam gemacht, der auf dem Gebiet des Gutes Wistinghausen liegt.

Gutsbesitzer stellt entlegenen Kotten als Atelier zur Verfügung

Mit Theodor Haniel, dem Besitzer des Gutes, wird er sich schnell einig. Der Gutsbesitzer liegt offenbar - was Kunstgeschmack betrifft - auf der Eberbachs Wellenlänge. Kostenlos stellte Haniel ihm das verfallene Haus als Atelier zur Verfügung. Mit Hilfe seiner Familie renoviert Ebersbach über Jahre hinweg das Haus, in dem es aber nicht einmal Strom gibt.

"Die meisten seiner erhaltenen und bekannten Werke entstanden in dieser Atelier-Zeit, die etwa 1960 begann und bis 1982 dauerte", sagt sein Sohn Ludwig Ebersbach, der heute in Lipperreihe lebt. Als "freundlichen, hilfsbereiten und gastfreundlichen Menschen" beschreibt er seinen Vater, der allerdings nicht sehr kontaktfreudig gewesen sei. Oft fährt Ludwig Ebersbach von der Bielefelder Familienwohnung mit dem Fahrrad über Helpup und die Schotterstraße hinauf zu den Eltern in der Wistinghauser Schlucht.

In dem einsam gelegenen Haus muss viel improvisiert werden: "Unser Gas fürs Licht und zum Kochen bekamen wir in Flaschen aus der Eisenwarenhandlung Bremer in Oerlinghausen, fließendes Wasser gab es durch eine Leitung von der Sachsenquelle etwas oberhalb." Ludwig Ebersbach: "Aber der alte Kohleofen im Atelier strahlte Gemütlichkeit aus."

Herbert Ebersbach zieht häufig mit einer Schubkarre voller Malutensilien in die Umgebung, zuweilen wird er von seiner Frau Elsa begleitet. Leuchtende Landschaftsbilder des Teutoburger Waldes und der Oerlinghauser Senne entstehen in der freien Natur, manchmal malt er seine Bilder im Atelier weiter. Die Motive entwickelt er in expressionistischer Manier: Naturgemälde mit intensiver Farbprägung, manche Bäume zeigt er im Wandel der Jahreszeiten. Aber auch Blumenstillleben und Porträts bestimmen seine Malerei. In seiner Familie erinnert man sich an den Ausspruch des Künstlers: "Farben müssen leuchten und Brillanz haben."

1984 stirbt Herbert Ebersbach im Alter von 82 Jahren, ohne den großen Durchbruch geschafft zu haben. Vor etwa einem Jahrzehnt entdeckt die Kunsthistorikerin Christiane Reipschläger sein Werk und beginnt - auch mit Hilfe seiner Enkelin Juliane Klinksiek-Ebersbach - nach seinen etwa 400 Bildern zu recherchieren und sie zu katalogisieren. Mit einer großen Ausstellung im Kunstmuseum Ahlen (Westf.) gelingt es Christiane Reipschläger im Jahre 2014 schließlich, das Gesamtwerk des Künstlers und vor allem seine Werke aus der Oerlinghauser Schaffenszeit, "zurück ins Licht der Öffentlichkeit zu holen".

Sie beschreibt ihn in einem üppigen Bildband als "Expressionisten der zweiten Generation" und fasst zusammen: "Herbert Ebersbach hätte gern mehr ausgestellt, aber er hatte kein Talent, sich selbst zu vermarkten. Doch er lebte für die Malerei."

Bildunterschrift: Das fast zugewachsene "Malerhaus" in der Wistinghauser Schlucht. Seit Anfang der 80er Jahre steht es leer.

Bildunterschrift: Herbert Ebersbach in den 50ern. Über mehrere Jahre hinweg haben er und seine Familie das Haus zu einem Atelier umgebaut.

Bildunterschrift: Der alte Oerlinghauser Segelflugplatz in der Heide. Das Gemälde zeigt die Fliegerkuppen im Hintergrund.

Bildunterschrift: Starke, expressive Farben beherrschen Eberbachs Werke. Seine Landschaftsbilder vom Teutoburger Wald und aus der Senne fanden große Beachtung.

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www.oerlinghausen.de/de-wAssets/docs/Erinnerungsbuch_NS-Opfer_Oerlinghausen_dritte_Ausgabe_2019.pdf

10.-13.04.2020

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