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Neue Westfälische - Zeitung für das Lübbecker Land , 28.03.2020 :

Als der Terror die Herrschaft übernahm

1.000 Jahre sollte es währen, das Dritte Reich / Zwölf Jahre herrschte in Deutschland der Nazi-Terror / Im Lübbecker Land saßen die Nazis früh ganz fest im Sattel / Vor 75 Jahren endeten das Regime und der Zweite Weltkrieg / Daran erinnert die NW im 1. Teil ihrer Serie

Joern Spreen-Ledebur

Lübbecker Land. Es war der Abend des 30. Januar 1933. Kolonnen von SA-Männern, Angehörige der so genannten Sturmabteilungen der NSDAP, marschierten mit Fackeln durch das Brandenburger Tor in Berlin. Huldvoll winkte ihnen Adolf Hitler zu, der an diesem Tag zum deutschen Reichskanzler ernannt worden war.

Die braunen Horden in Berlin und in vielen anderen Städten und Dörfern im damaligen Deutschen Reich sangen das Horst-Wessel-Lied, die Partei-Hymne der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP). Sie sangen auch "Nun zittern die morschen Knochen", getextet von Hans Baumann. In dem faschistischen Liedtext ist von Kampf die Rede. "Und liegt vom Kampfe in Trümmern die ganze Welt zuhauf, das soll uns den Teufel kümmern, wir bauen sie wieder auf", heißt es in der zweiten Strophe.

Zwölf Jahre später lag die Welt in Trümmern. Millionen Menschen waren getötet worden. Im Krieg und von den Nazis ermordet. Die Nazis hatten das verantwortet. Sie aber bauten die Welt, die in Trümmern lag, nicht wieder auf.

Führende Repräsentanten des NS-Terror-Regimes standen in Nürnberg wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor dem internationalen Tribunal, andere hatten sich wie Adolf Hitler, Propaganda-Chef Joseph Goebbels oder SS-Chef Heinrich Himmler durch Selbstmord der Verantwortung entzogen.

Nach zwölf Jahren Nazi-Herrschaft langen weite Teile der Welt in Trümmern. Rund sechs Millionen Menschen jüdischen Glaubens waren von den Nazis umgebracht worden. Die jüdischen Gemeinden im damaligen Landkreis Lübbecke existierten nicht mehr.

Die Nazis hatten Menschen mit Behinderungen umgebracht und einen Angriffskrieg entfesselt, bei dem vor allem die damalige Sowjetunion einen hohen Blutzoll entrichten musste. Die Grenzen im zerstörten Europa wurden 1945 neu gezogen. Millionen Deutsche waren wegen Flucht und Vertreibung aus ihrer Heimat östlich von Oder und Neiße Hitlers letzte Opfer. Viele fanden im heutigen Espelkamp eine neue Heimat.

Kunstmaler als "glühender Kämpfer für die Sache Hitlers"

Die Nazi-Funktionäre hatten im April 1945 schon das Weite gesucht. Auch der Lübbecker Kreisleiter Ernst Meiring, der Andersdenkende schikaniert und verfolgt hatte, tauchte unter. Zu den Andersdenkenden gehörte etwa der Lübbecker Sozialdemokrat Karl Haddewig, der 1944 im Lager in Lahde (Weser) ums Leben kam. Es sollte sechs Jahrzehnte dauern, bis die Stadt Lübbecke eine Straße nach Karl Haddewig benannte.

Ernst Meiring tauchte unter, als am 4. April 1945 Levern brannte und am Abend jenes Tages viele Menschen und Tiere tot waren. Am gleichen Tag rückten die Briten in Lübbecke ein. Lübbecke blieben als offener Stadt Kämpfe erspart. Meiring flüchtete ins Sauerland, lebte dort drei Jahre unter falscher Identität. Dann gab es 1948 eine Amnestie für Faschisten mit falscher Identität.

Meiring meldete sich, hatte mit dem früheren Nazi-Landrat Kurt von Borries einen Fürsprecher und büßte nicht einen Tag hinter Gittern für seine Taten. Zumal auch in der jungen Bundesrepublik viele Richter mit brauner Vergangenheit den Nazi-Korpsgeist wahrten und gegen Staatsanwälte wie Fritz Bauer aus Frankfurt, der durch die Auschwitz-Prozesse bekannt wurde, intrigierten. Mit dem Fall Meiring hat sich Walter Seger intensiv befasst, der gebürtige Lübbecker schrieb dazu ein Buch.

Im Frühjahr 1933 war das Lübbecker Land fest in der Hand der Nazi-Verbrecher. Die Ortschaft Drohne konnte es kaum abwarten und bot Adolf Hitler die Ehrenbürger-Würde an. Drohne, so hieß es im Frühjahr 1933 in der gleichgeschalteten Presse, sei eine der ersten Ortschaften in der Provinz Westfalen, die dem so genannten "Führer" diesen Titel antrugen. Diese Ehrenbürgerschaft wurde erst vor wenigen Jahren offiziell aufgehoben.

Auch Rahden hat einen Ehrenbürger mit Nazi-Vergangenheit. Kunstmaler Professor Carl Langhorst wurde 1867 in der heutigen Marktschänke geboren und wurde an Fürstenhöfen als Maler geschätzt. Im April 1933 bezeichnete sich Langhorst selbst in einem Bericht des damaligen Rahdener Wochenblattes "als langjährigen glühenden Kämpfer für die Sache Adolf Hitlers". Langhorst dichtete SA-Lieder und rühmte sich, Hitler zu dessen Geburtstag am 20. April 1933 ein "Bildnis der Mutter des Führers" geschenkt zu haben.

Die Ehrenbürger-Würde von Carl Langhorst wurde nie aufgehoben, aus Sicht der Stadt endete sie mit dem Tod des Kunstmalers. Die Professor-Langhorst-Straße gibt es in Rahden bis heute - ebenso wie die Carl-Diem-Straße. Benannt nach einem NS-Sportfunktionär, der für die Olympiade 1936 in Berlin übrigens den bis heute bei allen Olympiaden gebräuchlichen Lauf mit der im antiken Olympia entzündeten Fackel zum Ort der Spiele initiierte.

In Rahden erinnern mittlerweile vor zahlreichen Häusern Stolpersteine an die Bürger jüdischen Glaubens, die hier einst lebten und von den Nazis umgebracht wurden. Auf Initiative des Arbeitskreises "Jüdisches Leben in Rahden" verlegte Künstler Gunter Demnig im November 2015 die ersten 16 Stolpersteine.

Wichtige Vorarbeit hatte viele Jahre zuvor die Geschichtswerkstatt der damaligen Hauptschule Rahden um Lehrerin Ursula Esther-Hartke geleistet. Sie hatte 1995 / 1996 gemeinsam mit den Jugendlichen die Spuren der einstigen Jüdischen Gemeinde gesucht und in dem schon lange vergriffenen Heft "Sie lebten mitten unter uns" aufgeschrieben.

Anfang 1933 lebten in Rahden noch 62 Bürger jüdischen Glaubens. In Lübbecke wurde die Synagoge am 9. November 1938 von den Nazis niedergebrannt. Die Rahdener Synagoge brannte am folgenden Tag. Der Überlieferung nach sollen die Kirchenglocken geläutet haben, als 1942 die letzten Rahdener jüdischen Glaubens in die Vernichtungslager deportiert wurden.

Ein Pfarrer verweigerte mutig den Hitlergruß

Auch Richard Frank und sein Sohn Hans gehörten zu denen, die verhaftet und deportiert wurden. Vater und Sohn überlebten wie durch ein Wunder die Mordmaschinerie der Nazis. Peter Weidenbaum musste Rahden zusammen mit seinen Eltern im Jahr 1937 verlassen. Zum ersten Mal nach 79 Jahren hatte Peter Weidenbaum im November 2016 wieder vor seinem Elternhaus gestanden - anlässlich der Verlegung weiterer Stolpersteine.

Das rassistische, völkisch-nationale Gedankengut der Nazis hatte die Menschen auch im Lübbecker Land früh vergiftet. Die Hitler-Faschisten saßen fest im Sattel. Schloss Haldem, einst zu Zeiten der Mindener Bischöfe als Rittergut gebaut, wurde 1936 zur Gebietsführerschule "Langemarck" der Hitler-Jugend. Überlieferungen zufolge sollen die NS-treuen "Deutschen Christen" sich wiederholt in der Haldemer Heilig-Kreuz-Kapelle getroffen haben.

Kein Freund der Nazis war der Leverner Pfarrer Theodor Olpp. Eine seltene Biografie in jenen Tagen. Er hatte 1935 den Hitlergruß während des Konfirmandenunterrichts verweigert und wurde denunziert. Daraufhin war Olpp von der Gestapo verhaftet und aus dem Regierungsbezirk Minden ausgewiesen worden. Zudem erhielt Olpp Redeverbot. Daran änderte auch eine Unterschriftenaktion nichts, an der sich fast alle Gemeindeglieder beteiligten.

Im Jahr 1938 begann im Wiehengebirge hoch über Lübbecke der Bau der Gau-Schulungsburg. Viele Bürger leisteten dabei freiwillig Arbeitsstunden. Als die Gau-Schulungsburg dann im Sommer 1939 mit großem Getöse eingeweiht wurde, war der Kriegsausbruch nur noch wenige Wochen entfernt.

Bildunterschrift: Im alten Zustand: Der von Heinrich Bünemann gestaltete Speisesaal im Lübbecker Church House, der früheren NS-Gau-Schulungsburg, habe anders als von manchen vermutet nichts mit einem Schiff zu tun, sagt Bünemanns Tochter. Die Architektur orientiere sich vielmehr an der von westfälischen Bauernhäusern.

Bildunterschrift: Walter Seger hat sich mit der Geschichte Lübbeckes in der Nazi-Zeit befasst.

Bildunterschrift: Reichlich Fahnen und Uniformen: Zu den Rednern bei der Einweihung der Gau-Schulungsburg Lübbecke im Juni 1939 gehörten neben Gauleiter Alfred Meyer und Kreisleiter Ernst Meiring auch weitere Vertreter der Nazi-Partei. Zu den Rednern zählte auch Reichsschulungsleiter Friedrich Schmidt aus München - hier am Rednerpult.

Bildunterschrift: Das alte Rittergut Haldem ist heute eine Einrichtung des Maßregelvollzugs. Von 1936 bis 1945 war es Sitz der Gebietsführerschule "Langemarck" der Hitlerjugend.

Bildunterschrift: Seltene Aufnahme: Nicht viele Fotos existieren von der 1852 errichteten Synagoge in Rahden. Der massive Bau schließt sich auf der linken Straßenseite an das ehemalige Polizeihaus und den Vorgängerbau des Amtshauses an. Die Synagoge wurde am 10. November 1938 von den Nazis niedergebrannt.

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Neue Westfälische - Zeitung für das Lübbecker Land, 28./29.03.2020:

NW-Serie: Als der Nazi-Terror herrschte

Lübbecker Land. Zwölf Jahre herrschte in Deutschland der Nazi-Terror. Im Lübbecker Land saßen die Nazis fest im Sattel. Vor 75 Jahren endeten das Regime und der Zweite Weltkrieg.

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28./29.03.2020

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