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Neue Westfälische - Zeitung für das Lübbecker Land , 22.02.2020 :

23 Bürger stehen auf Feindesliste von Rechtsextremen

Festgenommene Terror-Verdächtige im Raum Minden zeigen: Die Fäden rechtsextremer Netzwerke ziehen sich auch durch den Mühlenkreis / Die Spur einer sichergestellten Todesliste führt bis ins Lübbecker Land

Frank Hartmann

Lübbecker Land. Rund 24.500 Kontaktdaten von politischen Gegnern umfasst eine bei Razzien 2017 und 2018 von Sicherheitsbehörden sichergestellte Namensliste des rechtsextremen Netzwerks "Nordkreuz". Ganz überwiegend handelt es sich um Daten von Personen aus dem linken politischen Spektrum. Die meisten von ihnen sollen sich positiv über Flüchtlinge und Asylsuchende geäußert haben und Kunden eines Punkrock-Versandhandels gewesen sein. Dessen Datenbestand hatten Rechtsextreme 2015 gehackt. Auf der Personenliste, die der NW Lübbecke vorliegt, befinden sich auch 23 Namen, Anschriften, Telefonnummern und E-Mail-Adressen von Männern und Frauen aus dem Lübbecker Land.

Nordkreuz hat den Verfassungsschutz auf sich aufmerksam gemacht. Unter anderem, weil die Mitglieder Waffen und Munition gesammelt und Leichensäcke und Löschkalk bestellt hatten. Von den 23 Personen auf der Nordkreuz-Feindesliste stammen 7 aus Lübbecke, 5 aus Stemwede, 4 aus Espelkamp, 3 aus Pr. Oldendorf, 3 aus Rahden, 1 aus Hüllhorst.

Attraktiv für Waffen-Narren und Verschwörer

Nach Einschätzung von Ermittlern planten die Nordkreuzler, ehemalige Elite-Soldaten der Bundeswehr und SEK-Polizisten, politische Feinde gezielt zu töten. Diesen Verdacht haben zwei Vernehmungen eines Nordkreuz-Angehörigen durch das Bundeskriminalamt erhärtet. Die militanten "Prepper" besorgten sich Passierscheine der Bundeswehr und wollten nur noch diejenigen passieren lassen, die nicht auf ihrer "Todesliste" standen. Prepper bereiten sich akribisch auf mögliche Krisen, Kriege und Naturkatastrophen vor, da sie bezweifeln, dass die staatliche Krisenvorsorge in solchen Fällen funktioniert. Die Prepper-Szene gilt als attraktiv für Waffen-Narren und Verschwörungstheoretiker.

Es ist nicht das erste Mal, dass das Lübbecker Land im Zusammenhang mit Extremisten steht. Vor wenigen Wochen ging aus einer Antwort der NRW-Landesregierung hervor, dass im Mühlenkreis 81 Reichsbürger und "Selbstverwalter" ansässig sind. Davon leben in Espelkamp 6, in Hüllhorst, Pr. Oldendorf und Stemwede jeweils 4, in Rahden 3 und in Lübbecke 2. Einige der Reichsbürger im Kreisgebiet, die die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen und den demokratisch gewählten Repräsentanten die Legitimation absprechen, besaßen Waffen oder besitzen sie noch immer. Darunter ein Mann aus Stemwede.

Immer wieder fallen Hakenkreuze im Lübbecker Land auf. Etwa in Espelkamp als Schmiererei an einer Hauswand der historischen Gaststätte "Sudetenland", heute "Santorini", und im Aufzug eines Mietshauses, in dem ein Mitglied der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (DITIB) wohnt. Aber auch ergänzt um ausländerfeindliche Sprüche an einem Container vor dem Kindergarten an der Straße Eickhof in Hüllhorst sowie eingeritzt in das Kriegerdenkmal aus dem Ersten Weltkrieg in der Nähe des Jugendcafés Ilex. Auch das evangelische Gemeindehaus am Rahdener Kirchplatz war schon mit einem Hakenkreuz beschmiert.

Unvergessen bleiben die eindeutigen Drohungen im Internet-Portal des Abi-Jahrgangs des Wittekind-Gymnasiums in Lübbecke gegen das geplante PZ-Festival. Nur durch konsequentes Einschreiten und umsichtiges Handeln verhinderten Polizei, Staatsschutz-Beamte, Ordnungsamt der Stadt Lübbecke sowie Schüler und Lehrer des Wittekind-Gymnasiums, dass das Rock-Konzert im Pädagogischen Zentrum der Schule von Rechtsextremisten heimgesucht wurde. Unter einem Pseudonym hatte der mutmaßliche Verfasser angekündigt, mit einer "Division" anrücken zu wollen, um dem "linken Dreck was auf die Schnauze zu hauen".

Anschläge auf Moscheen und Flüchtlinge

Nicht weniger konkret war die Gefahr, als unterhalb zweier Fenster in Espelkamp Feuer gelegt wurde. Betroffen waren Jalousien und Rahmen eines Containers für Asylbewerber am Hindenburgring. Die Staatsschutz-Abteilung des Bielefelder Polizeipräsidiums ermittelte.

Zuletzt ging es um geplante Anschläge auf Moscheen, Flüchtlingsunterkünfte und Politiker. Die werden unter anderem Verdächtigen aus dem Raum Minden von der Bundesanwaltschaft zur Last gelegt. Insgesamt zwölf Männer, die dem rechtsextremen Terrornetzwerk "Gruppe S." zugeordnet werden, sitzen zur Zeit in Untersuchungshaft.

Vor diesem Hintergrund ist die Gründung eines Bündnisses gegen Rechts in Lübbecke zu sehen, das derzeit vorbereitet wird. Es geht der Initiatorin unter anderem darum, Gesicht zu zeigen gegen die AfD, die bei der Kommunalwahl in die Rathäuser im Lübbecker Land und darüber hinaus einziehen will.

Gerade hat die AfD Minden-Lübbecke als "politische Alternative" einen Stadtverband in Bad Oeynhausen gegründet. Begründung: Menschen aus allen Schichten, Gruppen und Altersklassen hätten erkannt, "dass die AfD die letzte Chance zur Rettung unseres Landes ist".

Bildunterschrift: Skinheads, hier bei einem Neonazi Aufmarsch, sind leicht an ihren Glatzen zu erkennen. Das gilt aber nicht für alle Typen von Rechtsextremen, wenn sie beispielsweise auf bestimmte Kleidung und Nazi-Symbole verzichten.

Kommentar / Rechtsextremismus im Lübbecker Land

Null Toleranz

Frank Hartmann

Nicht erst seit den jüngsten Morden in Hanau frage ich mich entsetzt: Was ist los in diesem Land? Und damit schließe ich die rechtsextremistischen Vorfälle im Lübbecker Land und im Mühlenkreis ausdrücklich ein. Davon gab es in den vergangenen Jahren leider eine ganze Reihe.

Die staatlichen Behörden nehmen Hinweise wie die Hakenkreuz-Schmierereien und die Brandanschläge auf Asylbewerberheime in unserer Region ernst, der Staatsschutz ermittelt jedes Mal. Aber was ist mit uns Bürgern? Sind wir nach jeder neuen Tat wieder nur empört, betroffen, traurig - oder tun wir auch etwas, zeigen wir Zivilcourage?

Das Mindener Bündnis gegen Rechts, die Antifa und andere Gruppen mögen ihre Schwächen haben. Aber sie zeigen Gesicht, machen aufmerksam, organisieren Mahnwachen, demonstrieren.

Das verhindert keinen Anschlag. Aber es ermutigt hoffentlich andere Bürger, sich dem rechten Terror ebenfalls entgegenzustellen. Zumindest Augen und Ohren offen zu halten und verdächtige Personen oder Vorfälle der Polizei zu melden.

Am wenigsten Verständnis habe ich für Interpretationen wie "Dumme-Jungen-Streich", "Einzelfall" oder "überbewertet". Oder für Relativierungen und Vergleiche. Nein, jeder Vorfall ist einer zu viel und gehört angezeigt, verfolgt und bestraft. Wie für die Kriminalitätsbekämpfung muss auch in diesem Punkt gelten: Null Toleranz gegenüber Rassisten, Rechtsextremen, Antisemiten, wo immer wir sie antreffen. Allzu oft wohnen sie gleich nebenan.

frank.hartmann@nw.de

22./23.02.2020

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