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Zeit Online , 21.02.2020 :

Gruppe S.: Die heikle Rolle des V-Manns in der rechten Zelle

21.02.2020 - 16.20 Uhr

Die mutmaßlichen Rechtsterroristen der Gruppe S. flogen auf, weil die Ermittler einen V-Mann dabeihatten. Doch dessen Vergangenheit wird nun zum Problem.

Von Christian Fuchs, Astrid Geisler, Daniel Müller und Simon Schramm

Als Ernst Fäller* am 2. Oktober 2019 am Heidelberger Hauptbahnhof von der Bundespolizei kontrolliert wird, beginnt er zu schwitzen. Der Mann wirkt auf die Beamten nervös. Als die Polizisten ihn nach verbotenen Gegenständen fragen, gibt er zu, eine Schusswaffe mit sich zu führen. Es ist eine so genannte CO2-Pistole, durchgeladen und schussbereit, acht Schuss befinden sich im Magazin. Menschen kann man damit kaum töten, aber das Tragen der Waffe ist genehmigungspflichtig. Fäller hat keinen Waffenschein. Er ist auf Bewährung.

Als die Beamten die Waffe einkassieren, platzt es aus Fäller heraus: Er sei ein "Spitzel" des Landeskriminalamts. Sollen die Polizisten ihm das glauben? Sie konfiszieren die Waffe, lassen ihn aber seine Fahrt fortsetzen. Die Polizei leitet ein Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz ein.

Der untersetzte, klein gewachsene Mann, der beim Anblick zweier Bundespolizisten ins Schwitzen gerät, soll ein "Spitzel" sein? Nach Informationen der Zeit ist Fäller nicht nur das - er ist der entscheidende Informant des LKA Baden-Württemberg in den Ermittlungen gegen die mutmaßlich rechtsextreme Vereinigung Gruppe S. Diese soll Anschläge auf Moscheen in Deutschland geplant haben. Mehrere Kommandos hätten offenbar gleichzeitig in zehn Bundesländern zuschlagen sollen. Doch die mutmaßlichen Terror-Pläne wurden in der vergangenen Woche durchkreuzt.

Fast das halbe Leben hinter Gittern

Insgesamt zwölf Männer zwischen 31 und 60 Jahren wurden am Freitag der vorigen Woche in sechs Bundesländern festgenommen, unter ihnen ein Verwaltungsmitarbeiter der Polizei in Nordrhein-Westfalen. Vier von ihnen gelten der ermittelnden Bundesanwaltschaft als Mitglieder der rechten Zelle, die anderen acht als Unterstützer. Und dann zählen die Bundesanwälte noch einen weiteren Mann zu diesem Kreis: Ernst Fäller. Er ist der 13. Mann. Und der einzige, der nicht in Untersuchungshaft sitzt.

Fällers Rolle ist bislang nur in Umrissen bekannt - und birgt für die Ermittler ein Problem. Denn der Informant war nicht nur von Anfang an bei den mutmaßlichen Kriegsspielen der Rechtsradikalen dabei. Er soll auch auf Bildern in einer Art posiert haben, die man als Scharfmachen empfinden kann. Und er hat laut Gerichtsakten, die Die Zeit einsehen konnte, eine schwierige persönliche Vergangenheit, die daran zweifeln lässt, dass er ein guter Kronzeuge ist.

Fäller ist noch keine 50 Jahre alt und hat doch schon mehr als 20 Jahre in verschiedenen Gefängnissen, psychiatrischen Kliniken und Einrichtungen des Maßregelvollzugs verbracht. Die Hälfte seines Lebens. Das erste Mal wird er, der seinen Vater nie kennenlernte und von der Mutter an die Großeltern abgeschoben wurde, mit zwölf Jahren eingewiesen, nach seinem ersten Suizidversuch. Er sei damals sexuell missbraucht worden von einem Mann, der ihn dafür hin und wieder auch finanziell entlohnte, wie er später mehreren Gutachtern berichtete. So ist es in alten Gerichtsunterlagen dokumentiert.

Nach der Entlassung wird er von einem Heim ins nächste geschickt, zwischendurch wieder in die Psychiatrie eingewiesen, noch vor seinem 18. Geburtstag landet er auf dem Straßenstrich am Frankfurter Hauptbahnhof. Er bleibt dort fast sechs Jahre, nur unterbrochen von diversen Jugendstrafen, die er unter anderem in Wiesbaden absitzt.

Zwei Geiselnahmen in wenigen Jahren

Er bricht mehrere Ausbildungen ab, zum Maurer, zum Bäcker, zum Altenpfleger, einmal nach nur einer Woche. 1997, da ist er 25 Jahre alt, wird er wegen schwerer räuberischer Erpressung und der Geiselnahme eines Polizisten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Zugleich wird seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Bei der Geiselnahme hatte Fäller rund zwei Promille Alkohol im Blut. Ein Gutachter bescheinigt ihm eine schwere Borderline-Persönlichkeitsstörung.

Fäller führt in den Folgejahren ein Drehtür-Leben. Es geht vom Maßregelvollzug in die reguläre Strafhaft und zurück, immer hin und her. Einmal bricht er einem Mitgefangenen das Nasenbein, ein andermal verrät er bei der Leitung Mitgefangene, die ausbrechen wollen. Das ist sein erster bekannter Auftritt als Informant. 2002 nimmt er in einer forensischen Psychiatrie wieder Geiseln, um sich den Weg in die Freiheit zu erpressen.

Diese Tat verrät viel über die Persönlichkeitsstruktur von Fäller. Er plant den Übergriff laut alten Gerichtsdokumenten akribisch, will es aber aussehen lassen wie eine Impulstat. Er ruft kurz vor der Geiselnahme verschiedene Personen an, um den Eindruck zu erwecken, er sei verwirrt und suizidal. Im Laufe des Tages lässt er es auch mindestens fünfmal bei der nächstgelegenen Polizeistation klingeln und legt sofort wieder auf, wenn jemand abhebt - so will er später zeigen, dass er gezögert habe, dass er schwankte, unsicher war. Es ist ein ausgefeilter Simulationstrick, den das Gericht, das ihm eine "hohe organisatorische und manipulative Planung" attestiert, aber durchschaut. Und ihn wegen erpresserischen Menschenraubs zu weiteren sieben Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt. Obendrauf wird Jahre später noch ein pathologischer Narzissmus festgestellt. Fäller versickert im Maßregelvollzug.

Erst 2017 wird er entlassen, nachdem ein weiterer Gutachter die Diagnosen seiner Vorgänger kassiert hatte. Keinesfalls liege bei Fäller eine Borderline-Störung vor, nicht einmal die Kriterien einer Persönlichkeitsstörung seien erfüllt. Gleichwohl bescheinigt der Gutachter ihm eine "akzentuierte Persönlichkeit mit emotional-instabilen Zügen und dissozialen Prägungen". Fäller sei ein durchaus differenzierter Mann, der allerdings zu starken Stimmungswechseln neige. Mal depressiv verstimmt, mal ungestüm, hin und wieder suizidal, dann mit einem gewissen Hang zur Hysterie. Ein Mann, der sich gern als Rebell wider das System inszeniert, etwas eitel und insbesondere geltungsbedürftig.

Bis 2017 ist er nie durch politisch motivierte Kriminalität aufgefallen. Wie kann so einer in den innersten Zirkel einer mutmaßlichen rechtsextremen Terrorzelle vordringen? Und wie wurde aus ihm der Spitzel, als den er sich selbst bezeichnete?

Warum der Informant ein Risiko für die Ermittlungsbehörden ist

Dazu gibt es derzeit eine Reihe offener Fragen: Es ist noch unklar, wann das baden-württembergische Landeskriminalamt Ernst Fäller angeworben hat - oder ob er sich selbst angeboten hat. Und wurde er umgedreht, als er schon Teil des "harten Kerns" war, wie die Rechten sich in einem Chat selbst nennen?

Fest steht: Am 28. September treffen sich die 13 Männer, die behördenintern nach dem Anführer Werner S. als Gruppe S. firmieren, auf einer Grillwiese an der Vaihinghöfer Sägmühle in dem kleinen Örtchen Alfdorf im Schwäbischen Wald. Dem Generalbundesanwalt gilt dies nach Informationen der Zeit als Gründungstag des "harten Kerns". Wie der SWR erfuhr, habe Fäller bei diesem Treffen vor dem Rest der Gruppe martialisch mit einem Messer posiert. Nur wenige Tage später packte Fäller über seine Kameraden aus. Und blieb mindestens viereinhalb Monate weiter in der Gruppe.

Als dann der Kontakt der Ermittler zu ihrer Quelle über mehrere Tage abriss, fürchtete das LKA Baden-Württemberg offenbar um die Sicherheit des Mannes, hatte andererseits aber auch Sorge vor spontanen Taten des "harten Kerns". So erklärt sich die kurzfristig vollzogene Durchsuchungsaktion am vergangenen Freitag.

Von Zivilpolizisten abgeholt?

Fest steht auch: Mit Fäller gehen die Ermittlungsbehörden ein großes Risiko ein. Ein massiv vorbestrafter Straftäter, der fast sein halbes Leben im Gefängnis verbracht hat, genießt nicht den besten Leumund. Ein Mann, dem mehrere Gutachter bescheinigt haben, "manipulativ" zu sein, der "zur Selbstinszenierung und Dramatisierung" neigt, "der dazu tendiert, seine Bedürfnisse in den Mittelpunkt zu stellen" - ist dem wirklich zu trauen? Absehbar ist, dass die Rolle des Informanten bei einer möglichen Gerichtsverhandlung eine zentrale Rolle einnehmen dürfte.

Zwölf Männer sitzen in Untersuchungshaft, einer ist frei. Am Rande einer typischen Kleinstadt irgendwo in Süddeutschland, direkt an einem grünen Hang, lebt dieser eine Mann seit Ende 2018. Einfamilienhaus reiht sich an Einfamilienhaus, gepflegte Gärten, beruhigende Stille. Ernst Fäller hat hier eine Wohnung im Erdgeschoss eines weiß-grau gestrichenen Gebäudes mit dunklen Fenstern bezogen. Ein kleines Messingschild neben dem Hauseingang weist darauf hin, dass hier besondere Bewohner leben. Menschen, die von Sozialarbeitern betreut werden. Es sind ehemalige Strafgefangene, auf dem Weg zurück in die Gesellschaft. Im Eingangsflur an der Wand hängt ein Müll-Plan. In der ersten Februar-Woche ist Fällers Name eingetragen, Verpackungs- und Papiertonne sollten in dieser Woche abgeholt werden. Auf dem Klingelschild steht sein Name schon nicht mehr. Neben der Eingangstür liegen zusammengefaltete Kartons. Die Wohnung wirkt verlassen. Die anderen aber sind noch bewohnt. Mit zwei jungen Männern konnte die Zeit sprechen.

Sie berichten von einem lustigen Menschen, der einen "schwarzen Humor" gehabt habe. Er habe gern erzählt, dass ihm damals nach der Entführung des Polizeibeamten eine Krankheit eingeredet worden sei. Einer sagt, er habe Fäller am Tag seiner Abreise noch gesehen, er soll von Zivilpolizisten abgeholt worden sein. Überprüfen lässt sich das aber nicht. Der andere bestätigt, dass Fäller in der vergangenen Woche noch da gewesen sei. Dieser habe ihm erzählt, dass er in den Urlaub fahre.

Auf Dauer wird er nicht untertauchen können. In den kommenden Wochen muss er sich wieder einmal vor Gericht verantworten - wegen der Luftpistole, die ihm die Polizeibeamten im vergangenen Oktober auf dem Bahnhof abnahmen.

*Die Identität des Informanten ist der Zeit bekannt. Aus Sicherheitsgründen haben wir uns entschieden, den Namen abzuändern.

Bildunterschrift: Gruppe S.: In Karlsruhe wird eine Person zu einem Haftrichter des Bundesgerichtshofs gebracht.


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