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Deister- und Weserzeitung , 11.02.2020 :

Keine symbolische Aberkennung

Diskussion über Ehrenbürgerschaft von Chronist mit Nazi-Geschichte / Debatte in Hessisch Oldendorf steht aus

Von Cornelia Kurth

In Hessisch Oldendorf und dem Rintelner Ortsteil Möllenbeck ist Friedrich Kölling einst mit der Ehrenbürgerschaft ausgezeichnet worden. In Hessisch Oldendorf wurde 1985 noch eine Straße nach ihm benannt. Als Anerkennung für seine Verdienste um die Heimatforschung. Seine Nazi-Geschichte fiel dabei unter den Tisch. Bis der pensionierte Gymnasiallehrer Erik Hoffmann aus Rumbeck die dunkle Vergangenheit Köllings ans Tageslicht beförderte, die Dewezet darüber berichtete und damit eine öffentliche Debatte anstieß - die in Möllenbeck schon wieder ihr Ende gefunden hat.

Möllenbeck / Hessisch Oldendorf. Dass politische Grundsatzdiskussionen in einem kleinen Ortsrat stattfinden, kommt nicht allzu oft vor. In Möllenbeck aber führte kein Weg darum herum. Wie geht man mit der neuen Erkenntnis um, dass ein im Jahr 1970 zum Ehrenbürger des Dorfes ernannter Lehrer und Historiker ein eingefleischter Nazi war?

Es handelt sich dabei um den 1894 in Möllenbeck geborenen Grundschullehrer Friedrich Kölling, der später in Hessisch Oldendorf lebte und unterrichtete. Auf Grund seiner Verdienste um die Heimatforschung war er in beiden Orten mit der Ehrenbürgerschaft ausgezeichnet worden. Dass er ein glühender Vertreter rassistischer Blut- und Boden-Ideologie gewesen war, dürfte an beiden Orten bekannt gewesen sein, stand aber der Verleihung der Ehrenbürgerschaft damals nicht im Weg (wir berichteten).

Im Ortsrat kam nun auf die Tagesordnung, ob man Friedrich Kölling die Ehrenbürgerschaft nachträglich absprechen solle und was mit den noch vorhandenen Exemplaren der Dorfchronik zu geschehen habe. "Er hat schon harte Sprüche rausgekloppt", meinte Ortsbürgermeister Thorsten Frühmark (CDU) und zitierte eine beispielhafte Äußerung Köllings: "Unsere lebende Generation hat die Pflicht, im Sinne unseres großen Führers volksfremdes Wesen, das unser Volkstum überlagert, hinwegzuräumen."

Das sei krasser, als er es sich hätte vorstellen können, sagt Frühmark, und nicht viel anders erging es den anderen Ortsratsmitgliedern, zumal da Museumsleiter Dr. Stefan Meyer noch einmal dargelegte, wie leidenschaftlich Kölling damals in Vorträgen und zahllosen Veröffentlichungen zur Verbreitung der menschenverachtenden Ideologie der NSDAP beitrug. Es konnte gar nicht anders kommen, als dass sich die Frage aufdrängte, warum der damalige Ortsrat Köllings politischen Hintergrund offensichtlich nicht zur Kenntnis genommen hatte.

"Wenn wir uns jetzt dazu verhalten, soll es nicht so aussehen, als wolle man die damalige Ortsratsentscheidung in Frage stellen", so Frühmark. Anthony Lee (CDU) betonte, es sei eine andere Zeit gewesen, in der sehr viele ehemalige Nazis wie selbstverständlich in ihren Ämtern weiterarbeiteten.

Reinhold Kölling (SPD - nicht mit Friedrich Kölling verwandt) bestätigte, die Ortsratsmitglieder seien ohne Fehl und Tadel gewesen. Die Ehrenbürgerschaft habe den Verdiensten rund um die Dorfchronik gegolten. Dennis Winter (SPD) meinte, ihm und andere, die Mitte dreißig sind, seien weder Kölling noch der damalige Ortsrat bekannt und das Thema habe daher keinerlei Präsenz für die Jüngeren.

Das Anliegen, den Ortsrat von 1970 nicht zu kritisieren, führte zu einer nicht untypischen Diskussion, die Zuhörern vor Augen führen konnte, warum der Auseinandersetzung mit lokalen Nazi-Vergangenheiten oft aus dem Weg gegangen und diese auch jetzt noch immer wieder als ein "Zuviel" betrachtet wird. Während Frühmark und Reinhold Kölling betonten, das Thema dürfe nicht in Vergessenheit geraten, warnten Lee und Winter davor, es "hochkochen" zu lassen.

Ja, es gebe Parteien, die auf dem Vormarsch seien und denen man sich mit allen rechtlichen Mitteln in den Weg stellen müsse, so Lee. Aber man solle nicht jeden Stein umdrehen und Unbescholtene mit in den Dreck ziehen. Er stimmte Dennis Winter zu, der meinte, wenn die Presse solche Dinge aufbausche, werde es dadurch "auch im Fußballstadion" wieder präsent. Man müsse sich nicht extra von solchen Nazi-Gedanken distanzieren, denn es sei eine Selbstverständlichkeit, dass man ihnen nicht zustimme.

So kam man zu dem Schluss - dafür hatte auch Stefan Meyer plädiert - Friedrich Kölling die Ehrenbürgerschaft, die überdies offiziell mit seinem Tod erloschen sei, nicht in einem symbolischen Akt nachträglich abzuerkennen. Die Dorfchronik werde nicht erneut aufgelegt, die restlichen drei Exemplare nicht mehr öffentlich verschenkt. Ein kleines Sparguthaben von 250 Euro, das sich aus dem Verkauf der Chronik angesammelt habe, soll dem Kinderschutzbund gespendet werden.

In Hessisch Oldendorf steht die Auseinandersetzung über die Ehrenbürgerschaft Friedrich Köllings und die nach ihm benannte Straße indes noch aus.

Bildunterschrift: Diskussion im Ortsrat: Soll Möllenbeck Friedrich Kölling die Ehrenbürgerschaft nachträglich aberkennen?

Bildunterschrift: Friedrich Kölling, hier an einem Mikrofon des Westdeutschen Rundfunks, hat sich um die Heimatforschung verdient gemacht, war aber auch ein glühender Anhänger des Nationalsozialismus.

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Deister- und Weserzeitung Online, 24.10.2019:

Friedrich Kölling: Großer Heimatforscher - aber auch Nazi

24.10.2019 - 16.39 Uhr

Er wurde geehrt und wird in Ehren gehalten - und seine dunkle Geschichte ausgeblendet

Hessisch Oldendorf / Rinteln. Vielen ist Friedrich Kölling wohl kaum noch ein Begriff. Anderen sagt er noch was als Heimatforscher. Vergessen scheint seine NS-Vergangenheit zu sein. Derweil erinnert in Hessisch Oldendorf die Friedrich-Kölling-Straße an den Nazi. Auch sein Geburtsort Möllenbeck verlieh ihm die Ehrenbürgerwürde.

Philipp Killmann

Friedrich Kölling kam 1894 in dem heute zu Rinteln gehörenden Dorf Möllenbeck zur Welt. Von 1919 bis 1954 war er Lehrer in Hessisch Oldendorf. Seit den 20er Jahren war er in der Heimatpflege tätig, erst im Heimatbund der Grafschaft Schaumburg, dann im Heimatbund Hessisch Oldendorf. Für seine Heimatforschung wurde ihm 1957 von der Stadt Hessisch Oldendorf und 1970 von Möllenbeck die Ehrenbürgerwürde verliehen. Über beide Orte schrieb er Chroniken. 1964 wurde ihm der Niedersächsische Verdienstorden verliehen. So weit, so gut.

Aber Friedrich Kölling war auch im Stab des Ortsgruppenleiters der NSDAP von 1938 bis 1945 Schulungsleiter, ab 1944 auch Presseamtsleiter, wie Erik Hoffmann (72), pensionierter Gymnasiallehrer und Betreiber der Website geschichte-hessisch-oldendorf.de, in einer 40-seitigen Arbeit mit dem Titel "Vom Geist des Heimatforschers - Volkstum, Rasse, Führertreue" herausgefunden hat. "Die Schulung wacht, daß die Weltanschauung des Nationalsozialismus nicht verwässert wird, sondern kompromißlos zur Geltung kommt", zitiert Hoffmann Köllings Vorgesetzten, den Gau-Schulungsleiter, aus einem Bericht der Schaumburger Zeitung von 1939.

Dass Kölling hinter diesem Aufgabenverständnis stand, belegt Erik Hoffmann mit zahlreichen von Kölling verfassten Zeitungsberichten und anderen Schriften, aus denen seine Überzeugung vom Nationalsozialismus hervorgeht. Frank Werner, ehemaliger Chefredakteur der Dewezet, zählt Kölling und andere in seinem 2010 erschienenen Buch "Schaumburger Nationalsozialisten" zu den "scharf antisemitischen Schulungsleitern der NSDAP". Vor diesem Hintergrund ist es wenig überraschend, dass Kölling in seiner Hessisch Oldendorfer Stadtchronik "die NS-Zeit als Epoche völlig" unterschlägt, wie Hoffmann feststellt. Viele überzeugte Nazis wurden nach der NS-Zeit im Entnazifizierungsverfahren als "unbelastet" eingestuft, so wie etwa die Dichterin Agnes Miegel, nach der etwa in Hameln eine Straße benannt ist (wir berichteten). Ob auch Kölling das Entnazifizierungsverfahren durchlief, ist derzeit noch unbekannt.

Auch aus diesen Gründen wohl ist Köllings NS-Vergangenheit heute wenig bekannt. Die Antwort der Hessisch Oldendorfer Stadtverwaltung auf die Dewezet-Anfrage überrascht dann aber doch. Demnach lägen "über die Rolle von Friedrich Kölling zu Zeiten des Nationalsozialismus keine belastbaren Erkenntnisse vor". Die Nachfrage, wann die Friedrich-Kölling-Straße entsprechend benannt wurde, blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet. In der Erinnerung von Erik Hoffmann war es im Jahr 1983 - drei Jahre nach Köllings Tod -, als Hessisch Oldendorf 750-jähriges Bestehen feierte.

Ahnungslosigkeit auch im Rintelner Rathaus und Ortsrat. Für den in Möllenbeck geborenen Rintelner Bürgermeister Thomas Priemer (SPD) sei die Angelegenheit zwar "von Bedeutung". Eine "verbindliche Auskunft" könne er aber nur dann erteilen, "wenn ich entsprechende Unterlagen einsehen kann" - was derzeit aber nicht der Fall sei, so Priemer. Man werde aber "die Sache aufarbeiten". Auch der Möllenbecker Ortsbürgermeister Thomas Frühmark (CDU) wolle sich erst "ein persönliches Bild über seine (Köllings; Anm. d. Red.) Geschichte machen". Er kenne nur dessen Möllenbecker Chronik und die sei "toll". Keine Verwandtschaft bestehe im Übrigen zwischen Friedrich Kölling und dem Möllenbecker Ortsratsmitglied Reinhold Kölling (SPD), wie dieser auf Anfrage sagt.

In Hessisch Oldendorf habe Erik Hoffmann über die Politik bereits zweimal versucht, eine Debatte über die Friedrich-Kölling-Straße anzustoßen. Zuletzt in diesem Sommer, als er seine Arbeit über Kölling fertiggestellt hatte und allen Ortsratsmitgliedern zukommen gelassen habe. Doch bis auf eine "freundliche Rückfrage" von Seiten eines CDU-Mitglieds, wie der Ortsrat darauf reagieren könne, habe er bislang keine Antwort erhalten. Eine Umbenennung der Friedrich-Kölling-Straße halte er übrigens nicht für zwingend nötig. Eine Auseinandersetzung schon. "Ich wünschte mir etwas Konstruktives", sagt er.

Seine Arbeit endet mit dem Fazit: "Köllings umfangreiche regionalgeschichtliche Arbeiten nach 1945 werden durch seine früheren NS-Aktivitäten nicht annulliert. Umgekehrt gilt allerdings dasselbe." Ähnlich differenziert fällt die Einschätzung von Dr. Stefan Meyer aus, dem Rintelner Stadtarchivar und Leiter des Museums Eulenburg. "Kölling war zweifellos ein überzeugter und offensiver Nationalsozialist, der das NS-Regime nach Kräften unterstützt hat, ebenso zweifellos hat er sich große Verdienste für die Geschichtsschreibung in Schaumburg erworben", so Meyer auf Anfrage.

Bildunterschrift: In Hessisch Oldendorf wird der Heimatforscher etwa mit der nach ihm benannten Friedrich-Kölling-Straße in Ehren gehalten.

Bildunterschrift: Friedrich Kölling am Mikrofon des Westdeutschen Rundfunks.

Mein Standpunkt

Von Philipp Killmann

Es ist bezeichnend, wenn jemand als großartiger Heimatforscher in Erinnerung geblieben ist und in Ehren gehalten wird - seine dunkle Vergangenheit aber in Vergessenheit geraten ist oder gar ausgeblendet wird. Symptom des nach der NS-Zeit eingetretenen Verdrängungsmechanismus? In jedem Fall liegt hier eine Faktenlage vor, die nach einer Auseinandersetzung förmlich schreit. Laut.

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Von 1938 bis 1945 versah der in Möllenbeck geborene Friedrich Kölling in Hessisch Oldendorf im Stab des Ortsgruppenleiters der NSDAP das Amt des "Schulungsleiters", ab 1944 auch das des "Presseamtsleiters".

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www.geschichte-hessisch-oldendorf.de/vom-geist-des-heimatforschers.html


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