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Deister- und Weserzeitung , 22.01.2020 :

"Besser als jede Geschichtsstunde"

In ihrem Buch "Geisterkinder" hat Valerie Riedesel das Schicksal ihrer Familie dokumentiert

Von Wolfhard F. Truchseß

Hameln. Erst war ihr Großvater Cäsar von Hofacker als Weltkrieg-I-Flieger ein begeisterter Anhänger Adolf Hitlers, weil er auf einen starken Führer hoffte, der die Folgen des Versailler Vertrages auslöschen sollte. Dann aber wurde er in Paris einer der führenden Köpfe des Widerstandes und der Mitorganisatoren des 20. Juli 1944, wie gestern Valerie Riedesel, die Enkelin Cäsar von Hofackers, in einer bewegenden Lese- und Erzählstunde dem 10. Jahrgang des Schiller-Gymnasiums am Vormittag und den Gästen der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit am Abend im Gemeindezentrum der St.-Augustinus-Gemeinde berichtete.

Wie Claus von Stauffenberg als Attentäter und seine Mitverschwörer am 20. Juli 1944 scheiterten, ist dank mehrerer Filme und zahlreicher Bücher bis in viele Details dokumentiert worden - wie mit ihren Angehörigen umgegangen wurde, blieb dagegen weitgehend im Dunkeln, weil nur wenige Betroffene ihre Geschichte für wichtig genug erachteten, um sie öffentlich zu machen. Valerie Riedesel hingegen empfand einen von ihrer Mutter für die Familie geschriebenen 40-seitigen Bericht als so bedeutsam, dass sie sich zu weiteren Recherchen entschloss, das Familienarchiv durchforstete und schließlich auch auf das von ihrer Mutter nach der Befreiung geführte Tagebuch stieß. Weil es in der damals üblichen Sütterlin-Schrift verfasst war, konnte sie es allerdings nicht entziffern, was zu langen Gesprächen mit ihrer Mutter und vielen neuen Informationen führte und schließlich seinen Niederschlag in dem Buch "Geisterkinder" führte.

"Das war wirklich sehr persönlich, ergreifend und besser als jede Geschichtsstunde", kommentierten Mette Detert, Loreen Lüneberg und Malin Blome die Stunde mit Valerie Riedesel in der Mensa des Schiller-Gymnasiums, der heute eine weitere Stunde in der Aula der Handelslehranstalt folgen wird.

"Geisterstunde" ist die Geschichte der Trennung der Angehörigen des unverzüglich von der Gestapo verhafteten Cäsar von Hofacker, die Unterbringung der jüngeren Kinder in einem Kinderheim in Bad Sachsa im Harz, die Verhöre in der Münchener Polizeizentrale, die Verlegung in das Hotel Hindenburgbaude im Riesengebirge, wo sie mit anderen Angehörigen von Widerstandskämpfern zusammengelegt wurden - als Geiseln von Heinrich Himmler, der über Mittelsmänner 1944 versuchte, mit den Amerikanern in Kontakt zu treten. Aus der Hindenburgbaude ging es ins KZ Stutthof bei Danzig und über Buchenwald mit immer mehr Sonderhäftlingen, darunter auch der Industrielle Thyssen, in die so genannte Alpenfestung, wo die Odyssee endete und ein Statthalter Himmlers, der mit den Amerikanern in Verhandlungen war, wenige Tage vor der Kapitulation ihre Übergabe von der SS an die Wehrmacht befahl. Doch bis die Familie wieder zusammen war, sollte es noch Monate dauern.

Cäsar von Hofacker ereilte dasselbe Schicksal wie Claus von Stauffenberg und die anderen Widerstandskämpfer: Er wurde am 20. Dezember 1944 hingerichtet.

Bildunterschrift: Valerie Riedesel las aus ihrem Buch "Geisterkinder" und erzählte vom Schicksal ihrer Familie als Opfer der NS-Sippenhaft.

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- Dienstag, 21. Januar 2020 um 19.00 Uhr -


Lesung mit Valerie Riedesel Freifrau zu Eisenbach: "Geisterkinder - Fünf Geschwister in Himmlers Sippenhaft"


Veranstaltungsort:

Gemeindezentrum St. Augustinus
Lohstraße 8
Eingang Vizelinstraße
31785 Hameln

www.st-augustinus-hameln.de


Valerie Riedesel, Enkelin von Cäsar von Hofacker, der nach dem missglückten Hitler-Attentat hingerichtet wurde, erzählt das Sippenhaft-Schicksal ihrer Familie, die in Gefängnisse, Konzentrationslager und Kinderheime verschleppt wurde. In ihrem Buch "Geisterkinder - Fünf Geschwister in Himmlers Sippenhaft" (Ullstein Taschenbuch, 30. November 2018) beschreibt sie die "Sippenhaft", der ihre Großmutter und deren Kindernach dem gescheiterten Attentat verfallen sind

30. Juli 1944. Es dauert nach dem Attentat am 20. Juli nur zehn Tage, dann steht die Gestapo vor dem Haus der Familie von Hofacker. Die Mutter und die beiden ältesten Kinder, Eberhard und Anna-Luise, werden angewiesen, einen kleinen Handkoffer mit den nötigsten Kleidungsstücken zu packen, und noch an diesem 30. Juli mitgenommen nach München; Ziel: Gestapo-Gefängnis. Die drei kleinen Geschwister Christa, Alfred und Liselotte bleiben zunächst in der "Obhut" einer Schwester der "Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) in brauner Schwesterntracht" zurück. Auch sie werden bald verschleppt, in ein NS-Kinderheim in Bad Sachsa im Harz.

Die Familie wird urplötzlich auseinandergerissen: Für die Mutter mit den älteren Kindern auf der einen Seite und die drei kleinen Geschwister auf der anderen beginnt eine monatelange, wendungsreiche Reise voller Unsicherheiten, die sie zwischen Deutschland, Polen, Österreich und Italien hin- und herführt. Immer wieder gibt es Hoffnung, dass sie entlassen werden - die aber bald wieder enttäuscht wird. Erst im Sommer 1945, nach Kriegsende und fast einem Jahr der Trennung, kommen sie wieder zusammen.

Valerie Riedesel komponiert das Familien-Drama in vier Akten aus den Tagebüchern ihrer Mutter, ihrer Tante Christa und der Korrespondenz ihres Großvaters. Die parallelen Berichte der durch Krieg und Regime getrennten Schwestern, Gedichte und Briefauszüge dokumentieren ein verwobenes Zeit-Bild einer gewaltsam getrennten Familie in den letzten Monate der NS-Herrschaft und darüber hinaus.


Valerie Riedesel Freifrau zu Eisenbach, Jahrgang 1964, Tochter von Anna-Luise von Hofacker, studierte Geschichte an der Universität Straßburg und der Sorbonne und schloss anschließend die Journalistenschule an der Axel-Springer-Akademie ab. Unter anderem arbeitete sie als Redakteurin bei der FAZ. Heute führt sie gemeinsam mit ihrem Mann einen landwirtschaftlichen Betrieb auf Rügen.


Eine Veranstaltung der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Hameln e.V.

www.gcjz-hm.de

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Am 21. Januar 2020 lud die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Hameln e.V., zur Lesung "Geisterkinder - Fünf Geschwister in Himmlers Sippenhaft", mit Valerie Riedesel Freifrau zu Eisenbach ein.

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www.gcjz-hm.de


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