Mindener Tageblatt ,
13.01.2020 :
Das Grauen wird greifbar
Führungen, Vorträge, eine Tagung mit Historikern, die Planung des Dokumentationszentrums und ein Forschungsprojekt: Vor dem Gedenkstätten-Verein liegt viel Arbeit
Stefan Lyrath
Porta Westfalica. Es ist kalt an diesem Vormittag. Doch auch sonst würden Jörg Schwiers Zuhörer frösteln. Schwier, Gästeführer in Porta Westfalica und mit dem Thema NS-Zeit vertraut, steht vor dem Pferdestall am "Kaiserhof", im Jahr 1966 errichtet auf den Grundmauern des früheren Festsaales, der von März 1944 bis April 1945 ein Konzentrationslager war. Bis zu 1.500 Häftlinge wurden darin eingepfercht.
"Der Mensch war vollkommen egal", erklärt Jörg Schwier. "Tote wurden in Bahnwaggons verfrachtet und zurück nach Neuengamme gefahren." Deutsche Gründlichkeit. Das KZ im ehemaligen Hotel "Kaiserhof" war eines der etwa 85 Außenlager von Hamburg-Neuengamme. Gestorben sind allein hier in Barkhausen wohl bis zu 500 Menschen - in einem Zeitraum von zwölf Monaten.
"Keine Heizung, am Anfang ein Plumpsklo und keine Betten, völlig unzureichende Ernährung", zählt Gästeführer Jörg Schwier auf. Dazu Übergriffe durch Wachen und Kapos. "Nach einem Monat waren etwa 50 der ersten 150 Häftlinge gestorben."
Viele Todesopfer forderte die Zwangsarbeit im Jakobsstollen auf der anderen Weserseite, in den die Häftlinge mit einfachsten Mitteln neue Stollen für die unterirdische Rüstungsproduktion der Nazis treiben mussten. Wer all dies zum ersten Mal hört, reagiert meistens entsetzt: Mitten in Porta ist das passiert. Das Interesse an den Führungen des Vereins KZ-Gedenk- und Dokumentationsstätte ist groß, die nächste schon wieder ausgebucht.
"In den Medien ist dieser Teil der Geschichte sehr präsent, im Fernsehen gibt es regelmäßig neue Dokumentationen", erklärt Thomas Lange, der Geschäftsführer des Vereins. "Wir dokumentieren lokale NS-Geschichte an historischen Orten." Lange führt das anhaltend große Interesse auch darauf zurück, dass viele Menschen durch ihre Teilnahme ein Zeichen gegen den aufkommenden Rechtspopulismus setzen wollen.
Der Stollen selbst soll 2026 mit festen Öffnungszeiten an den Start gehen
Von Januar bis April 2019 haben bis zu 500 Menschen an den Rundgängen des Gedenkstätten-Vereins teilgenommen, die am Samstag wieder begonnen haben und zu mehreren Orten des Grauens führen. Noch größer ist das Interesse an Führungen durch den Jakobsstollen. Dafür gibt es eine Warteliste mit etwa 4.500 Namen. Und das, obwohl allein 2019 mehr als 3.000 Besucher (darunter Hunderte von Schülern) durch den unterirdischen Nazistollen geführt worden sind, alles auf ehrenamtlicher Basis.
"Es war ein erfolgreiches Jahr", fasst Thomas Lange zusammen. Dies gilt nicht nur für die Besucherzahlen, sondern auch finanziell: Für die Arbeit des Vereins hat der Landschaftsverband Westfalen-Lippe 80.000 Euro bewilligt (wir berichteten). Unterstützung kommt auch von heimischen Unternehmen. "Firmen haben uns im vergangenen Jahr mehr als 10.000 Euro gespendet", berichtet der Geschäftsführer. "Wir spüren großen Rückhalt."
Hinzu kommt Geld von Teilnehmern an Führungen. "Das beginnt bei fünf Euro, die Gästeführer in die Hand gedrückt bekommen, und endet bei 200 Euro, die manchmal noch Monate später zur Unterstützung unserer Arbeit überwiesen werden."
Schon jetzt steht fest, dass 2020 arbeitsreich wird. So müssen Gespräche mit Fachbehörden geführt werden, um zu klären, ob am Eingang zum Nazi-Stollen ein Gebäude errichtet werden darf. Geplant ist ein Dokumentationszentrum, dessen Bau 2023 beginnen soll. Der Stollen selbst, seit 2017 ein eingetragenes Besucherbergwerk, soll 2026 mit festen Öffnungszeiten an den Start gehen. Zur Zeit finden dort jährlich etwa 100 Führungen statt, verteilt über mehrere Wochenenden.
Im Oktober hat der Verein einen wissenschaftlichen Mitarbeiter eingestellt: Thomas Lange, der gleichzeitig Historiker ist. Er befasst sich mit einem begleitenden wissenschaftlichen Forschungsprojekt, muss zunächst Quellen sichten und Archive besuchen. "Das Forschungsprojekt soll sozusagen die Hausaufgaben erledigen, bevor die Gedenkstätte an den Start geht", so Lange. "Ziel ist es, Inhalte für eine Dauerausstellung, Online-Dokumentation und nicht zuletzt die Gedenkstätten-Pädagogik zu schaffen."
Vor 75 Jahren, im Mai 1945, ist der Zweite Weltkrieg zu Ende gegangen. Im Juni lädt der Verein deshalb zu einer Historiker-Tagung im Bürgerhaus in Hausberge ein, an der namhafte Wissenschaftler teilnehmen. Parallel dazu wird das Gedenkstätten-Konzept für den Stollen vorgestellt. Erwartet werden dazu auch Angehörige früherer Häftlinge der drei Portaner KZ.
Bereits am Mittwoch, 12. Februar, beginnt eine Kinoreihe im Bürgerhaus. Gezeigt wird "Kästner und der kleine Dienstag". Voraussichtlich im März wird die Vortragsreihe fortgesetzt.
Bildunterschrift: Am Eingang zum Jakobsstollen ist ein Dokumentationszentrum geplant, dessen Bau 2023 beginnen soll. Zwangsarbeit forderte dort in der Zeit des Nationalsozialismus viele Todesopfer.
Bildunterschrift: Gästeführer Jörg Schwier vor dem Pferdestall am "Kaiserhof". Früher stand dort der Festsaal des Hotels, zur Nazi-Zeit ein KZ.
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- Samstag, 11. Januar 2020 von 11.00 bis 13.30 Uhr -
Rundgang zu den Lebens- und Arbeitsorten der Häftlinge der Außenlager des KZ Neuengamme an der Porta Westfalica
www.gedenkstaette-porta.de
Treffpunkt:
Parkplatz Kaiserhof
Freiherr-vom-Stein-Straße 1
32457 Porta Westfalica
Die KZ-Gedenk- und Dokumentationsstätte Porta Westfalica e.V. bietet seit 2018 regelmäßig Rundgänge zu den Lebens- und Arbeitsorten der Häftlinge der Außenlager des Konzentrationslagers Neuengamme an der Porta Westfalica an. Nach dem großen Interesse in den vergangen beiden Jahren hat der Verein nun weitere Termine für Rundgänge im Frühjahr 2020 festgelegt.
In der circa zweieinhalb Stunden dauernden Führung erhalten die Teilnehmenden durch hierfür speziell qualifizierte Gästeführer an den Orten des Geschehens fundierte und wissenschaftlich gesicherte Informationen über die drei Außenlager des Konzentrationslagers Neuengamme an der Porta Westfalica mit der Untertageverlagerung Dachs 1 im Jakobsberg. In diesen Lagern wurden KZ-Häftlinge unter grausamen Bedingungen zur Arbeit gezwungen und waren in erschütterndem Ausmaß Hunger, Krankheiten und Gewalt ausgesetzt. Die Rundgänge führen vom Kaiserhof aus - hier befand sich das Männerlager - über die Weserbrücke zum Vorplatz der ehemaligen Untertageverlagerung Dachs 1 und zum Eingang des Stöhr 1, den ehemaligen Arbeitsorten der Häftlinge am Jakobsberg. Der Rundgang endet am Mahnmal am Grünen Markt in Hausberge.
Leider kann im Rahmen dieser Führungen das Innere der Anlage Dachs 1 nicht besichtigt werden. Für eine Führung in der Anlage ist ein hoher organisatorischer Aufwand nötig und es besteht eine Warteliste. Über unser Anmeldeformular ist es jedoch möglich, sich für eine Führung innerhalb der Anlage auf die Warteliste setzen zu lassen.
Da es ein Stück des Weges den Jakobsberg hinauf und wieder hinunter geht, sollten die Teilnehmenden trittsicher auf Wanderwegen sein und gutes Schuhwerk tragen. Die Führungen sind kostenlos, eine Spende ist erwünscht. Um Anmeldung wird aus organisatorischen Gründen gebeten. Die Anmeldung kann über die jeweilige Veranstaltungsseite oder per E-Mail an rundgaenge@gedenkstaette-porta.de erfolgen. Ab dem 11. Januar 2020 finden die Rundgänge an jedem zweiten Samstag im Monat statt.
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Ab 11. Januar 2020 setzt die KZ-Gedenk- und Dokumentationsstätte Porta Westfalica, Rundgänge zu den Lebens- und Arbeitsorten der Häftlinge der Außenlager des KZ Neuengamme an der Porta Westfalica, fort.
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www.gedenkstaette-porta.de
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