www.hiergeblieben.de

Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt , 13.11.2018 :

Kommentar / Streit um Polizei-Strategie

Auslöser ist bundesweiter Antifa-Aufruf

Jens Reichenbach

Nach dem Stolz über die Wehrhaftigkeit Tausender Bielefelder und dem Entsetzen über 400 Nazis in der Stadt ist inzwischen ein Streit über die Strategie der Polizei entbrannt. War das Auffahren von Räumpanzern, Wasserwerfern und 2.000 Polizisten inklusive strenger Straßensperren unverhältnismäßig? Oder ist das Ausbleiben gewalttätiger Auseinandersetzungen ein Beweis für den Erfolg der Polizeitaktik? Das "Bündnis gegen Rechts" sieht das bisher entgegengebrachte Vertrauen zur Polizei durch diese Strategie zerbröselt.

Offenbar fragt sich dabei aber niemand, warum es zu dieser neuen Polizei-Strategie überhaupt gekommen ist. Was war denn diesmal anders?

Erstmals trat im Vorfeld der Demos ein Bündnis Bielefelder Antifa-Gruppen aus dem Schatten des bürgerlichen Gegenprotests und hat bundesweit dazu aufgerufen, diesen Nazi-Marsch "entschlossen zu verhindern". Das Antifa-Bündnis formulierte eigene Ziele und kündigte dabei "zahlreiche Aktionsformen, darunter auch Blockaden" an.

Für die Polizei war dieser Aufruf der Auslöser zum Hochrüsten. Weil sie die Pflicht hat, die Bürger in Bielefeld zu schützen. Angesichts der Bilder vom G20-Gipfel in Hamburg, die fest mit der autonomen Szene verbunden sind, hat die Polizeiführung sich für einen monströsen und auch gewollt einschüchternden Auftritt entschieden.

Die Polizei hat keinen Hehl daraus gemacht, für wen sie so aufgerüstet hat. Trotzdem ist der Aufschrei aus dem bürgerlichen Lager besonders groß. Ich frage mich, ob dieser Aufschrei nicht in die falsche Richtung geht.

_______________________________________________


Bielefeld stellt sich quer - Bündnis gegen Rechts, 11.11.2018:

Pressemitteilung und Stellungnahme

Pressemitteilung und Stellungnahme des "Bündnis gegen Rechts" zu den Demos und dem Polizeieinsatz bei den Demos am 10.11.2018 in Bielefeld

Das Bielefelder Bündnis gegen Rechts bedankt sich bei allen Bielefelderinnen / Bielefeldern, die den Aufrufen zu unseren Kundgebungen und Demonstrationen gefolgt sind. Rund 10.000 Menschen haben erneut ein klares und eindrucksvolles Zeichen für unsere bunte und vielfältige Stadt und gegen Antisemitismus, Holocaust-Leugnung sowie jede Form von Menschenfeindlichkeit gesetzt.

Die Demonstrationsfreiheit ist ein Grundrecht, das für alle gilt. Es steht für Demokratinnen / Demokraten nicht zur Disposition, auch wenn es, wie beim gestrigen Aufzug der Neonazis, nur schwer erträglich ist, dass Demokratie-Feinde dieses Grundrecht ebenfalls in Anspruch nehmen.

Wir üben jedoch entschiedene Kritik an Taktik und Strategie der Polizei.

Bereits im Vorfeld hat sie ein Bedrohungsszenarium aufgebaut, um die Zivilgesellschaft einzuschüchtern und sie von einer Teilnahme an unseren Aktivitäten abzuhalten. Es wurde versucht, legitimen Protest gegen Nazis zu kriminalisieren. Durch den Einsatz von Wasserwerfern, Räumpanzern, Pferdestaffeln und die 1.700, teilweise paramilitärisch ausgerüsteten, Polizeibeamten aus dem gesamten Bundesgebiet wurde die Innenstadt über mehrere Stunden in einen Ausnahmezustand versetzt.

Dieses für unsere Stadt bisher beispiellose Einsatzkonzept der Polizei hat viele Bielefelderinnen / Bielefelder sehr verstört. Wir fühlten uns bei den von uns angemeldeten Demonstrationen von der Polizei nicht beschützt, sondern eindeutig feindselig bedroht und kriminalisiert. Räumpanzer und Wasserwerfer waren präventiv auf unsere Demonstrationsteilnehmerinnen / Demonstrationsteilnehmer gerichtet. Die Arbeit von Anwältinnen / Anwälten wurden von Anfang an massiv eingeschränkt, durch Falschinformationen verhindert oder durch rüden Polizeieinsatz unterbunden.

Die im Vorfeld getroffenen Vereinbarungen, damit die Demo-Teilnehmerinnen / -Teilnehmer zu den Kundgebungsstandorten kommen konnten, wurden nicht eingehalten, indem Kontrollstellen früher als zugesagt geschlossen wurden. Auch die vereinbarten Möglichkeiten zwischen den einzelnen Orten wechseln zu können, wurden nicht eingehalten. Wir fühlen uns in unserem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit beschnitten. Mehrere tausend Menschen konnten die gewünschten Kundgebungen nicht erreichen. (1)

Das Bielefelder Bündnis gegen Rechts war sowohl in der Vergangenheit, als auch am vergangenen Samstag, ein verlässlicher Veranstalter des zivilgesellschaftlichen Protests, welches gut mit der Polizei kooperiert und stets die Gewähr für den gewaltfreien Verlauf der Veranstaltungen übernommen hat. Wir sehen uns aber nicht als "Servicepartner" der Polizei, damit diese es einfacher hat, Faschisten einen Weg durch die Stadt zu ermöglichen. Mit dem gestrigen Einsatz hat die Polizei der Zivilgesellschaft geschadet und den geübten Weg des Konsenses verlassen.

Wir werden in den nächsten Wochen eine politische und auch gegebenenfalls rechtliche Aufarbeitung des überzogenen, unverhältnismäßigen und unangemessenen Einsatzes der Polizei vorantreiben und über Konsequenzen beraten.

(1) Durch die Sperrzone waren Wechsel zwischen den Versammlungsorten nur nördlich über die Beckhausstraße und südlich über die Sparrenburg-Promenade möglich. Daraus resultieren zum Beispiel folgende unverhältnismäßige und unangemessene Entfernungen:

Bahnhof zum Kesselbrink: circa 4,7 Kilometer über Beckhausstraße, statt circa 200 Meter direkt.

Jahnplatz zum Rathaus: circa 3,0 Kilometer über die Sparrenburg-Promenade, statt circa 200 Meter direkt.


zurück